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Politische Eingriffe innerhalb der EU schaden der Schweizer Wirtschaft | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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Die Volkswirtschaft  3 / 2017 49

G

egenwärtige Handelsabkommen sind zwangsläufig unvollständig und ge- währen den involvierten Parteien einen Er- messensspielraum.1 Dies gilt auch für die komplexen bilateralen Abkommen, wel- che die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU regeln. Der Wert eines jeden für die nationalen Handelsin- teressen kritischen Abkommens hängt da- von ab, inwiefern andere unterzeichnen- de Parteien Richtlinien implementieren. In Zeiten akuter wirtschaftlicher Anspannung und Stagnation ist die Versuchung gross, inländische Interessen über ausländische zu stellen. Krisenzeiten stellen somit eine Form von «Stresstest» für Handelsabkom- men dar.

In den ersten 15 Jahren des neuen Jahr- tausends sind die Exporte der Schweiz in die EU um 141 Prozent auf nominal 128,9 Milliarden Dollar gewachsen. Während der Weltwirtschaftskrise gingen die Ex- porte allerdings vorübergehend zurück, und seit 2012 ist eine Verlangsamung des Exportwachstums erkennbar (siehe Abbil- dung 1). Auffallend ist zudem die Aufwer-

1 Der Autor bedankt sich bei Piotr Lukaszuk für die For- schungsassistenz.

Politische Eingriffe innerhalb der EU schaden der Schweizer Wirtschaft

Die bilateralen Verträge regeln die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU – zumin- dest in der Theorie. In der Praxis zeigt sich: Angesichts der Wirtschaftskrise haben die EU-Staaten handelspolitische Massnahmen getroffen, welche der Schweiz schaden. Simon J. Evenett

Abstract  Seit dem Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise 2008 haben die handelspolitischen Eingriffe in der Europäischen Union zugenommen. Wie eine Studie der Universität St. Gallen zeigt, schaden diese Massnahmen in den meisten Fällen den Schweizer Handelsinteressen. Sie wurden von der EU-Kommission oder von den Mitgliedsstaaten veranlasst, obwohl sich die EU zuvor in diversen internationalen Abkommen zu gegenteiligen Massnahmen verpflichtet hat.

In den meisten Fällen handelt es sich um Subventionen von defizitären Firmen. Da die Eingriffe auch nach der Wirtschaftskrise oft weiter bestehen, betreffen sie die Schweiz als kleine und of- fene Volkswirtschaft empfindlich.

tung des Frankens gegenüber dem Euro seit 2007.

Selbstverständlich kann ein Teil der Verlangsamung nach 2012 auch auf das langsamere Wirtschaftswachstum der EU zurückzuführen sein, welches sich wiede- rum mit den internationalen Rettungspa- keten und den damit erzeugten Sparmass- nahmen in diversen Ländern innerhalb der Eurozone begründen lässt. Trotzdem scheint der in den letzten Jahren entstan- dene Handelsbilanzüberschuss seitens der EU nicht alleine mit makroökonomi- schen Faktoren erklärbar zu sein. Wäh- rend Letztere zweifellos wichtige Deter- minanten des Handelsverkehrs zwischen der Schweiz und der EU sind, kann es al- lerdings auch sein, dass Veränderungen in den politischen Rahmenbedingungen eine Rolle gespielt haben. In der hier vorgestell- ten Studie2 werden deshalb die politischen Eingriffe – sowohl liberalisierende wie auch diskriminierende – der EU-Kommis- sion und der Regierungen der Mitglieds- staaten zusammengefasst und die mögli- chen Auswirkungen diskutiert.

2 Siehe Evenett (2017), Collateral Damage: The Harm Done to Swiss Commercial Interests by EU Policies Since the Crisis Began, in «Journal Aussenwirtschaft», Nr. 67/3

Politische Eingriffe der EU

Regierungen innerhalb der EU haben, wie anderenorts auch, auf die globale Wirt- schaftskrise energisch mit makroökono- mischen Impulsen reagiert. Diese haben sie oft mit gezielten Hilfsmassnahmen für spezifische Wirtschaftssektoren oder kri- selnde Firmen verbunden. Während viele dieser Massnahmen im Lichte der Arbeits- platzsicherung präsentiert wurden, ging es bei einigen darum, inländische Firmen auf Kosten ausländischer Konkurrenz – ein- schliesslich Schweizer Firmen – zu bevor- zugen. Solche Massnahmen erscheinen auf den ersten Blick als wettbewerbsneut- ral; tatsächlich enthalten sie aber im Klein- gedruckten diskriminierende Bedingungen gegenüber ausländischen Firmen. So wer- den Unternehmen in einzelnen EU-Staa- ten beispielsweise verpflichtet, einen be- stimmten Anteil der Wertschöpfung im Inland zu erbringen.

Wirtschaftspolitische Eingriffe sind grundsätzlich den EU-Institutionen vor- behalten: Auch in der Wirtschaftskri- se waren die Mitgliedsstaaten nicht be- fugt, die traditionellen Grenzhindernisse

Von der Forschung in die Politik

Die «Volkswirtschaft» und das «Journal Aussen- wirtschaft» des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschafts- forschung der Universität St. Gallen verbes- sern den Wissenstransfer von der Forschung in die Politik: Aktuelle wissen schaftliche Studien mit einem starken Be zug zur schweizerischen Wirtschafts poli tik erscheinen in einer Kurzfas- sung in der «Volkswirtschaft».

DIE STUDIE

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DIE STUDIE

50 Die Volkswirtschaft  3 / 2017

zu verändern. Der Druck, inländische Fir- men zu bevorzugen, verschob sich da- durch auf anderweitige Eingriffe – vor allem auf Subventionen gegenüber de- fizitären Firmen. Diese bremsen diejeni- gen Marktkräfte, welche eine Reduktion der Kapazität anstreben. Dadurch bleiben die Preise künstlich tief, und die Anpas- sungslast wird den nicht subventionier- ten Firmen aufgebürdet. Insbesondere die drei grössten Volkswirtschaften der EU – Deutschland, Grossbritannien und Frank- reich – verwässerten nach dem Ausbruch der Krise die strengen EU-Vorschriften zu Hilfsprogrammen.

Verdienstvollerweise sammelte die EU- Kommission eine substanzielle Anzahl an Daten zu Subventionen, welche während der Krise EU-Firmen gewährt wurden.

Wenn sich eine Möglichkeit ergab, ver- suchte sie, das zuvor existierende System staatlicher Hilfsprogramme zu rekons- truieren. Dabei behielt die Kommission auch ein Auge auf die offenkundigen Ver- stösse gegen den Europäischen Binnen-

markt, einschliesslich unausgewogener öffentlicher Beschaffungsprozesse. Die- se Daten wurden in die Datenbank Global Trade Alert (GTA) eingespeist (siehe Kas- ten). Anhand der Informationen wurde in der hier vorgestellten Studie untersucht, ob und allenfalls inwiefern bei EU-Kom- mission und bei den nationalen Regierun- gen eine Neigung zu handelsverzerrenden Massnahmen feststellbar ist, welche die schweizerischen Handelsinteressen wahr- scheinlich oder fast sicherlich beeinträch- tigen.

Schädliche Massnahmen überwiegen

Seit November 2008 hat der Global Tra- de Alert fast 1100 Massnahmen ausländi- scher Regierungen dokumentiert, welche schweizerische Handelsinteressen beein- trächtigen. Ihnen gegenüber stehen rund 600 Schweizer Handelsinteressen be- günstigende Massnahmen ausländischer Regierungen. Von den schädlichen Mass-

nahmen sind beinahe 900 immer noch in Kraft, was darauf hinweist, dass noch ein langer Weg zu gehen ist, um die Massnah- men zur Bekämpfung der Wirtschaftskri- se aufzuheben.

Betrachtet man ausschliesslich die EU-Daten, dann haben die EU-Mitglieds- staaten und die EU-Kommission seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im No- vember 2008 aus Schweizer Sicht insge- samt 200 schädliche und 37 begünstigen- de Massnahmen getroffen (siehe Tabelle).

Im Oktober 2016 waren noch 151 schädli- che und 23 begünstigende Massnahmen in Kraft.

Bei den schädlichen EU-Massnahmen ist zwar nur eine geringe Neigung zu typi- schen Grenzhindernissen ersichtlich, aber in zahlreichen Fällen haben EU-Mitglieds- staaten inländische Firmen vor drohendem Konkurs gerettet. Wir konnten mit relevan- ten Informationen über die betroffenen Firmen und deren Produkte aufzeigen, dass diese Rettungsaktionen in 141 Fällen Firmen betrafen, welche direkt mit einem Schweizer Exportunternehmen konkurrie- ren.

Da eine grosse Anzahl dieser Subventio- nen und Rettungsprogramme noch immer in Kraft ist, gibt es wenig Grund, zu glau- ben, dass schweizerische Handelsinteres- sen nur zu Beginn der Wirtschaftskrise von der EU beeinträchtigt wurden. Die Locke- rung der EU-Regeln bezüglich Staatshilfen hatte Auswirkungen für Schweizer Expor- teure: Sie waren vermutlich gezwungen, die Preise zu senken sowie tiefere Gewinn- margen auf Exportprodukten und Kapital- erträgen zu akzeptieren.

Jahr für Jahr kommen neue schädliche EU-Massnahmen hinzu (siehe Abbildung 2).

Deren Zahl hat sich bis ins Jahr 2009 ver- grössert und fiel danach – um nach 2011 wieder anzusteigen. Diese jüngste Zunah- me ist konsistent mit den weltweiten Ent- wicklungen. Gleichzeitig sinkt seit 2013 die Anzahl der implementierten die Schweiz begünstigenden EU-Reformen.

Die GTA-Datenbank dokumentiert auch die Massnahmen der Schweiz, wel- che die Handelsinteressen der EU beein- trächtigen. Seit November 2008 hat die Schweiz in 13 Fällen höchstwahrschein- lich EU-Handelsinteressen beeinträchtigt, insbesondere bei landwirtschaftlichen Anliegen und Fragen zur Wirtschafts- migration. Im Vergleich mit den schädli- chen Massnahmen der EU nehmen sich die Schritte der Schweiz jedoch beschei- den aus.

Politische Eingriffe Schädliche implementierte

Massnahmen Begünstigende implementierte Massnahmen

Total Weiterhin in

Kraft Total Weiterhin in

Kraft

Staatshilfen 141 101 0 0

Handelsfinanzierung 13 13 0 0

Exportanreize 10 8 0 0

Importtarife 6 4 9 5

Investitionsmassnahmen 6 6 3 3

Importquoten 5 2 7 2

Nicht tarifäre Hindernisse 5 4 3 2

Exportsteuern oder Restriktionen

3 2 6 5

Öffentliches Beschaffungswesen 3 3 0 0

Lokalisierungsanforder ungen 2 2 0 0

Präferenzen im öffentlichen

Beschaffungswesen 2 2 0 0

Massnahmen bzgl. Migration 1 1 5 5

Quoten 1 1 1 1

Lokalisierung im öffentlichen Be- schaffungswesen

1 1 0 0

Handelsverteidigung 1 1 0 0

Konsumsubventionen 0 0 2 0

Importsubventionen 0 0 1 0

Total 200 151 37 23

Für die Schweiz schädliche EU-Massnahmen (November 2008 bis Oktober 2016)

GLOBAL TRADE ALERT (2016)

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DIE STUDIE

Die Volkswirtschaft  3 / 2017 51 Global Trade Alert

Der Global Trade Alert (GTA) sammelt Daten be- züglich angekündigter und implementierter wirt- schaftspolitischer Massnahmen des Staates seit dem ersten G-20-Krisengipfel im November 2008.

Die unabhängige Organisation dokumentiert (fast) alle Massnahmen, welche die relative Behandlung inländischer Wirtschaftsinteressen verglichen mit ausländischen beeinflusst. Seit nunmehr sie- ben Jahren werden systematisch Beweise zu dieser Datenbank zusammengetragen. Dies hat dazu ge- führt, dass die Datenbank zurzeit zweieinhalb Mal

so gross ist wie die vergleichbare Sammlung der Welthandelsorganisation (WTO), welche sich auf eine begrenzte Anzahl spezifischer handelspoliti- scher Massnahmen während der Wirtschaftskrise konzentriert. Im Kreise inländischer Wirtschafts- interessen befinden sich breit definiert Kaufleute, ausländische Investoren, Besitzer von geistigem Eigentum (einschliesslich elektronischen Eigen- tums) und Angestellte im Ausland. Koordiniert wird der GTA von Simon J. Evenett.

Abb. 1: Schweizer Exportwachstum nach 2000 während der Wirtschaftskrise vor dem EU-Protektionismus geschützt, eindeu- tig den dokumentierten Daten. So haben offizielle EU-Körperschaften – grundsätz- lich waren dies eher die Mitgliedsstaaten als die EU-Kommission – innerhalb der letzten acht Jahre in 200 Fällen Schritte unternommen, welche die Handelsinter- essen beeinträchtigen. Dies soll nicht im- plizieren, dass die EU-Massnahmen ge- zielt gegen die Schweiz gerichtet wurden – vielmehr waren die schweizerischen In- teressen grundsätzlich als Folge von wirt- schaftspolitischen Eingriffen seitens der EU betroffen.

Zweitens ist bemerkenswert, dass die meisten Handelsverzerrungen aus Sub- ventionen und Staatshilfen resultierten.

Denn bis anhin war die EU stolz auf ihren Ruf als Hardliner bezüglich Staatshilfen.

Die Ergebnisse dieser Arbeit – und dieje- nigen anderer Wissenschaftler – bringen Risse in dieses Bild: Gleich nach Beginn der Wirtschaftskrise hat die EU die Regeln zur Staatshilfe aufgehoben. Erst in jüngster Zeit wurde versucht, diese wieder aufzu- richten.

Der Umstand, dass ein solches Re- gime in einer akuten wirtschaftlichen An- spannung überhaupt aufgehoben werden konnte, sagt viel über den Wert der Han- delsregeln aus. In der Krise waren es die Regeln – nicht die Regierungen –, die sich beugten.

Als eine kleine und offene Volkswirt- schaft ist die Schweiz auf den Zugang zu ausländischen Märkten angewiesen, und mit ihrer liberalen Handelspolitik trägt sie zum globalen Wirtschaftswachstum bei.

Allerdings zeigen die Forschungsergeb- nisse, dass unsere Erwartungen bezüglich des Schutzes von Freizügigkeitsabkom- men von den Interessen der Unterzeich- nenden in schwierigen wirtschaftlichen Situationen abhängen.

GLOBAL TRADE ALERT (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Schweiz als kleine und offene Volkswirtschaft stark betroffen

Wie wirken sich diese Beobachtungen auf die Effektivität der Wirtschaftsabkom- men zwischen der Schweiz und der EU aus? Haben die Abkommen den «Stress- test» der Wirtschaftskrise überstanden?

Dass die bilateralen Abkommen ihre Wirkung durchwegs verfehlt haben, kann aufgrund der Beobachtungen natürlich nicht behauptet werden. Dennoch lassen sie gewisse Vermutungen in diese Rich- tung zu: Erstens widerspricht die Behaup- tung, die bilateralen Abkommen hätten die schweizerischen Handelsinteressen

Simon J. Evenett

Professor für internationalen Handel und wirtschaftliche Entwicklung, Universität St. Gallen; Koordinator der Datenbank Global Trade Alert

160 In Mrd. Dollar Franken-Euro-Wechselkurs 1,8

1,6

1,4

1,2

1 80

-80

-160 0

  Total Schweizer Exporte in die EU         Total Handelsbilanzdefizit der Schweiz gegenüber der EU         Durchschnittlicher Franken-Euro-Wechselkurs (rechte Skala)

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Abb. 2: Anzahl schädliche und begünstigende EU-Massnahmen seit 2008

GLOBAL TRADE ALERT (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

  Neue Handelsverzerrungen          Handelsverzerrungen immer noch in Kraft          Neue liberalisierende Massnahmen         Begünstigende Reformen immer noch in Kraft

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

150

100

50

0

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