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Archiv "Arzneimittel und Fahrsicherheit" (07.08.2006)

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A2104 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 31–32⏐⏐7. August 2006

S

eit Jahrzehnten ist bekannt, dass unter der Wirkung von Arzneimitteln das für die Fahrsicherheit relevante Verhal- ten und die psychophysischen Lei- stungen vermindert sein können.

So hat – um nur ein Beispiel zu nennen – die Bundesärztekammer bereits 1964 ein „Merkblatt über die Einschränkung der Verkehrs- tüchtigkeit durch Arzneimittel“

veröffentlicht. Die epidemiologi- schen Studien der letzten Jahre versuchen diese Gefahr quantita- tiv zu fassen. So schätzt man den Anteil der durch Medikamenten- wirkung verursachten oder mit- verursachten Unfälle auf drei bis zehn Prozent. Fall-Kontroll-Studien, Verur- sacheranalysen und pharmakoepide- miologische Studien haben gezeigt, dass von allen Arzneimittelwirkstof- fen Benzodiazepine am häufigsten bei Unfällen eine Rolle spielen, wobei die häufigste Einzelsubstanz Diazepam ist. Für Benzodiazepine wird ein bis fünffach erhöhtes, für Antidepressiva und Antihistaminika ein ein- bis zu zweifach erhöhtes Unfallrisiko ge- nannt (1–3). Eine Differenzierung die- ser Angaben nach bestimmungs- gemäßer Einnahme im Gegensatz zum

missbräuchlichem Konsum ist bis heu- te anhand der publizierten epidemio- logischen Studien nicht möglich.

Verkehrsmedizinisch relevante Medikamentengruppen

Aufgrund der Pharmakodynamik und basierend auf anderen Klassifikations- versuchen, haben die Autoren 1983 ei- ne Liste verkehrsmedizinisch bedeut-

samer Arzneimittel zusammenge- stellt (Tabelle) (4), die später un- ter anderem von der Bundesärzte- kammer übernommen wurde.

Die Durchsicht der Stoffgrup- pen zeigt, dass entweder bereits die erwünschte Wirkung einen ne- gativen Einfluss auf die Fahrlei- stung erwarten lässt (unter ande- rem bei Narkosemitteln, Ophthal- mika, Schlafmitteln, Stimulanzi- en) oder dass aufgrund der Be- gleitsymptomatik – speziell der Sedierung – diesen Substanzklas- sen besondere Relevanz zukommt (4–14). Speziell für in der Haupt- oder Nebenwirkung sedierende Wirkstoffe wurde in experimentellen Studien dokumentiert, dass die mei- sten Leistungen, die zum sicheren Führen eines Fahrzeugs erforderlich sind, vermindert sein können (6). So sind unter anderem negative Wirkun- gen zu erwarten auf visuelle Funk- tionen (unter anderem Sehschärfe, Adaptation, komplexe Wahrnehmun- gen), Aufmerksamkeit, Konzentrati- on, Vigilanz, Reaktion (Einfachreak- tion, Wahlreaktion), Psychomotorik (Feinmotorik, Grobmotorik, motori- sches Tempo), Auge-Hand-Koordina- tion, Informationsverarbeitung sowie

Arzneimittel und Fahrsicherheit

Günter Berghaus, Herbert Käferstein, Markus A. Rothschild

Zusammenfassung

Die Anforderungen an das Verhalten und die psychophysische Leistungsfähigkeit von Kraft- fahrern werden in Anbetracht der heutigen technischen Möglichkeiten, wie der Fahrerassi- stenzsysteme, immer komplexer, sodass bereits geringe Leistungsdefizite zu gravierenden Fol- gen führen können. Unter der Wirkung vieler Arzneimittel sind Leistungseinbußen zu mes- sen, die zu Beginn der Therapie denen einer Alkoholisierung von mehr als 0,5 Promille entsprechen können. Eine optimale Arznei- mitteltherapie sollte dementsprechend auch Überlegungen zu fahrrelevanten negativen Ne- benwirkungen der verschriebenen Präparate beinhalten und muss praktikable Hinweise an den Patienten im Hinblick auf seine Fahrsicher- heit umfassen. Die Bedeutung dieser Forde- rung leitet sich unter anderem daraus ab, dass

bei fehlerhaftem Verhalten des Arztes oder des Patienten rechtliche Konsequenzen drohen.

Die Übersicht fasst die Determinanten für das Ausmaß der Leistungsminderungen zusam- men, gibt Hinweise für eine Optimierung des Therapiebeginns unter dem Aspekt der Fahr- sicherheit und zeigt auf, welche Handlungs- alternativen dem Arzt bei uneinsichtigen Pati- enten offen stehen.

Schlüsselwörter: Arzneimittelverordnung, Fahr- tüchtigkeít, unerwünschte Arzneimittelwirkung, Verkehrssicherheit, Schweigepflicht

Summary

Drugs and driving performance

The range of technological options in modern cars make great demands on a driver's perfor-

mance, both physically and psychologically.

Even small deficits in performance may result in serious crashes. In addition, common medications can impair human performance, to a degree equivalent to a blood alcohol con- centration of more than 0,05 one-tenth of a per cent. Prescribing practice must take ac- count of potential effects on driving, or on skills relevant to driving, and should include patient information on how to manage the si- tuation safely. Neglecting this responsibility can result in legal consequences both for phy- sician and patient. This review discusses the safe integration of pharmacological treat- ment, including considerations of dose, treat- ment initiation, and advice on how to deal with unreasonable patient attitudes.

Key words: drug prescribing, driving capability, side effect, road safety, professional discretion

Institut für Rechtsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Mar- kus A. Rothschild), Klinikum der Universität zu Köln

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auf Verhaltensparameter (Aggression, Sozialverhalten). Zusätzlich sind die in den Beipackzetteln dargestellten unerwünschten seltenen Nebenwir- kungen und Wechselwirkungen im Hinblick auf Fahrsicherheit zu berück- sichtigen.

Selbstverständlich gibt es weitere Medikamentengruppen, durch die ei- ne sichere aktive Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen ist, wie etwa Chemotherapeutika oder Anti-Parkinsonmittel. Doch ist die Prävalenz in der Bevölkerung nicht hoch beziehungsweise die leistungs- mindernde Wirkung der Krankheit selbst oder die Nebenwirkungen der Medikationen sind so gravierend, dass die Patienten von sich aus auf das Führen eines Fahrzeugs verzichten.

In der Tabelle sind einige Hinweise zu wirkstoffabhängigen Unterschie- den in der Leistungsminderung ge- nannt. Im Rahmen dieses Beitrags ist es jedoch nicht möglich, differenziert auf einzelne Krankheitsbilder, wie Epilepsie, oder Patientengruppen, bei- spielsweise Methadonpatienten, ein- zugehen. Bei einer derartigen Darstel- lung müsste neben der Fahrsicherheit auch die Fahreignung angesprochen werden und die entsprechenden, sich

zum Teil widersprechenden Resultate der experimentellen und epidemiolo- gischen Forschung im Hinblick auf die verschiedenen medikamentösen The- rapien müssten adäquat diskutiert werden.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass mehr noch als die einzelnen Medika- mentengruppen verschiedene Einfluss- faktoren Art, Intensität und Dauer von Leistungs- und Verhaltensdefiziten be- stimmen.

Determinanten des Wirkprofils

Eine pauschale Bewertung eines ein- zelnen Wirkstoffs – etwa in dem Sinne, dass bei einer definierten Dosis die Fahrsicherheit für eine bestimmte Zeitspanne eingeschränkt wird – ist nicht möglich. Vielmehr muss indivi- duell in Abhängigkeit von der Kon- stellation der einzelnen, im Folgenden kurz skizzierten Determinanten eine Einschätzung getroffen werden.

Zugrunde liegende Erkrankung Grundsätzlich ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Symptome vieler

Krankheiten auch leistungsmindernde Komponenten beinhalten, sodass die Fahrsicherheit bei derartigen Krank- heitsbildern deutlich eingeschränkt sein kann (körperliche Mängel im Sin- ne des § 315c StGB). Eine adäquate medikamentöse Therapie wird auch die Fahrsicherheit bei negativen Sym- ptomen verbessern. Im deutlichen Ge- gensatz zu anderen psychotrop wir- kenden Substanzen, wie etwa Alkohol und Drogen, beinhaltet eine Arznei- mitteltherapie in Abhängigkeit von Art und Schwere der Krankheit daher primär eine potenzielle Besserung des Leistungsspektrums.

Therapiephase

Die kritischste Situation ist der Thera- piebeginn – speziell die erste Einnah- me – bei der die optimale Dosis noch nicht gefunden ist, sich somit negative Aspekte der Krankheitssymptomatik und positive Effekte der Medikation noch nicht ausgleichen und bei dem die Leistungseinbußen in Abhängig- keit von der Kinetik zeitabhängig noch sehr deutliche Schwankungen aufweisen. Eine sinnvolle medika- mentöse Gestaltung des Therapiebe- ginns kann dementsprechend Gefah-

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´ Tabelle ´ 1 1

Verkehrsmedizinisch relevante Arzneimittelgruppen

Hauptgruppe Bemerkungen*

Narkosemittel, nur ambulante Behandlung verkehrsmedizinisch relevant; Lokalanästhetika: kurzfristige Leistungsminderungen;

Lokalanästhetika Narkosemittel: wenige Stunden, in Kombination mit Benzodiazepinen länger

Hypnotika/ kurzfristig wirkende Einschlafhilfen (u. a. Brotizolam) vor dem Schlafen: keine Gefahr; Konsum tagsüber und Sedativa längerfristig wirkende Substanzen (u. a. Flunitrazepam, Nitrazepam): bis zu 24 h

Psychopharmaka Antidepressiva: tri- und tetrazyklische deutliche Leistungseinbußen; andere (u. a. Fluoxetin, Paroxetin) gering;

Neuroleptika: deutliche Beeinträchtigungen, Grunderkrankung wesentlich im Hinblick auf Fahrsicherheit- und -eignung;

Tranquillanzien: geringe Einschränkung (u. a. Clobazam) bis hin zu Langzeiteinschränkungen (u. a. Diazepam) Antiepileptika Sedierung unterschiedlich stark; Fahreignung ist an Voraussetzungen geknüpft

Antihistaminika gering bzw. nicht leistungsmindernd (u. a. Astemizol, Loratadin, Terfenadin) bis hin zu ausgeprägt sedierend (u. a. Diphenhydramin, Ketotifen)

Analgetika meist keine Einschränkungen bei nichtmorphinartig wirkenden Substanzen (u. a. Salicylate, Paracetamol);

deutliche Wirkungen bei Opiaten und Opioiden

Stimulanzien primär Gefahr aus übersteigertem Antrieb, Selbstüberschätzung, Unruhe

Antihypertonika unterschiedlicher Grad von Leistungsdefiziten: ACE-Hemmer, Vasodilatatoren gering bis β-Rezeptorenblocker und α-Blocker deutlicher

Antidiabetika speziell in der Einstellungsphase Gefahren, später durch hypo- und hyperglykämische Zustände Ophthalmika speziell Substanzen mit Pupillenerweiterungen und Pupillenverengung bergen Gefahren

*Pauschale Angaben, zumeist für den Beginn der Therapie. Wesentlicher sind die im Text beschriebenen Einflussfaktoren auf Dauer und Intensität der Wirkung. Differenziertere Angaben in (6, 7, 13, 14)

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ren deutlich reduzieren. Ist der Patient einige Zeit an das Medikament ge- wöhnt, sind anfängliche Leistungsein- bußen teilweise so weit reduziert, dass eine verantwortungsvolle Teilnahme am Straßenverkehr möglich ist. Zu Beginn der Therapie sind dagegen bei vielen Wirkstoffgruppen Leistungs- mängel zu beobachten, die denen ei- ner Alkoholisierung von mehr als 0,5 Promille entsprechen (15).

Wirkstoff

Die individuellen Wirkstoffe inner- halb der einzelnen Gruppen weisen teilweise ein sehr unterschiedliches Gefahrenpotenzial auf. So ist in der Gruppe der Benzodiazepine unter Mi- dazolam mit einer wesentlich kürze- ren Dauer und Intensität der Ein- schränkung zu rechnen als etwa unter Flunitrazepam oder Flurazepam. Spe- ziell bei den Antihistaminika spielt das Sedierungspotenzial der einzelnen Wirkstoffe eine wesentliche Rolle. So bewirkten in Experimenten Loratadin und Terfenadin keine fahrrelevanten Leistungseinbußen im Gegensatz etwa zu den ausgeprägt sedierenden Sub- stanzen wie unter anderem Diphenhy- dramin (6, 7, 11).

Dosis

Die experimentellen Studien belegten erwartungsgemäß einen deutlichen Einfluss der Dosis. Je höher die Dosis bei Einmalapplikation, desto deutli- cher sind die Leistungseinbußen, aber auch Dosisänderungen nach der Dosis- einstellung bergen Gefahren. Darüber hinaus determiniert die Applikations- art das Wirkungsprofil: So sind nach intravenöser Gabe kurzfristigere und deutlichere Leistungseinbußen festzu- stellen als etwa nach oraler Aufnahme mit längerer Resorptionszeit.

Zeitpunkt der Fahrt

Die Zeitspanne zwischen Applikation und Leistungsanforderung ist zu Beginn der Therapie von besonderer Bedeu- tung: Die maximale Leistungseinschrän- kung ist im Bereich der maximalen Wirkstoffkonzentration zu erwarten.

Analog wie bei Alkohol lässt sich aus

den experimentellen Studien der Schluss ziehen, dass während der Re- sorption die Leistungseinbußen höher sind als während der Elimination („An- flutungswirkung“). Im Gegensatz zur einmaligen Applikation besteht dieser Gegensatz bei längerer Therapiedauer nicht mehr, weil infolge langer Elimina- tionshalbwertzeiten die Wirkstoffe ku- mulieren und eine konstantere Wirk- stoffkonzentration erreicht wird.

Patientenspezifische Faktoren

Offensichtlich ist auch, dass patienten- spezifische Faktoren, wie etwa die psy- chische und physische Situation sowie die individuelle Reaktion auf den Wirk- stoff Art, Dauer und Intensität von Lei- stungseinbußen determinieren. Speziell die mit dem Lebensalter zunehmende Krankheitshäufigkeit und Chronifizie- rung, die Multimorbidität sowie die re- duzierte Anpassungsfähigkeit werden bei Einnahme von zumeist mehreren Medikamenten verstärkend auf die Lei- stungseinbußen wirken. Bei mangelnder Compliance des Patienten, beispielswei- se bei eigenständiger Dosisänderungen oder kurzfristigem Absetzen der Medi- kation, ist das Ausmaß der Leistungsein- bußen unvorhersehbar.

Weitere Einflussfaktoren sind aus der Pharmakologie bekannte, kine- tikverändernde Einflüsse, die die be- absichtigte Wirkung des Arzneimittels verändern.

Zusätzlicher Konsum psychotroper Substanzen

Schließlich wird bei Einnahme zusätzli- cher psychotrop wirkender Substanzen – sei es Alkohol, seien es Drogen oder andere Medikamente – im Allgemei- nen eine additive, wenn nicht überaddi- tive Wirkung im Hinblick auf die psy- chophysische Leistungsfähigkeit zu er- warten sein.

Medikamentöse Therapie aus Sicht des Patienten

Aus Sicht des Patienten besteht nach der Rechtsprechung die Pflicht zur Selbstprüfung seiner Leistungsfähig- keit vor Antritt der Fahrt. Das schließt

die Information über eventuelle Lei- stungsmängel unter Medikamenten- wirkung, beispielsweise über den Bei- packzettel der Arzneimittel, ein. Ist der Patient auf das Führen eines Fahr- zeugs angewiesen, sollte er dies dem Arzt gegenüber äußern, sodass die Präparate entsprechend gewählt wer- den und Einnahme- und Fahrzeiten unter Umständen sinnvoll abgestimmt werden können. Der Patient sollte nur nach Rücksprache mit dem Arzt die Dosis ändern oder die medikamentöse Behandlung unterbrechen. Besondere Vorsicht ist bei Konsum zusätzlicher psychotroper Substanzen geboten.

Hegt der Patient Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit, sollte er auf das Führen eines Fahrzeugs verzichten.

Aus rechtlicher Sicht ist der Patient trotz korrekter Einnahme eines vom Arzt verschriebenen Medikamentes im Rahmen seiner aktiven Straßen- verkehrsteilnahme prinzipiell mit dem Straßenverkehrsrecht, dem Strafrecht, dem Versicherungsrecht sowie dem Verwaltungsrecht konfrontiert. Wer- den die vom Arzt verordneten Medi- kamente vorschriftsmäßig bezüglich Dosis und Einnahmezeiten eingenom- men, ist eine Ahndung nach § 24a StVG (Ordnungswidrigkeit) nicht zu befürchten. Das heißt, sollte der Pati- ent von der Polizei kontrolliert wer- den, ohne dass eine unsichere Fahr- weise oder ein unsicheres Verhalten im zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt besteht, ist der Ordnungswidrig- keitentatbestand nicht erfüllt, selbst wenn eine der in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführte Substanz als Medi- kament eingenommen und im Blut nachgewiesen wurde, wie morphinhal- tige Schmerzmittel oder Dronabinol (Tetrahydrocannabinol).

Ein Arzneimittelprivileg wie im § 24a StVG gibt es im Strafrecht nicht. Ein Patient wird gemäß § 316 StGB (Ka- sten) bestraft, wenn er ein „berauschen- des Mittel“ einnimmt und unsicher fährt. Berauschende Arzneimittel wir- ken ähnlich dem Alkohol und führen insbesondere zur Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens oder der intel- lektuellen oder motorischen Fähigkei- ten. Eine Ahndung gemäß § 315c StGB erfolgt, wenn durch den Konsum eines Arzneimittels, beispielsweise fahrrele- A

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vante Nebenwirkungen oder ein geisti- ger und körperlicher Mangel eintreten und hierdurch Leib oder Leben anderer Personen oder Sachen von bedeuten- dem Wert gefährdet werden. Im Gegen- satz zum Alkohol, bei dem bei 1,1 Pro- mille die „absolute Fahrunsicherheit“

festgelegt ist, gibt es für Medikamen- tenwirkstoffe zurzeit keine Grenzwer- te, ab denen generell eine Fahrunsicher- heit angenommen werden kann. Für den konkreten Fall muss als Vorausset- zung für eine Verurteilung nachgewie- sen werden, dass der Wirkstoff im Blut vorhanden ist und dass die gezeigten Auffälligkeiten durch die Wirkung der eingenommenen Substanz erklärt wer- den können. Als Sanktionen sind in der Regel eine Geldstrafe in Höhe von min- destens einem Monatsgehalt sowie ein Führerscheinentzug für mindestens sechs Monate zu erwarten. Besteht der Verdacht auf Medikamentenmiss- brauch oder -abhängigkeit, wird die Fahrerlaubnis aus verwaltungsrechtli- cher Sicht erst dann wiedererteilt, wenn eine medizinisch-psychologische Un- tersuchung (MPU) erfolgreich absol- viert wurde.

Eine Verurteilung wegen Fahrunsi- cherheit unter Medikamentenwirkung wird im Allgemeinen auch Konse- quenzen versicherungsrechtlicher Art haben. So können Unfall- und Kasko- versicherungen Zahlungen verwei- gern und Haftpflichtversicherungen Regress von den Patienten verlangen.

Medikamentöse Therapie aus ärztlicher Perspektive

Eine verantwortungsvolle medika- mentöse Therapie sollte die üblicher- weise zu erwartenden negativen Wir- kungen auf das Verhalten und die psy- chophysische Leistungsfähigkeit des Patienten berücksichtigen. In Kenntnis der Einflussfaktoren auf das Ausmaß von Leistungseinbußen, speziell der Gefahr zu Therapiebeginn und der Ge- fahr überhöhter Dosen oder Dosisän- derungen empfiehlt sich das im Folgen- den skizzierte Prozedere (5, 7, 16).

Der Entscheidungsprozess sollte darauf basieren, wie häufig und wann der Patient ein Fahrzeug führt. Die medikamentöse Therapie soll selbst-

verständlich primär optimal auf den Patienten und seine Krankheit ausge- richtet sein und nicht etwa so gewählt werden, dass möglichst wenige fahrre- levante Leistungsminderungen zu er- warten sind. In den experimentellen Studien hat sich gezeigt, dass eine op- timale Therapie letztendlich auch die beste Therapie im Sinne möglichst ge- ringer Leistungsminderungen ist.

Wenn jedoch mehrere, therapeu- tisch gleichartige Optionen verfügbar sind, sollte das Präparat mit dem ge- ringsten Gefahrenpotenzial gewählt werden. Die Dosierung sollte ein- schleichend – zu Ende der Therapie ausschleichend – sein und, soweit es im individuellen Fall möglich ist, der The- rapiebeginn in die fahrfreie Zeit ge- legt und eine Applikation erst nach ei- ner eventuell notwendigen Fahrt emp- fohlen werden.

Aus ethischen Erwägungen und we- gen möglicher straf- und zivilrechtli- cher Konsequenzen ist die Auf- klärungspflicht des Arztes von wesent- licher Bedeutung. Diese Aufklärung muss grundsätzlich durch den Arzt mündlich erfolgen, der Hinweis auf die Gebrauchsinformation reicht nicht aus. Der Umfang der Aufklärung rich- tet sich, wie allgemein bei diagnosti- schen Eingriffen und Therapien, unter anderem nach den intellektuellen Fähigkeiten des Patienten und dem Ausmaß der Gefahr, die vom jeweili- gen Arzneimittel ausgeht. Da der Arzt

bei Schadensersatzforderungen beweis- pflichtig dafür ist, dass eine adäquate Aufklärung erfolgte, ist eine Doku- mentation in den Krankenunterlagen dringend angeraten. Aktuelle Daten zur Häufigkeit der Aufklärung durch Ärzte hinsichtlich der Fahrsicherheit sind den Autoren nicht bekannt. Älte- re Quellen nennen einen Median von 38 Prozent richtiger Anweisungen an die Patienten bezüglich verschiedener Krankheitsbilder (17). Eine andere Studie ergab, dass 80 Prozent der Pati- enten keine Kenntniss bezüglich mög- licher Nebenwirkungen hatten (18).

Stellt sich der Patient erneut in der Praxis vor ist es auch aus psychologi- schen Gründen sinnvoll, sich nach eventuellen Leistungsänderungen zu erkundigen. Bei nicht ausreichender Wirkung sollte nicht automatisch eine Dosiserhöhung erfolgen.

Nach Möglichkeit sollte eine simul- tane Verschreibung verschiedener psychoaktiver Substanzen vermieden werden. Die Verantwortung des Arz- tes beinhaltet darüber hinaus, dass er ausschließen sollte, dass der Patient von Kollegen bereits psychotrope Substanzen verschrieben bekommen oder sich selbst besorgt hat. Bei eini- gen Therapieformen, wie unter ande- rem der Methadonsubstitution, ist so- gar die Objektivierung eines mögli- chen Beigebrauchs Pflicht.

Bei schuldhafter Unterlassung oder ungenügender Aufklärung sind straf- und zivilrechtliche Folgen für den Arzt nicht auszuschließen. Strafrechtliche Konsequenzen können etwa aufgrund der Beihilfe zum Fahren unter Medi- kamentenwirkung drohen: beispiels- weise nach einer i.v.-Applikation eines sedierenden Medikamentes in der Praxis, die mit dem Hinweis an den Pa- tienten verbunden wird, nun schnell nach Hause zu fahren und sich hinzu- legen. Eine zivilrechtliche Haftung er- gibt sich aus der in den §§ 823 ff BGB kodifizierten Verschuldenshaftung bei Aufklärungs- und Informationsfeh- lern. Ist andererseits eine ausreichen- de Aufklärung erfolgt, ergibt sich aus juristischer Sicht kein weiterer Hand- lungsbedarf, selbst wenn der Arzt sei- nen Patient fahren sehen sollte.

Bei uneinsichtigen Patienten kann es dem Arzt allerdings ein ethisches Be- A

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§ 315c StGB (Gefährdung des Straßenver- kehrs)

„(1) Wer im Straßenverkehr 1. ein Fahrzeug führt, obwohl er a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen . . . und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft [. . .]“.

§ 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr)

„(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 351d) ein Fahr- zeug führt, obwohl er infolge des Genusses alko- holischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, [. . .]“.

Kasten

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dürfnis sein, weitere Maßnahmen zur Si- cherheit anderer Verkehrsteilnehmer zu ergreifen. Welche Möglichkeiten beste- hen hierzu unter Berücksichtigung der ärztlichen Schweigepflicht? Als wesent- liches Hilfsmittel steht die Meldung des Patienten bei der Straßenverkehrs- behörde zur Verfügung. Als Prozedere empfiehlt sich hierbei zunächst ein wie- derholter Hinweis an den Patienten, nicht unter Medikamentenwirkung zu fahren. Die Kenntnis über diesen Hin- weis sollte durch den Patienten schrift- lich bestätigt werden. Wünscht der Pa- tient eine Objektivierung seiner Fahr- unsicherheit, kann ihm ein privates Gut- achten bei einer medizinisch-psycholo- gischen Untersuchungsstelle empfohlen werden. Letztendlich ist eine Meldung bei der Verkehrsbehörde möglich. Dies ist dann ein sanktionsloser Bruch der Schweigepflicht, wenn man den Patien- ten vorher eindringlich darauf hinge- wiesen hat, dass man ihn melden werde und wenn sorgfältig die Interessen des Patienten gegenüber der Sicherheit an- derer Straßenverkehrsteilnehmer abge- wogen wurden (Prinzip der Rechtsgü- terabwägung, rechtfertigender Not- stand § 34 StGB). Die Verwaltungs- behörde wird ihrerseits eine Überprü- fung der Fahreignung veranlassen und nötigenfalls den Führerschein einzie- hen. Es ist nicht nur im Interesse der All- gemeinheit, sondern speziell auch im In- teresse des uneinsichtigen Patienten, wenn er vor den Gefahren des Straßen- verkehrs geschützt wird.

Schlussbemerkungen

Es steht außer Frage, dass der Nutzen ei- ner sinnvollen medikamentösen Thera- pie die Risiken in Form der Minderung der Fahrsicherheit überwiegt. Gerade zu Beginn einer Therapie, dem potenziell gefährlichsten Zeitraum, können durch geeignete Einnahmevorschriften, durch eine verantwortungsvolle Information sowie eine zeitliche Trennung von Fah- ren und Applikation seitens des Patien- ten die Risiken minimiert werden. Zu wünschen sind die Entwicklung von Präparaten ohne sedierende Nebenwir- kungen sowie detailliertere Informatio- nen für Arzt und Patient, zum Beispiel über die Dauer und das Ausmaß mögli-

cher Leistungseinbußen, in den Bei- packzetteln.

Manuskript eingereicht: 16. 8. 2005, revidierte Fassung angenommen: 14. 3. 2006

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(31–32): A 2104–9.

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120: 347–8.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. rer. biol. hum. Günter Berghaus Institut für Rechtsmedizin

Klinikum der Universität zu Köln Melatengürtel 60–62, 50823 Köln E-Mail: guenter.berghaus@uk-koeln.de

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Oft fragen Patienten nach einem operativen Eingriff, wann sie endlich wieder duschen können. In einer Studie aus Australien untersuchten die Autoren die In- fektionsraten nach kleineren Hauteingriffen. In einer Gruppe wurde die Wunde nach Eingriff für 48 Stunden trockengehalten, während in der anderen der Ver- band vorzeitig entfernt wurde, sodass nach 12 Stunden bereits wieder gebadet werden durfte. Die Infektionsrate lag mit 8,4 Prozent beziehungsweise 8,9 Pro- zent in einem sich nicht signifikant unterscheidenden Bereich. Inwieweit aller- dings diese in einem tropisch feuchten Klima erhobenen Daten auf Mitteleuro- pa übertragen werden können, muss offengelassen werden. w Heal C, Buettner P, Raasch B et al.: Can sutures get wet? Prospective randomized controlled trial of wound man- agement in general practice. Brit Med J 2006; 332: 1053–4.

Dr. C. Heal, 10 Sunset Beach Court, Shoal Point, Mackay, QLD 4750, Australien.

E-Mail: clarshal@hotmail.com

Wenn Nähte nass werden . . .

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