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Archiv "Kongressbericht: Moderne Wege zu einer individualisierten Arzneitherapie" (04.06.2004)

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A1682 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 234. Juni 2004

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rztliche Behandlungsfehler, Qua- litätsmängel in der Praxis und Arzneimittelschäden sowie durch Arzneimittel verursachte Todesfälle sind in den letzten Jahren häufig kri- tisch diskutiert worden. Immer wieder ertönen Rufe nach verbesserter Phar- makovigilanz, also präziserer Erfassung von Arzneimittelrisiken. Dies ist aber nur einer von vielen Ansätzen, um die Arzneimitteltherapie wirksam und si- cherer zu machen. In diesem Zusam- menhang verglich Bruno Müller-Oer- linghausen, Berlin, Moderator des Sym- posiums der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft beim 28. In- terdisziplinären Forum der Bundesärz- tekammer, die Fortschritte der Auto- technik mit denen der Arzneitherapie.

Autofahren ist sicherer geworden, und in den hochindustrialisierten Ländern kommen mehr Menschen durch Medi- kamente ums Leben als durch Autofah- ren. Unerwünschte Arzneimittelwir- kungen (UAW) sind in den USA die sechsthäufigste Todesursache bei Kran- kenhauspatienten: Mehr Menschen sterben dort durch Medikationsfehler als durch Arbeitsunfälle. Andererseits wird beklagt, dass die Arzneitherapie nicht die Wirksamkeit erbringt, die ent- sprechend den Ergebnissen von Thera- piestudien im Prinzip möglich wäre.

Der Fortschritt der Arzneitherapie liegt nicht primär in der Entwicklung immer neuer, häufig überflüssiger Wirkstoffe, sondern wohl eher in der Entwicklung von Konzepten und Strategien, welche die Therapie wirksamer und sicherer machen. Es geht keineswegs nur darum, leitliniengerecht das beste und/oder wirtschaftlichste Medikament auszu- wählen. Vielmehr kommt es darauf an, das Medikament für den einzelnen Pati- enten maximal nutzbar zu machen, also eine optimierte, maßgeschneiderte me-

dikamentöse Strategie zu entwickeln.

Dazu reicht die Kenntnis der pharma- kologischen Stoffdaten und die Bewer- tung der Wirksamkeit eines Pharma- kons nach den Kriterien der evidenzba- sierten Medizin nicht aus. Es muss mit klinisch-pharmakologischer Kompetenz die Therapie für den Patienten opti- miert werden. Dazu gehört die Berück- sichtigung von Alter, Geschlecht, Kör- pergewicht und Nierenfunktion ebenso wie die Kenntnis der Komorbidität und -medikation und die individuelle gene- tische Ausstattung.

Dies wurde von den referierenden klinischen Pharmakologen an prakti- schen Beispielen illustriert.

Pharmakokinetik bleibt oft unberücksichtigt

Heiner K. Berthold, Köln/Bonn, machte deutlich, dass trotz der komplexen Pro- bleme, die durch Multimorbidität und Multimedikation im Alter entstehen können, durch die Beachtung weniger klinisch pharmakologischer Grundre- geln und ohne zusätzlichen apparativen Aufwand UAW vermieden und die Wirksamkeit entscheidend verbessert werden kann. Es wurde geschätzt, dass gerade bei älteren Patienten ein Drittel aller Krankenhausaufnahmen durch UAW bedingt sind. Ursachen von UAW im Alter sind Multimedikation, Non- Compliance und ärztlicherseits die nicht ausreichende Berücksichtigung alters- abhängiger Veränderungen der Phar- makokinetik und -dynamik. Pharmako- kinetisch ist neben Veränderungen der Arzneimittelresorption und -verteilung die Verringerung der renalen Clearance die wichtigste Ursache für vermeidbare UAW. Beim älteren Menschen nimmt die Körperzellmasse, insbesondere die

Muskelmasse ab, der relative Körper- fettanteil steigt an. Dadurch nimmt das Verteilungsvolumen (VD) einer fett- löslichen Substanz, wie Diazepam zu, wodurch wiederum die Halbwertzeit (HWZ) zu- und die totale Clearance (Cl) abnimmt, entsprechend Cl = ln 2 × VD/HWZ. Ein wichtiger Risikofaktor ist die kontinuierliche Abnahme der rena- len Clearance im Alter bei etwa zwei Drittel der Patienten. Die wiederholte Schätzung der renalen Clearance gehört deshalb zur unabdingbaren Routine für die Behandlung älterer Patienten. Dies kann einfach und zuverlässig mit der be- kannten Formel nach Cockcroft und Gault erfolgen: Kreatininclearance [mL/min] = (140-Alter)/72 × Kreatinin im Serum [mg/dL]. Bei Frauen muss der Ausdruck mit 0,85 multipliziert werden.

Das Kreatinin im Serum ist ungeeignet zur Abschätzung der Nierenleistung: So entspricht zum Beispiel ein scheinbar normaler Wert von 1,3 mg/dL bei einem 80-jährigen Mann von 65 kg einer ge- schätzten Clearance von nur 41 mL/min.

Eine altersbedingt reduzierte Nieren- funktion erfordert bei außerordentlich vielen Arzneimitteln eine Dosisanpas- sung, um Patienten nicht durch toxische Plasmaspiegel zu gefährden. Dazu muss der Qo-Wert, das heißt die extrarenal eliminierte Fraktion für das jeweilige Pharmakon bekannt sein (www.do- sing.de) und eine Schätzung der Clea- rance vorliegen. Die korrekte Dosis kann dann berechnet oder aus Nomo- grammen abgelesen werden. Eine Dosis- anpassung ist besonders wichtig, wenn die Clearance < 50 mL/min und Qo< 0,5 ist.

Sehr viel weniger bekannt und weni- ger erforscht als altersbedingte Ände- rungen ist der Einfluss des Geschlechts auf die Pharmakokinetik von Arznei- mittelwirkungen. Hierzu präsentierte

Kongressbericht

Moderne Wege

zu einer individualisierten Arzneitherapie

Bruno Müller-Oerlinghausen

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Petra Thürmann, Wuppertal, eindrucks- volle Beispiele. So haben mehrere Studien einen beschleunigten Stoff- wechsel verschiedener Arzneimittel, wie Methylprednisolon, Nifedipin oder Verapamil, aufgrund der stärkeren Ex- pression des hepatischen Cytochroms P450 3A4/5 wahrscheinlich gemacht.

Andererseits wurden für die Beta- blocker Propranolol und Metoprolol bei Frauen 80 respektive 40 Prozent höhere Plasmaspiegel als bei Männern beobachtet. Dieser Unterschied, der auf eine Hemmung der CYP-2D6-Aktivität zurückgeführt werden kann, ist noch wesentlich stärker bei Frauen ausge- prägt, die orale Antikonzeptiva ein- nehmen. Auch der Abbau von Omepra- zol über CYP-2C19 oder vom selekti- ven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Sertralin über CYP-1A2 scheint durch Östrogene erheblich inhibiert zu wer- den. Jedoch sind nicht nur Phase-1- son- dern auch Phase-2-Reaktionen (bei- spielsweise Glukuronidierung) betrof- fen, was sich an der 50 Prozent längeren HWZ von Acetylsalicylsäure bei Frau- en im Vergleich zu Männern zeigt. Da- gegen wird die Glukuronidierung von Phenprocoumon durch orale Antikon- zeptiva gesteigert. Wirken sich nun die- se und andere geschlechtsspezifische Einflüsse tatsächlich auf die Wirksam- keit und Verträglichkeit von Pharmaka beim Menschen aus?

Hierzu gibt es bislang nur eine sehr begrenzte Zahl von Studien, weil bis vor kurzem Frauen fast grundsätzlich von der Teilnahme an Arzneimittelstudien der Phase 1 ausgeschlossen wurden.

Dennoch ist bekannt, dass Frauen signi- fikant früher aus einer Narkose erwa- chen oder schlechter auf Ibuprofen als Analgetikum ansprechen. Dass Frauen bezüglich der Reduktion von Morbi- dität und Mortalität weniger von einer antihypertensiven Medikation profitie- ren als Männer, steht in einem anderen Zusammenhang. Immer wieder hat sich bei Frauen eine höhere UAW-Inzidenz gezeigt. So ist beispielsweise die QT- Zeit-verlängernde Wirkung vieler Me- dikamente bei Frauen stärker ausge- prägt, und auch typische Nebenwirkun- gen einer Therapie mit 5-Fluorouracil sind häufiger.

Ivar Roots, Berlin, betonte, dass die Pharmakogenetik vor allem dann in der

Praxis eine wichtige Rolle spielt, wenn Medikamente mit geringer therapeuti- scher Breite eingesetzt werden und wenn das für den jeweiligen Stoffwech- selweg hauptverantwortliche Enzym ei- nem genetischen Polymorphismus un- terliegt. Die Häufigkeit eines solchen Polymorphismus mit abweichender En- zymaktivität kann in verschiedenen Ländern und Rassen stark variieren, woran bei der heutigen Bevölkerungs- migration stets zu denken ist. Gegen- wärtig weitaus am besten belegt ist der Zusammenhang zwischen unterschied- lichem Dosisbedarf und genetischen Polymorphismen beispielsweise beim CYP-2D6 oder -2C19, aber auch bei Va- rianten von Arzneimitteltransportern wie dem P-Glykoprotein. Bei reduzier- ter Aktivität dieser Enzyme oder Trans- porter sind bei gleicher Dosis vermehrt Nebenwirkungen zu erwarten. In man- chen Fällen kann der Therapieerfolg aber auch aufgrund höherer Konzentra- tionen verbessert sein. So ist die Eradi- kationstherapie mit Protonenpumpen- inhibitoren bei Trägern einer Defizienz von CYP-2C19 erfolgreicher.

Korrekte Dosierung nach Genotypisierung

Die Kenntnis der phänotypischen Aus- wirkungen eines bestimmten Genotyps erlaubt es, Dosierungsempfehlungen für genotypisierte Patienten vorzuneh- men. Für CYP 450 2D6 existiert eine erb- liche Defizienz. Diese ist bei etwa sie- ben Prozent der weißen Bevölkerung homozygot. Diese Personen verfügen über keinerlei Aktivität für dieses En- zym. Die überwiegend von Cytochrom P 2D6 metabolisierten Medikamente werden bei ihnen deutlich langsamer eliminiert. Circa drei Prozent der weißen Bevölkerung weisen eine stark erhöhte Aktivität aufgrund einer Genduplikati- on auf („ultraschnelle Metabolisie- rer“). Um gleiche Plasmaspiegel bei den verschiedenen Genotypen zu errei- chen, müssen also verschiedene Dosen gewählt werden, die beispielsweise bei Imipramin von nur 30 Prozent der übli- chen Durchschnittsdosierung für die Träger der CYP-2D6-Defizienz bis zu circa 180 Prozent bei Trägern der Gen- duplikation reichen. Therapieversagen

und auch Nebenwirkungen können durch eine differenzierte Dosierung verhindert werden.Anders ist die Situa- tion bei so genannten Prodrugs, die erst durch Metabolisierung zum aktiven Wirkstoff werden. So konnte gezeigt werden, dass bei homozygot defizienten Metabolisierern Codein keine husten- dämpfende oder analgetische Wirkung besitzt, weil sich der pharmakodynami- sche aktive Metabolit nicht bilden kann.

Weniger Verschreibungsfehler durch unterstützende Software

Das notwendige Wissen für die Erstel- lung klinisch pharmakologisch basier- ter, individualisierter Therapiekonzep- te steht also grundsätzlich zur Verfü- gung, es muss freilich auch den prak- tisch tätigen Arzt erreichen. Auf dieses Problem wiesen Hans Harjung, Gries- heim, und Wilhelm Niebling, Titisee, hin. Walter E. Haefeli, Heidelberg, gab zu bedenken, dass angesichts der Fülle zu beachtender pharmakologischer Da- ten von inzwischen fast 2 500 zugelasse- nen aktiven Inhaltsstoffen in Deutsch- land ein komplexes Problem vorliegt.

Bei mehr als 6 500 beschriebenen Arz- neimittelinteraktionen ist verständ- lich, dass ärztliche Unfehlbarkeit bei der Verschreibung eine Fiktion ist und dass diese Situation nur durch elektro- nische Unterstützung des Arztes zum Verordnungszeitpunkt selbst verbessert werden kann. In den USA wurde be- reits überzeugend gezeigt, dass ent- scheidungsunterstützende EDV-Syste- me die Häufigkeit von Verordnungsfeh- lern um bis zu 80 Prozent reduzieren können.

Die Entwicklung derartiger Systeme steht in Deutschland erst am Anfang und wird derzeit insbesondere vom Univer- sitätsklinikum Heidelberg mit der Ent- wicklung und klinischen Anwendung von wissensunterstützten elektronischen Systemen zur Arzneimittelverschrei- bung und dem Klinikum Saarbrücken betrieben. Unter der Leitung von Daniel Grandt, Saarbrücken, wird in Zusam- menarbeit mit einer Softwarefirma, und unterstützt unter anderem durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, das Bundesministerium für M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 234. Juni 2004 AA1683

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Gesundheit und Soziale Sicherung, das saarländische Ministerium sowie das Wissenschaftliche Institut der AOK ein Programm erprobt, das elektronische Verschreibungen auf relevante Verord- nungsfehler prüft und Behandler wie Nachbehandler auf potenzielle Dosie- rungsfehler wie auch gefährliche Wech- selwirkungen hinweist. Eine der größten Schwierigkeiten bei der Entwicklung solcher therapieunterstützenden Syste- me ist der Mangel eines brauchbaren Datennetzwerkes in Deutschland. Je- doch wird erheblicher Arbeitsaufwand auch darin bestehen, dass zunächst ein- mal aus der Fülle aller möglichen Inter- aktionen die für die Ärzteschaft wirklich relevanten herausgefiltert und verfügbar gemacht werden müssen. Deshalb sind auch entsprechende Angaben aus der Roten oder Gelben Liste sowie der Fachinformation (www.fachinfo.de) nur partiell praxisrelevant. Pharmakokineti- sche Informationen findet man unter der Internetadresse www.drugprofiler.de;

die praktische Brauchbarkeit ist jedoch beschränkt. Eine häufig schwer zu erlan- gende Information betrifft die Zermör- serbarkeit von Tabletten zum Beispiel für die Medikamentenzufuhr über eine Magensonde, bei erregten psychiatri- schen Patienten oder bei Schluckstörun- gen. Eine gute Informationsquelle hier- zu ist im Internet unter www.pharma- trix.info/sonde/ verfügbar.

Durch das Symposium wurde deut- lich, dass erhebliche Anstrengungen nötig, aber auch möglich sind, um die Prozess- und Ergebnisqualität der Arz- neimitteltherapie zu optimieren. Die immer wieder kritisierten Defizite bei der praktischen Arzneimitteltherapie sind nicht primär als individuelles ärztli- ches Verschulden, sondern als System- fehler zu betrachten. Die Entwicklung geeigneter und für die deutsche Ärzte- schaft hilfreicher, praktikabler Systeme zur Fehlervermeidung sollte dem Staat, der auch für die Einrichtung von Leit- planken auf den Autobahnen verant- wortlich ist, ein dringliches Anliegen werden.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen Arzneimittelkommission der

deutschen Ärzteschaft, Fachausschuss der BÄK Jebensstraße 3, 10623 Berlin

E-Mail: bmoe@zedat.fu-berlin.de

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N))

Religiöse Heilkunde Mohngöttin

Statue der Mohngötting aus Kreta, mit Schlafmohnkapseln auf der Krone; Iraklion, 13. Jahrhun- dert v. Chr.Schlafmohn wird auf der Mittelmeerinsel angebaut, die berauschende Wirkung des Opiums war be- kannt. Wegen seiner einschläfernden und schmerzstillenden Wirkung galt der Mohn in der Antike als „göttliches“

Medikament.

Foto:Interfoto Pressebild Agentur,München

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