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Archiv "Therapeutischer Einsatz antioxidativer Vitamine und Aspekte klinischer Ernährungsmedizin" (23.01.1998)

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(44) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 4, 23. Januar 1998 ie Deutsche Gesellschaft für

Ernährungsmedizin (DGEM), eine multidisziplinäre Vereini- gung von Ärzten, Biochemikern, Ernährungswissenschaftlern und Phar- mazeuten, hat sich zum Ziel gesetzt, die wissenschaftlichen und praktischen Belange auf dem Gebiet der Ernäh- rungsmedizin und Stoffwechselfor- schung zu fördern. Diesem Zweck diente auch die 16. gemeinsame Jahres- tagung der DEGM und der Öster- reichischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung (AKE), die vom 27. Februar bis zum 1. März 1997 in Stuttgart-Hohenheim unter der Lei- tung von Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.

Peter Fürst (Universität Hohenheim)

stattfand. Ernährungsforscher der jun- gen Generation stellten neueste Er- kenntnisse bezüglich Substratstoff- wechsel, Molekularbiologie und Er- nährung des Schwerstkranken vor;

neue Möglichkeiten zur Zusammenar- beit zwischen Arzt und Apotheker auf dem Gebiet der Ernährungstherapie wurden erörtert sowie der Versuch un- ternommen, die Vor- und Nachteile gentechnisch hergestellter Lebensmit- tel objektiv und ausgewogen zu disku- tieren. Exemplarisch für den gesamten Kongreß wird von den Symposien über den therapeutischen Einsatz antioxida- tiver Vitamine und über die Frage der Kosten-Nutzen-Relation im Gesund- heitswesen berichtet.

KONGRESSBERICHT

Therapeutischer Einsatz

antioxidativer Vitamine und Aspekte klinischer Ernährungsmedizin

D

Die potentielle Anwendung von Antioxidantien

Antioxidantien (Vitamine, Spu- renelemente) spielen in der Präventi- on unterschiedlicher Erkrankungen (Arteriosklerose, Morbus Alzheimer, Krebs, Katarakt, adulte Makulade- generation und andere) eine wichtige Rolle. Epidemiologische Daten bele- gen dies eindrucksvoll. Im Gegensatz dazu ist der Einsatz von Antioxi- dantien in der Intervention und/

oder Therapie verschiedener Krank- heiten, bei denen ein pathophysiologi- scher Zusammenhang ersichtlich ist, bisher kaum in Erwägung gezogen worden. Um ihren möglichen Stellen- wert in der klinischen Medizin exem- plarisch zu demonstrieren, wurde das Symposium über die potentielle An- wendung von Antioxidantien durch- geführt.

In einem einführenden Referat wies J. Köhrle (Universität Würz- burg) auf die molekularbiologischen Aspekte antioxidativer Abwehrme- chanismen hin. Der gesamte Energie- verbrauch während des Lebens, das sogenannte „metabolische Potential“,

wird für die einzelnen Spezies als kon- stant angenommen, gilt sogar als ge- netisch determiniert und wird beim Menschen auf zirka 800 kcal/g Kör- pergewicht geschätzt. Aus diesem Zu- sammenhang zwischen verbrauchter Energie und Lebensdauer ergibt sich das Konzept der „metabolischen Uhr“. Vielfältig werden die beim nor- malen Energieumsatz und Stoffwech- sel anfallenden oxidativen und durch Radikale verursachten Schädigungen in einen ursächlichen Zusammenhang mit degenerativen oder Alterungs- prozessen gebracht. Man muß jedoch davon ausgehen, daß während der Differenzierungs- und Alterungspro- zesse akkumulierte (oxidative) Schä- den eher mit diesen Vorgängen sekun- där assoziiert sind, als daß sie diese kausal bewirken. Es gibt auch Hinwei- se, daß die Zufuhr exogener Antioxi- dantien die Alterungsrate nicht än- dern und die maximale Lebensdauer nicht erhöhen kann. Viele Fakten deuten darauf hin, daß im Organismus ein antioxidatives Netzwerk existiert und daß die isolierte Betrachtung ei- ner einzelnen Komponente es nicht ermöglicht, sinnvolle Schlußfolgerun-

gen für den Gesamtorganismus zu zie- hen. So zieht beispielsweise die Überexpression der Zn-SOD auch adaptive oder reaktive Änderungen der Expression anderer antioxidativer Komponenten, wie Mn-SOD, Katala- se oder die Glutathionperoxidase- Familie, nach sich. Diese Daten spre- chen dafür, daß es wichtiger ist, die in- trazelluläre und systemische Balance des gesamten Netzwerks und nicht isolierter Komponenten allein zu ana- lysieren, bevor interpretatorische Schlußfolgerungen oder gar interven- tionistische Maßnahmen getroffen werden.

Trotz dieser Erwägungen ist es erforderlich, das antioxidative Sy- stem in der normalen und insbeson- dere in der pathologischen Stoff- wechselsituation zu optimieren. Pro Tag ereignen sich zirka 10 000 oxida- tive Hits allein in der DNA jeder menschlichen Zelle. In den Mito- chondrien, wo die oxidative Phos- phorylierung stattfindet, liegt das Ausmaß der DNA-Schädigung noch um eine Zehnerpotenz höher. Neben einer Reihe hocheffizienter DNA- Reparaturenzyme gibt es gut funk- tionierende intra- und extrazelluläre, enzymatische und nichtenzymatische Radikal-Scavengersysteme und anti- oxidative Komponenten, die gemein- sam aktiv sind, zum Beispiel die Vita- minsysteme C, E und b-Carotin, die Enzymsysteme Superoxiddismuta- sen, Katalase, Glutathiontransfera- sen und Glutathionperoxidasen so- wie eine Reihe von Stoffwechselme- taboliten, wie beispielsweise Harn- säure, die antioxidativ wirksam sind.

Da reduziertes Glutathion eine der wichtigsten zellulären (und extra- zellulären) antioxidativen Kompo- nenten ist, kommt der kontinuierli- chen Bereitstellung dieser Substanz beziehungsweise der Verhinderung ihres Verbrauchs eine zentrale Rolle im „antioxidativen“ Stoffwechsel zu.

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Aus diesem Grund ist die Familie der selenhaltigen Glutathionperoxidase- enzyme für die antioxidative Balance essentiell, da sie unter Verbrauch reduzierten Glutathions zellschädi- gendes H2O2und Phospholipidmem- branhydroperoxide abbauen. Selen selbst ist hingegen nicht antioxidativ aktiv, sondern stellt nur einen wichti- gen Baustein dieser Enzyme und ver- wandter Proteine, wie beispielsweise der humanen Thioredoxinreduktase, dar.

Der zelluläre Redoxstatus und die antioxidativen Systeme regulieren eine Reihe von Prozessen auf den Ebenen der Genexpression und der funktionellen Enzyme oder Proteine.

Deshalb müssen auch die vielfältig verschalteten und vernetzten Kon- trollsysteme in einem integrierten Konzept analysiert und bei Fehl- oder Mangelkonstellationen gegebenen- falls moduliert werden. Musterbei- spiele hierfür sind die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen dem Vit- amin E- und dem Selensystem sowie zwischen der Katalase und den Super- oxiddismutasen.

Die Bedeutung dieser antioxida- tiven Abwehrmechanismen für ver- schiedene Krankheitsbilder wurde dann am Beispiel von Lungenerkran- kungen beziehungsweise bei der aku- ten und chronischen Pankreatitis ex- emplarisch demonstriert. G. Döring (Universität Tübingen) zeigte, daß bei Mukoviszidose mit einer beson- ders starken Bildung von reaktiven Sauerstoffverbindungen, die starke Gewebeschädigungen nach sich zie- hen können, gerechnet werden muß.

Die chronische Entzündung durch bakterielle Infektionen ist ein we- sentlicher Bestandteil der Mukovis- zidose. Als Konsequenz der Stimu- lierung der Neutrophilen im Bereich der Infektion kommt es zu einer star- ken Freisetzung lysosomaler Enzy- me. Besonders die Polymorphker- nige-Leukozyten(PMN)-Elastase ist stark an der Zerstörung des Lungen- gewebes beteiligt. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher, inwie- weit toxische Sauerstoffmetabolite, die durch die stimulierten PMN ge- bildet werden, auch zu den Zer- störungen des Lungengewebes bei zystischer Fibrose (CF) beitragen.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe

Döring zeigen, daß ein wichtiger Marker für die Bildung aktiver Sau- erstoffverbindungen, das Wasser- stoffsuperoxid, im Atemkondensat von CF-Patienten gegenüber gesun- den Kontrollen nicht wesentlich er- höht ist. Asthmapatienten, die als Kontrollgruppe herangezogen wur- den, zeigten dagegen signifikant ge- steigerte Superoxidspiegel. Eine mögliche Erklärung für diese Diffe- renz mag in der Tatsache liegen, daß bei CF-Patienten erhöhte Enzym- aktivitäten antioxidativer Enzyme (Myoloperoxidase, Katalase) gefun- den wurden. Dadurch, daß sich diese Enzyme, wie an weiteren Studien der Tübinger Arbeitsgruppe gezeigt wurde, vor allen Dingen auch im Schleim der Patienten befinden, hat dieser eine hohe antioxidative Kapa- zität. Es ist also fraglich, so Döring, inwieweit aktive Sauerstoffverbin- dungen tatsächlich zu einer Zer- störung des Lungengewebes beitra- gen.

R. Buhl (Universitätsklinik Frankfurt) beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit endogene antioxi- dative Systeme an der Entwicklung verschiedener Lungenerkrankungen beteiligt sind und inwieweit es denk- bar ist, daß durch Supplementierung mit exogenen antioxidativen Verbin- dungen eine adjuvante Therapie von Lungenerkrankungen möglich ist.

Eine über das normale Maß hinaus- gehende Oxidantien-Belastung ist ein wesentlicher pathogenetischer Faktor bei Erkrankungen der Lunge des Zigarettenrauchers, der Idiopa- thischen Lungenfibrose (IPF) und der Mukoviszidose. Als attraktiver therapeutischer Ansatz bietet sich die Verstärkung des antioxidativen Schutzschirmes der Lunge an. Die Schlüssigkeit dieses Konzepts läßt sich am Beispiel des Glutathion-Sy- stems in der Lunge belegen. Gluta- thion steht im Mittelpunkt der antio- xidativen Schutzmechanismen der Lunge, es ist im tiefen Respirati- onstrakt in hohen Konzentrationen vorhanden. Zudem ist das Glutathi- on-System die bislang einzige antio- xidative Komponente der Lunge, bei der schwere Mangelzustände nach- gewiesen sind. Es liegt daher nahe, die Strategie einer antioxidativen Therapie der Lunge am Modell einer

Therapie mit Glutathion zu erar- beiten. Im Tiermodell zeigte sich, daß durch Gabe von Glutathion als Aerosol die Glutathion-Spiegel in der Lunge gesteigert werden kön- nen. Diese Strategie konnte auf Pa- tienten mit idiopathischer Lungenfi- brose übertragen werden. Die Aero- sol-Therapie mit Glutathion steiger- te die Glutathion-Spiegel und damit den antioxidativen Schutz in der Lunge, die Oxidantien-Belastung durch Entzündungszellen nahm ab.

In gleicher Weise führte die intra- venöse und orale Therapie mit N- Acetylcystein (NAC), einem Gluta- thion-Vorläufer, zu einer Steigerung der Glutathion-Konzentrationen in der Lunge von IPF-Patienten. Ähnli- che Ergebnisse wurden auch für Pati- enten mit akutem Lungenversagen berichtet, bei denen sich ein positiver Einfluß einer hochdosierten Thera- pie mit NAC auf den klinischen Ver- lauf zeigen ließ. Bislang ist ein „The- rapieerfolg“ allerdings nur an zell- biologischen und biochemischen Parametern abzulesen. Eine Anti- oxidantien-Therapie von Lungen- erkrankungen mit einem Ungleich- gewicht zwischen Oxidantien und Antioxidantien sollte daher über ei- nen längeren Zeitraum klinisch ge- prüft werden, um den Erfolg oder Mißerfolg der Behandlung auch nach klinischen Kriterien beurteilen zu können.

Die Arbeitsgruppe von M.

Schoenberg (Universitätsklinikum Ulm) untersuchte die Frage, inwie- weit akute oder chronische Pankrea- titis eine Ursache für oxidativen Streß darstellt und ob das klinische Bild der Erkrankung durch entspre- chende antioxidative Supplemente beeinflußt werden kann. Aus tierex- perimentellen Befunden ist bekannt, daß Sauerstoffradikale wichtige Komponenten bei der Initiierung der akuten Pankreatitis darstellen. Sol- che reaktiven Sauerstoffverbindun- gen werden bereits in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung ge- neriert. Die Quelle der gesteigerten Bildung von Sauerstoffradikalen ist allerdings bisher nicht exakt defi- niert. Auch experimentelle Anwen- dung von verschiedenen Antioxidan- tien (Vitamine, Spurenelemente, En- zyme) hat zu sehr unterschiedlichen

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Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 4, 23. Januar 1998 (45) KONGRESSBERICHT

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(46) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 4, 23. Januar 1998 Ergebnissen geführt. Dies mag zum

einen daran liegen, daß in den mei- sten Studien die Tiere vor Induktion der Pankreatitis mit diesen Antioxi- dantien behandelt wurden, was beim Menschen in den seltensten Fällen möglich ist. Allerdings gibt es auch Studien, die antioxidative Verbin- dungen nach Eintreten der Pan- kreatitis angewandt haben und hier zeigen konnten, daß der Verlauf der akuten Pankreatitis bei gleichzeiti- ger Anwendung von verschiedenen Antioxidantien in seinem klinischen Bild abgeschwächt werden konnte.

Untersuchungen beim Menschen ha- ben gezeigt, daß in der akuten und chronischen Pankreatitis ebenfalls eine verstärkte Bildung von Sauer- stoffradikalen besteht. Gleichzeitig findet sich eine Depletion von Anti- oxidantien bei diesen Patienten, was auf den verstärkten Bedarf und da- mit Verbrauch antioxidativer Ver- bindungen zurückgeführt werden kann. Die Folge ist, daß sich das klassiche Bild eines oxidativen Streß

(prooxidative überwiegen antioxida- tive Faktoren) ergibt. Eine Supple- mentierung mit den antioxidativen Vitaminen E und C sowie dem Spu- renelement Selen, sollte in kontrol- lierten klinischen Studien therapie- begleitend eingesetzt werden, um den Stellenwert der Antioxidantien bei Krankheitsbildern mit oxidati- vem Streß wie der akuten Pankrea- titis, zu evaluieren.

Der Workshop „Antioxidanti- en“ hat gezeigt, daß für die Anwen- dung antioxidativer Vitamine in der begleitenden Therapie verschiedener Erkrankungen zwar eine Reihe von Hinweisen vorliegen, diese aber bis heute noch nicht klinisch ausreichend validiert wurden. Dies bedeutet, und dies haben alle Referenten betont, daß die Datenlage zwar hoffnungs- voll scheint, aber kontrollierte klini- sche Studien durchgeführt werden müssen, um in Zukunft antioxidative Verbindungen bei verschiedenen Krankheitsbildern gezielt einsetzen zu können.

KONGRESSBERICHT

Kosten – Nutzen:

Wirklichkeit – Schlagwort – Nihilismus

Bereits bei der Eröffnung des Kongresses zitierte P. Fürst Florence Nightingale (1859) „Jeder sorgfältige Beobachter der Kranken kann der Ansicht zustimmen, daß Tausende von Patienten jährlich mitten im Wohlstand hungern“, und wies darauf hin, daß auch heute noch durch- schnittlich 50 Prozent der chirurgi- schen und internistischen Patienten an „Hospital Malnutrition“ leiden. In der derzeitigen gesundheitspoliti- schen Situation müssen Prioritäten gesetzt werden. Dabei droht jedoch die klinische Ernährung den Spar- zwängen zum Opfer zu fallen. Eine angemessene Ernährung des Kran- ken verbessert nicht nur die Lebens- qualität und erhöht die Hei- lungschancen, sondern verringert auch die Dauer des Krankenhausauf- enthaltes und senkt somit die Be- handlungskosten. Dann zitierte P.

Fürst aus dem hippokratischen Eid, dem noch heute jeder Arzt verpflich- tet ist: „. . . ich will diätetische Maß- nahmen zum Vorteil der Kranken an-

wenden nach meinem Können und Urteil . . .“.

Im ersten Referat gab E. Nagel (Medizinische Hochschule Hanno- ver) einen Überblick über die ge- sundheitsökonomische Terminolo- gie. Gerade die Differenzierung von Kosten, Preisen und Ausgaben, von Lebenszeit- und Behandlungsko- sten, Grenzkosten und Grenznutzen macht es den Medizinern heute noch schwer, die im angelsächsischen Be- reich schon weit fortgeschrittene Diskussion um Kosten-Nutzen-Ana- lysen in der Medizin wissenschaftlich in allen Belangen nachzuvollziehen.

Vorliegende Studien, die immer häu- figer auch über Kosten von Behand- lungen etwas aussagen, müssen da- nach sorgsam unterschieden werden, welchen monetären Aspekt der Be- handlung sie analysieren und be- schreiben. So gibt es gravierende Unterschiede zwischen Kosten-Nut- zen-, Kosten-Effektivitäts- und Ko- sten-Nutzwert-Analysen. Dabei geht es besonders um die Frage, wie weit solche Einzeluntersuchungen heute schon beachtet werden müssen. Am Beispiel der Kosten-Effektivitäts- Analysen in der onkologischen Chir-

urgie (zum Beispiel kolorektales oder Mammakarzinom) konnte ge- zeigt werden, daß eine differenzierte Kostenanalyse hilfreich sein kann zur Beurteilung von Screeningver- fahren sowohl zur Früherkennung als auch im Rahmen der Nachsorge.

Faktoren wie Tumorstadium, Alter und Komorbidität des Patienten so- wie die Verschiedenheit der mögli- chen Therapieverfahren beeinflus- sen in nachvollziehbarer Weise die monitären Aspekte der Behandlung, wobei in den vorliegenden Studien im wesentlichen direkte Kosten dar- gestellt werden. Aspekte von indi- rekten Kosten, also volkswirtschaft- licher Verlust an Arbeitspotential durch Krankheit oder monetär nicht meßbare intangible Kosten wie Ver- lust körperlicher oder sozialer Funk- tionen, spielen heute noch eine ge- ringe Rolle in der Kosten-Nutzen- Bewertung innerhalb der Medizin.

So darf zur Zeit wohl festgestellt werden, daß vorliegende ökonomi- sche Gesichtspunkte innerhalb der Medizin relevant sind bei der For- mulierung von Leitlinien oder aber im Rahmen von Allokationsent- scheidungen innerhalb des Gesund- heitswesens. Eine Bedeutung bei der individuellen Therapieplanung steht ihnen aber nicht zu. Vielmehr er- scheint es erstrebenswert, eine soge- nannte „mehrdimensionale Evalua- tion“ für medizinische Behandlungs- verfahren zu entwickeln, die folgen- de Elemente einer Therapiebeurtei- lung beinhaltet: klinische Wirksam- keit (indikationsbezogen); Morbi- dität und Mortalität; Lebensqualität;

Mittelverbrauch (Personal- und Sachmittel); Qualitätssicherung (Ef- ficacy – Effectiveness); Studienpro- tokoll.

Medizinisch-ökonomische As- pekte der enteralen und parenteralen Ernährung aus ökonomischer wie aus medizinischer Sicht wurden von H. N. Tucker (Clintec Nutrition Company, Deerfield/Illinois) darge- stellt. Durch 22 Studien in mehr als 70 US-amerikanischen Krankenhäu- sern in den letzten 15 Jahren wurde nachgewiesen, daß klinische Ernäh- rungsmedizin gerade bei Hochrisiko- patienten die Morbidität verringert und durch eine Verkürzung des Krankenhausaufenthaltes zu einer

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Kostenreduzierung beiträgt. Eine Metaanalyse dieser Studien ergab, daß pro Institution durch die ent- sprechende Einrichtung einer klini- schen Ernährungsberatung in den zurückliegenden 10 Jahren 11,9 Pati- ententage pro Bett und Jahr einge- spart werden konnten. Daß die Er- folge der Ernährungsmedizin häufig gerade in dieser Richtung wenig Be- achtung finden, ist darauf zurückzu- führen, daß klinische Studien häufig nur geringen Wert auf Kosten be- ziehungsweise Kosten-Nutzen-Ge- sichtspunkte legen und die publizier- ten Ergebnisse daher selten unter fi- nanziellen Gesichtspunkten ausge- wertet werden können.

Zum anderen liegt das Problem in den Finanzverwaltungen der Krankenhäuser, die sich im wesentli- chen auf die Kosten von Produkten und Leistungen konzentrieren, ohne dabei deren Bedeutung für den indi- viduellen Patienten, zum Beispiel in Verkürzung der Liegedauer, zu se- hen. Der vorgestellte „Nutrition Cost Survey“ bietet dagegen die Möglichkeit, nach einer Identifikati- on der Patienten, die von einer frühen Intervention im Rahmen der klinischen Ernährung profitieren würden, eben eine solche Verbin- dung von therapeutischer Interventi- on und klinischem Erfolg herzustel- len, der sich dann auch finanziell aus- zahlt. So haben insbesondere Patien- ten mit größeren abdominellen Trau- mata, Verbrennungspatienten, Pati- enten mit schweren Diarrhöen und nach Knochenmarktransplantation besondere Aufmerksamkeit ver- dient.

Daneben sollten vor allem ältere Patienten in der Chirurgie (zum Bei- spiel nach Oberschenkelhalsfraktur oder nach Eingriffen am Kolo-Rek- tum) sowie Patienten der Pädiatrie – insbesondere in der Neugeborenen- Intensivstation – im Hinblick auf den Einsatz der klinischen Ernährung Beachtung finden. Interessanterwei- se besteht zwischen enteraler und pa- renteraler Ernährung kein essentiel- ler Unterschied in den Produktions- kosten. Der Unterschied besteht in den Preisen, so daß in diesem Rah- men eine sorgfältige Differenzierung zwischen Produktionskosten und Preisentwicklung notwendig ist.

Nachdem aus dem Bereich der Medizin deutlich gemacht werden konnte, welche engen Zusammen- hänge zwischen dem Einsatz von Therapiemaßnahmen und der Ko- stenentwicklung im Gesundheitswe- sen vorliegen, sprach C. Straub(Bun- desverband der Angestellten-Kran- kenkassen, Siegburg) über Kosten- Nutzen-Analysen als Instrument zur Weiterentwicklung der medizini- schen Versorgung aus der Sicht der Krankenkassen. Für die weitere Fi- nanzierung innerhalb des deutschen Gesundheitswesens ist es unver- meidbar, eine Bewertung medizini- scher Leistungen unter Nutzenge- sichtspunkten vorzunehmen. Dabei besteht allerdings immer der Kon- flikt zwischen Gesundheit als höch- stem Gut und der Notwendigkeit des Sparens, weil hier zwischen konkre- tem, individuellem Menschenleben auf der einen und abstraktem, stati- stischem Menschenleben auf der an- deren Seite unterschieden werden muß.

Die Krankenkassen sind an Sparmaßnahmen allerdings nur inso- fern interessiert, als sie zur Optimie- rung der Gesundheitsversorgung der Versicherten führen, ohne einzelne von angemessenen Gesundheitslei- stungen auszuschließen.

Inwieweit die ökonomische Eva- luierung in diesem Zusammenhang aus volkswirtschaftlicher Sicht Rech- nungsmodelle liefern kann, wurde von P. Oberender (Universität Bay- reuth) dargestellt. Die Diskrepanz zwischen medizinisch Möglichem auf der einen Seite und ökonomisch Fi- nanzierbarem auf der anderen Seite wird auch in Zukunft immer größer werden. Insofern ist eine Rationie- rung von Gesundheitsleistungen un- vermeidbar. Gleichzeitig wird aber aus politischen Gründen auf eine Rationierung über das Preisaus- schlußverfahren verzichtet. Daher bietet sich die ökonomische Evalu- ierung von Gesundheitsleistungen als Rationierungsverfahren an. Es muß versucht werden, alle Kosten und Nutzen einer Maßnahme zu er- fassen und mit Entscheidungsalter- nativen zu vergleichen.

Allerdings bestehen Grenzen bei der Messung sowie der Bewer- tung der Kosten und des Nutzens.

Deshalb dürfen ökonomische Eva- luierungen nicht die Ziele bestim- men, die eine Gesellschaft im Ge- sundheitswesen zu verwirklichen wünscht, sondern lediglich diese bei der Suche nach den richtigen Wegen unterstützen. Die Festlegung ge- sundheitspolitischer Zielvorstellun- gen muß in einem freiheitlichen Ge- meinwesen demokratischen Ent- scheidungsprozessen vorbehalten bleiben.

In einem abschließenden Refe- rat zeigte der Theologe U.

Schlaudraff(Evangelische Akademie Loccum, Hannover) die ethischen Gesichtspunkte der Debatte auf. Das gegenwärtig vorherrschende Verfah- ren, die schwierigen medizinischen, ethischen und ökonomischen Proble- me dadurch zu „lösen“, daß in Exper- tenkreisen auf politischer Ebene ent- schieden wird, was gestreßte Health Professionals vor Ort umsetzen müs- sen, kann nicht weiter die Methode der Wahl sein.

Statt einer Rationierungsdebatte sollte vielmehr eine Diskussion um Prioritäten im Gesundheitswesen ge- führt werden, so wie es in vielen – ins- besondere den skandinavischen – Ländern schon stattfindet. Dabei müssen gerade die Grundpfeiler der Solidarität und Subsidarität wichtige Orientierungspunkte bleiben. Für die klinische Ernährungsmedizin bleibt es in Deutschland eine Herausforde- rung, ihren ökonomischen Stellen- wert darzulegen und sich insbesonde- re in den Krankenhäusern durch ge- zielte Maßnahmen am Rationali- sierungsbemühen in der Medizin zu beteiligen.

Anschrift der Verfasser Prof. Dr. med.

Hans-Konrad Biesalski, Dr. rer. nat. Hartfried Böttcher, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.

Peter Fürst

Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft Universität Hohenheim 70593 Stuttgart

Dr. med. Dr. phil. Eckard Nagel Klinik für Abdominal- und Transplantationschirurgie

Medizinische Hochschule Hannover 30625 Hannover

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