A3494 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 51–52⏐⏐25. Dezember 2006
M E D I Z I N
Schlusswort
Die Daten von Frau Bartels weisen zum ersten Mal in Deutschland nach, dass die Ergebnisqualität kleiner neo- natologischer Intensivstation schlechter ist. Für die Bera- tung und für die eigene Qualitätskontrolle braucht man in Deutschland populationsbasierte Daten einschließlich langfristiger Nachsorgeuntersuchungen. Ein Benchmar- king, als Ergänzung zur evidenzbasierten Medizin, ist nur auf einer deutschlandweiten Datenbasis mit validen Peri- und Neonataldaten möglich, mit der Stärken und Schwächen einzelner Kliniken identifiziert werden kön- nen. Die „Vermont Oxford Collaborative for Quality Im- provement“ konnte so die Inzidenz der bronchopulmona- len Dysplasie und der nosokomialen Infektionen erfolg- reich in den beteiligten Neonatologien senken (1).
Die Frage nach der Therapiezieländerung und Beginn einer Palliativtherapie ist ein unverzichtbarer Teil der Me- dizin und muss bei allen schwer kranken Patienten mit der Familie diskutiert werden. Die ethische Diskussion über die Behandlung potenziell schwerstbehinderter Kinder beschränkt sich nicht auf extrem unreife Frühgeborene, sondern umfasst den komplexen Bereich der Pränataldia- gnostik. Unüberlegte Maximaltherapie wird in keiner Pu- blikation der Neonatologie propagiert, auch nicht im Ärz- teblatt. Der oft geäußerte Wunsch von Eltern und Gesell- schaft nach gesunden „perfekten“ Kindern darf nicht dazu führen, die Erfolge und Fortschritte dieses Faches zu ne- gieren. Niemand diskutiert über die Versorgung eines kindlichen Verkehrsopfers mit einem Schädel-Hirntrau- ma, dabei entsprechen die Chancen zum unversehrten Überleben denen eines extrem unreifen Frühgeborenen. In den vergangen Jahren sind viele erfolglose Versuche un- ternommen worden, frühe perinatale Prognosefaktoren für Überleben und für gesundes Überleben zu identifizie- ren. In einer aktuellen Publikation wird über die hohe Morbidität extrem unreifer und wachstumsretardierter Frühgeborener berichtet und die Versorgung bei Geburt- gewicht unter 500 g infrage gestellt (2). Diese Daten sind für die pränatale Beratung der Eltern extrem wichtig, aber als alleiniges Entscheidungskriterium für die Versorgung
ungeeignet. Die rechtzeitige Verlegung in ein Perinatal- zentrum mit ausreichender Erfahrung in der Versorgung Frühgeborener an der Grenze der Lebensfähigkeit ist we- sentlich, um in pränatalen Gesprächen eine gemeinsame Entscheidungsfindung der Eltern mit den betreuenden Ärzten zu ermöglichen. Das FIGO-Komitee zu ethischen Fragen humaner Reproduktion empfiehlt: „Die Entschei- dung über Management eines Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit sollte darauf basieren, was Eltern und die sie beratenden Ärzte als das beste Interesse des Kindes sehen, unbeeinflusst von dem Geschlecht des Kindes, das aber durchaus ein Prognosefaktor ist, Religi- on oder finanziellen Überlegungen. Das medizinische Personal hat die ethische Verpflichtung, die Eltern über die möglichen Ergebnisse medizinischer Therapie zu infor- mieren und zwar anhand aktuellster Statistik und den Überlebenszahlen der eigenen Institution“(3).
LITERATUR
1. Horbar JD, Rogowski J, Plsek PE et al.: Collaborative quality improve- ment for neonatal intensive care. NIC/Q Project Investigators of the Ver- mont Oxford Network. Pediatrics 2001; 107:14–22.
2. Kamoji VM, Dorling JS, Manktelow BN et al.: Extremely Growth-Retarded Infants: Is there a viability centile? Pediatrics 2006; 118: 758–63.
3. Schenker JG: Codes of perinatal ethics: an international perspective. Clin Perinatol 2003; 30: 45–65.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Orsolya Genzel-Boroviczény Klinikum der Ludwig Maximilians Universität Perinatalzentrum Innenstadt
Maistraße 11, 80337 München
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Beiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of medicial Journal Editors besteht.
Berichtigung
In dem Beitrag „Beurteilung von Therapien mit der number needed to treat“ von Prof. Anlauf, Heft 48 vom 1. Dezember, ist in der Grafik 1c die errechnete NNT falsch. Die korrekte Berechnung lautet:
NNT = 100/(12,5-6,25) = 16 MWR
REFERIERT
Keine gesünderen Knochen durch Calcium
Calcium schützt Kinder nicht vor Knochenbrüchen. Dies ist zumindest das Ergebnis einer Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien.
Die Autoren gingen den Fragen nach, ob die Ergänzung von Calcium die Knochendichte bei gesunden Kindern verbessert und ob nach Beendigung der Calciumgabe ein Effekt bestehen bleibt. Einschluss in die Erhebung fanden 19 placebokontrollierte Untersuchungen mit einer Laufzeit von mindestens drei Monaten und einer Nachbeobachtung von mindestens sechs Monaten mit abschließender Bestimmung der Knochendichte. Da- mit erfassten die Autoren die Daten zu 2 859 Kindern. 1 367 Probanden bekamen Calcium, 1 426 erhielten ein Placebo, 66 Teilnehmer brachen die Untersuchung ab. Die Dosis der täglichen Calciumzufuhr betrug 300
bis 1 200 mg. Das längste Follow-up dauerte sieben Jahre. Die zusätzli- che Calciumgabe hatte keinen Effekt auf die Knochendichte von Schen- kelhals oder Lendenwirbelsäule. Eine geringe Wirkung verzeichnete man auf den Gesamtknochenmineralgehalt im Körper (standardisierter mittle- rer Unterschied [SMD]: 0,14; 95-Prozent-Konfidenzintervall [KI]: 0,01 bis 0,27) und die Knochendichte in den oberen Extremitäten (SMD: 0,14; KI:
0,04 bis 0,24). Nach Beendigung der Calciumergänzung blieb der Effekt nur für die Knochenbeschaffenheit der Arme nachweisbar. Geschlecht, Grundversorgung mit Calcium, Ethnizität oder sportliche Aktivität beein- flussten die Wirkung nicht. Die Autoren schlussfolgern, dass der geringe Effekt, den eine Calciumzufuhr auf die Knochendichte hat, vermutlich nicht zu einem nennenswert verminderten Frakturrisiko führt. Se Winzenberg T, Shaw K, Fryer J, Jones G: Effect of calcium supplementation on bone density in healthy children: meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2006; 333: 775–8.