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Archiv "Psychiatrie und professionelles Vorurteil" (16.04.1982)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Der Dilettantismus in Aktion Der als Horizontverlust beschriebe- ne Prozeß äußert sich in einer Viel- zahl von Phänomenen, von denen hier—allein um der Gefahr des Feuil- letonismus zu entgehen — nur einige Beispiele aufgezählt werden sollen.

Trotz ihrer Mannigfaltigkeit lassen sie sich, wie gezeigt werden soll, zu typischen, immer wiederkehrenden Syndromen zusammenfassen.

Da sind beispielsweise jene Assi- stenzärzte, die Psychiatrie allein als ein Verfahren psychischer und so- zialer Hilfestellung und Stärkung des Patienten ansehen, gleichviel worin diese zum Ausdruck kommen soll. Sie verschmähen insgeheim je- de körperliche Untersuchung, erset- zen die Fachsprache durch ein stän- dig wechselndes, eher poetisches Vokabular und übten, ließe man sie gewähren, am Ende im Keller der Klinik Jogapraktiken. Da gibt es Psy- chologen, Soziologen, ja ganze For- schungs-Equipen, die wohlbekannte Probleme der psychiatrischen The- rapie oder Versorgung zu lösen vor- geben und gleichzeitig vielsagend erklären, der „medizinische Krank- heitsbegriff" sei für sie ohne jedes Interesse, sie bedienten sich viel- mehr der Lerntheorie, des symboli- schen Interaktionismus, der Ethno- methodologie u. v. a. m.; dabei wird die vielbeschworene Interdisziplina- rität ebenso gemieden, wie es der

FORUM

am Perpetuum mobile bastelnde Heimwerker verschmäht, das näch- ste physikalische Institut zu konsul- tieren. Engagement soll hier Ratio- nalität ersetzen und Eingleisigkeit vor den Schwierigkeiten des Abwä- gens und der Problemanalyse schüt- zen. Da debütieren Vertreter anderer Fächer, beispielsweise der Sozial- pädagogik, mit zitatenreichen Ver- suchen, die Psychiatrie, so wie sie sie sehen, vom Kopf auf die Füße zu stellen, und versteigen sich zu den absonderlichsten Aussagen von der Neurophysiologie bis zur Persön- lichkeitslehre. Dererlei Elaborate ge- raten zu wahren Fundgruben aller nur erdenklichen Varianten der Psychiatriekritik, der sogenannten Anti-Psychiatrie und der psychiatri- schen Medizingeschichte und er- sparen dem Interessierten das müh- same Sammeln dieser zumeist ver- streuten Meinungsäußerungen.

Solcherart monomanische Populari- sierungen hat es, so mag man ein- wenden — oft im Aufwind zeitspezifi- scher Strömungen —, immer schon gegeben; man denke nur an die Er- güsse deutscher Oberlehrer zur Ras- senbiologie. Als neuartig erscheint jedoch der Umstand, daß der Kon- sens der Fachwissenschaftler hier- durch selbst aufgeweicht zu werden droht und damit Gefahr läuft, dies- mal zwar nicht vor Dekretiertem, da- für aber vor mit leichter Hand mo- disch Kreiertem zu kapitulieren. Da Regenbogenpresse

Weiterhin ergibt sich aus der Lek- türe zahlreicher Boulevardblätter die dringende Forderung nach größerer journalistischer Sorg- faltspflicht. Das muß nicht bedeu- ten, daß nur über Themen berich- tet werden sollte, die mit den Re- geln der Schulmedizin im Ein- klang stehen, denn schließlich hat sich in der Vergangenheit oft ge- nug gezeigt, daß sich eine von der offiziellen Medizin verworfene Therapie am Ende zum Nutzen der Patienten doch bewährt hat.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich letzten Endes der Ruf nach medizinisch kompetenten Journa- listen, die in der Lage sind, auch die schwierigsten Sachverhalte in einer leicht faßlichen und für je- den verständlichen Sprache dar- zustellen.

Daß Gesundheitsbildung, Gesund- heitserziehung und medizinische Information sich heute mehr denn je einer starken Nachfrage erfreu- en, das beweist nicht nur der Blick in die Regenbogenpresse, die sich ausführlicher als jede Tages- oder Wochenzeitung mit Problemen der Medizin auseinandersetzt. Oh- ne Frage könnte eine Verbesse- rung der Informationsmöglichkei- ten auf diesem Gebiet eines Tages zu einem besseren gesundheitli- chen Zustand der Bevölkerung und damit zu einer wirksameren Bekämpfung zahlreicher Zivilisa- tionskrankheiten führen. Daß not- wendigerweise die Formel „Bes- sere Gesundheitsbildung und -vorsorge = weniger Kranke = we- niger Kosten" eines Tages aufge- hen muß, das beweisen die immer alarmierenderen Zahlen, die schon jetzt zu beweisen scheinen, daß das bundesdeutsche Gesund- heitswesen irgendwann in naher Zukunft aus finanziellen Gründen zusammenbrechen muß — wenn nichts geschieht und alles beim alten bleibt . . .

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Friedrich Hofmann Kandelstraße 41

7808 Waldkirch

Psychiatrie

und professionelles Vorurteil

Überlegungen zu einem Stück Kulturkritik

Dieter H. Frießem

Fortsetzung von Heft 14/1982 und Schluß

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 15 vom 16. April 1982 77

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychiatrie

schreiben schließlich Fachhoch- schulen in provinzieller Verspätung Lehrstühle aus mit der Auflage, auch jene als Anti-Psychiatrie apostro- phierte Strömung sei zu vertreten, während dererlei Auffassungen von berufener Seite längst ihrem histori- schen Kontext zugewiesen, wenn nicht widerlegt worden sind.

Einige Züge scheinen all diesen Ak- tionen, Bewegungen, Innovationen, neuartigen Methodologien und Stra- tegien mehr oder weniger gemein- sam zu sein. Sie seien hier kurz auf- gezählt.

a) Einzelne, durchaus zutreffende Ergebnisse oder Beobachtungen psychiatrischer Theorie und Praxis werden aus ihrem Zusammenhang herausgenommen und als angeblich neue Erkenntnisse verabsolutiert.

b) Bevorzugt werden hierbei jene Aussagen, die sich unschwer zu ei- ner gemeinverständlichen Darstel- lung eignen, und dies unter Verwen- dung eines modischen, zum Teil schon ins öffentliche Bewußtsein gedrungenen Jargons. Dies gilt vor- nehmlich für jegliche Art der Psy- chologisierung, seltener der Redu- zierung auf Soziologie. Dieses Ver- fahren, in der Wissenschaftstheorie als Reduktionismus bezeichnet, führt bekanntlich nur zu Schlüssen hypothetischen Charakters und gleicht, mißbraucht, einem schola- stischen Taschenspielertrick.

c) Der Versuch, sich als Psychia- triekritik auszugeben, suggeriert zu- gleich, einen Weg beschritten zu ha- ben, auf dem Überwindung und po- sitive Aufhebung der Psychiatrie möglich sei. Deshalb setzt dererlei Kritik auch an „Schwachstellen", wie die der psychiatrischen Ursa- chenforschung, der Nosologie und Nosographie oder mancher institu- tioneller Unzulänglichkeiten an, wohlweislich verkennend, daß sich solche Probleme auch in anderen medizinischen, ja naturwissen- schaftlichen Fächern finden (zum Beispiel das Krebs-Problem oder die beim Verständnis der Quantentheo- rie aufgetretenen Schwierigkeiten), und die Möglichkeit des Mißbrauchs

der Anwendung jeglicher wissen- schaftlicher Erkenntnisse inhärent ist.

d) Ausgehend von einer formalen Kritik psychiatrischer Institutionen, namentlich des Anstaltswesens, und unter Berufung auf größtenteils hi- storische, jedenfalls untherapeuti- sche, ja unmenschliche Momente der Psychiatrie kommt es zu einem

„therapeutischen Radikalismus", der die Funktionen des Helfens und Heilens überhöht und verkennt, daß auch Anamnese, Befund und Pro- gnose bereits Bestandteile antiker Medizin waren. Die daraus resultie- rende Überidentifizierung mit dem Schicksal des Patienten, der aus sei- ner Objekt-Rolle herausgenommen werden soll, betont in der Manier gewisser psychotherapeutischer Vorgehensweisen den Wert der

„Übertragung", des „Arbeitsbünd- nisses" mit dem Patienten, der

„emotionalen Wärme und positiven Wertschätzung" und der „Echtheit"

der Arzt-Patient-Beziehung bis hin zur Parteilichkeit und stellt sich da- mit in Gegensatz zu Parsons Be- hauptung der emotionalen Neutrali- tät der Arzt-Rolle, die allerdings selbst wieder nicht ohne Kritik ge- blieben ist. Die Reduzierung der Me- dizin auf altruistisches und „proso- ziales" Verhalten trifft sich mit be- stimmten Varianten beruflicher Rol- lenfindung etwa der Sozialarbeiter und gipfelt im psychiatrischen Be- reich in dem Mißverständnis, eine Lehre vom rechten Umgang mit dem Patienten, wie sie Dörner und Plog in bester Absicht vorgelegt haben, sei bereits Psychiatrie und nicht al- lein Ausdruck der „Ergänzungsbe- dürftigkeit naturwissenschaftlich- technischer Medizin".

Die falsche

und die richtige Antwort

Die dargelegten Phänomene und Verhaltensweisen sind sicherlich nicht nur auf die Psychiatrie be- schränkt, vielmehr Ausdruck einer generellen Legitimationskrise von Wissenschaft, geschärften Bewußt- seins für deren Mißbrauch — nament- lich in der deutschen Medizin —, der

Suche nach Identifizierungsobjek- ten und beruflicher Sinngebung oder nur fehlgeleiteten Wissensdur- stes. Sie koinzidieren mit gleichfalls übergreifenden Tendenzen, wie je- nen des Warencharakters wissen- schaftlicher Produktion, des Um- schlagens von Aufklärung in wissen- schaftlich garnierten Massenbetrug oder der individuellen Versuche, ei- ne anomische Situation mittels Re- bellion oder Formen des Rückzuges auf Werte, die noch für sicher erach- tet werden, zu bewältigen. Ihr Auf- weis exemplifiziert insofern ein Stück Kulturkritik am speziellen Ob- jekt der Psychiatrie.

Der Versuch der Beschreibung und Analyse jener Formen des Horizont- verlusts, der Blickverengung, der Ideologisierung und Verabsolutie- rung unter dem Gesichtspunkt ihres Wirksamwerdens als manifeste Vor- urteile gerade derer, von denen an- zunehmen ist, daß sie solchen zu entgehen noch eine Chance haben, bestärkt zugleich in der Hoffnung auf Gegenmaßnahmen. Es versteht sich, daß Ignorieren, Totschweigen, Polemik, Jeremiaden oder auch ein Sich-Wiegen in falscher Selbstge- wißheit als Reaktionen ebenso aus- scheiden wie überhaupt alle Versu- che, dem als schlecht Erkannten mit den gleichen oder ähnlichen Mitteln zu begegnen. Schließlich ist Defen- sive gerade dort fehl am Platze, wo das Terrain, welches es zu gewinnen gilt, noch nicht einmal abgesteckt ist und relativ frühzeitige, präventi- ve Schritte einer Entwicklung zuvor- kommen können. Da dies im Bereich der Psychiatrie durchaus der Fall ist, bieten sich die folgenden Strategien an:

a) Es liegt nahe, den hier bemängel- ten Umständen zunächst auf dem Sektor der Aus-, Fort- und Weiterbil- dung zu begegnen. So dürfte bei- spielsweise eine Konfrontation mit den schwierigen Fragen der psych- iatrischen Soziologie im Rahmen vorklinischer, medizinsoziolog i- scher Lehrveranstaltungen wenig sinnvoll sein, wohl aber die Herein- nahme solcher Fragestellungen in den Weiterbildungskatalog zum Facharzt. Daß die psychiatrische 78 Heft 15 vom 16. April 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychiatrie

Weiterbildung selbst wiederum ei- ner ausreichenden theoretischen Strukturierung bedarf, die nicht al- lein im unsystematischen Referieren von Zeitschriften-Aufsätzen beste- hen kann, sei hier nur am Rande vermerkt. Als potentielle Dilettanten im Gewand des Professionals mö- gen jene zukünftigen Internisten gel- ten, die, von psychosozialen Bezü- gen des Patienten redend, mit Psy- chopharmaka jonglieren, „wilde"

Psychotherapie betreiben und dar- über die Differentialdiagnostik ihres Faches vernachlässigen. Ihnen wäre Konfrontation mit der Totalität psychiatrischer Theorie und Praxis ebenso anzuraten wie jenen theorie- lastigen Fachhochschülern, die un- ter alsbaldiger Verleugnung ihres zum Teil wirklichkeitsfremden Vor- wissens in eine um so angepaßtere Praxis einmünden. Überhaupt soll hier durchaus einer größeren Einbe- ziehung der Psychiatrie in die ja kei- neswegs immer berufsbegleitend er- folgende Ausbildung der inzwischen zahlreichen Berufsgruppen das Wort geredet werden, die zu einem modernen, namentlich sozialpsych- iatrischen Team gehören. Durch ver- stärkte Wahrnehmung dieser ihr zu- wachsenden Aufgabe allein können Mitarbeitergruppen entstehen, die sich nicht durch Vorurteile und un- terschiedliche Auffassungen gegen- seitig behindern. Daß unter berufs- spezifischem Blickwinkel auch die psychiatrische Theorie immer er- neuter Durchdenkung und Darstel- lung bedarf, muß angesichts der we- nigen gelungenen Versuche auf die- sem Gebiet gleichfalls hervorgeho- ben werden.

b) Dort, wo sich Fronten aufgetan haben, hilft kein abwehrendes Insi- stieren auf Standpunkten. Auch die bizarrsten Vorurteile über die Psych- iatrie, wie das von Szasz, jegliches psychiatrische Vorgehen sei ein

„Verbrechen gegen die Menschlich- keit", enthalten noch einen Rest von Richtigkeit, auf die sie sich reduzie- ren lassen. Dessen Nachweis läßt sich aber naturgemäß nicht von ei- nem Standpunkt führen, der sich selbst der relativierenden Argumen- tation auf verschiedenen Ebenen be- geben hat. Offene und — wenn not-

wendig — öffentliche Diskussion so- wie wissenschaftlicher Diskurs ent- larvt jedoch jegliches autistische oder undisziplinierte Denken. Frei- lich kann derart nur argumentieren, wer keinerlei isolierte Lehrmeinung, Doktrin, Prestige oder auch nur In- teresse, und sei es das des Trägers einer Institution, zu vertreten hat und selbstkritisch genug ist, sich nicht in jenem Gespinst von Angst und Gegenübertragung zu verfan- gen, welches nach Devereux' unor- thodoxer Analyse einer jeglichen Verhaltenswissenschaft zunächst im Wege ist. Gilt es doch zu bedenken, daß so manches Vorurteil selber aus der Angst, sich den jeweiligen Obe- ren nicht als zuverlässig genug zu empfehlen, erwachsen ist. So spie- gelt beispielsweise die von Hemp- rich und Kisker beschriebene „Pfle- gerkultur" zum Teil auch Haltungen wider, an deren Zustandekommen die damalige psychiatrische Lehre und Praxis nicht unschuldig waren.

Umgekehrt können Standpunktlo- sigkeit und Laisser-faire gerade die- jenigen, die — aus welchen Gründen immer — Mühe haben, sich auf psychiatrischem Terrain zurechtzu- finden, noch im abstrusesten Sektie- rertum bestärken, wenn dieses sich nur als Alternative zur jeweils prakti- zierten Psychiatrie empfiehlt.

c) Vorurteile werden erfahrungsge- mäß keineswegs allein durch Berüh- rung und praktischen Umgang mit ihrem Objekt abgebaut — sie blieben sonst in der Tat stets nur auf Außen- stehende beschränkt —, vielmehr bil- den sie sich aus Vorausurteilen, die angesichts neuer Informationen viel- fach noch eine Änderung erfahren könnten. Da solche Vorausurteile in- des bereits die Wahrnehmung ver- zerren, tendieren sie, sich selbst überlassen, gerade auch angesichts ihres Gegenstandes zur Bestätigung ihrer selbst. Dieser unheilvolle Pro- zeß ist jedoch — diesmal in einem guten Sinne des Wortes — manipu- lierbar, und zwar durch gezieltes, selbstkritisches Reflektieren des Wahrgenommenen in seiner Bezie- hung zum Handeln, beispielsweise nach der Art des Vorgehens von Ba- lint-Gruppen. Solche Gruppenarbeit kann ein therapeutisches Team in

Gänze oder auch jegliche Teilgrup- pen desselben umfassen und stellt neben der Vermittlung reiner Sach- information in Gestalt von Fort- und Weiterbildung im traditionellen Sin- ne, unabhängig von denen Vorurtei- le im Sinne einer „doppelten Buch- führung" durchaus fortexistieren können, gleichsam eine Meta-Ebene dar, auf welcher Wahrgenommenes und Erlerntes erst strukturiert wer- den, um handlungsanleitend wirken zu können. Auf einem solchen Mo- dell ist beispielsweise das Fortbil- dungskonzept der Deutschen Ge- sellschaft für =Soziale Psychiatrie aufgebaut, ohne daß dieses das Pro- blem der Vermittlung zwischen psychiatrischer Theorie und Praxis ausreichend gelöst haben dürfte.

Besteht doch die Gefahr eines vorei- ligen, theorielosen Beschreitens der erwähnten Meta-Ebene in der An- nahme, aufbauend auf einem allge- meinen Konsens des Helfenwollens und der Mitmenschlichkeit, ließen sich auf dem Wege kritischer Refle- xion bereits brauchbare Handlungs- maximen gewinnen. Abgehoben von Theorie und Empirie und allein als Selbstfindungsprozeß aller Beteilig- ten, wird sich eine die herkömmliche therapeutische Praxis transzendie- rende psychiatrische Handlungsleh- re, die den Patienten am Ende aktiv mit einbezöge, kaum begründen lassen.

Glücklicherweise gibt es jedoch ein Moment, welches solche Gruppen- prozesse vor einem Abgleiten in sach- und wirklichkeitsfremde Re- gionen schützt. Orientiert sich näm- lich die Handlungsanalyse an den zumeist unbestrittenen Erfolgskrite- rien psychiatrischer Therapie, dann müssen Irrwege und Sackgassen al- ler Art nach dem Modell des Ver- such- und Irrtum-Lernens sukzessi- ve vermieden werden. Überhaupt ist gerade in diesem Zusammenhang der stimulierende Effekt eines jegli- chen „Lernens am Erfolg" nicht zu verkennen, und man kann hieraus in Anlehnung an Stumme folgern, daß eine für alle Beteiligten wahrnehm- bare Verbesserung der Situation psychisch Kranker und Behinderter noch am ehesten zum Abbau jegli- cher Vorurteile beizutragen vermag.>

Ausgabe KB DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 15 vom 16. April 1982 81

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Psychiatrie

Notwendiges Postskript

Die hier diskutierten Vorurteilsstruk- turen mögen, je nach Blickwinkel, als zwangsläufig, bedauerlich oder nur als lächerlich angesehen wer- den. Sie zu überschätzen hieße in- des den Umstand verkennen, daß es sich hier nicht um eigentliche sozia- le Vorurteile handelt, sondern um solche in der Sphäre einiger Berufs- gruppen und des mit diesen verbun- denem Wissenschafts- und Publika- tionsbetriebes, die bislang wenig konfliktträchtig gewesen sind. Gera- de im Bereich der Heilberufe scheint

— auch aus Gründen der histori- schen Entwicklung derselben — im- mer noch ein breiterer Konsens über Ziele und Wertvorstellungen zu be- stehen. Erst im Falle eines Verlas- sens dieser gemeinsamen Plattform, wie dies hierzulande nur wenige, auf Publizität bedachte Außenseiter praktizieren, werden Vorurteile zu Waffen der Rechtfertigung eigener und der Abweisung gegnerischer Vorstellungen.

Schließlich gilt es zu bedenken, daß auch der im Rahmen dieser Ausfüh- rungen anscheinend so selbstver- ständlich gebrauchte Wissen- schaftsbegriff in Wirklichkeit relati- viert werden muß, eine Notwendig- keit, die jedoch mit Verstößen gegen Elementarformen der Forschung und des Umgangs mit wissenschaft- lichen Inhalten und deren Umset- zung in angewandte Wissenschaft nichts zu tun hat. Zu Vorurteilen bei- tragende Tendenzen dieser Art dort nachzuweisen, wo man sie gemein- hin nicht vermutet und allenfalls amüsiert registriert, und dies mit dem Ziel, zur Selbstkritik anzuregen und Schlimmeres zu verhüten, war die Absicht dieser Ausführungen.

Literatur beim Sonderdruck Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Dieter H. Frießem

Oberarzt der Psychiatrischen Klinik des Bürgerhospitals

der Landeshauptstadt Stuttgart — Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen —

Tunzhofer Straße 14-16 7000 Stuttgart 1

KURZBERICHTE

Ein Konzept gegen den Mißbrauch der Lohnfortzahlung

Einen ganzen Maßnahmenkatalog zur Beseitigung der Mängel und Lücken der in der Bundesrepublik geltenden arbeitsrechtlichen Brut- tolohn- und Gehaltsfortzahlung hat jetzt das Institut für Gesund- heit-System-Forschung (GSF), Kiel, in einem Einzelgutachten mit dem Titel „Entgeltfortzahlung"

unterbreitet.

Die aufgrund empirischer Da- ten gewonnenen Lösungsansätze dürften um so größeres politi- sches Gewicht erhalten, als sich auch prominente Sprecher der po- litischen Parteien (insbesondere CDU/CSU und FDP) in jüngster Zeit für eine Einschränkung der Entgeltfortzahlungshöhe und die Wiedereinführung von Karenzta- gen ausgesprochen haben — eine Entwicklung übrigens, die sich be- reits im europäischen Ausland (so unter anderem in den Niederlan- den und in Schweden) angebahnt hat.

Der Verfasser der 182 Seiten star- ken Expertise, Achim Seffen vom Institut der deutschen Wirtschaft

— iw — in Köln, empfiehlt, die Höhe der arbeitsrechtlich fortzuzahlen- den Bruttoentgelte von bisher 100 auf künftig 80 Prozent des vor Ein- tritt der Arbeitsunfähigkeit bezo- genen Bruttoarbeitsentgelts zu re- duzieren. Dies sei auch im Ver- gleich zur Höhe des Arbeitslosen- geldes (68 Prozent des vorherigen Nettoarbeitsentgelts) und ange- sichts • des Leistungsniveaus im Ausland zumutbar.

Dagegen wird die Wiedereinfüh- rung von sogenannten Karenzta- gen als „ungeeignet" verworfen, da viele Indizien dafür sprächen, daß die Versicherten angesichts der relativ hohen und ständig wachsenden Beitrags- und Steuer- belastung bewußt oder unbewußt ein möglichst hohes Maß von Lei- stungen aus dem Versicherungs- system und in Form von Kranken-

lohn vom Arbeitgeber „zurückho- len" würden (sogenanntes Moral- Hazard-Phänomen).

Im einzelnen empfiehlt Gutachter Seffen folgende Maßnahmen:

Mehrfach-Strategie

Verbesserung bei der Erhebung und der statistischen Aufbereitung der Krankenstandsdaten, darunter der getrennte Ausweis der Kran- kenstände von Arbeitern und An- gestellten.

Das zuletzt am 1. Januar 1970 in Kraft getretene geänderte Lohn- fortzahlungsrecht sollte mit dem Ziel überarbeitet werden, es zu vervollständigen und es zu kon- kretisieren, um künftig Ausle- gungsschwierigkeiten und daraus resultierende Unklarheiten über die Rechtsfolgen auszuschließen.

Ganz auf der Linie der aktuellen Vorschläge des „BPA" (Verband Deutscher Hausärzte) liegt die Empfehlung, konkrete gesetzliche Maßnahmen zur Sicherung einer angemessenen Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit auch inner- halb der Entgeltfortzahlungsfrist (sechs Wochen) vorzuschreiben.

Außerdem sollte das Leistungsver- weigerungsrecht des Arbeitgebers bei Obliegenheitsverletzungen der Arbeitnehmer präzisiert und aus- geweitet werden, insbesondere seine Umwandlung von einem vor- läufigen in ein endgültiges Lei- stungsverweigerungsrecht nach Ablauf einer bestimmten Frist.

Künftig sollte die vom Arzt zu be- scheinigende voraussichtliche Ar- beitsunfähigkeitsdauer bei einer Erstfeststellung von Arbeitsunfä- higkeit auf — in der Regel — einen Zeitraum von vvenigeralseiner Ar- beitswoche begrenzt werden. Fer- ner wird vorgeschlagen, die für den Arbeitgeber bestimmten Arbeits-

unfähigkeitsbescheinigungen .auch um Angaben über das Vorlie-

gen einer sogenannten Fortset- zungserkrankung zu ergänzen oder aber darauf zu vermerken, ob

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