• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Krankenhäuser/Finanzierung: Chefärzte unter dem Druck des Pauschalentgeltsystems" (17.01.2003)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Krankenhäuser/Finanzierung: Chefärzte unter dem Druck des Pauschalentgeltsystems" (17.01.2003)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

ie Umsetzung des Fallpauschalen- gesetzes auf der Basis der australi- schen Diagnosis Related Groups (DRGs) ist Realität. Nach dem Schei- tern der Selbstverwaltung hat das Bun- desgesundheitsministerium (BMG) die Rechtsverordnung zur Ersatzvornahme erlassen, um interessierten Kranken- häusern fristgerecht den optionalen Einstieg in das System im Jahr 2003 zu ermöglichen. Als „Köder“ für das Opti- onsmodell dienen neben dem dadurch möglichen Trainingseffekt eine Abfede- rung der Risiken durch Budgetneutra- lität sowie Vorteile für die beteiligten Krankenhäuser hinsichtlich des Mehr- und Mindererlösausgleichs und, aktuell zum Jahresende, die Befreiung von der für alle anderen Kliniken vorgesehenen Nullrunde im Rahmen des beschlosse- nen Vorschaltgesetzes.

Erhebliche Folgen für die Versorgungskette

Die Bundesärztekammer, andere Ärz- teorganisationen und die Krankenkas- senverbände haben ihre Kritik an den in der Version 0.9 vorgelegten G-DRG- Handbüchern sowie der Vorgehens- weise bei der Umsetzung des Options- modells 2003 vorgetragen. Bei den nach In-Kraft-Treten der Ersatzvor- nahme wieder in Hände der Selbstver- waltung übergehenden Anpassungs- arbeiten sollte eine ständige Fach- kommission, getragen gemeinsam von der Bundesärztekammer und der Arbeitsgemeinschaft Medizinisch Wis- senschaftlicher Fachgesellschaften e.V., den für das DRG-Vergütungssystem

verantwortlichen Institutionen zuar- beiten.

Für den leitenden Krankenhausarzt (Chefarzt) stellt sich vordringlich die Fra- ge, wie er sich mit seiner Abteilung und innerhalb seines Krankenhauses darauf vorzubereiten hat. Denn eine komplette Fallpauschalierung wird die stationäre Krankenversorgung und darüber hinaus die gesamte Versorgungskette der Pati- enten erheblich beeinflussen.

Im ärztlichen Bereich verfestigt sich der Eindruck, als ginge es in erster Linie um eine Optimierung der medizinischen Dokumentation. Ganz im Vordergrund steht dabei das Ziel, durch Verbesserung der Codierqualität, primär als ärztliche Aufgabe angesehen, über eine möglichst exakte und umfassende Diagnose- und Prozedurenerfassung den Case-Mix-In- dex (durchschnittliches Relativgewicht aller Fälle) einer Fachabteilung oder ei- nes Krankenhauses zu erhöhen und damit die Erlössituation der Klinik zu sichern beziehungsweise zu verbessern.

Zweifellos ist hier eine Verbesserung des Medizin-Controllings vor allem auf Abteilungsebene erforderlich. Intensive Schulungen der ärztlichen Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter wurden und wer- den durchgeführt. Dass diese zeitauf- wendigen Arbeiten bei den ohnehin sehr knappen Personalschlüsseln letztlich zu- lasten der für die Patientenversorgung verfügbaren Zeit gehen, darauf wurde immer wieder kritisch und warnend hin- gewiesen. Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des sich abzeichnen- den gravierenden Ärztemangels, wobei gerade die Belastung der Assistentinnen und Assistenten mit diesen Aufgaben zu der immer wesentlich geringer werden-

den Attraktivität des Arztberufes vor al- lem während der Weiterbildungsphase im Krankenhaus beiträgt. Hier sind drin- gend Veränderungen im Sinne einer Pro- fessionalisierung dieser Codierarbeiten durch dafür geschultes nichtärztliches Personal für den Routinebetrieb not- wendig. Der ärztliche Part sollte dabei auf eine Supervision durch Ärzte inner- halb des medizinischen Controllings be- schränkt werden.

Neben dem Bemühen, durch eine Optimierung der Dokumentation die Codierqualität und damit die Erlössi- tuation zu verbessern, wird bisher ein zweiter, entscheidender Lösungsansatz zu wenig berücksichtigt. Es gilt vor al- lem durch eine Optimierung der medi- zinischen Ablaufsteuerung innerhalb des Krankenhauses, durch ein so ge- nanntes Workflow-Management, eine Senkung der Fallkosten zu erreichen.

Gleichzeitig ist dies ein entscheidender Ansatz, um innerhalb dieses Systems auch die Prozessqualität zu verbessern.

Von der Leitlinie zum Behandlungspfad

Im Zentrum derartiger Überlegungen stehen die Bemühungen um eine verbes- serte Ablaufplanung, die nicht nur die zeitliche Schiene des Patientendurch- gangs durch das Krankenhaus (Termin- und Kapazitätsplanung), sondern ganz wesentlich auch die notwendige Art und Zahl einzelner Diagnose- und Thera- pieleistungen umfasst. Während die un- ter medizinisch-wissenschaftlichen As- pekten formulierten Leitlinien definie- ren „wie man es macht“ (oder machen sollte), beschreiben Behandlungspfade

„wie wir es machen“. Der Weg von der Leitlinie zum Behandlungspfad geht über die Benennung dessen, was getan werden soll (Benennung der spezifi- schen Intervention mit Ergebnisbezug), wann es zu tun ist (Herstellung des exak- ten Zeitbezugs, zum Beispiel innerhalb von zwei Stunden nach Aufnahme), wer es tun soll (exakte Zuweisung einer Tätigkeit an einen Mitarbeiter/Funkti- on) und wie es getan werden soll (Be- nennen des Vorgehens mit Ergebnisrele- vanz). Es geht also um die praktische Umsetzung von Leitlinien in klinikindi- viduelle „maßgeschneiderte“ Behand- T H E M E N D E R Z E I T

A

A94 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003

Krankenhäuser/Finanzierung

Chefärzte unter dem Druck des Pauschalentgeltsystems

Leitende Krankenhausärzte geraten verstärkt unter Ökonomievorgaben.

Hartwig Bauer

(2)

lungspfade. Die Ärzte haben hier die führende Rolle zu übernehmen.

Dabei bestehen teilweise noch erheb- liche Vorbehalte gegen die Definition und Implementierung von derartigen Behandlungspfaden. Das meistgehörte Gegenargument ist, dass es sich hier le- diglich um eine bürokratische Nieder- schrift von längst funktionierenden Vor- gaben in einer ohnehin gut geführten Abteilung handle und dass dabei nur Selbstverständlichkeiten in umständli- chen Protokollen und Flussdiagrammen festgehalten würden. Nicht zu vergessen sei dabei auch eine inakzeptable Einen- gung der ärztlichen Handlungsfreiheit, wobei die durch die externen Leitlinien vorgegebene „Kochbuchmedizin“ bis auf einen abteilungsinternen individuel- len Behandlungsablauf der einzelnen Patienten heruntergebrochen würde.

Die sehr zeit- und damit auch sehr ko- stenträchtige Erarbeitung solcher Be- handlungspfade stehe damit in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen.

Spätestens mit der budgetwirksamen Einführung des DRG-Systems, der

„Scharfschaltung“, wird hier ein Um- denken erforderlich sein, wenn es dann nicht schon zu spät ist. Die Akzeptanz von Behandlungspfaden und ihre richti- ge Bewertung durch die leitenden Ärzte steht deshalb mit im Zentrum der Vorbe- reitungen auf das neue Entgeltsystem.

Bewertung von Behandlungspfaden

Unter diesem Ziel definierte Ablauf- pfade beschreiben einen vernetzten Be- handlungsablauf, der Patientenerwar- tung, Qualität, Versorgung und Wirt- schaftlichkeit gleichermaßen berück- sichtigen sollte. Er bildet die diagnosti- schen und therapeutischen Maßnahmen für einen Patienten in zeitlicher und ört- licher Reihenfolge ab von der prästa- tionären Diagnostik über die Aufnahme auf Station bis zur Entlassung. Ganz we- sentlich kommt es dabei auch auf den berufsübergreifenden interdisziplinären Ansatz an, zum Beispiel der Abstim- mung zwischen Chirurg,Anästhesist, In- ternist, Radiologen, dem Funktions-und Pflegedienst und der Physiotherapie.

Behandlungspfade dienen somit auch wesentlich dazu, Schnittstellenproble-

me abzubauen. Entscheidend dabei ist, dass nicht nur die Handlungsweisen in ihren einzelnen Schritten festgelegt, sondern deren Erbringung auch über- prüft werden. Nur so kann die Etablie- rung klinischer Ablaufpfade auch zu ei- ner Qualitätsverbesserung durch Min- derung der Fehlerquote führen. Ein wei- teres wichtiges Element ist die dadurch verbesserte Transparenz des klinischen Geschehens auch für den Patienten, ins- besondere, wenn es gelingt, ihn in einer entsprechenden Patientenversion mög- lichst schon zu Beginn seiner Behand- lung zu informieren.

Die Transparenz in der Kosten- und Leistungssituation verbindet darüber hinaus die Medizin und die Ökonomie.

Ziel ist es, über die Fallsteuerung eine Fallkostenreduzierung zu erzielen. Über den Standardfall ist festgelegt, was der Patient an Versorgung, und zwar in mög- lichst kurzer Zeit, zu erhalten hat. Es wird damit die Leerformel des Notwen- digen und Angemessenen konkretisiert.

Jederzeit muss eine Abweichung vom Behandlungspfad möglich sein. Zu be- rücksichtigen ist hier die klinische Vari- anz infolge der Patientenerfordernis (Patientenzustand, Patienten- und Fami- lienentscheidung, Erreichbarkeit) und spezielle, zunächst nicht vorhersehbare Behandlungsanforderungen. Eine Sy- stemvarianz ergibt sich im Wesentlichen aus Kommunikationsstörungen zwi- schen einzelnen Abteilungen und Berei- chen aufgrund von Versorgungsproble- men (zum Beispiel nicht vorhersehbare Terminverzögerungen, Operations-Plan- änderungen, Kapazitätsengpässe etwa auf Intensivstation). Derartige Varian-

zen, auf die adäquat reagiert werden muss, werden in Art und Häufigkeit und vor allem hinsichtlich auch ihrer ökono- mischen Auswirkungen erst bei Vorlie- gen des regelhaften Behandlungspfades sichtbar. Nur was transparent ist, lässt sich in seinen Ursachen analysieren und auf diese Weise positiv beeinflussen. In- sofern sind Behandlungspfade auch we- sentliches Element des abteilungs- und klinikinternen Qualitätsmanagements, das zeitgleich mit der Einführung von pauschalierten Entgeltsystemen vom Gesetzgeber für die Krankenhäuser ver- bindlich vorgeschrieben wurde.

Die Erarbeitung und Umsetzung ei- ner patientenorientierten Ablaufsteue- rung in der Klinik bringt neben den möglichen Verbesserungen der Pro- zessqualität die Chance einer Verknüp- fung prozessorientierter standardisier- ter Behandlungsabläufe mit einer stra- tegisch orientierten Kosten- und Erlös- berechnung mit sich. Behandlungspfa- de stellen damit einen wichtigen Ma- nagement-Beitrag zur Minderung von Risiken im DRG-System dar. Insbeson- dere die großen Klinikketten haben diese Situation längst erkannt und ma- chen zum Teil konzernweit gültige Vor- gaben mit dem Ziel, Wettbewerbsvor- teile zu erreichen.

Sicher muss hier vielerorts noch Be- wusstseinsbildung betrieben werden und vor allem das Verständnis dafür wachsen, dass es sich bei solchen Be- handlungspfaden nicht primär um In- strumentarien für eine Nivellierung jeg- licher individueller Patientenversor- gung und unverzichtbarer Handlungs- freiheit des Arztes handelt. Gerade des- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003 AA95

´ Tabelle ´

Auswirkungen der DRGs auf die Behandlungskette

Handlungsbedarf Nutzen Risiko

Workflow-Management zur Verbesserung der Prozessqualität Arbeitsverdichtung und Verbesserung der innerklinischen mit Überwindung von Schnitt- Verlust an individueller Steuerung (Behandlungskette) stellenproblemen Zuwendung

Engere Zusammenarbeit Krankenhaus im Zentrum Abbau von KH-Kapazität mit dem ambulanten Sektor und integrierter Versorgung. zulasten vor- und nach- Nachsorgebereich Ausbau der Telematik gelagerter Versorgungs-

bereiche

Verschiebung von Fachbereichs- Problemorientierte Zentren Einschränkung wohnort- grenzen, Trend zur Spezialisierung (medizinische Kompetenzzentren) naher Versorgung Vermehrte Wettbewerbs- Verbesserte Transparenz nach Ausgrenzung besonders orientierung der Krankenhäuser innen und außen aufwendiger und schwie-

Qualität als Wettbewerbsfaktor riger Fälle (Selektion)

(3)

D

urch ein rechtskräftiges Urteil vom 10. September 2002 (Az.:

9 S 2506/01) hat der Verwaltungs- gerichtshof (VGH) Baden-Württem- berg eine wichtige Entscheidung zum System der Ethikkommissionen in Deutschland gefällt. Das Urteil betrifft zwar unmittelbar nur den Bereich des Medizinprodukterechts, hat aber grundlegende Bedeutung auch für das künftige (nämlich der europäischen Arzneimittelrichtlinie anzupassende) Arzneimittelrecht.

Das Arzneimittelgesetz (AMG) und das Medizinproduktegesetz (MPG) se- hen vor, dass mit der klinischen Prüfung eines Arzneimittels beziehungsweise ei- nes Medizinprodukts bei Menschen nur dann begonnen werden darf, wenn diese zuvor von einer Ethikkommission zu- stimmend bewertet worden ist.Während aber das AMG diese Bewertung den öf- fentlich-rechtlichen Ethikkommissionen vorbehält, lässt das MPG die Stellung- nahme einer beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte re- gistrierten Ethikkommission genügen.

Zu diesen registrierten Kommissionen zählen mittlerweile auch privatrechtli- che Ethikkommissionen. Zudem regelt das MPG im Unterschied zum AMG, dass bei multizentrischen Studien das Votum einer Kommission genügt.

Berufsordnungen der Ärztekammern

Unabhängig vom AMG und vom MPG verlangen allerdings die Berufsordnun- gen der Ärztekammer, dass sich jeder Arzt vor der Durchführung klinischer Versuche am Menschen durch die für ihn zuständige Ethikkommission bera- ten lässt. Die Beratung durch eine pri- vatrechtliche Ethikkommission genügt insofern nicht. Da zudem die Leitung der klinischen Prüfung nach Arzneimit-

telgesetz und Medizinproduktegesetz Ärzten vorbehalten ist, führt das ärzt- liche Berufsrecht dazu, dass selbst bei der klinischen Prüfung nach dem MPG stets eine öffentlich-rechtliche Ethik- kommission eingeschaltet werden muss.

Vor diesem Hintergrund drehte sich der Rechtsstreit vor dem VGH Baden- Württemberg um die Frage, ob das ärzt- liche Berufsrecht als Landesrecht nicht im Widerspruch zum MPG als Bundes- recht steht. Wirtschaftlich gesehen lag dem Rechtsstreit die Sorge einer pri- vatrechtlichen Ethikkommission zu- grunde, dass ihr durch das ärztliche Be- rufsrecht auf dem Gebiet der MPG- Begutachtung das Wasser abgegraben wird. Denn in der Tat wird ein Sponsor, der für die mit der klinischen Prüfung ei- nes Medizinprodukts betrauten Ärzte ohnehin mindestens eine öffentlich- rechtliche Stellungnahme benötigt, kaum noch zusätzlich das Votum einer privatrechtlichen Kommission einholen.

Tenor des Urteils des VGH: „Es wird festgestellt, dass ein Arzt, der Mitglied der Beklagten [der Landesärztekammer Baden-Württemberg] ist, für die Teil- nahme an der klinischen Prüfung eines Medizinprodukts beim Menschen, für die ein zustimmendes Votum der Kläge- rin [einer privatrechtlichen Ethikkom- mission] vorliegt, eines zusätzlichen Vo- tums der Ethikkommission der Beklag- ten nicht bedarf.“

Auf den ersten Blick könnte dies da- hingehend interpretiert werden, dass Ärzte nicht mehr verpflichtet sind, sich entsprechend dem ärztlichen Berufs- recht von der öffentlich-rechtlichen Ethikkommission beraten zu lassen, die für ihn zuständig ist. Diese Auslegung ist jedoch nicht zutreffend. Sie wider- spricht der Urteilsbegründung und auch den Leitsätzen, die das Gericht der Ausfertigung des Urteils beigefügt hat.

Mit Leitsatz 1 bringt das Gericht zum Ausdruck, dass die den Ärzten T H E M E N D E R Z E I T

A

A96 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003

halb ist es ja so dringend notwendig, dass sich die verantwortlichen Ärzte positiv in das Workflow-Management der Klinik einbringen und diese Ausge- staltung nicht externen Beratern oder professionellen, aber fachfremden Qualitätsmanagern überlassen.

Veränderung der Behandlungskette

Behandlungspfade stellen somit das zen- trale Element eines klinischen Prozess- managements dar. Durch Kooperation aller Beteiligten und durch eine berufs- übergreifende Zusammenarbeit können Behandlungsprozesse optimiert und die Wirtschaftlichkeit gefördert werden. Ei- ne dadurch mögliche Transparenz des Leistungsgeschehens erleichtert insbe- sondere auch den Chefärzten mittel- und langfristige Managemententschei- dungen. Nicht zuletzt kann eine eindeu- tige Klärung der Zuständigkeiten die Motivation der Mitarbeiter verbessern.

Die innerklinischen Management- prozesse und die daraus resultierenden Anforderungen für die leitenden Kran- kenhausärzte haben ihre Bedeutung nicht erst mit der Einführung der pau- schalierten Entgeltsysteme erhalten.

Sie sind nur jetzt besonders deutlich ge- worden. Allein die Ankündigung der DRGs hat hier schon viel bewegt. Es hat viel berechtigte und vor allem von der Ärzteschaft vehement vorgetragene Kritik an dem System, insbesondere die Zeitschiene der Einführung, den Hun- dert-Prozent-Ansatz und die immer noch ungelösten Codier- und Kalkula- tionsprobleme betreffend, gegeben. In den sich abzeichnenden Veränderungen der gesamten Behandlungskette liegen Chancen und Risiken (Tabelle). Die zu erkennen und hier rechtzeitig zu agieren und nicht nur zu reagieren wird eine Hauptaufgabe der leitenden Ärzte bei Einführung des neuen diagnosebezoge- nen Pauschalentgeltsystems sein.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 94–96 [Heft 3]

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hartwig Bauer Chefarzt der Chirurgischen Abteilung Kreisklinik Altötting

Vinzenz-von-Paul-Straße 10 84503 Altötting

Ethikkommissionen in Deutschland

Konkurrenz und Monopole

Kommentar zu einem rechtskräftigen Urteil des

Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

(4)

von ihren Berufsordnungen auferlegte Pflicht, sich von einer öffentlich-rechtli- chen Ethikkommission beraten zu las- sen, faktisch so erheblich in den Tätig- keitskreis von privatrechtlichen Ethik- kommissionen eingreift, dass dies in rechtlich erheblicher Weise die Berufs- freiheit der privatrechtlichen Ethik- kommissionen berührt. Das sei auch dann der Fall, wenn diese Ethikkom- missionen nicht zum Adressatenkreis der Berufsordnungen gehören.

Mit Leitsatz 2 weist der VGH jene Auffassung zurück, die noch das Ver- waltungsgericht Stuttgart als Vorin- stanz vertreten hatte, dass nämlich die Ethikkommission der Landesärzte- kammer nicht als Ethikkommission im Sinne des MPG tätig werden darf, so- weit sie gleichzeitig eine Pflichtbera- tung der Ärzte vornimmt. Der VGH hat vielmehr klar zum Ausdruck gebracht, dass die öffentlich-rechtlichen Ethik- kommissionen auf dem Gebiet der MPG-Begutachtung durchaus in Kon- kurrenz zu privatrechtlichen Kommis- sionen treten dürfen.

Berufsrechtliche Pflicht zur Beratung

Mit Leitsatz 3 billigt der VGH das nach ärztlichem Berufsrecht bestehen- de Beratungsmonopol der öffentlich- rechtlichen Ethikkommissionen. In der vom ärztlichen Berufsrecht als Landes- recht auferlegten Beratungspflicht liege insbesondere kein Verstoß gegen Bun- desrecht. Denn die berufsrechtliche Pflicht zur Beratung habe ein anderes Ziel als das Erfordernis eines Votums nach MPG: Die Beratung des Arztes nach Berufsrecht betreffe vor allem Fragen des ärztlichen Berufsethos. Sie sei wirkliche „Beratung“ und damit er- gebnisoffen; sie ziele auf eine Schärfung des eigenen ethischen Urteilsvermö- gens des Arztes. Dem Arzt werde die Entscheidung über die ethische Verant- wortbarkeit seines Tuns nicht abgenom- men. Demgegenüber ziele das MPG auf den Schutz der Allgemeinheit, insbe- sondere der Probanden und Patienten, vor den Gefahren, die mit der klini- schen Prüfung von Medizinprodukten verbunden sind. Das MPG verlange von der Ethikkommission aus diesem Blick-

winkel zu Zwecken staatlicher Aufsicht eine Prüfung der rechtlichen Vorausset- zungen klinischer Prüfung, die nicht ergebnisoffen sei, sondern das Vorha- ben billige oder missbillige. Zwischen Beratung nach ärztlichem Berufsrecht und Abgabe eines Votums nach MPG bestünden zwar weitgehende Über- schneidungen; jedoch handele es sich von Rechts wegen um unterschiedliche Dinge, und es sei den Ärztekammern unbenommen, beide Tätigkeiten unter- schiedlich auszugestalten.

Leitsatz 3 und Leitsatz 4 stellen dar- auf aufbauend die Forderung auf, dass die Beratung der Ärzte nach ärztlichem Berufsrecht auch tatsächlich so ausge- staltet sein muss, dass keine Identität mit der Abgabe eines Votums nach MPG besteht. Denn sonst werde die Entscheidung des Bundesgesetzgebers unterlaufen, im Bereich des MPG auch privatrechtliche Ethikkommissionen agieren zu lassen. Dieser Forderung entspreche zwar das baden-württem- bergische Heilberufe-Kammergesetz, weil es die Pflicht des Arztes, sich von einer öffentlich-rechtlichen Kommissi- on beraten zu lassen, nur dem Grunde nach anordne, nicht aber die nähere Ausgestaltung regele. Jedoch verstoße das Satzungsrecht der Landesärzte- kammer gegen das MPG, weil es nach Verfahren und Inhalt nicht genügend zwischen der berufsrechtlichen Pflicht- beratung der Ärzte und der Abgabe von Voten nach dem MPG unterschei- de. Dies führe dazu, dass auch bei Studi- en nach dem MPG stets eine öffentlich- rechtliche Ethikkommission einge- schaltet werden muss und somit der öf- fentlich-rechtlichen Ethikkommission gegenüber privaten Ethikkommissio- nen ein unzulässiger Wettbewerbsvor- sprung verschafft wird.

Das Urteil stellt klar heraus, dass das Beratungsmonopol der öffentlich- rechtlichen Ethikkommissionen nach ärztlichem Berufsrecht verfassungs- und europarechtskonform ist. Das Ur- teil sichert zudem den privatrechtlichen Ethikkommissionen jenes Tätigkeits- feld, das ihnen vom MPG eröffnet ist.

Zugleich stellt das Urteil klar, dass auch die öffentlich-rechtlichen Ethikkom- missionen beraten und votieren dürfen.

Schließlich sorgt das Urteil dafür, dass bei multizentrischen Studien entspre-

chend dem Willen des MPG-Gesetzge- bers nur ein Votum einer Ethikkommis- sion im aufsichtlichen Verfahren erfor- derlich ist, ohne dass dadurch allerdings die Ärzte von ihrer Pflicht entbunden wären, sich bei jeder Forschung am Menschen von der für sie zuständigen Kommission beraten zu lassen.

Auswirkungen auf das künftige Arzneimittelrecht

Die Ausführungen des VGH, die die Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtli- chen und privatrechtlichen Kommissio- nen betreffen, haben für das künfti- ge Arzneimittelrecht keine Bedeutung, sofern der Gesetzgeber die arzneimit- telrechtliche Begutachtung weiterhin öffentlich-rechtlichen Kommissionen vorbehält. Jedoch geben die Ausführun- gen deutliche Hinweise dazu, wie das von der Arzneimittelrichtlinie bei multi- zentrischen Studien vorgesehene Ein- Votum-Prinzip umgesetzt werden kann:

Es ist nach den Ausführungen des VGH nämlich keineswegs ausgeschlossen, im ärztlichen Berufsrecht eine Beteiligung der für die jeweiligen Ärzte lokal zu- ständigen Ethikkommissionen vorzuse- hen, sofern dadurch die (künftige) Ent- scheidung des Bundesgesetzgebers nicht unterlaufen wird, im aufsichtlichen Verfahren nach AMG ein Votum genü- gen zu lassen. Die lokalen Ethikkom- missionen müssen sich darauf beschrän- ken, die ärztliche Vertretbarkeit des Vorhabens aus dem Blickwinkel des ärztlichen Berufsethos zu beurteilen.

Aus diesem Blickwinkel können sie aber genau jene Gesichtspunkte ein- bringen, die für die Einschaltung der je- weiligen lokalen Kommission sprechen, nämlich die Beurteilung von Kompe- tenz und Integrität der jeweils beteilig- ten Prüfärzte und der angemessenen Ausstattung des örtlichen Prüfzentrums.

Dies ist auch von der Arzneimittelricht- linie gedeckt. Aufgabe der Ethikkom- missionen wird es sein, geeignete Ver- fahrensregeln für die Zusammenarbeit der Ethikkommissionen zu entwickeln.

Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz

Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medienrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Univer- sitäten Heidelberg und Mannheim

Schloss 68131 Mannheim T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003 AA97

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

(9) Abweichend von Absatz 1 bedürfen Gewebezubereitungen und hämatopoetische Stammzellzubereitungen aus dem peripheren Blut oder aus dem Nabelschnurblut nach Absatz 1 Satz 3, die

Es stellt die erforderlichen Daten für die Europäische Datenbank im Sinne von Artikel 10b der Richtlinie 90/385/EWG, Artikel 14a der Richtlinie 93/42/EWG und Artikel 12 der

Die Kosten-Leistungs-Nachwei- se, die den Pflegesatz- und Budget- verhandlungen zugrunde zu legen sind, deuten darauf hin, daß die For- derungen der Krankenhausträger für das

(1a) Das Bundesministerium wird ferner ermächtigt, durch Rechtsver- ordnung mit Zustimmung des Bundesrates für Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen bei der Angabe auf Behältnissen

§ 142b Übergangsvorschrift aus Anlass des Gesetzes zur Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebezubereitungen und zur Änderung anderer

Abweichend von Satz 1 dürfen Arzneimittel, die ausschließlich zur Anwendung bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, zugelassen sind, von Apotheken, die

§ 20c Erlaubnis für die Be- oder Verarbeitung, Konservierung, Prüfung, Lagerung oder das Inverkehrbringen von Gewebe oder Gewebezubereitungen

Einzuarbeiten und zu kommentieren waren vor allem die zahl- und umfangreichen Änderungen durch das Vierte Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften