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Archiv "Filmkritik: Sinnsuche im deutschen Mittelgebirge" (24.11.2006)

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A3204 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 47⏐⏐24. November 2006

K U LT U R

N

ina ist Anästhesistin. Mit ihrem Mann und ihrer Toch- ter ist sie von Berlin nach Kassel ge- zogen, mal raus aus der Großstadt.

Hier arbeitet sie auf grellen Fluren zwischen piependen Maschinen und leidenden Menschen. Ihr Mann bleibt zu Hause, kümmert sich um die Tochter. Zusammen haben sie sich ein Haus gekauft, ein altes Haus mit eigenem Garten. Nina hat sich einige Tage freigenommen, es müs- sen noch Fliesen gelegt, die Wände neu tapeziert werden. Es ist Herbst in Kassel, früh wird es dunkel, die Blätter fallen herab. Der Nachbars- sohn ist krank, sein Blut ist zu dick.

Ninas Leben steht an einem Schei- deweg. Ihr altes Leben hat sie verlas- sen, um einen Neuanfang zu wagen.

Doch auch das neue Leben hat keine Antworten parat. Ihre Ehe kränkelt, Routine verschlingt die Lebenslust.

Als sie in der Nacht bei gleißendem Scheinwerferlicht die alte Tapete von den Wänden kratzen, hält sie es nicht mehr aus. Sie setzt sich in ihr Auto und fährt davon, sie weiß selbst nicht wohin. Sie landet bei ihrem Bruder im Harz, streift bald ziellos durch die kahlen Wälder, der erste Schnee fällt herab, und vergräbt sich unwillkür- lich in einem Hotel aus den 70ern, ei- nem grauen Betonblock, der in diesen Bergen ebenso verloren ist wie sie.

„Montag kommen die Fenster“ ist ein ungewöhnlicher Film. In ele- mentaren Bildern zeigt Regisseur Ulrich Köhler die Odyssee seiner Heldin, die sie gleichermaßen durch die karge Landschaft der

deutschen Provinz wie durch die nebulösen Le- bensängste ihres Unbe-

wussten führt. Wie eine Traum- wandlerin entfernt sich die junge Ärztin von ihrem Leben, ihrem Mann, ihrer Tochter, allen gesell- schaftlichen Erwartungen, ohne zu wissen, wohin sie gelangen wird, wohin sie gelangen will. Heimlich in einem Hotelzimmer verbarrikadiert, isst sie im Morgengrauen Rinderbra- ten mit den Fingern und gibt den Annäherungen eines alternden Ten- nisspielers (Ex-Tennisstar Ilie Nas- tase) nach, der in dieser Welt genau wie sie kein Zuhause mehr hat.

„Montag kommen die Fenster“

ist ein beeindruckender Film. Er lässt sich Zeit für seine Figuren, zeigt in langen, kunstvoll choreo- grafierten Bildern das mensch- liche Zusammenleben und gleitet dabei unmerklich vom Realen ins Surreale – nur um dadurch seine Au- thentizität noch zu verstärken. Denn je weiter Nina sich von ihrem Leben entfernt, werden ihre Emotionen, ihre Ziellosigkeit nach außen proji- ziert und münden in der elegischen Bestandsaufnahme einer „präde- pressiven“ Seelenlandschaft, so Nina-Darstellerin Isabelle Menke während der Premiere in Berlin. Ul- rich Köhler gelingt es in seinem zweiten Spielfilm, die Gefühle sei- ner Figuren in Bildern auszu- drücken. Jenseits ausgetretener Er- zählpfade beschreibt er furchtlos und in künstlerischer Konsequenz seine Figuren, die sich auf der Suche nach sich selbst verloren haben und nun versuchen müssen, einen (neuen) Ort für sich zu finden. Dabei ist es kein mutloser, aber ein ehr- licher Film, der sich traut, die existen- ziellen Fragen einer Gesellschaft zu visualisieren, die von ihren Mit- gliedern – und dabei gerade auch von Ärztinnen und Ärzten – zuneh- mende Mobilität und zunehmenden Arbeitseinsatz abverlangt.

Für seinen Film ist Ulrich Köhler mit dem Hessischen Filmpreis in der Kategorie „Bester Spielfilm“

ausgezeichnet worden. I Falk Osterloh

FILMKRITIK

Sinnsuche im deutschen Mittelgebirge

„Montag kommen die Fenster“:Deutschland 2006, 88 Minuten, Regie:

Ulrich Köhler, Produktion:

Katrin Schlösser, Darsteller:

Isabelle Menke, Hans-Jochen Wagner, Amber Bongard, Ilie Nastase

In „Montag kommen die Fenster“ zeigt Regisseur Ulrich Köhler die Odyssee seiner Heldin, der Anästhesistin Nina.

Foto:Filmgalerie 451

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