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Sachlichkeit und Respekt

Ihre Bedeutung für Wirkungen, Risiken und Schäden in der Psychotherapie

Irene Agstner, Bernadette Lindorfer und Katharina Sternek (Wien) Der Gestaltpsychologe Wolfgang

Metzger analysiert in seinem Buch

“Schöpferische Freiheit” 1962 die dynamischen Bedingungen der positiven Förderung wie auch der schädigenden Behinderung von Entwicklungsprozessen. Zur meta- phorischen Veranschaulichung zitiert er ein Beispiel des chine- sischen Staatsphilosophen Mong Tse (geb. 392 v. Chr):

“Ein Mann aus Sung […] war sehr betrübt, daß sein Korn nicht wachsen wollte. Er versuchte daher, die Halme selbst in die Höhe zu zie- hen. Nach dieser Arbeit kam er ganz erschöpft nach Haus und sagte zu seinen Leuten: ‘Ich bin sehr müde, ich habe meinem Korn geholfen zu wachsen’. Sein Sohn lief hinaus, um sich dies anzusehen, fand aber alle Halme verwelkt.” (Metzger, 1962, S.24)

Im Hinblick auf die Arbeit mit Lebendem postuliert Metzger damit eine Ethik der Anerkennung der individuellen Eigenart des Gegenübers, verbunden mit einem Umgang auf der Basis von Respekt und Sachlichkeit.

Die aktuelle Auseinandersetzung der Psychotherapieforschung mit Fragen über erwünschte Wirkun- gen, Nebenwirkungen, Risiken und Schäden der Psychotherapie be- schäftigt sich auf ihre Weise eben- falls mit den Rahmenbedingungen für Entwicklungsprozesse. Sie ver- wendet dabei allerdings Methoden und ein Begriffsinventar, das dem medizinischen Bereich entlehnt wird – man denke hierbei z.B. an den häufig verwendeten Terminus

“Nebenwirkung”.

Eine heute in der Medizin forcierte

„Evidence Based Medicine“ ist jedoch mit ihren Methoden (z.B.

mit randomisierten, doppelblinden Studien, siehe „Mini-Lexikon“) für Untersuchungen auf psychothera- peutischem Gebiet weder ange- messen noch praktikabel (vgl. Kiene 2000, Kiene et al. 2004), und birgt die Gefahr, das Wesen der Sache

“Psychotherapie” aus den Augen zu verlieren. Aus einer ganzheitlichen, feldtheoretischen Sicht, wie sie die Gestalttheorie vertritt, kann nicht von Nebenwirkungen, sondern nur von Wirkung gesprochen werden, da per definitionem Veränderungen an einem Teil eines Ganzen (medi- zinisch: Wirkung) Veränderungen an anderen Teilen des Ganzen (medizinisch: Nebenwirkung) zur Folge haben können.

Um sinnvoll über Wesen und Wirken bzw. Wirkung der Psycho- therapie sprechen zu können, soll- te man sich zuerst die zentrale Auf- gabe der Psychotherapie samt der darin enthaltenen Zielvorstellung vergegenwärtigen, wie sie etwa auch im Psychotherapiegesetz §1 durchaus angemessen in folgender Weise definiert ist:

“Die Ausübung der Psychothera- pie im Sinne dieses Bundesgesetz- es ist die nach einer allgemeinen und besonderen Ausbildung er- lernte, umfassende, bewusste und geplante Behandlung von psycho- sozial oder auch psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissen- schaftlich-psychotherapeutischen Methoden in einer Interaktion zwischen einem oder mehreren Be- handelten und einem oder mehre-

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag wurde an- gestoßen durch ein Buchprojekt von Anton Leitner, Brigitte Schigl und Michael Märtens an der Donau-Uni- versität-Krems. Es beschäftigt sich mit dem Thema „Neben-Wirkung“

und Risiko in der Psychotherapie aus dem Blickwinkel der verschie- denen Fachspezifika bzw. Psycho- therapiemethoden und soll im Jahr 2014 fertiggestellt werden. Der hier abgedruckte Artikel stellt eine Lang- fassung des für dieses Buchprojekt eingereichten Beitrags dar.

ren Psychotherapeuten mit dem Ziel, bestehende Symptome zu mil- dern oder zu beseitigen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellun- gen zu ändern und die Reifung, En- twicklung und Gesundheit des Be- handelten zu fördern.”

Für das Gelingen einer Psychothe- rapie wird allgemein vor allem der psychotherapeutischen Beziehung - unabhängig von der jeweils ver- wendeten Methode - große Wirk- samkeit zugeschrieben. Dies ist nicht weiter verwunderlich, erfolgt doch jede psychotherapeutische Intervention auf dem Hintergrund der therapeutischen Beziehung.

Aus gestalttheoretischer Sicht dür- fen daher weder Interventionen noch Methoden isoliert betrachtet werden. Vielmehr geht es darum, das therapeutische Handeln vor dem Hintergrund der psychothera- peutischen Beziehung und auf Basis einer von Sachlichkeit und Respekt geprägten psychotherapeutischen Haltung zu reflektieren.

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Sachlichkeit und Respekt in der psychotherapeutischen Beziehung

Entsprechend der erkenntnistheo- retischen Fundierung der Gestalt- theorie im kritischen Realismus, kommt der „phänomenalen Welt“, also dem Erleben und den Erfah- rungen der Patientin um die eige- ne Lebenswelt zumindest die glei- che Wertschätzung und Anerken- nung zu, wie unseren Kenntnissen als Spezialistinnen. Daraus leitet sich ein gemeinsames phänomeno- logisches Vorgehen im psychothe- rapeutischen Prozess ab (vgl. Stem- berger 2011).

Auch wenn die Wahrnehmungen und Interaktionen der an der the- rapeutischen Beziehung Teilhaben- den aus der Perspektive einer feld- theoretischen und systemischen Sichtweise als sich wechselseitig beeinflussende Faktoren im Ge- samtgeschehen begriffen werden, liegt die Verantwortung für die pro- fessionelle Gestaltung dieser Bezie- hung bei der Psychotherapeutin.

Die Besonderheit der psychothe- rapeutischen Beziehung ergibt sich nämlich aus der Forderung, dass

„[…] alles, was in der psychothera- peutischen Situation geschieht (so- weit es die Therapeutin zu verant- worten hat), sich in den Dienst des Anliegens der Patientin zu stellen hat, und in diesem Sinne der Sach- lichkeit verpflichtet ist.“ (Stember- ger 2013)

Die Sachlichkeit, von der hier die Rede ist, beschreibt Metzger als eine Haltung, „[…] in der das Sub- jekt fähig geworden ist, von sich selbst abzusehen und in den Forde- rungen der Lage oder Aufgabe - sei es eine menschliche Hilfeleistung, sei es eine Forschungs-, Gestal- tungs- oder Organisationsaufgabe - aufzugehen - unter Verzicht [...] ir- gendetwas für sich herausschlagen zu wollen […]“ Metzger 1972, S. 51).

Eine solche Haltung impliziert die

Hingabe an die Aufgabe und die Be- reitschaft zur freiwilligen, auf Ein- sicht beruhenden Übernahme von Verantwortung.

In der therapeutischen Situation er- geben sich „dieser natürliche sach- liche Schwerpunkt und die damit verbundenen Forderungen an die Therapeutin […] übrigens nicht, wie häufig unterstellt, aus einer wie auch immer gearteten Überlegen- heit der Therapeutin oder einer wie auch immer gearteten Abhängig- keit der Patientin, sondern schlicht aus der gegebenen Aufgabenstel- lung, auf deren Erfüllung die psy- chotherapeutische Situation ausge- richtet ist“ (Stemberger 2013).

Des Weiteren wird im Sinne des aufgeklärt humanistischen Men- schenbildes der Gestalttheoreti- schen Psychotherapie die Patientin als autonomes Gegenüber wahr- und ernstgenommen, deren Wil- le im gesamten Therapieverlauf zu berücksichtigen ist (vgl. Kästl 2011, 19-21).

Wird diese Haltung des Respekts tatsächlich gelebt, lässt sich in der Therapie schwerlich ein Ziel verfol- gen, welches die Patientin schädigt.

Eine von Respekt geprägte psycho- therapeutische Herangehensweise beugt sowohl der Verfolgung von

patientenfremden, schädigenden Zielen, als auch therapeutischer Überheblichkeit, der Herstellung unerwünschter Abhängigkeiten und der Rationalisierung von Suggestion oder Manipulation vor.

Respektvoller Umgang und eine sachliche Grundhaltung bilden da- her nicht nur die Voraussetzung für ethisches Handeln in der Psycho- therapie, sondern ermöglichen auf- grund des darauf basierenden, vor- behaltlosen Hinschauens ein Erken- nen der Gefordertheit der Sachla- ge und unterstützen sachgerechte Entscheidungsprozesse bei Vorlie- gen von unterschiedlichen Hand- lungsmöglichkeiten.

Unerwünschte Wirkungen, Risiken, Fehler und Schäden Im Hinblick auf negative Wirkungs- weisen von Psychotherapien gilt es aus unserer Sicht zwischen un- erwünschten (Neben-)Wirkungen, Fehlern und schädigendem Fehlver- halten zu differenzieren. Das Unter- scheidungsmerkmal sind die oben genannten Bedingungen Sachlich- keit und Respekt. (Neben-)Wirkun- gen und Fehler können auch im sachlichen und respektvollen Um- gang passieren. Fehlverhalten hin- gegen zeichnet sich durch Mangel

© WavebreakmediaMicro - Fotolia.com

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an Sachlichkeit und/oder Respekt aus. So gesehen ist es nicht zuläs- sig, (Neben-)Wirkungen, Fehler und Fehlverhalten einer spezifischen Methode oder Intervention per se zuzuordnen.

Die Möglichkeit des Auftretens un- erwünschter Wirkungen, wie z.B.

schmerzvolles Erinnern oder Ver- schlechterung der Symptome (Un- ruhe, Unsicherheit, …) sollte bereits zu Beginn der Therapie im Sinne des respektvollen „Informed Con- sent“ (vgl. Leitner 2011) angespro- chen werden, um auch im weiteren Therapieverlauf offen thematisiert werden zu können.

(Potentielle) Fehler seitens der Psy- chotherapeutin sind zumeist nicht beabsichtigt und können mehr oder weniger verschuldet sein. In einem lebendigen Entwicklungs- prozess, welchen die Therapie dar- stellt, sind trotz aufrichtigen Bemü- hens selten alle Einflussfaktoren bekannt. Nicht umsonst geht es bei der Berufsausübung um ein Han- deln „nach bestem Wissen und Ge- wissen“. Die Aufgabe, für sich selbst angemessen zu sorgen, damit un- gestillte persönliche Bedürfnisse sich nicht störend in der Psychothe- rapie bemerkbar machen, gehört in diesem Sinn ebenso zur Verant- wortung der Therapeutin wie die kontinuierliche Selbstreflexion, die Aneignung und kritische Reflexion von Fachwissen, die kontinuierliche Fortbildung, die Inanspruchnahme von Unterstützung in Form von Su- pervision und anderes mehr. Man- che Fehler der Therapeutin können auch zur positiven Entwicklung der Patientin beitragen, dann nämlich, wenn die Therapeutin damit ehrlich und transparent umgeht und die Klientin so erleben kann, dass auch die Therapeutin nicht perfekt ist, es aber Möglichkeiten eines konstruk- tiven Umgangs mit Fehlern gibt.

Fehlverhalten und Therapieschä- den resultieren zumeist aus einer

Mini-Lexikon

Informed Consent: Unter „Informed Consent“ versteht man die in- formierte Zustimmung der Patientin zu einer bestimmten Heilbe- handlung. Der Begriff stammt ursprünglich aus der medizinischen Ethik. Er basiert auf dem Prinzip des Respekts vor der Autonomie der Patientin.

Der informierten Zustimmung hat eine Aufklärung der zu behandeln- den Person bzw. ihrer gesetzlichen Vertretung vorauszugehen. Diese Aufklärung umfasst Informationen über Art, Inhalt und Umfang der Behandlung, zeitliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen als auch Informationen über Wirkungen, Nebenwirkungen, Nutzen und mögliche Risiken der geplanten Behandlung.

Evidence Based Medicine: eine Strömung in der Medizin, die in den 1990ern ihren Ausgang genommen hat und fordert, dass Behand- lungsentscheidungen möglichst auf der Grundlage empirisch nach- gewiesener Wirksamkeit getroffen werden; d.h. die Ergebnisse kli- nischer Studien sollen gesichtet, auf Qualität und Relevanz geprüft und dann bei der konkreten Behandlungsentscheidung systematisch miteinbezogen werden. Der Fülle wissenschaftlicher Ergebnisse, die für die einzelne Ärztin nicht überschaubar ist, versucht man dabei mit Überblicksarbeiten und Behandlungsleitlinien beizukommen.

Ist der Forderung nach empirischer Evidenz uneingeschränkt zuzu- stimmen, zeitigt die einseitige Orientierung am quantitativen, statisti- schen Paradigma wesentliche Einschränkungen des Erkenntnispoten- tials, vor allem für die jeweilige, konkrete Patientin. In Zusammenhang mit der Verwendung von Behandlungsleitlinien durch Gesundheits- administrationen besteht die Gefahr der Einschränkung von Leistun- gen auf leitlinienkonforme Medikamente und Behandlungen.

Randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie: Gilt als „Goldstan- dard“ in der medizinischen Wirkungsforschung in Hinblick auf den Nachweis der Kausalität und damit der Aussagekraft der Ergebnisse.

Bezeichnet wird damit ein Studiendesign, in dem entlang vorher de- finierter Variablen der Behandlungseffekt einer Studienguppe (also einer Gruppe von Personen, die der interessierenden Behandlung unterzogen wird) mit einer Kontrollgruppe (einer Gruppe von Per- sonen, die keine Behandlung oder ein so genanntes „Placebo“ erhal- ten) verglichen wird. Die Studienteilnehmerinnen werden dabei nach dem Zufallsprinzip („randomisiert“) und „blind“ zugeordnet - d.h. we- der die Studienteilnehmerin noch die Untersuchungsleiterin wissen während der Behandlung/Intervention sowie bei der Erhebung der Effekte, welcher Untersuchungsbedingung die jeweilige Person ange- hört.

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unsachlichen Haltung. Da Psycho- therapie immer in einem sozialen Kontext stattfindet, der nicht nur die Patientin und die Psychothera- peutin umfasst, sondern auch die Gesellschaft, deren Teil die beiden sind, können unsachliche Haltun- gen dem Bereich der Psychothe- rapeutin, dem Bereich der Patien- tin oder dem gesellschaftlichen Be- reich angehören oder diesen haupt- sächlich zugeordnet werden. Diese Bereiche dürfen im Endeffekt na- türlich nicht isoliert betrachtet wer- den, weil sie wechselseitiger Beein- flussung unterliegen. So hat z. B.

der gesellschaftliche Konsens Ein- fluss auf die Position des Einzelnen, ergibt sich jedoch der gesellschaftli- che Konsens seinerseits wieder aus den Positionen der Einzelnen, wenn auch in aller Regel unter dem Ein- fluss der jeweiligen Machtverhält- nisse und der politisch-sozialen Dy- namik in der Gesellschaft.

a) Unsachliche Haltung aus dem gesellschaftlichen Bereich

Diese gesellschaftlichen Rahmen- bedingungen liegen nicht im unmit- telbaren Einflussbereich der Pati- entin bzw. Psychotherapeutin, kön- nen jedoch Auswirkungen auf die Sachlichkeit in der Psychotherapie sowohl bei der Patientin als auch bei der Psychotherapeutin haben.

Dazu gehören z. B.

- der Einfluss der gesellschaftlichen Akzeptanz psychischer Leiden und deren Behandlung mittels Psycho- therapie (Burn-Out darf man ha- ben, eine Depression jedoch nicht;

Coaching ist angesagt, Psychothe- rapie ist zu sehr „psycho“)

- Rechtliche Aspekte: Werden Ge- setze zum Bereich Psychotherapie ihrerseits sachlich (d. h. mit Zentrie- rung auf die Sache der Psychothe- rapie) formuliert und verabschiedet oder dienen Gesetze bestimmten (unsachlichen) Partikularinteres- sen? Welche Auswirkungen haben

Gesetze auf das Geschehen in der Psychotherapie (z. B. Verschwie- genheitspflicht, bzw. deren Verwäs- serung)? (vgl. Stemberger 2011) - die Einbindung in das Gesund- heitssystem: Entspricht die vorge- schriebene Diagnostik dem Wesen der Psychotherapie? Welchen Kri- terien folgt die Kostenübernahme?

Steht der Nutzen für die Patientin im Blickpunkt oder der Nutzen für die Krankenkasse oder für die Psy- chotherapeutin? Welchen Zwek- ken dienen die Anforderungen der Krankenkassen?

- Psychotherapieforschung: Sind die Kriterien, anhand derer die Wirksamkeit von Psychotherapie erforscht wird, sachlich, d.h. der Psychotherapie angemessen? (vgl Kiene 2000, Kiene et al. 2004) b) Unsachliche Haltung der Patien- tin

Unsachlich kann auch die Haltung der Patientin in der Psychothera- pie sein. Der wesentlichste Punkt diesbezüglich liegt wohl in der Fra- ge nach der Motivation für die Psy- chotherapie. Hat sich die Patientin z. B. aus eigenem Antrieb für die Psychotherapie entschieden oder wird sie/ fühlt sie sich zur Psycho- therapie genötigt, um z. B. einer

Strafe zu entgehen oder jeman- dem Dritten zu genügen (AMS, PV, SV, Lebenspartner, Eltern, …)? Hier liegt die Verantwortung der Thera- peutin darin, solche Haltungen zu erkennen und mit der Patientin zu bearbeiten.

c) Unsachliche Haltung der Psy- chotherapeutin

Aufgabe und Verantwortung der Psychotherapeutin ist es, die psy- chotherapeutische Beziehung för- derlich zu gestalten und den Rah- men zu schaffen, in dem das sachli- che Arbeiten mit der Patientin statt- finden kann. Therapeutisches Fehl- verhalten beginnt dort, wo die Psy- chotherapeutin die sachliche „Ge- fordertheit“ der psychotherapeuti- schen Aufgabe, nämlich die Fokussie- rung bzw. Zentrierung auf das Wohl der Patientin missachtet, stattdes- sen ihre eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten in den Mittelpunkt stellt und eigene Ziele verfolgt.

Eine wie immer geartete Ichhaftig- keit der Therapeutin „[…] als Sor- ge um die eigene Person, um ihre Sicherheit, ihre Geltung, ihre Ehre, ihr Ansehen, ihren guten Ruf, ihre Beliebtheit, ihre Macht oder Unab- hängigkeit […]“ (Metzger 1962, 159) behindert die sachgerechte Wahr- nehmung und das Handeln der The-

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rapeutin. In derartigem Fehlverhal- ten, das der Persönlichkeit der Psy- chotherapeutin zuzurechnen ist, reicht dann das Kontinuum vom narzisstischen Machtmissbrauch bis hin zum sexuellen Missbrauch.

Unsachliche Ziele können sich aber auch durch Interaktionen aus dem persönlichen Bereich (die Psycho- therapeutin muss Geld verdie- nen) und dem gesellschaftlichen Bereich (wie wird Psychotherapie entlohnt?) ergeben. So z. B. in der Frage, welche Patientin den frei- en Platz bekommt: Ist es die „Voll- Selbstzahlerin“ oder die „Kassenpa- tientin“?

Die Psychotherapeutin sollte jede Intervention unter dem Gesichts- punkt der Sachlichkeit betrach- ten. Die Fähigkeit zum Erkennen der „richtigen“ Zentrierung einer Situation ist nicht nur eine Frage der Kompetenz, sondern auch der Bereitschaft, vorbehaltslos hinzu- sehen und im feinsten Sinne „Phä- nomenologie“ zu betreiben. Das Erkennen/Wahrnehmen von eige- nen Bedürfnissen und Befindlich- keiten und der professionelle Um- gang damit erfordert ein hohes Maß an Selbsterfahrung und –dis- ziplin, aber auch der Selbstfürsor- ge. So gesehen reichen fachliche Kompetenzen alleine nicht aus, um der psychotherapeutischen Aufga- be gerecht zu werden, sondern es bedarf vor allem der persönlichen Entwicklung der Psychotherapeu- tin im Sinne der Menschenbildung und der Entwicklung von „sozialen Tugenden“ (vgl. Galli 1999).

Der von Galli bewusst gewähl- te Begriff der sozialen Tugenden verweist auf den Umstand, dass es sich um ein Beziehungsgesche- hen im sozialen Feld handelt, wo- bei im Fall der in der psychothera- peutischen Situation vor allem er- wünschten Tugend der Hingabe „ […]die strukturelle Zentrierung, der Schwerpunkt, vom eigenen Ich zum

anderen“ verlagert wird (Galli 1999, 46). Galli verweist dabei auf Metz- ger, dem zufolge diese Hingabe „[…]

den Dienst, die Fürsorge, den Ge- horsam, die Sachlichkeit“ umfasst (Galli 1999, 50).

Sachlichkeit als Lernziel und Prinzip in der Ausbildung zur Gestalttheoretischen Psycho- therapeutin

Aus dem bisher Gesagten geht her- vor, dass wir verwirklichte Sach- lichkeit als besten Garant dafür be- trachten, Fehler und negative Wir- kungen in der Psychotherapie zu vermeiden. Zugleich ist sie auch die beste Weise, mit Fehlern umzuge- hen. Wie fördern wir nun aber die Entwicklung einer entsprechenden Haltung bei unseren Ausbildungs- kandidatinnen?

Sachlichkeit als Gestaltungs-und Handlungsprinzip in der Ausbil- dung

Glaubwürdig vermitteln können wir eine sachliche, respektvolle Hal- tung wohl nur dann, wenn wir sie als LehrtherapeutInnen auch selbst

„leben“. Dies betrifft sowohl die Gestaltung der Ausbildung (Inhal- te, Rahmenbedingungen, Lernfor- men), als auch das konkrete Ver- halten der LehrtherapeutInnen im Umgang mit den Ausbildungskandi- datInnen und untereinander in den verschiedenen Kontexten (Gestal- tung der Beziehungen).

Selbsterfahrung und Selbstent- wicklung

Eigene Bedürfnisse, Motive und Konflikte wahrzunehmen und aus- reichend für sich selbst zu sorgen, sind Voraussetzung dafür, von sich selbst absehen zu können und sich in den Dienst einer Sache – hier der psychotherapeutischen Hilfe für die Patientin – stellen zu kön- nen. In Hinblick auf das (zukünftige) Vermeiden von Fehlern und Fehl-

verhalten in der Psychotherapie kommt dabei der Ermutigung zum vorbehaltlosen Hinsehen auf die eigene phänomenale Welt sowie dem Reflektieren von „Ichhaftig- keit“ als Schwerpunktverlagerung in der erlebten Welt und Gegenpol zur sachlichen Haltung besondere Bedeutung zu.

Sachlichkeit als Lernziel wird daher sowohl in der Lehrtherapie, in der Gruppen-Selbsterfahrung als auch später in der Einzel- wie auch Grup- pensupervision fokussiert.

Aufgabe der LehrtherapeutInnen ist es dabei, für ein möglichst offe- nes, lernfreundliches Klima zu sor- gen, in dem auch Fehler gemacht und besprochen werden können.

Die AusbildungskandidatInnen er- halten wertschätzende und ermu- tigende Unterstützung bei der Aus- einandersetzung mit eigenen Be- dürftigkeiten, Verführbarkeiten und anderen persönlichen „Schwä- chen“, um eine tragfähige Basis zur Entwicklung einer sachlichen thera- peutischen Haltung zu schaffen.

Theorie-Praxis-Verschränkung Um eine sachliche und respektvol- le Haltung herauszubilden und zu verwirklichen, braucht es neben Ei- generfahrung und Persönlichkeits- entwicklung schließlich auch die gedankliche Durchdringung und theoretische Untermauerung. Dies geschieht in Form einer möglichst durchgängigen Verschränkung von Theorie und Praxis im Verlauf der gesamten Ausbildung.

Theoretische Grundlagen, Erwerb praktischer Kompetenzen sowie Selbsterfahrung stehen damit nicht als isolierte Teile nebeneinander, sondern werden immer wieder als Teile eines Ganzen aufeinander be- zogen. So kann die theoretische Reflexion des Geschehens in der Selbsterfahrung auch selbstver- ständlicher Teil in der Arbeit der Ausbildungsgruppe werden, wo sie

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den Selbsterfahrungsprozess nicht behindert, genauso wie in den Theorie- oder Literaturseminaren die Theorie auf Praxisbeispiele und Eigenerfahrung bezogen bzw. über- setzt wird.

Literatur

Galli, Giuseppe (1999): Psychologie der Soziale Tugenden. Wien; Köln; Weimar: Böhlau Verlag Kästl, Rainer (2011): Zur Therapeutin-Klientin- Beziehung. Phänomenal - Zeitschrift für Ge- stalttheoretische Psychotherapie 3(2), 19-21.

Kiene, Helmut (2000): Komplementäre Metho- denlehre der klinischen Forschung. Cognition- based Medicine. Berlin-Heidelberg-New York:

Springer.

Kiene, Helmut; Harald J. Hamre, Gunver S. Kien- le (2004): Der Beitrag der Gestalttheorie zur Methodik der Therapieevaluation. Evidence- based Medicine und Cognition-based Medici- ne. Gestalt Theory, 26 (3), 252-264.

Leitner, Anton (2011): Von der „Compliance“ zur

„Adherence“, vom „Informed Consent“ zu re- spektvollem „Informed Decision Making“. In:

Petzold, H.G., I. Orth, J. Sieper (Hg.): Gewis- sensarbeit, Weisheitstherapie, Geistiges Le- ben . Wien: Krammer, 231-243

Metzger, Wolfgang (1962): Schöpferische Frei-

heit. Frankfurt: Verlag Waldemar Kramer.

Metzger, Wolfgang (1972): Psychologie in der Erziehung. Psychologie für Erzieher I. Kamps pädagogische Taschenbücher Band 51., 2.

Auflage. Bochum: Verlag Ferdinand Kamp.

Stemberger, Gerhard (2011): Patientenrechte in der Psychotherapie: Herausforderungen und Problemfelder. In: Michael Kierein und Mi- chael Anton Leitner (Hrsg): Psychotherapie und Recht. Wien: Facultas.wuv., 203-230.

Stemberger, Gerhard (2013). Eine Besonderheit der psychotherapeutischen Situation. Phäno- menal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psy- chotherapie 5(1-2), 27-31.

Fachspezifische Psychotherapieausbildung in Gestalttheoretischer Psychotherapie

Die ÖAGP ist die staatlich anerkannte Einrichtung für die fachspezifische Psychotherapieausbildung in der Methode Gestalttheoretische Psychotherapie (GTP)

Dauer der Ausbildung: min. vier Jahre

Aufbau: zwei Abschnitte zu je zwei Jahren plus Ab- schlussarbeit (siehe auch Schema)

Schwerpunkte: Selbsterfahrung / Eigenanalyse im Einzel- und Gruppensetting, Vermittlung theoretischer Grundlagen und praktisch-therapeutischer Kom- petenz in Ausbildungsgruppe, Fach-, Theorie- und Wahlpflichtseminaren, Einzel- und Gruppen-Lehrsu- pervision zur eigenständigen psychotherapeutischen Arbeit

Kosten: ca. 25.560 Euro (Stand 2014), excl. Fahrt- kosten und Unterbringung bei den Seminaren Der Einstieg in die fachspezifische Ausbildung ist bei Erfüllung der Aufnahmebedingungen jederzeit möglich. Die Aufnahme kann nach einem Aufnahme- gespräch bei zwei LehrtherapeutInnen der ÖAGP er- folgen. Es wird empfohlen, im Vorfeld dazu die Gele- genheit zu nutzen, im Rahmen eines der regelmäßig angebotenen Selbsterfahrungsseminare die Methode kennen zu lernen. Nähere Auskünfte zu solchen Se- minaren und zum Aufnahmeverfahren, sowie zu allen anderen Aspekten der Ausbildung erteilt die ÖAGP (Kontaktmöglichkeiten siehe unten) - Hinweise darauf finden sich auch auf der Homepage der ÖAGP.

ÖAGP:

A-1180 Wien, Schopenhauerstraße 48/6;

Tel: 0699 / 81 30 40 99 Email: info@oeagp.at http://www.oeagp.at Gestalttheoretische Psychotherapie (GTP)

Eingangs-/Aufnahmephase

Einzel- oder Gruppenselbsterfahrung wird im Vorfeld empfohlen Informationsgespräch zur Ausbildung

Aufnahmegespräch/e 3 AE

Zulassung zur Ausbildung, Abschluss des Ausbildungsvertrages, Beitritt zur ÖAGP und GTA AE=Ausbildungseinheit, ST=Seminartage

1. Abschnitt: 2 Jahre (1124 AE, davon 56 ST) jeweils Mindestanforderungen

2. Abschnitt: 2 Jahre (1124 AE, davon 53 ST) jeweils Mindestanforderungen Ausbildungsgruppe

(20 Tage pro Jahr) 40

ST 320

AE Ausbildungsgruppe 20

ST 160

AE Theorie Grundlagen-

Seminare 6 48 Theorie Seminare 6 48

Fachseminare 6 48 Fachseminare 9 72

Literaturseminare* 4 32 Literaturseminare 2 16

Einzelanalyse* 60 Wahlpflichtseminare 3 24

Arbeitskreise 36 Arbeitskreise 36

Fachspez. Praktikum* 550 Kolloquium in Kleingruppe 6

Supervision zum fachspez.

Praktikum* 30 Gruppen-Lehrsupervision 13 104

Einzel-Lehrsupervision 40

Theorie-Einzel-SV

Theorie-Hausarbeiten 8

10 Eigene psychothera-

peutische Praxis 600

Bestandteile mit * können in 2. Abschnitt

hineinreichen nach Beginn der Einzel-Lehrsupervision

Freigabe zur eigenständigen psychotherapeu- tischen Tätigkeit unter Supervision Sonstige Anforderungen

Schriftliche Berichte über mindestens 5 Tage der Ausbildungsgruppe oder Gleichwertiges Fachvortrag in der Ausbildungsgruppe Literaturstudium nach Literaturliste Peer-Group empfohlen

Sonstige Anforderungen Fachvortrag im Arbeitskreis Literaturstudium nach Literaturliste Theoriegespräch zur Vorbereitung der Abschlussarbeit

Peer-Group empfohlen Bescheinigung über die Absolvierung des 1.

Ausbildungsabschnittes Zulassung zum 2. Ausbildungsabschnitt

Bescheinigung über Absolvierung des 2.

Ausbildungsabschnittes Schriftliche Abschlussarbeit (min. 160 AE) und Graduierung

Die Gesamtkosten der Ausbildung betragen ca.€ 25.560 (lt. Tarifordnung vom 1.1.2014, ohne Unterkunft und Verpflegung)

Referenzen

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