DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KONGRESSBERICHT
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hne die Ca-Antagonisten würde der Therapie des Al- tershochdrucks eine we- sentliche Komponente fehlen.Schon heute werden 60 Prozent aller Patienten durch eine Mono- therapie mit Ca-Antagonisten, weitere 30 Prozent durch eine Kombinationstherapie mit ACE- Hemmern behandelt. Dies beton- te Professor A. Fleckenstein (Frei- burg) am 28. 01. 85 auf einer Pres- sekonferenz.
Vor zehn Jahren wurde der Kalzi- umantagonist Nifedipin (unter dem Namen Adalat®) erstmals ein- gesetzt. Seit der Einführung der Kalziumantagonisten haben sich die Anwendungsgebiete dieser Arzneimittel erheblich ausge- dehnt. Der aktuelle Stand der For- schung läßt vielversprechende Zukunftsaussichten für die Thera- pie von Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen erkennen. So hob Flecken- stein weiter hervor: Einer der wichtigsten pharmakologischen Effekte der Kalziumantagonisten ist es, die deletäre myokardiale Ca-Überladung zu verhindern, die der entscheidende ätiologische Faktor für die Ausbildung kardia- ler Nekrosen ist, zum Beispiel bei betaadrenerger Überstimulation.
In vorgerücktem Alter werden je- doch auch in der menschlichen Arterienwand zytotoxische Kon- zentrationen von Kalzium er- reicht, die wahrscheinlich in der Pathogenese arteriosklerotischer Läsionen eine wichtige Rolle spie- len. Interessanterweise schreitet die altersabhängige Kalzinose bei schweren Diabetikern und starken Rauchern viel schneller voran als bei anderen Menschen. Bei Rat- ten verhinderten die Kalziumant- agonisten Verapamil und Diltia- zem nicht nur die arterielle Kalzi- nose nach Überdosen und Vit- amin D und Dihydrotachysterol, sondern wirkten auch der alters- abhängigen Ca-Akkumulation ent- gegen. Sehr eindrucksvolle Er- gebnisse wurden bei der spontan hypertensiven Ratte erzielt. Unter einer oralen Langzeitbehandlung mit Nifedipin und anderen 1,4-Dihydropyridinen sowie Vera-
pamil blieben hier ebenfalls so- wohl Blutdruck als auch Ca-Ge- halt der Gefäßwände (Aorta, A.
mesenterica) innerhalb der Norm- grenzen. Die Resultate stützen die Hoffnung, daß geeignete Kalzium- antagonisten in Zukunft auch beim Menschen in der Lage sind, in die Entwicklung einer vorzeitigen Ar- teriosklerose einzugreifen, so daß ihnen eine neue vasoprotektive Indikation zukäme.
Professor Fleckenstein erläuterte weiterhin die Bedeutung von Ca- Antagonisten aus der Sicht der Pharmakologen und Physiologen.
Durch die Hemmung des Kalzi- umeinstroms in die Herzmuskel- zellen sowie in die glatte Muskula- tur der Koronararterien und der peripheren Widerstandsgefäße wird der myokardiale Sauerstoff- bedarf gesenkt; die Dilatation der Koronarien und die Verbesserung der poststenotischen Perfusion tragen erheblich zur Kardiopro- tektion bei. Daß Kalziumantagoni- sten auch in der Lage sind, die Einlagerung von Kalziumionen in die Gefäßwände zu verhindern, konnte in Tierversuchen bereits 1970 nachgewiesen werden. Für die Zukunft besteht die große Her- ausforderung darin, auch im klini- schen Experiment herauszufin- den, wieweit diese Substanzen die altersabhängige Spontankalzi- nose der Gefäße zu retardieren vermögen.
Mitte der 60er Jahre wurden erst- mals Substanzen der Klasse der 1,4-Dihydropyridine von For- schern synthetisiert und auf ihre pharmakologische Wirksamkeit
geprüft. Daran erinnerte auch Professor Krebs anläßlich des Pressegesprächs. Zu dieser Sub- stanzreihe zählt auch Adalat®, das sich rasch als potenter Kalziumant- agonist erwies und heute als ei- nes der erfolgreichsten Koronar- therapeutika bezeichnet werden kann.
Durch die synthetische Variation am Grundgerüst des Moleküls ist es gelungen, die Selektivität im Wirkungsmuster der Dihydropyri- dine zu verändern. So ist es zum Beispiel bei Nitrendipin, bezogen auf die Wirkung am Koronargefäß- system, im Vergleich zu Nifedipin eine deutlich stärkere und zudem länger anhaltende Wirkung auf den peripheren Widerstand ver- wirklicht worden. Im Nisoldipin wurde die auf molarer Basis stärk- ste, kalziumantagonistisch wirksa- me Substanz Nimodipin in Hin- sicht auf eine Bevorzugung der zerebralen Gefäße verschoben.
Daraus muß die Erkenntnis, daß Kalziumantagonist nicht gleich Kalziumantagonist ist, um die Schlußfolgerung erweitert wer- den, daß auch zwischen den Di- hydropyridinen Unterschiede be- stehen.
Professor P. Lichtlen (Hannover) hob als Kliniker hervor, daß Ca- Antagonisten vor allem am peri- pheren arteriellen Kreislauf durch Senkung der Nachlast wirken und so eine leichte Steigerung des Herzzeitvolumens erzielen. Am Koronarsystem werden Gefäßer- weiterungen sowohl im Bereich der epikardialen Arterien, vor al- lem der exzentrischen Stenosen,
Ca-Antagonist
weiterhin auf Erfolgskurs:
Zukünftige
Anwendungsmöglichkeiten
Kurzbericht über eine
Pressekonferenz „10 Jahre Adalat®" 1985 in Leverkusen
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 16 vom 17. April 1985 (57) 1167
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Ca-Antagonist
aber auch der Arteriolen erreicht.
Als Resultat beobachtet man eine transmurale Flußsteigerung im poststenotischen, potentiell ischämischen Gebiet. Im Gegen- satz zu Nitrokörpern und auch Be- tablockern wird somit der regio- nale Koronarfluß im poststenoti- schen Gebiet nicht autoregulativ gesenkt, sondern nimmt im Ge- genteil sogar noch weiter zu, und dies trotz Senkung der Nachlast bzw. des myokardialen Sauer- stoffverbrauchs.
Damit wurde erstmals die Mög- lichkeit geboten, die durch erhöh- ten Vasomotorentonus bzw. funk- tionelle Zunahme von Koronarste-
nosen sowie durch Koronarspas- mus entstehende lschämie und Angina pectoris wirksam zu be- handeln. Diese Behandlung be- trifft sowohl viele Anfälle von Ru- heangina, aber auch zeitweilig auftretende Fälle von Belastungs- angina, eine Situation, die wegen der sich häufig rasch intensivie- renden Schmerzen auch als un- stabile Form der Angina pectoris bezeichnet wird. Die Einführung der Ca-Antagonisten hat gerade bei diesem Krankheitsbild eine völlig neue Behandlungsära eröff- net. Alle Wissenschaftler waren sich darin einig, daß durch intra- venöse Anwendung von EDTA kein positiver Effekt an den Gefäß-
wänden nachzuweisen war. Diese Methode, welche ursprünglich zur Behandlung von Schwermetall- vergiftungen aus den USA zu uns in die Bundesrepublik kam, ist umstritten und in vielen Fällen auch mit Nebenwirkungen behaf- tet. Negative Effekte durch die Bindung anderer zweiwertiger Ionen sind bei der EDTA-Anwen- dung zu befürchten. Demgegen- über, so betonte Fleckenstein, seien die Ca-Antagonisten als na- hezu ideale Medikamente zu be- zeichnen.
Dr. med. Hans-P. Legal Therese-Giehse-Allee 31 8000 München 83
FÜR SIE GELESEN
Niedrig maligne
Non-Hodgkin-Lymphome:
Behandeln
oder beobachten?
Der klinische Verlauf bei 83 Pa- tienten mit fortgeschrittenem,
niedrig malignem Non-Hodgkin- Lymphom, die alle primär nicht spezifisch behandelt worden wa- ren, wurde retrospektiv analysiert.
Der Grund, primär nicht zu behan- deln, war uneinheitlich. Die histo- pathologische Einteilung erfolgte nach der in Europa unüblichen Rappaport-Klassifikation. Bei der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um noduläre Lymphome, in einem Viertel um diffuse lympho- zytische Lymphome. Die ge- schätzten Fünf- und Zehn-Jahres- Überlebensraten betrugen 82 be- ziehungsweise 73 Prozent. Im Mit- tel vergingen drei Jahre, bis eine spezifische Therapie erforderlich wurde. Das Risko einer Transfor- mation des Lymphoms zu einer höhergradig malignen Histologie erschien unabhängig vom Zeit- punkt des Behandlungsbeginns.
Diese Untersuchung gibt interes- sante Einblicke in den natürlichen Verlauf dieser Erkrankung. Einzel-
ne Subgruppen der niedrig mali- gnen Non-Hodgkin-Lymphome müssen offenbar primär nicht spezifisch behandelt werden, wie dies seit Jahren bei der chroni- schen lymphatischen Leukämie praktiziert wird.
Eine genauere Definition der Un- tergruppen durch prospektive Studien ist erforderlich. hrm
Horning, S. J.; Rosenberg, S. A.: The natura) history of initially untreated low-grade non- Hodgkin's lymphomas. N. Engl. J. Med. 311 (1984) 1471-1475
Bypass oder
konservative Therapie?
Die Veterans Administration Co- operative Study ist eine multizen- trische Studie, die bei Patienten mit stabiler Angina pectoris den Nutzen einer Bypass-Operation im Vergleich zur konservativen Therapie untersucht.
In den Jahren 1972 bis 1974 wur- den 686 angiographierte Koronar- patienten nach dem Zufälligkeits- prinzip zwei Gruppen zugeordnet.
Die Überlebensraten waren nach sieben Jahren mit 70 Prozent bei medikamentöser und 77 Prozent
bei operativer Behandlung sowie nach elf Jahren mit 57 Prozent be- ziehungsweise 58 Prozent etwa gleich. Nach angiographischen Kriterien (eingeschränkte LV- Funktion, Anzahl der erkrankten Gefäße) und klinischen Gesichts- punkten (ST-Senkung, Infarkt, Hy- pertonie) wurden Untergruppen mit hohem oder niedrigem Todes- risiko gebildet. Danach unter- schieden sich die Überlebensra- ten in der Gruppe mit hohem Risi- ko — nach sieben Jahren 36 Pro- zent bei medikamentöser und 76
Prozent bei chirurgischer Thera- pie, nach elf Jahren 24 Prozent gegenüber 54 Prozent.
Nach diesen Ergebnissen schei- nen von Koronarpatienten mit sta- biler Angina pectoris solche mit schlechten prognostischen Fakto- ren von der Bypass-Operation ge- genüber konservativ behandelten Patienten bezüglich der Überle- bensrate in den ersten Jahren zu profitieren, später gleichen sich die statistischen Unterschiede wieder an. müb
Eleven-Year Survival in the Veterans Admini- stration Randomized Trial of Coronary Bypass Surgery for Stable Angina. N. Engl. J. Med.
1984; 311: 1333-9.
Dr. Detre, Veterans Administration Medical Center, West Haven, CT 06516
1168 (58) Heft 16 vom 17. April 1985 82. Jahrgang Ausgabe A