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er auf demselben Weg nach Bukoba reisen möchte, auf dem die Kolonialmächte einst hier eintrafen, braucht Zeit. Die rund 500 Landkilometer von der Provinz- hauptstadt Mwanza hier hi- nauf sind mit dem Auto nur bei guten Bedingungen in zwei Tagen zu schaffen. Wer es sich leisten kann, fliegt.Am Steuer der winzigen Propellermaschine, die ein- mal am Tag den Weg über den See in 45 Minuten zu- rücklegt, sitzt ein Amerika- ner. Die moderne Fliegerei habe ihn gelangweilt, sagt er. In Bukoba darf er auf ei- ner Landebahn aus Lehm aufsetzen, die direkt am Seeufer beginnt. Ein Stück südlich dieser Piste gründete der Arzt Emin Pascha im Jahr 1890 für die deut- sche Kolonialverwaltung die Stati- on Bukoba. Als ihm zwei Jahre spä- ter von Sklavenhändlern bei einer Expedition ins Landesinnere der Kopf abgetrennt wurde, endete eine legendäre Medizinerkarriere.
52 Jahre zuvor erblickt der jü - dische Junge Eduard Schnitzer in Schlesien als Sohn eines Kauf- manns das Licht der Welt. Nach dem Medizinstudium strandet er im albanischen Antivari. Er lernt
Türkisch, Serbokroatisch, Alba- nisch, Arabisch, Persisch und Grie- chisch und beginnt, sich orienta- lisch zu kleiden. Später wird sich Schnitzer viele Jahre lang als
Türke ausgeben und damit durchkommen.
Anfang der 1870er Jahre ist Schnitzer noch einmal eine Zeit lang in Schlesien. Seiner Familie sagt er eines Tages, er wolle Freunde in Breslau be- suchen. Tatsächlich geht er für immer. Er nennt sich fortan Mehmet Emin, schifft sich nach Kairo ein und reist den Nil hinauf bis nach Khartum.
Dort erfährt er, dass der osma- nische Gouverneur der suda- nesischen Südprovinz Äqua- toria einen Arzt sucht. Emin greift zu und steht ab 1873 im Dienst des Osmanischen Reichs. Mangels Al- ternativen wird er 1878 zum Gou- verneur des strategisch unbedeuten- den Äquatoria ernannt. Dort, am Oberlauf des Nils, nimmt er den Ti- tel „Pascha“ an und herrscht ein Jahrzehnt lang über eine Handvoll Kolonialstationen, die nur einmal im Jahr per Schiff angesteuert werden.
Berühmt wird Emin Pascha, als seine ohnehin isolierte Provinz durch den Mahdi-Aufstand komplett vom Rest der Welt abgeschnitten wird.
Mehrere Nationen sehen sich zu sei- ner Rettung berufen. Das Deutsche
Reich schwelgt ohnehin gerade in Kolonialfantasien. Es entdeckt Pa- schas schlesische Wurzeln und startet eine Expedition, die grandios schei- tert. Auch die Briten und die Bel- gier wollen Pascha retten, vor allem um sich Äquatoria einzuverleiben.
Das Rennen macht der Amerika- ner Henry Morton Stanley, der schon David Livingstone gefunden hatte und über dessen nunmehr zweite Afrikaexpedition Zeitungen in aller Welt berichten. Stanley nä- hert sich Äquatoria von Westen her, durch das Kongobecken und den Ituri-Regenwald. Er ist der erste Weiße, der diese Route einschlägt, und überlebt. Die „Emin-Pascha- Rettungsexpedition“ verläuft grau- sam und kostet unzählige Men- schenleben. Sie wird Stanleys Ruf nachhaltig ruinieren. Doch er findet Pascha und bringt ihn an die Küste.
Die Ironie der Geschichte ist, dass Emin Pascha nie um Rettung gebeten hat. Zum Schrecken seiner Retter tritt er, kaum an der Küste, in deutsche Dienste, weil diese ihn zurück ins Landesinnere schicken, nach Bukoba. Dort zieht es ihn hin.
Wer 120 Jahre später am Ufer des Victoriasees die Sonne über dem Äquator aufgehen sieht, der kann
das gut verstehen.
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Philipp Grätzel von Grätz
ENDSTATION DEUTSCH-OSTAFRIKA: BUKOBA AM VICTORIASEE
Dr. Pascha, I presume?
In Bukoba am Westufer des Victoriasees verbrachte der deutsche Arzt, Kolonialist und Exzentriker Eduard Schnitzer alias Emin Pascha seine letzten zwei Lebensjahre.
K U L T U R
Gerettet: Der Amerikaner Henry
Morton Stanley spürt Emin Pascha
in Äquatoria auf.
Der hatte allerdings nie um Rettung
gebeten.
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