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Archiv "Therapie von Drogenabhängigen und AIDS-Patienten aus juristischer Sicht" (05.12.1997)

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Behandlungspflicht

Drogensucht und HIV-Infektion sind Krankheiten im Rechtssinne. Bei der Frage, ob der Arzt von Rechts we- gen verpflichtet ist, Patienten mit die- sen Krankheiten zu behandeln, sind die Regelbehandlung und die Notfall- behandlung zu unterscheiden. Auch muß zwischen der ambulanten Be- handlung und der Krankenhausbe- handlung sowie der Behandlung von Kassenpatienten und von Privatpati- enten unterschieden werden.

1. Regelbehandlung

Jeder niedergelassene Kassen- arzt und jeder Krankenhausarzt in öf- fentlich geförderten Krankenhäusern ist zur Regelbehandlung von Versi- cherten der Gesetzlichen Kranken- versicherung verpflichtet. Die Be- handlungspflicht des niedergelasse- nen Vertragsarztes ergibt sich auch ohne die Tatsache, daß ein Behand- lungsvertrag abgeschlossen ist, aus der Zulassung als Vertragsarzt. Sie bewirkt, daß der Vertragsarzt nicht nur zur Teilnahme an der ver- tragsärztlichen Versorgung berech- tigt, sondern auch verpflichtet ist (§ 95 Abs. 3 SGB V). Deshalb darf der Ver- tragsarzt die Behandlung eines Versi- cherten nur in begründeten Fällen ab- lehnen. Die Gründe kann er der Krankenkasse mitteilen (§ 13 Abs. 5 BMV-Ä). Die Behandlungspflicht stellt eine öffentlich-rechtliche Ver- pflichtung im Rahmen des Kranken- versicherungsrechts dar (1). Eine Be- handlungspflicht ergibt sich auch aus dem ärztlichen Berufsrecht. Zwar heißt es in § 7 Abs. 2 der Musterberufs- ordnung, daß der Arzt „– von Notfäl- len und besonderen Verpflichtungen abgesehen – . . . frei (ist), eine Be- handlung abzulehnen“ (2). Aus dieser Formulierung kann jedoch nicht ge- folgert werden, daß eine berufsrecht- liche Behandlungspflicht für den Arzt nicht besteht, weil auch zivilrechtlich Vertragsfreiheit (§ 305 BGB) besteht

(3). Denn „Aufgabe des Arztes ist es, . . . die Gesundheit . . . wiederherzu- stellen (und) Leiden zu lindern“ (§ 1 Abs. 2 MuBO). Dies hat nach dem Gebot der Menschlichkeit zu gesche- hen (§ 2 Abs. 1 MuBO). Der Arzt muß also immer behandeln, wenn er keinen vernünftigen Ablehnungs- grund hat.

Die Behandlungspflicht des nie- dergelassenen Kassen- und Privatarz- tes ergibt sich schließlich immer dann, wenn der Arzt mit dem Patienten ei- nen Behandlungsvertrag abschließt.

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß jeder nieder- gelassene Arzt verpflichtet ist, Dro- genabhängige oder AIDS-Patienten, die in die Praxis kommen, zu behan- deln. Wichtige Gründe, die den Arzt zur Ablehnung der Behandlung be- rechtigen, sind nur solche, die das per- sönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patienten betreffen. Gründe wirtschaftlicher oder gesundheitli- cher Art fallen darunter nicht, denn dem Arzt ist bereits bei Aufnahme seines Studiums bewußt, daß ihm re- gelmäßig höhere Gesundheitsgefah- ren drohen als dem Großteil der son- stigen Bevölkerung (4).

Der Krankenhausarzt in staatlich geförderten Krankenhäusern, priva- ten Krankenhäusern, Sanatorien oder sonstigen ärztlich geleiteten Einrich- tungen ist ebenfalls verpflichtet, Pati- enten zu behandeln. Dies folgt aus der Aufnahme- und Dienstverpflichtung der Krankenhäuser nach den Landes- krankenhausgesetzen der Bundeslän- der. Die Krankenhäuser haben ihre Aufnahme- und Dienstpflicht über die Anstellungsverträge mit den Ärzten auf die Ärzte verlagert. Dienstaufgabe des Arztes im Krankenhaus ist es, die in das Krankenhaus aufgenommenen Patienten zu behandeln (5).

Der Krankenhausarzt, der in Ne- bentätigkeit in der Ambulanz eines staatlich geförderten Krankenhauses tätig ist oder in privaten Krankenhäu- sern, Sanatorien oder ärztlich geleite- ten Einrichtungen arbeitet, ist eben-

falls verpflichtet, die Patienten zu be- handeln. Seine Behandlungspflicht folgt als öffentlich-rechtliche Behand- lungspflicht aus dem Berufsrecht.

2. Notfallbehandlung

Neben der ärztlichen Behand- lungspflicht zur Regelbehandlung hat jeder Arzt die Pflicht, in Notfällen zu helfen. Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hil- fe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach, näm- lich ohne erhebliche Eigengefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten, zuzumuten ist, macht sich strafbar (§ 323 c StGB). Diese allge- meine Hilfeleistungspflicht, die für jedermann gilt, hat für den Arzt be- sondere Bedeutung. Wenn ärztliche Hilfe erforderlich ist, muß er alles zu einer umfassenden Hilfe Erforderli- che tun.

Umfang der Behandlungspflicht

Der Arzt schuldet dem Patienten nicht die Wiederherstellung der Ge- sundheit, sondern die Erbringung ärztlicher Leistungen.

1. Die Behandlung von AIDS-Patienten

Der Arzt ist bei der Behandlung eines Patienten mit Verdacht auf AIDS zunächst einmal verpflichtet, hinreichend sicher festzustellen, daß der Patient HIV-positiv ist.

Hierzu ist medizinisch wohl nicht nur ein Test, sondern zumindest ein Wiederholungstest erforderlich (6).

Die Durchführung eines AIDS-Te- stes bedarf nach heute völlig herr- schender Auffassung der Zustim- mung des Patienten. Stimmt der Pati- ent lediglich der Blutentnahme und der sich daran anschließenden Blut- untersuchung zu, ohne daß der Arzt mitteilt, er wolle auch einen AIDS-

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Therapie von Drogenabhängigen

und AIDS-Patienten aus juristischer Sicht

Hans Kamps

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T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Test machen lassen, verstößt dies ge- gen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Die Blutentnahme stellt dann eine Körperverletzung dar. (7)

Steht fest, daß der Patient HIV- positiv ist, hat er gegenüber dem Arzt Anspruch auf Behandlung nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft. Dies bedeutet zwar, daß der Arzt den Patienten nicht hei- len kann, da es derzeit eine Heilung noch nicht gibt. Er kann seine Sym- ptome jedoch nicht unerheblich lin- dern. Medizinisch haben sich dabei wohl die Blockaden der Virusaufnah- me und der reversen Transkriptase nicht bewährt. Am besten wirken vielmehr das Acidothymidin (AZT) und das Didanosin (8). Zur Behand- lung ist der Arzt verpflichtet. Sie wird von den gesetzlichen Krankenkassen heute selbstverständlich bezahlt.

2. Die Behandlung von Drogenabhängigen

Zur Behandlungspflicht bei Dro- genabhängigen gehört zunächst eben- falls die Beratung. Der Arzt muß den Drogenabhängigen von der Notwen- digkeit überzeugen, daß er nur durch Entzug geheilt werden kann. Im Ent- zug selbst ist der Patient medizinisch zu betreuen und zu überwachen. Dies gilt insbesondere für die psychische Betreuung. Ferner muß der Arzt et- waige interkurrente Erkrankungen wie Spritzenabszesse und Hepatitiden versorgen. Nach der Behandlung kann, je nach Drogenkarriere, eine sta- tionäre Langzeitbehandlung oder eine psychotherapeutische Behandlung in entsprechenden Kliniken oder durch niedergelassene Ärzte indiziert sein.

Zum Umfang der Behandlung durch niedergelassene Ärzte gehörte bis vor wenigen Jahren die Metha- don-Substitutionsbehandlung von Heroinabhängigen nicht. Im Gegen- teil. Der Arzt machte sich vielmehr strafbar, wenn er L-Polamidon, das als Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz gilt, ver- schrieb (§ 29 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Nur der Krankenhausarzt durfte Levo- methadon verordnen, wenn der Pati- ent im schweren Entzugssyndrom sta- tionär aufgenommen wurde. In der ambulanten Behandlung durfte L-Po- lamidon bei Betäubungsmittelsüchti-

gen allenfalls im Rahmen einer Über- brückungsbehandlung von maximal sieben bis zehn Tagen verordnet wer- den. Der Arzt mußte den festen Auf- nahmetermin für den Drogenabhän- gigen in einer stationären Therapie- einrichtung kennen. Eine strenge Do- sierungs- und Applikationskontrolle wurde gefordert. (9)

Der revolutionäre Beschluß des 3. Senats des Bundesgerichtshofs vom 17. Mai 1991 (3 StR 8/91) hat diese sehr strenge Auffassung revidiert.

Der Arzt verschreibt nicht schon dann ohne ärztliche Begründung, und damit unerlaubt, (Levo-)Methadon, wenn er damit gegen die Regeln der Schulmedizin oder gegen eine Stel- lungnahme des Wissenschaftlichen Beirats und des Vorstandes der Bun- desärztekammer verstößt. Denn die Anwendung von Betäubungsmitteln am oder im menschlichen Körper kann schon dann begründet sein, wenn dies sozialmedizinisch indiziert ist. Die Richt- oder Leitlinien der Bundesärztekammer (10) sind weder für den Arzt noch für den Strafrichter verbindlich. Der Arzt hat einen von ihm zu verantwortenden Risikobe- reich. Er darf daher Heroinabhängige mit L-Polamidon behandeln, wenn er hierfür ein therapeutisches Konzept hat und die Behandlung laufend über- wacht. Ziel der Behandlung braucht nicht mehr allein der Entzug zu sein.

Auch die soziale und psychische Sta- bilisierung des Patienten reicht aus.

In der vertragsärztlichen Versor- gung, also im System der Gesetzli- chen Krankenversicherung, übernah- men die gesetzlichen Krankenkassen bis Ende 1990 die Substitutionskosten für drogenabhängige Versicherte nicht, weil der Heroinabhängige durch die Verabreichung von (Levo-) Methadon nicht geheilt werden kann.

Durch die Richtlinien zur Methadon- Substitutionsbehandlung bei i. v.

Heroinabhängigen des Bundesaus- schusses der Ärzte und Krankenkas- sen (11) hat sich das geändert. Zwar stellt die Drogensucht keine Indikati- on zur Drogensubstitution im Sinne einer Krankenbehandlung dar. Die Methadon-Substitution kann aber bei bestimmten Indikationen als notwen- diger Teil der Krankenbehandlung angesehen werden, wenn diese mit- tels der Drogensubstitution erst er-

möglicht wird. Die Methadon-Richtli- nien haben daher eine ganze Reihe von einzelnen Indikationen aufge- führt, bei denen der Arzt mit Me- thadon substituieren kann. Auf die Darstellung muß aus Platzgründen verzichtet werden. Wichtig ist, daß für Ärzte, die Substitutionsbehandlun- gen an Versicherten durchführen wol- len, eine Genehmigungspflicht be- steht. Die Genehmigung wird von der Kassenärztlichen Vereinigung erteilt, die sich zuvor von einer Beratungs- kommission beraten lassen kann. Auf die Genehmigung besteht ein Rechts- anspruch, wenn gewährleistet ist, daß der Arzt über das für den Umgang mit Methadon erforderliche pharmakolo- gische Wissen und über Kenntnisse der Drogensucht verfügt.

Bei den in den Methadon-Richt- linien genannten Indikationen darf der Vertragsarzt substituieren. Er kann sich von der Beratungskommis- sion beraten lassen. Den Beginn und die Beendigung der einzelnen Substi- tutionsbehandlungen muß der Ver- tragsarzt unverzüglich seiner KV und der zuständigen Krankenkasse anzei- gen. Wegen des Datenschutzes muß er sich vor Übermittlung der Informa- tionen an die KV und die Kranken- kasse jedoch das Einverständnis des Patienten schriftlich geben lassen.

Die Verabreichung und die Ein- nahme des Methadons muß grund- sätzlich unter Überwachung des be- rechtigten Arztes oder eines von ihm beauftragten Praxismitarbeiters erfol- gen. An Wochenenden oder Feierta- gen kann das Betäubungsmittel dem Abhängigen auch durch vom behan- delnden Arzt eingewiesene Kranken- schwestern oder -pfleger einer Sozial- station oder einer anderen von der zu- ständigen Landesbehörde anerkann- ten Einrichtung zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden (12).

Während früher noch der Arzt dem Bundesgesundheitsamt den Namen und Dienstort dieser Krankenschwe- stern oder -pfleger mitteilen mußte, sind seit dem 1. Februar 1994, der Än- derung der Betäubungsmittelver- schreibungsverordnung, alle exami- nierten Krankenpflegekräfte einer Sozialstation zur Wochenendabgabe von (Levo-)Methadon berechtigt.

Die Anzahl der Versicherten, die gleichzeitig substituiert werden dür-

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fen, ist in der Regel auf bis zu 10 Ver- sicherte begrenzt. Mit Zulassung der Kassenärztlichen Vereinigung darf ein Arzt auch 20 Versicherte, in Aus- nahmefällen bis zu 50 Versicherte sub- stituieren. Während der Substituti- onsbehandlung soll der behandelnde Arzt den gleichzeitigen Gebrauch an- derer Drogen ausschließen. In ange- messener Häufigkeit und unregel- mäßigen Zeitabständen sind Drogen- such-Tests durchzuführen. Dem Ver- sicherten dürfen die Termine zuvor nicht bekanntgegeben werden. Da die Polytoxikomanie durch Drogensuch- Tests nie völlig ausgeschlossen wer- den kann, dürfte hier eine zweimalige Kontrolle pro Monat als ausreichend angesehen werden (13).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-3332–3334 [Heft 49]

Literatur

1. Rieger, Lexikon des Arztrechts, 1984, Stichwort: Behandlungspflicht.

2. Berufsordnung für die deutschen Ärztin- nen und Ärzte, in: Deutsches Ärzteblatt 1997, S A-2354 ff; vgl aus den Berufsord- nungen der Bundesländer § 1 Abs. 9 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg idF vom 18. 9. 1996, in: Äbl Bad-Württ, 1996, S 407 ff.

3. Narr, aaO; Rieger, aaO.

4. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arzt- rechts, 1992, S 314 ff; Schulz, Arztrecht für die Praxis, 3. Aufl, 1965. Stichwort: Be- handlungspflicht.

5. „Beratungs- und Formulierungshilfe für Erstellung eines Dienstvertrages mit ei- nem leitenden Abteilungsarzt (Chefarzt)“

der deutschen Krankenhausgesellschaft, 4.

Aufl, 1993; Arztrecht 1990, S 3661 ff.

6. Koch, Deinhardt/Habermehl, Untersu- chung auf HIV-Antikörper. Suchttest al- lein genügt nicht, in: Dt Ärzteblatt 1987, 2 A-1574 ff; Laufs/Laufs, aaO, S 2261.

7. Im einzelnen Laufs/Uhlenbruck, aaO, S 304 ff.

8. Laufs/Laufs, aaO, S 2259.

9. Kamps. Die Strafbarkeit des Arztes nach dem Betäubungsmittelrecht, in: ÄBl Bad- Württ, 1984, S 72 f.

10. Heute Leitlinien der Bundesärztekammer zur Substitutionstherapie Opiatabhängi- ger, in: Dt Ärzteblatt 1997, S A-401 ff.

11. Anlage 1 der Richtlinien des Bundesaus- schusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersu- chungs- und Behandlungsmethoden vom 4. 12. 1990 idF vom 14. 12. 1995.

12. § 2a Abs 5 Betäubungsmittel-Verschrei- bungsverordnung vom 18. 1. 1994.

13. 2.3 Anlage 1 der NUB-Richtlinien.

Anschrift des Verfassers Dr. iur. Hans Kamps

Bezirksärztekammer Südwürttemberg Jasminweg 15, 72076 Tübingen

Moderne Verkehrsflugzeuge be- wegen sich in Höhen, die für den Menschen absolut lebensfeindlich sind. Extrem niedrige Temperaturen, reduzierter Luftdruck, teilweise hohe Ozon-Konzentrationen und niedriger Feuchtigkeitsgehalt der Luft sind da- bei die typischen Faktoren. Das Flug- zeug ist also auf ein autarkes Druck- und Klimatisierungssystem angewie- sen. Dieses außerordentlich komple- xe System mit unterschiedlichen Ziel- vorgaben muß letztlich dazu in der Lage sein, eine Luftqualität bereitzu- stellen, in der auch eine große Anzahl von Passagieren über lange Strecken komfortabel reisen kann.

In den letzten Jahren sind in den Medien zahlreiche Artikel erschie- nen, die sich in kritischer Weise mit der Luftqualität an Bord von Flugzeu- gen auseinandergesetzt haben. Be- schwerden von Passagieren über Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Irritationen von Schleimhäuten, Atemprobleme bis hin zu Kollapszu- ständen sind dabei berichtet worden.

Ein weiterer Schwerpunkt der Dis- kussion war die Frage, inwieweit In- fektionserkrankungen, wie zum Bei- spiel die Tuberkulose, in einem Flug- zeug von Passagier zu Passagier über- tragen werden können.

Die für den Aufbau und Erhalt einer Druckkabine und für die Klima- tisierung notwendige Luft wird direkt aus den Verdichterstufen der Trieb- werke entnommen. Diese hochkom- primierte, mit zirka 250 Grad außer- ordentlich heiße Luft wird dann über entsprechende Leitungssysteme in die sogenannten „packs“ des Flugzeuges geleitet. Hier wird die Luft abgekühlt, druckgemindert und über Verteilersy- steme in die Kabine eingeleitet. Die im allgemeinen über die Kabinen- decke seitlich durch Lüftungsschlitze einströmende Luft wird unterhalb der Fenstersitze wieder abgesaugt, so daß eine gleichmäßige Zirkulation von oben nach unten innerhalb der Kabi- ne erfolgt.

Gleichzeitig besteht auch eine Strömung der Luft in der Längsrich- tung der Kabine von vorne nach hin- ten. Die abgesaugte Luft wird entwe- der über spezielle Ventile an die äuße- re Umgebung abgegeben, ein Teil der Luft wird jedoch durch Filter wieder zu den zentralen Klimaaufbereitungs- anlagen (packs) zurückgeleitet und erneut in den Luftkreislauf einbezo- gen (recirculation air).

Aus technischen Gründen wird der Luftdruck in der Kabine wärend des Fluges mit zunehmender Höhe leicht abgesenkt, man erlebt also auch als Passagier einen Höhenaufstieg, der jedoch auf 8 000 Fuß (etwa 2 400 Meter) nach oben hin be- grenzt ist. Die Reduzierung des Gesamtluftdrucks be- dingt entsprechend den Gas- gesetzen eine Verminderung des Druckes der einzelnen Komponenten in der Luft.

Zwangsläufig kommt es zu einem Absinken des Sauer- stoffpartialdruckes, welches eine Reduzierung der Sauer- stoffsättigung des arteriellen Blutes bedingt. !

Flugmedizin

Luftqualität an Bord von Verkehrsflugzeugen

M E D I Z I N R E P O R T

Luftqualität

in Verkehrsflugzeugen

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Wie aus der Sauerstoffbindungs- kurve zu entnehmen ist, beträgt die Sauerstoffsättigung eines gesunden Menschen unter atmosphärischen Druckbedingungen in Seehöhe zirka 97 Prozent, während in einer Kabi- nendruckhöhe von etwa 2 250 Metern ein Abfall dieser Sauerstoffsättigung auf etwa 92 Prozent erfolgt. Dieses ist für durchschnittlich gesunde Passa- giere ohne Schwierigkeiten zu kom- pensieren.

Bei Flugreisenden jedoch, die sich aufgrund einer kardialen oder pulmonalen Erkrankung bereits im Grenzbereich der Sauerstoffversor- gung befinden (Koronarsklerose,

ausgeprägte Lungenventilationsstö- rungen), reicht die Erniedrigung des Sauerstoffpartialdruckes durchaus aus, um die normalen Kompensati- onsmechanismen, wie vermehrte und beschleunigte Atmung und Steige- rung des Herzminutenvolumens, zu überfordern und klinische Dekom- pensationserscheinungen auszulösen.

Eine sorgfältige Abwägung des indi- viduellen Gesundheitszustandes des Flugreisenden ist bei diesen Erkran- kungen daher absolut unumgänglich!

Aus der die Erde umgebenden Ozon-Schicht, deren Maximum zwi- schen 15 und 35 km liegt, kommt es ne- ben der ohnehin steigenden Ozon- Konzentration mit größerer Flughöhe zu gleichsam handschuhförmigen Aus- stülpungen auch in tiefere Luftschich- ten hinein. Speziell im Frühling und Herbst können deswegen auch in nied-

rigeren Flughöhen Ozon-Konzentra- tionen auftreten, die deutlich über dem MAK-Wert (maximale Arbeits- platzkonzentration) als auch über dem erlaubten Wert einer Kurzzeitexpositi- on liegen. Dabei ist es interessant, daß der anfänglich typische Geruch des Ozons (etwa wie verbranntes Kabel- material) bei steigender Konzentrati- on durch die Erschöpfung der Riech- zellen verschwindet, also höhere Kon- zentrationen nicht mehr wahrgenom- men werden können.

Es kommt dann allerdings zu Reizerscheinungen der oberen Luft- wege, Husten, Atemnot, Beklem- mungsgefühlen, Augenreizungen und

so weiter. Die modernen Verkehrs- flugzeuge sind mit Ozon-Katalysato- ren (ozone converter) ausgerüstet, die in der Lage sind, über 90 Prozent des in das Flugzeug einströmenden Ozons abzubauen.

Unterschiedliche Grenzwerte

Die Konzentration von Kohlen- dioxid (CO2) in einer Flugzeugkabine ist natürlich abhängig von der Zahl der Passagiere, die im Rahmen ihres normalen Lungenstoffwechsels CO2 ausatmen. Je größer die zugeführte Frischluftmenge, die pro Passagier und Zeiteinheit bereitgestellt werden kann, desto geringer ist die in der Ka- bine auftretende Konzentration die- ses Gases. Es ist interessant, wie un-

terschiedlich die vorgeschriebene oder empfohlene Obergrenze für das CO2 festgelegt worden ist. Während die amerikanische Luftfahrtbundes- behörde (FAA) bis zu 30 000 ppm als höchsten zulässigen Wert angibt, emp- fiehlt die amerikanische Gesellschaft für Heizung, Kühlung und Klimatisie- rung (ASHRAE) eine Obergrenze von 1 000 ppm. Es ist sicher, daß ge- sundheitlich relevante Schäden erst bei CO2-Konzentrationen, wie sie die FAA als Obergrenze festgesetzt hat, eintreten.

Abfall der Luftfeuchtigkeit

Es entspricht jedoch der Erfah- rung der kritischen Flugmediziner, daß schon bei Überschreiten von 1 500 ppm subjektiv als unangenehm wahrgenommene Befindlichkeits- störungen auftreten können. Mensch- liche Ausdünstungen und Gerüche spielen dabei eine verstärkende Rol- le. Die schon bei gering erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen an- geregte Atemtiefe und Atemfrequenz kann bei empfindlichen Personen durchaus in ein sich langsam und un- bemerkt entwickelndes Hyperventi- lationssyndrom einmünden, welches zu einem kurzfristigen Kreislaufkol- laps führen kann. Zusammenfassend scheint es geboten, die Konzentration des Kohlendioxids auf einen mög- lichst geringen Wert, keinesfalls je- doch über 1 500 ppm, festzusetzen.

Je geringer die Temperatur ist, desto weniger vermag die Luft Feuch- te aufzunehmen. So beträgt die Stan- dardtemperatur in einer Höhe von zehn Kilometern minus 52 Grad, und der relative Feuchteanteil liegt bei nur wenigen Prozent. Da diese Außenluft über die Klimatisierungs- systeme der Kabine zugeführt wird, kommt es zu einem raschen Abfall der Luftfeuchte in der Kabine.

Der Passagier, der diese extrem trockene Luft einatmet und dampfge- sättigt wieder ausatmet, trägt ent- scheidend zur Erhöhung der Luft- feuchte in der Kabine bei. Je mehr Menschen pro Raumeinheit reisen, desto höher ist naturgemäß auch die in diesem Bereich zu messende Luft-

feuchte. !

T H E M E N D E R Z E I T MEDIZINREPORT

Leitungssystem einer Klimaanlage am Kabinenhimmel eines Flugzeugs vom Typ Airbus Foto: Lufthansa

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Die Longitudinalbewegung der Kabinenluft von vorn nach hinten führt ebenfalls zu einer leichten Zu- nahme der Luftfeuchte von vorn nach hinten. In der ersten Klasse mit großen Sitzabständen geht die Luft- feuchte bis auf 4,3 Prozent herunter, in der deutlich dichter bestuhlten Economy-Class beträgt sie dagegen bis zu 14,6 Prozent. Diese extrem trockene Luft kann bei Lang- streckenflügen zu unangenehmen Austrocknungserscheinungen der Schleimhäute des oberen Respirati- onstraktes und Reizerscheinungen der Konjunktiven, insbesondere bei Kontaktlinsenträgern, führen.

Eine Anfeuchtung der Luft im Rahmen des Klimatisierungssystems ist aus einer Reihe von Gründen tech- nisch nicht zu bewältigen. Hierbei spielen nicht nur das Gewicht des mit- zuführenden Wassers eine große Rol- le, sondern auch die zu erwartende höhere Korrosion der Flugzeugzelle und nicht zuletzt das Eindringen von abgetautem Kondensationswasser in empfindliche Elektroniksysteme nach der Landung. Für den Passagier bedeutet die Reduzierung der relati- ven Luftfeuchte einen erhöhten Flüs- sigkeitsbedarf, der mit etwa dem Doppelten der normalen Trinkmenge anzusetzen ist.

Eine Umfrage unter den Passa- gieren hat ergeben, daß 82 Prozent al- ler Passagiere und sogar 92 Prozent der Nichtraucher sich durch den Ta- bakrauch negativ beeinflußt fühlen.

Diese Tatsache und der inzwischen klare Beweis der krebserzeugenden Wirkung auch beim Passivrauchen haben dazu geführt, daß das Rauchen durch entsprechende Gesetzgebun- gen der Regierungen inzwischen er- heblich eingeschränkt oder ganz ver- boten worden ist.

Anstieg der Nikotin- Konzentration

Der nichtrauchende Passagier at- met unfreiwillig Tabakrauch nicht nur ein, wenn er in der Raucherzone sitzt, sondern auch dann, wenn er sich drei Reihen vor oder drei Reihen hinter einer Raucherzone befindet. Durch die modernen Klimatisierungssyste- me in den Flugzeugen mit einem ho-

hen Rezirkulationsanteil kommt es in der gesamten Kabine zu einem all- mählichen Anstieg der Nikotinkon- zentration im Blut auch bei Passagie- ren in der Nichtrauchersektion. Aus medizinischer Sicht ergibt sich zwangsläufig die Forderung, das Rau- chen generell während des Fliegens zu verbieten.

Über die notwendige Frischluft- zufuhr pro Passagier und Zeiteinheit bestehen unterschiedliche Vorstellun- gen. Die deutschen DIN-Vorschriften schwanken in ihren Empfehlungen zwischen zwölf und 23 Kubikfuß pro Minute. Tatsächlich wird bei einer hochdichten Bestuhlung in einer Boeing 747 (Jumbo), wie sie beispiels- weise im innerjapanischen Dienst mit bis zu 520 Passagieren eingesetzt wird, lediglich eine Größenordnung von etwa 6,5 Kubikfuß erreicht. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wieviel von der Luft, die die Flug- zeugkabine durchströmt, wieder über Filter dem Luftkreislauf zugeführt wird („Rezirkulationsluft“).

Während die Flugzeuge älterer Generation (Boeing 707, Boeing 727) über kein derartiges Luftrückfüh- rungssystem verfügten, also 100 Pro- zent Frischluftzufuhr von außen in die Kabine gewährleisteten, haben die modernen Flugzeugkabinen einen Rezirkulationsluftanteil, der bis über 50 Prozent betragen kann. Der zwei- fellos bestehende Vorteil dieser Re- zirkulationsluft ist, daß dadurch ins- gesamt die Luftfeuchte im Interesse eines besseren Passagierkomforts er- höht werden kann, ebenso werden die Ozon-Konzentrationen vermindert.

Auf der anderen Seite muß ein erhöhter Kohlendioxid-Spiegel in Kauf genommen werden, außerdem verteilt sich der Zigarettenrauch in- nerhalb kürzester Zeit in alle Ab- schnitte einer Kabine. Zweifellos spielen auch wirtschaftliche Erwä- gungen eine Rolle. Da die Leistung eines Triebwerkes um so mehr ver- mindert wird, je mehr Zapfluft aus den Verdichterstufen des Triebwer- kes entnommen wird, desto höher ist auch der Treibstoffverbrauch. Ein op- timales Verhältnis zwischen Frisch- und Rezirkulationsluft ist aus den ge- nannten Faktoren nach wie vor in der Diskussion. Der Vorstellung der Flug- zeughersteller, durch verbesserte Lei-

stungsfähigkeit der Filter innerhalb der Rezirkulationsluft gänzlich auf von außen zugeführte Frischluft zu verzichten, kann aus flugmedizini- scher Sicht nur mit großer Skepsis entgegengesehen werden.

Die Strömungsgeschwindigkeit der Luft innerhalb der Kabine ist nicht nur eine Funktion der Luftaus- tauschrate pro Zeiteinheit, sondern hängt entscheidend auch von der Größe der Austrittsöffnungen bezie- hungsweise der Absaugvorrichtung für gebrauchte Luft ab.

Luftströmung

Die in früheren Flugzeuggenera- tionen übliche individuelle Verstell- möglichkeit von zusätzlichen Frisch- luftdüsen oberhalb der Sitze fällt in den modernen Flugzeugen zuneh- mend weg, eine individuelle regelbare Luftzufuhr, die als eindeutiger Vorteil dieser Systeme angesehen werden konnte, ist damit nicht mehr möglich.

Die Luftströmungsgeschwindigkeiten der nicht mehr regelbaren Klimasy- steme werden zum Teil als zu hoch, bei anderen als eindeutig zu niedrig angesehen.

In dem Bemühen, den Kabinen- geräuschpegel so gering wie möglich zu halten, hat man großflächige Luft- zuführungssysteme verwirklicht, die eine sehr niedrige Strömungsge- schwindigkeit mit sich bringen. Im Einzelfall reicht die geringe Luftströ- mungsgeschwindigkeit offenbar nicht aus, um die verbrauchte Luft durch Frischluft gänzlich auszutauschen („hanging smoke“).

In diesen Flugzeugen kann es durchaus zu subjektiven Befindlich- keitsstörungen deswegen kommen, weil eine konstante Luftströmung notwendig ist, um die Thermoregula- tion des Körpers sicherzustellen. Der Abtransport von Wärme über die feuchte Haut, vorzugsweise des Ge- sichtes, ist dabei besonders wichtig.

Insgesamt ist festzustellen, daß die Strömungsgeschwindigkeit der Frischluft in einem Flugzeug höher angesetzt werden muß, als dies bei normalen Büroarbeitsplätzen wün- schenswert ist. Eine hohe Anzahl von Passagieren auf engem Raum, relativ hohe Kabinentemperaturen und nicht

T H E M E N D E R Z E I T MEDIZINREPORT

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zuletzt ein erhöhter Stoffwechselum- satz mit entsprechender Wärmepro- duktion durch den besonderen psy- chischen Effekt des Fliegens sind nur einige der Faktoren, die eine Abwei- chung nach oben von den entspre- chenden Normen erfordern.

Von besonderer Bedeutung ist die Frage, inwieweit eine Ansteckungsge- fahr von Passagieren durch in der Ka- binenluft befindliche Bakterien, Viren oder Pilzsporen besteht. Gerade bei den hohen Rezirkulationsraten wird immer wieder die Befürchtung ge- äußert, daß von einem infizierten Pas- sagier für alle anderen mitreisenden Passagiere eine Infektionsgefährdung ausgehen kann. In Kenntnis der tech- nischen Ausrüstungen des Flugzeuges muß diese Gefährdung jedoch weitge- hend verneint werden.

Gerade die Rezirkulationsluft wird ständig durch hochwirksame Fil- ter geleitet, deren Porengröße kleiner als ein Mikrometer ist. Durch Haften- bleiben von noch kleineren Partikeln

und durch die Braunsche Molekular- bewegung geringster Teilchengrößen, wie zum Beispiel Viren, haben diese HEPA-Filter (high efficiency particu- lar air filters) die Fähigkeit, zwischen 91 bis 99,9 Prozent aller mikrobiellen Bestandteile der Kabinenluft heraus- zufiltern. Diese Filter werden in regel- mäßigen Abständen gewechselt.

Es ist zusätzlich zu berücksichti- gen, daß die extrem geringe Luft- feuchtigkeit an Bord von Verkehrs- flugzeugen die Überlebensfähigkeit von Infektionserregern deutlich redu- ziert. Zusammenfassend ist die Infek- tionsgefährdung während einer Flug- reise als erheblich geringer einzu- schätzen als beispielsweise in öffentli- chen Verkehrsmitteln wie Busse oder Bahnen.

Anschrift des Verfassers Dr. med. Lutz Bergau Leitender Arzt

Deutsche Lufthansa AG 60546 Frankfurt

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Abbildung: Lufthansa

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