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er Panorama-Balkon der Tate Modern in Lon- don bietet ein Architek- tur-Spektrum von St. Paul’s Cathedral bis zur aktuellen Hochhaus-Gurke des Star-Ar- chitekten Norman Foster. In der vierten Ausstellungsetage trifft der Blick in den Innen- raum indes unvermittelt auf die Keimzelle des im 20.Jahrhundert wirkungsstärksten Gestaltungslabors: das Bau- haus. Doch werden dort aktu- ell nicht etwa Walter Gropius oder Mies van der Rohe prä- sentiert, sondern man gräbt bewusst tiefer und breiter.
Der von BMW UK gespon- serte Ausstellungs-Scheinwer- fer fällt in einer zwölfteiligen Raumfolge auf rund 300 Wer- ke zweier kreativer Visionäre:
Laszlo Moholy-Nagy (1895 – 1946) und Josef Albers (1888–
1976), Entdeckungsreisende und Pionier-Ästheten an den Staffeleien und in den Werk-
stätten des Weimarer Bauhau- ses zwischen 1923 und 1928.
Als Leiter des „Vorkurses“
hatten sie maßgeblichen An- teil an der Umsetzung des von Walter Gropius formulierten Programms, Kunst und Hand- werk in einem „Einheitskunst- werk“ zu verbinden. In diesem Sinne schufen die Grenzüber- schreiter und Medienvirtuo- sen subtil und vielfältig ihre Malereien, Fotografien, Mon- tagen, Designentwürfe, Mö- bel, Glaskörper und Skulptu- ren. Moholy-Nagy lehrte spä- ter in der Neuen Welt am
„Chicago New Bauhaus“ De- sign. Ein Farbanalytiker wie Josef Albers sah sich ab 1933 am Black Mountain College in North Carolina einer illustren Schülerschar ausgesetzt, die die spätere Weltkultur höchst unterschiedlich erobern sollte:
Robert Rauschenberg, Robert Motherwell, Kenneth Noland,
Willem de Kooning,John Cage, Jasper Johns oder Merce Cun- ningham.
Moholy-Nagy steht für die Verbindung von „Kunst und Technik“ und kann als Proto- typ des Künstler-Ingenieurs bezeichnet werden, dessen Werk vom russischen Kon- struktivismus beeinflusst war und eine utopische Dimensi- on erreichen sollte. Eher als fantastischer Architektoniker wird Moholy in der Tate Mod- ern mit seiner rekonstruier- ten kinetischen Maschinen- Installation „Light Prop for
an Electric Stage“ (1928 –30) präsentiert: ein rotierend rat- terndes Räderwerk aus der magischen Kunst-Dunkel- kammer, dessen damals neue Materialien, Plexiglas und Metall, als Lichtreflexe über die Wände tanzen. Dazu flim- mert die passende Film-Ab- straktion des Künstlers „Light Play: Black-White-Grey“ auf 16-Millimeter-Filmmaterial.
Josef Albers, Leiter der Glaswerkstatt am Bauhaus, scheint das strenge Geome- trie-Gitterwerk der großen Bauhaus-Architekten in sei- nen frühen Glas-Collagen (um 1921) aus Flaschenböden, Scherben und Draht geradezu kindhaft spielerisch vorweg- zuwerkeln. Der Amerikaner Albers wendet sich dann vom Glas zur Malerei, der „Inter- action of Color“, zu. Noch 1940 überrascht Albers, indem er zwei welke Blätter in fast sur- realistischer Manier auf ein System geschichteter Farb- rechtecke montiert: „geome- trischer Surrealismus“.
Die besonderen Einsichten dieses Ausstellungsdialogs, so Kurator Achim Borchardt- Hume von der Tate Modern, seien darin zu sehen, „wie die europäische Moderne nach Amerika tradiert worden ist“.
Hier allerdings wären konkre- te Einfluss-Beispiele für den Besucher hilfreich gewesen.
Beide Künstler sorgten zwei- fellos für eine Erweiterung der visuellen Kultur, schufen in nachfolgenden amerikani- schen Künstlergenerationen ein Bewusstsein für die Vernet- zung von Alltags- und Hoch- kultur.Als Besucher muss man sich dies allerdings denken,was kein Nachteil sein soll.
Die Ausstellung will über- raschen – und überrascht per- manent, ohne die Bauhaus- Klassiker zu vergessen: von den farbigen Stapel-Satz- tischen Albers’, über die kon- struktivistischen Gemälde- Abstraktionen Moholys, bis zu dessen Foto-Grafik-Mon- tagen auf raumlos weitem Grund. Roland Groß
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A1472 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 21⏐⏐26. Mai 2006
Tate Modern
Vom Bauhaus in die Neue Welt
Laszlo Moholy-Nagy und Josef Albers
schufen ein Bewusstsein für die Vernetzung von Alltags- und Hochkultur.
Die Ausstellung ist bis 4.Juni täg- lich von 10 bis 18 Uhr, freitags und samstags bis 22 Uhr zu sehen.
Informationen: Telefon: 00 44/
20 78 87-88, Internet www.tate.
org.uk. Vom 25. Juni bis 1. Oktober ist die Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.
Josef Albers: links „Grid Mounted“ (1921), rechts „Park“ (1924); beides Glas-Collagen
Tochter Hattula Moholy-Nagy ne- ben der kinetischen Installation
„Light Prop for an Electric Stage“
(1928 – 30) Feuilleton
Fotos:
Roland Groß/V
G Bild-K
unst Bonn 2006