Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007 A2365
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egenerierte Nervenzellen im zentralen Nervensystem sind nicht regenerationsfähig. Für das Ziel, mit heutigen Therapieverfah- ren den Abbau der geistigen Leis- tungsfähigkeit möglichst weit hin- auszuschieben und die Selbststän- digkeit lange zu bewahren, ist die frühe Diagnose und Therapie einer Alzheimer-Demenz, der häufigsten Demenzform, entscheidend.„Gelingt es uns, den Erkrankungs- beginn um zehn Jahre nach hinten zu verschieben, haben wir sehr viel gewonnen“, erklärte der Leiter der Mainzer Gedächtnis-Ambulanz, Dr. med. Andreas Fellgiebel. Mit der Reduktion vaskulärer Risikofaktoren sowie vermehrter körperlicher und geistiger Aktivität stünden heute schon sekundär-präventive Möglich- keiten zur Verfügung.
Mit steigender Lebenserwartung wird die Demenz (15 Prozent der 80- bis 85-Jährigen sind betroffen) zur Herausforderung. „Schnittstelle“ für die Früherkennung – und den mög- lichst langen Erhalt einer guten Le- bensqualität – ist der Hausarzt. Das Herzstück der Frühdiagnostik ist, neben Anamnese und psychiatrisch- neurologischer Untersuchung, die neuropsychologische Testung. Die häufigste Differenzialdiagnose, eine leichte kognitive Störung im Rahmen einer (Alters-)Depression, ist gleich- bedeutend mit „Entwarnung“ und lässt sich gut behandeln.
Verstärkt sich der Alzheimer- Verdacht durch auffällige kognitive und affektive Symptome, erfolgt eine Ausschlussdiagnostik mittels strukturellen Bildgebungsverfahren (cCT, cMRT) und Laborparametern (TSH, Elektrolyte, Leber- und Nie- renwerte, Blutbild, Cholesterin, Vi- tamin B12, Folsäure). Bei Unklar- heiten können spezifische Zusatz- untersuchungen durchgeführt wer- den – etwa ein FDG-PET zur Er-
fassung typischer Veränderungen des zerebralen Glucosestoffwech- sels oder Liquor-Proteine wie Beta- Amyloid und Tau-Protein.
Der Hausarzt erhält für die wei- tere Betreuung des Patienten Vor- schläge für ein individuelles „Fall- management“, das nicht nur medi- kamentöse Therapieempfehlungen enthält. Die Klinik stellt ihm und der betroffenen Familie auch psycholo- gische Fachkräfte zur Seite.
Unterstützung auch für die Angehörigen
Selbst in frühen Stadien der Alzhei- mer-Demenz sind affektive Sympto- me (wie Apathie, Stimmungsschwan- kungen, Ängstlichkeit) nach den Er- fahrungen von Fellgiebel häufig.
Viele Auffälligkeiten im täglichen Verhalten bei der demenziellen Entwicklung belasten insbesondere Partnerschaft und Familie; jeder zweite Angehörige eines Alzheimer- Patienten entwickelt in der Anfangs- phase aufgrund der psychischen Be-
lastung depressive Symptome, aber auch viele Patienten selbst.
Um diesen Entwicklungen entge- genzuwirken, bieten die Mainzer Wissenschaftler eine frühe psycho- soziale Betreuung und Schulung an, bei der die Familie gestützt und der Zusammenhalt gefördert wird. Bei den Patienten wird ein ressourcen- orientierter Ansatz verfolgt, um das Selbstwertgefühl zu stabilisieren.
Erfolgreich läuft seit 2002 auch die verhaltenstherapeutisch orien- tierte Gruppentherapie für Patienten mit leichter Demenz und deren An- gehörige unter Leitung der Psycho- login Ingrid Schermuly. Zusätzlich vermitteln die Fachkräfte Wissen um technische und kommunikative Hil- fen, sprechen Vorsorgevollmachten oder die Pflegeplanung an: Der Pati- ent wird damit in die Lage versetzt, seine Zukunft zu planen, solange er das noch selbst entscheiden kann.
Mainz bietet integrierte Versorgung als Modell
Fast alle deutschen Universitätsklini- ken unterhalten eine Gedächtnis- Ambulanz. Die meisten dieser Me- mory-Kliniken haben sich der wis- senschaftlichen Forschung verschrie- ben, nur wenige einen Schwerpunkt zur medizinischen Versorgung von Demenzpatienten etabliert. Die Main- zer Gedächtnis-Ambulanz bietet im Rahmen eines Modellprojekts der- zeit als einzige eine integrierte Versorgung an. Über eine modulare Diagnostik wird dabei die frühe Dia- gnostik und Therapie von Demenz- patienten gefördert.Hausärzte profitieren von Dia- gnostik und Therapieempfehlungen, Patienten von kurzen Wartezeiten – und beide vom angebotenen Case- Management: Über die unmittelbare Diagnostik hinaus beraten Fachkräf- te die Patienten und ihre Familien über notwendige Hilfestellungen und unterstützen bei der Vermittlung. Bei diesem Projekt, das in Zusammenar- beit mit der Barmer Ersatzkasse und niedergelassenen Hausärzten ent- standen ist, bleibt der Hausarzt pri-
märer Behandler. I
Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
Fachpressegespräch der Firma Lundbeck in Mainz:
„Noch behandlungswürdig? Alzheimer-Therapie:
Nutzen in der Praxis“
MORBUS ALZHEIMER
Gedächtnis-Ambulanz stellt Frühdiagnose
Demenz:Eine Herausforderung auch für pflegende Angehörige
Foto:Lundbeck GmbH