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ür gleichgewichtige Start- und Wett- bewerbsbedingungen sowohl der Kostenträger (Krankenkassen) als auch der Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte, pharmazeutische Industrie, Apotheker u. a.) sprach sich Annette Widmann-Mauz, die gesundheitspoliti- sche Sprecherin der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion, MdB aus Balingen, bei einer Podiumsveranstaltung zur Analy- se des GKV-Modernisierungsgesetzes.Die Veranstaltung fand im Rahmen des diesjährigen Hauptstadtkongresses am 4. Juni im ICC in Berlin statt. Die Gesundheitspolitikerin sagte, ein ver- stärkter Leistungs-
und Vertragswett- bewerb vor allem an der Schnittstel- le zwischen am- bulanter und sta- tionärer Versor- gung könne aber nur funktionieren, wenn die Kartelle aufgebrochen und die gleichen Wett- bewerbsbedingun- gen für alle Lei- stungserbringer
gelten, aber auch die Kostenträger sich an die Spielregeln hielten. Es könne nicht angehen, dass ein Monopol oder ein Kartell (beispielsweise Kassenärztli- che Vereinigungen [KVen] als Körper- schaften des öffentlichen Rechts) durch ein anderes Monopol (Krankenkassen) ersetzt wird, wie es sich durch eine ein- seitige Gewichtsverlagerung zugunsten der Krankenkassen im Zuge des Gesundheitsreformgesetzes abzeichne.
Die Krankenkassen dürften nicht ihre größer gewordene Verhandlungs- und Definitionsmacht dazu missbrauchen, um über ein anarchisches Vertrags- geschehen die Transparenz über das Leistungsgeschehen zu verschlechtern
(statt zu erhöhen) und die Leistungsan- bieter gegenseitig auszuspielen. Die Ärzteschaft könne auf ihr Know-how zurückgreifen, das immer noch beim Einzelnen liege. Die Vertragsärzte müssten den Krankenkassen in den Integrationsverträgen Paroli bieten.
Widmann-Mauz äußerte sich skep- tisch darüber, dass die Integrierte Ver- sorgung schon kurzfristig zu einer Re- gelversorgung in der ambulanten ver- tragsärztlichen Versorgung ausgebaut werden kann, wie es die Bundesregie- rung und das Bundesgesundheitsmini- sterium erhoffen. Nach Meinung der CDU-Gesundheits- politikerin käme das Modell der Inte- grierten Versorgung gemäß § 140 a ff.
SGB V für ganz we- nige medizinische Indikationen und dann nur sehr ein- geschränkt (vor al- lem regional) infra- ge. Auch die Ent- wicklungsmöglich- keiten für Versor- gungsnetze oder für medizinische Versorgungszentren seien begrenzt. Eine Arztpraxis beispielswei- se auf der dünn besiedelten Schwäbi- schen Alb, sei kein attraktiver Vertrags- partner für die Integrierte Versorgung.
Nach Einschätzungen von Jürgen Finsterbusch, Geschäftsführer der Ser- vice-Betrieb-Consulting in der Gesund- heitswirtschaft, einer Tochtergesellschaft der Landesbetrieb Krankenhaus Ham- burg (LBK), sind die Integrierte Versor- gung und die Neufassung des § 140 a bis h SGB V dazu geeignet, die Budgetstar- re und den Leistungsuniformismus zu überwinden. Die LBK Hamburg rechnet damit, dass kurzfristig 40 bis 50 Prozent des bisher vollstationär durch die Kran-
kenhäuser erbrachten Leistungsvolu- mens über Integrationsverträge angebo- ten und sektorenübergreifend markt- gerecht erbracht werden kann. Ein Kom- plettangebot unter Einbeziehung auch von Rehabilitationseinrichtungen und von niedergelassenen Fachärzten sei in der Regel möglich. Kurzfristig pro- gnostiziert die LBK Hamburg mit Um- satzwachstumsraten in Höhe von acht bis zehn Prozent pro Jahr in diesem speziellen Segment.
Hoppe: Kassenärztliche Vereinigungen unverzichtbar
Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, betonte, ein wettbewerbliches Gesund- heitssicherungssystem in Deutschland, das prinzipiell über Beiträge finanziert wird, sei unverzichtbar, jedenfalls gebe es keine politisch realistische Alternative.
Auf die ordnungspolitische Funktion, aber auch die Verwaltungsfunktion der Kassenärztlichen Vereinigungen könne im gegliederten System nicht verzichtet werden. Bereits vor In-Kraft-Treten des GKV-Modernisierungsgesetzes habe es vor allem bei den Krankenkassen und bei den Parteien Aversionen gegen die KVen gegeben. Aber auch mit dem jetzigen Reformschritt habe man zwar die Kas- senärztlichen Vereinigungen teilweise entfunktionalisiert, aber sie nicht prinzi- piell infrage gestellt. Im Gegenteil: Im Gesundheitsreformgesetz sei die Funkti- on der KVen bestätigt worden, offenbar vor allem aus fiskalischen Gründen.Wür- den die Kassenärztlichen Vereinigungen abgeschafft, müssten deren Verwaltungs- und Abrechnungsaufgaben von den Krankenkassen übernommen werden.
Diese müssten die zusätzlichen Aufga- ben aus den immer knapper werdenden Beitragsmitteln der Versicherten bezah- len. Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen hingegen würden die Verwal- tungsaufgaben aus der Gesamtver- gütung bestreiten. Ein solches Regle- ment habe sich seit 1931 bewährt. Aller- dings, so Hoppe: „Wenn die Kassenärzt- lichen Vereinigungen heute völlig neu konzipiert werden müssten, würde mit Sicherheit eine abweichende Organisa- tions- und Verwaltungsfunktion ge- schaffen werden.“ Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
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A1858 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004
Gesundheitsreform
„Kartelle aufbrechen!“
Plädoyer für gleiche Wettbewerbsbedingungen von Krankenkassen und Leistungserbringern
Annette Widmann-Mauz: „Integrations- versorgung nur begrenzt aktivierbar.“
Foto:Phalanx