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Stärkste Stützung der Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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CORONAPOLITIK

48 Die Volkswirtschaft   6 / 2021

Stärkste Stützung der Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg

Der Bund stützt die Wirtschaft in der Pandemie mit einem historischen Stützungspaket.

Nach der Finanzkrise 2009 zeigte sich, dass die damaligen Massnahmen ihre Wirkung teils prozyklisch entfalteten. Wiederholt sich die Geschichte?  Christoph A. Schaltegger, Lukas Mair

S

eit Anfang 2020 hat die Corona-Pande- mie die Welt fest im Griff. Während zu- nächst die gesundheitlichen Auswirkungen der Krise im Zentrum der politischen Debatte standen, haben im Pandemieverlauf die wirt- schaftlichen Folgen zunehmend an Bedeu- tung gewonnen. So rechnet der Internationa- le Währungsfonds (IWF) für das Jahr 2020 mit einem Einbruch der weltweiten Wirtschafts- leistung von 3,5 Prozent. Für die Schweiz schätzte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) das Minus auf 2,9 Prozent.1

Um in der Krise die Angebots- und die Nachfrageseite zu stützen, haben Bund und Kantone Stützungsmassnahmen von histo- rischem Ausmass beschlossen. Aus ökono- mischer Sicht stellen sich daher zwei Fragen:

Sind die Ausgaben angemessen? Und: Wel-

1 Seco (2021).

Abstract    Um in der Corona-Pandemie die Wirtschaft zu stützen, hat die Schweiz das umfangreichste Stützungspaket seit dem Zweiten Weltkrieg geschnürt. Auch im internationalen Vergleich ist das Ausmass der Hilfe angesichts des weniger starken wirtschaftlichen Einbruchs umfangreich. Rückblickend zeigte sich in der Finanzkrise 2009, dass die damals beschlossenen Massnahmen teils verspätet griffen – und so- mit prozyklisch wirkten. Weitere Stützungsmassnahmen sollten sorgfältig mit ihren potenziellen Kosten abgewogen werden.

chen Beitrag soll und kann die Schweizer Fis- kalpolitik zur Stabilisierung der Konjunktur leisten?

In einer aktuellen Studie berechneten wir erstens den Fiskalimpuls des Bundes für sämt- liche Rezessionsperioden seit dem Zweiten Weltkrieg.2 Insgesamt hat die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg acht Rezessionspha- sen durchlebt: Die erste Rezession der Nach- kriegszeit trat 1958 auf. In den Jahren 1975, 1976 und 1982 führten Ölpreisschocks zu Wirtschaftseinbrüchen. Wegen des Zweiten Golfkriegs brach die Schweizer Wirtschaft im Jahr 1991 ein, und 1993 war von einer Immobi- lienkrise geprägt. Nach der Jahrtausendwen- de löste der Dritte Golfkrieg 2003 eine Rezes- sion aus. 2009 beendete die Finanzkrise den Aufschwung. Im Jahr 2020 schliesslich folgte

2 Schaltegger und Mair (2021).

die Corona-Pandemie. Zweitens ermittelten wir das Volumen des Schweizer Stützungs- pakets im internationalen Vergleich anhand von Daten des IWF.

Fast 100 Milliarden Franken

Zur Einschätzung des Umfangs der Corona- Massnahmen berücksichtigen wir die soge- nannten Fiskalimpulse des Bundeshaushalts sowie der Sozialversicherungen seit 1951. Ein Fiskalimpuls beschreibt die Veränderung der Primärbilanz im Vergleich zum Vorjahr. Die Primärbilanz bezeichnet die Differenz zwi- schen Einnahmen und Ausgaben des Bundes exklusive Zinszahlungen. So führt beispiels- weise eine Abnahme der Steuereinnahmen zu einer Verschlechterung der Primärbilanz – und damit zu einem negativen Fiskalimpuls.

Dasselbe gilt, wenn die Ausgaben steigen.

Zur Bewältigung der Corona-Krise sind auf Bundesebene Gelder in der Höhe von über 97 Milliarden Franken eingeplant. Dies ent- spricht 13,8 Prozent des BIP3 des Jahres 2020, wobei diese Gelder allerdings für den ge- samten Pandemieverlauf zur Verfügung ge- stellt werden, also nicht nur für 2020. Die

3 EFV (2021).

Abb. 1: Fiskalimpuls und BIP-Wachstum auf Bundesebene (1951–2020)

BSV (2020), EFV (VERSCHIEDENE JAHRGÄNGE), SECO (VERSCHIEDENE JAHRGÄNGE), BERECHNUNG DER AUTOREN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Wenn Impuls und Wirtschaftswachstum in die gleiche Richtung zeigen, liegt eine antizyklische und damit konjunkturstützende Fiskalpolitik vor. Sind sie entgegenge- setzt, handelt es sich um eine prozyklische, konjunkturverschärfende Fiskalpolitik. Ein negativer Fiskalimpuls beschreibt eine Verschlechterung der Primärbilanz, ein positiver eine Verbesserung. Interaktive Grafik in der Webversion verfügbar.

Reales BIP-Wachstum in Prozent 10 6 Fiskalimpuls in Prozent des BIP

5 3

1951 1961 1971 1981 1991 2001 2011

0 0

–5 –3

–10 –6

  Fiskalimpuls Bundeshaushalt (linke Skala)         Fiskalimpuls Sozialversicherungen (linke Skala)         Reales BIP-Wachstum (rechte Skala)

2020

(2)

CORONAPOLITIK

Die Volkswirtschaft   6 / 2021 49 97 Milliarden Franken setzen sich aus den bis-

her bewilligten Massnahmen von knapp 54 Milliarden Franken sowie aus den eingeplan- ten Bürgschaften, Garantien und Härtefall- hilfen zur Krisenbewältigung in der Höhe von knapp 43 Milliarden Franken zusammen. Von den bewilligten Ausgaben für das Jahr 2020 in der Höhe von etwa 31 Milliarden Franken wurden 15 Milliarden Franken auch tatsäch- lich realisiert.

Damit ist das Stützungspaket weit um- fangreicher als die im Zuge der Finanzkri- se von 2009 beschlossenen Stabilisierungs- massnahmen. Inklusive der Hilfe für die Schweizer Grossbank UBS entsprachen die- se 10,2 Prozent des damaligen BIP. Ohne die UBS-Garantie, die später zurückbezahlt wur- de, machten die Stabilisierungsmassnahmen im Jahr 2008 nur 0,4 Prozent des BIP aus.

Historisches Ausmass

Der historische Vergleich zeigt: Das Stabilisie- rungspaket zur Bewältigung der Corona-Krise stellt die weitaus umfangreichsten Massnah-

men des Bundes seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Entsprechend gross war im vergangenen Jahr auch der negative und angesichts der Re- zession damit antizyklische, konjunkturstüt- zende Fiskalimpuls, der auf Bundesebene 4,5 Prozent betrug. Davon stammen 3,1 Prozent- punkte vom Bundeshaushalt und 1,4 Prozent- punkte von den Sozialversicherungen (siehe Abbildung 1 und Tabelle).

Nicht nur im historischen, sondern auch im internationalen Vergleich stützt die Schweiz die Wirtschaft umfangreich. Zur Ver- gleichbarkeit betrachten wir hier die Zahlen des IWF, der das Schweizer Stabilisierungspa- ket per April 2021 auf 13,5 Prozent des BIP des Jahres 2020 schätzt.4 Der EU-Durchschnitt liegt bei 15,2 Prozent, wobei es grosse Unter- schiede zwischen den einzelnen Staaten gibt (siehe Abbildung 2). Italien verzeichnete im Jahr 2020 beispielsweise einen BIP-Rückgang von 8,9 Prozent und hat ein Paket im Umfang von 43,8 Prozent des BIP geschnürt. In Ja- pan beträgt der BIP-Anteil des Stützungspa- kets sogar 44,2 Prozent. Norwegen hingegen weist nur einen BIP-Rückgang von 0,8 Pro-

4 IWF (2021).

zent auf – trotzdem hat es die Wirtschaft bis- her mit einem Paket im Umfang von 8,5 Pro- zent des BIP gestützt.

Neben dem Umfang der Konjunktur- stabilisierung interessiert auch, ob es sich bei den Stützungsmassnahmen um «auto-

Historischer Vergleich der Stabilisie- rungsmassnahmen auf Bundesebene (1975–2020)

Zeitpunkt Ausgaben

(Mrd. Fr.) % BIP Fiskal- impuls

1975 2,10 1,4% 1,3%

1978 0,12 0,1% 0,7%

1983 0,90 0,4% 0,0%

1993 0,30 0,1% 1,6%

1997 0,48 0,1% 0,8%

2008 2,10

(62,10) 0,4%

(10,2%) 0,6%

2020 54,10

(97,10) 7,6%

(13,7%) 4,5%

Die Werte in den Klammern enthalten zusätzlich Garantien und Bürgschaften.

SCHALTEGGER UND MAIR (2021), BASIEREND AUF SCHALTEGGER UND WEDER (2010) SOWIE BALASTÉR (2009) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Die Corona-Krise dauert an: Bundespräsident Guy Parmelin im April 2021 am Flughafen Zürich.

KEYSTONE

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CORONAPOLITIK

50 Die Volkswirtschaft   6 / 2021 Literatur

Balastér, P. (2009). Die konjunkturpolitisch motivierte Finanzpolitik des Bundes seit 1975, Die Volkswirtschaft, 82, S. 26–30.

EFV (2021). Covid-19: Auswirkungen auf die Bundesfinan- zen, April.

IWF (2021). Fiscal Monitor Database of Country Fiscal Measures in Response to the COVID-19 Pandemic, April.

Schaltegger, C. A. und Mair, L. (2021). Ist die Finanzpolitik der Schweiz in der Coronakrise zurückhaltend? IFF-HSG Working Paper No. 2021–2.

Schaltegger, C. A. und Weder, M. (2010). Fiskalpolitik als antizyklisches Instrument? Eine Betrachtung der Schweiz. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 11(2), S.

146–177.

Seco (2021). Bruttoinlandprodukt im 4. Quartal 2020: Die Erholung wurde ausgebremst, Februar.

Spilimbergo, A., Symansky, S., Blanchard, O. und Cottarelli, C. (2009). Fiscal Policy for the Crisis. CESifo Forum.

Taylor, J.B. (2009). The Lack of an Empirical Rationale for a Revival of Discretionary Fiscal Policy. CESifo Forum.

Christoph A. Schaltegger Professor für Politische Ökonomie, Universität Luzern, Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft und Finanzrecht, Universität St. Gallen

Lukas Mair

Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Ökonomie, Universität Luzern

Abb. 2: Corona-Massnahmen und BIP-Rückgang in ausgewählten Staaten (2020)

matische» Ausgaben – wie etwa Arbeitslo- sengelder – oder um speziell von Bundesrat und Parlament beschlossene Ausgaben han- delt. Letztere bezeichnet man als «diskretio- näre» Fiskalausgaben.

Diese Unterscheidung ist von Bedeu- tung: Bereits während der Finanzkrise 2009 warnte der US-Ökonom John B. Taylor in einem Beitrag des CESifo-Forums vor der potenziell geringen Wirkung diskretionärer Fiskalpolitik und der Gefahr eines langfristi- gen Schuldenanstiegs.5 Er stellte sich damit gegen die damals vorherrschende Ansicht, dass es zur Bewältigung der Finanzkrise eine expansive Ausgabenpolitik brauche. Die- se Meinung wurde in der gleichen Ausgabe des CESifo-Forums von den Ökonomen An- tonio Spilimbergo, Steve Symnasky, Olivier Blanchard und Carlo Cottarelli vertreten.6 Im

5 Taylor (2009).

6 Spilimbergo et al. (2009).

Rückblick lag Taylor richtig, weil auch in der Finanzkrise viele diskretionäre Massnahmen erst dann realisiert werden konnten, als die Rezession bereits vorbei war.

Lehren aus der letzten Krise

Auch die Schweiz verfolgte während der Fi- nanzkrise 2009 eine ungewollt prozyklische Finanzpolitik, wie unsere Berechnungen zei- gen. Obwohl im Jahr 2008 Stabilisierungs- massnahmen beschlossen wurden, wirkte die Fiskalpolitik in den Jahren 2009 und 2010 konjunkturverstärkend. Der Grund liegt in der zeitlichen Verzögerung der Stabilisie- rungsmassnahmen. Diese entfalteten ihre Wirkung erst im Jahr 2010, als die Rezession bereits überwunden war. So verschlech- terte sich 2010 die Primärbilanz trotz Wirt- schaftswachstum. Anders bei den automa- tischen Stabilisatoren: Die Sozialversiche- rungen konnten ihre Wirkung zeitgerecht

entfalten, was sich unter anderem am ne- gativen Impuls der Sozialversicherungen im Jahr 2009 offenbart.

Die Geschichte könnte sich mit Coro- na wiederholen: Auch diesmal nehmen die diskretionären Massnahmen mit einem An- teil von rund der Hälfte am gesamten Impuls einen bedeutenden Anteil der Finanzpolitik ein. Ob sich die Massnahmen erneut prozy- klisch auswirken werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen.

Klar ist: Die Notwendigkeit einer aktiven Finanzpolitik in Rezessionen ist unbestrit- ten. Dennoch sollten weitere Massnahmen sorgfältig mit ihren potenziellen Kosten ab- gewogen werden. Neben einem permanen- ten Ausgabenanstieg betrifft dies auch die zeitlich verzögerte Wirkung der beschlos- senen Massnahmen. Hier gilt es von den Erfahrungen der letzten Wirtschaftskrise zu lernen.

IWF (2021), OECD (2021), SECO (2021) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Gr

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Schwede ed d

Spanien

Italien

Japan USA

Norwegen Schweden

Finnland

Niederlande

Schweiz Dänemark Kanada

Belgien Österreich

Griechenland Frankreich

Deutschland Grossbritannien

Stützungsmassnahmen in % des BIP 10

7,5

5

2,5

0 5 10 15 20 25 30 35 40

BIP-ckgang 2020, in %

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