Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Seit Ende 1975 wird in der Bundes- republik Deutschland wieder über Fälle zum Teil tödlich verlaufender Diphtherie berichtet (2,3). Dies ist um so überraschender, als diese frü- her so gefürchtete Krankheit schon fast in Vergessenheit geraten war;
denn in den letzten 30 Jahren gin- gen Diphtherie-Morbidität und -Mortalität so rapide zurück, daß zu- letzt jahrelang kein Fall mehr be- kannt wurde.
Während 1964 noch 7010 Fälle regi- striert wurden, trat in den Jahren 1970 bis 1974 nur noch eine Erkran- kung auf (3). Es hat viele Diskussio- nen über die mögliche Ursache die- ses Panoramawandels gegeben, bei denen die Auswirkungen der Diph- therie-Schutzimpfung und die über Jahrhunderte beobachtete Periodi- zität der Diphtherie-Epidemien Be- rücksichtigung fanden.
Ehrengut (1) fand 1967/68 eine rela- tiv hohe Quote von Schick-positiven Jugendlichen, die nicht geimpft wa- ren, so daß eine latente Durchseu- chung der Bevölkerung mit schwach virulenten Keimen vermutet werden muß.
In den Jahren 1975 bis 1977 wurden von uns im Raum Hamburg insge- samt 15 Diphtheriefälle (Corynebac- terium diphtheriae, Typ mitis, Toxizi- tätstest nach Elek positiv) in fünf voneinander unabhängigen Zeiträu- men und Personenkreisen (Tabelle) nachgewiesen. Im Verlauf einer En- demie trat ein Todesfall auf, der
wahrscheinlich auf eine Erkrankung mit Diphtherie-Erregern zurückzu- führen ist.
Der erste Diphtherie-Fall trat im Fe- bruar 1975 auf. Hierbei wurde in ei- nem Kehlkopfabstrich bei Verdacht auf Lungentuberkulose ein toxi- scher Diphtheriestamm nachgewie- sen. Ein Hinweis auf klinische Diph- therie lag nicht vor. Im Juli 76 kam es in einer geschlossenen Anstalt für Behinderte zu einer Endemie, in de- ren Verlauf wir elf Personen als Trä- ger toxischer Diphtheriestämme er- mittelten.
Nach einem ungeklärten Todesfall, der nach einer Halsinfektion einge- treten war, erkrankte eine weitere Patientin an „Angina". Im Rachen- abstrich wurde Corynebacterium diphtheriae, Typ mitis, nachgewie- sen. Bei Umgebungsuntersuchun- gen auf der gleichen Station fanden sich unter 25 Personen sechs Positi- ve, auf einer Nachbarstation unter 36 Patienten drei Positive. Einige Ta- ge danach konnte auf der Kindersta- tion unter zwölf Untersuchten noch ein Keimträger ermittelt werden.
Durch den Umstand, daß sich die infizierten Personen in einer ge- schlossenen Anstalt aufhielten, ist sicher eine Ausweitung der Endemie auf größere Bevölkerungskreise ver- hindert worden. Einige Monate spä- ter, im November 1976, wurde bei einer auf Veranlassung des Bezirks- amtes durchgeführten Untersu- chung einer Gruppe von Ausländern
In den Jahren 1975 bis 1977 traten im Einzugsgebiet des Hygienischen Instituts in Hamburg fünfmal Diphtherie- fälle auf. Insgesamt wurde in diesem Zeitraum bei 15 Perso- nen Corynebacterium diph- theriae, Typ mitis, toxisch, nachgewiesen. Bis auf einen ungeklärten Fall sind keine Todesfälle bekanntgeworden.
Nur in zwei Fällen war klini- scherseits ein Verdacht auf Diphtherie geäußert worden.
Die bakteriologische Diagno- se ergab sich aus der Kombi- nation Wachstum auf Clau- berg-II-Agar — Neisserpräparat
— Zuckerspaltung — Elektest.
(Türken) ein toxischer Diphtherie- stamm bei einem Jungen nachge- wiesen.
Hier lag primär ein Verdacht auf Diphtherie vor. Die anderen zwölf Untersuchten, darunter fünf Fami- lienangehörige, waren negativ. Ei- nen weiteren Diphtheriestamm fan- den wir im April 1977 bei einem er- wachsenen Ausländer, ohne daß ein entsprechender klinischer Verdacht vorlag. Im Juli 1977 schließlich wur- de von uns erstmals ein toxischer Diphtheriestamm aus einer Wunde gezüchtet (Diagnose: unspezifi- sches Hautekzem). Als Begleitkeime traten Staphylococcus aureus und Staphylococcus epidermidis auf. Ei- ne Woche später wurde der Stamm auch im Rachenabstrich des Patien- ten nachgewiesen.
Bakteriologie
In allen Fällen entstand der Verdacht auf das Vorhandensein von Diphthe- rie-Erregern bei der Betrachtung der Clauberg-Il-Agar-Platte, in der Regel nach 48-stündiger Bebrütung, zum Teil aber auch schon nach 24 Stun- den (Tabelle). Fanden sich typische graugrüne, weiche Kolonien und im mikroskopischen Durchstrichpräpa- rat nach Neisser schlanke Stäbchen mit Polkörperchen und typischer La-
Diphtheriefälle
im Raum Hamburg in den Jahren 1975 bis 1977
Peter Wehrspann
Aus der Medizinaluntersuchungsanstalt
am Hygienischen Institut der Freien und Hansestadt Hamburg (Leiter: Professor Dr. S. Winkle)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 7 vom 16. Februar 1978 369E. D. (E) Rachenabstrich E. E. (E)
T. F. (E) C. H. (E) P. S. (E) E. W. (E)
Rachenabstrich Rachenabstrich Rachenabstrich Rachenabstrich Rachenabstrich
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
DiphtherieTabelle 1: Übersicht über die 1975 bis 1977 in Hamburg isolierten Diphtheriestämme Datum Patient') Untersuchungs- 2)
material
Klinische
Diagnose Clauberg-Platte und Neisser-Präp.
1. Tag 2. Tag
Bakteriologie Biochemische Leistungen')
D S H
Toxizitäts- test nach
Elek
Begleitkeime
3. 2. 75 F. F. (E) Kehlkopf- abstrich
Verdacht auf Lungen-Tbc
Klebsiella ozaenae G. W. (E) Rachenabstrich E Angina, Tonsilli-
tis, u. a. Ver- dacht auf Diph-
therie
hämol. Strepto- kokken der
Gruppe A 13. 7. 76
16. 7. 76 U
U U U U
T. Z. (E) Rachenabstrich U K. B. (E) Rachenabstrich U
j 22. 7. 76
H. H. (E) P. R. (K,
Rachenabstrich Rachenabstrich
4. 11.76 H. C. (K) Rachenabstrich Verdacht auf Diphtherie 27. 4. 77 S. D. (E) Sputum Verdacht auf
Lungen-Tbc
Klebsiella ozaenae 21. 7. 77
28. 7. 77
W. C. (E) W. C. (E)
Wundabstrich Rachenabstrich
Unspezifisches Hautekzem
Staph. aureus, Staph. albus
') (L) = Erwachsener (K) = Kino
2) E = Erstuntersuchung U = Umgebungsuntersuchung K = Kontrolluntersuchung
3) D = Dextrose S = Saccharose H = Harnstoff
gerung, wurde ein Schroer-Satz an- gelegt (Prüfung der Dextrose- und Saccharosespaltung, Beurteilung der Wuchsform) und die Fähigkeit zur Harnstoffspaltung geprüft. Bau- te der Stamm ausschließlich Dextro- se ab, stellten wir die Diagnose „Co- rynebacterium diphtheriae"; nach dem Aussehen der Kolonien auf der Wuchsformplatte wurde der Typ, bei unseren Fällen ausschließlich „mi- tis", bestimmt. Auf Blutplatten wuchsen die Stämme meist mit schwacher Hämolyse. Der abschlie- ßend durchgeführte Toxizitätstest
nach Elek fiel in allen beschriebenen Fällen positiv aus. Im Antibiogramm, das wir mit Ausnahme eines Falles (H. C.) erstellten, waren alle Stämme empfindlich gegen die getesteten Antibiotika (Ampicillin, Cephalotin, Chloramphenicol, Lincomycin, Pe- nicillin, Tetrazyklin).
Bemerkenswert, wenn auch stati- stisch nicht verwertbar, erscheint uns das zweimalige Auftreten von Klebsiella ozaenae als Begleitkeim der Diphtheriebakterien in unserem Untersuchungsmaterial.
Literatur
(1) Ehrengut, W.: Zur Erinnerung: Schick-Te- stung des Krankenpflegepersonals, Hambur- ger Ärzteblatt (1976) 56-57 — (2) Naumann, P., Tomaschoff, E., Rosin, H., Hagedorn, H.-J., und Sternschulte, W.: Diphtherie-Erkrankungen mit toxischem Verlauf in Düsseldorf, DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT 72 (1975) 3409-3412 — (3) Roemer, G. B.: Epidemiologie der Diphthe- rie, DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 74 (1977) 793-798.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Peter Wehrspann Hygienisches Institut
der Freien und Hansestadt Hamburg Gorch-Fock-Wall 15
2000 Hamburg 36
370 Heft 7 vom 16. Februar 1978