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Archiv "Flutkatastrophe/Sri Lanka: Als die Zeit stehen blieb" (18.07.2005)

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A2052 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 28–29⏐⏐18. Juli 2005

S T A T U S

A

m 2. Weihnachtstag 2004 informiert mich die deut- sche Hilfsorganisation

„humedica“ darüber, dass es aufgrund eines Seebebens in Südostasien zu einer Flutkata- strophe gekommen ist und fragt, ob ich vier Stunden spä- ter mit einem ersten Voraus- team nach Sri Lanka fliegen könne. Ich führe Telefonate und überprüfe meine berufli- chen Verpflichtungen. Es stellt sich rasch heraus, dass ich nicht sofort mitfliegen kann. In den folgenden Tagen sondiere ich die Möglichkeiten, mit dem nächsten Team ins Krisenge- biet zu fliegen. Kollegen er- klären sich bereit, meine Sprechstunden und Arztmobil- einsätze im Rahmen der medi- zinischen Versorgung Woh- nungsloser in Mainz und Um- gebung zu übernehmen. Mein Arbeitgeber, die Georg-Si- mon-Ohm-Fachhochschule in Nürnberg, ist mit einem Ein- satz einverstanden, sofern der Lehrbetrieb nicht nachhaltig gestört wird. Silvester fliege ich mit dem zweiten Einsatzteam von Frankfurt nach Colombo.

Wir sind neun Personen: vier Ärzte, zwei Rettungssanitäter, zwei Apotheker und ein Rund- funkjournalist.

Am Tag nach der Ankunft in Colombo geht’s weiter nach Jaffna, im Norden Sri Lankas.

Unser Einsatzort ist Point Pe- dro. In der Nähe des Ortes un- terhält „humedica“ seit mehr als zehn Jahren ein Waisen-

haus, in dem wir unseren Stütz- punkt aufschlagen. Wir befin- den uns im Tamilengebiet. Seit mehr als 30 Jahren herrscht in dieser Region Bürgerkrieg.

Seit einer militärischen Offen- sive der Singhalesen vor drei Jahren kontrolliert das singha- lesische Militär das Gebiet. Die Tamilen werden geduldet.

Nach der Ankunft fahren wir zunächst zu unserem Voraus- team, das mit der medizinischen Hilfe in den Flüchtlingsla- gern schon begon- nen hat. Ein singha- lesisches Koordinie- rungsbüro organisiert und leitet die gesam- te Hilfe.

Die Küstenregion ist völlig zerstört.

Häuser sind wegge- rissen, zusammenge- fallen, Boote haben sich wie Geschosse in Häuser gebohrt, ein Schulbus liegt auf

der Seite. Obwohl wir in den Tagen zuvor viele ähnliche Bil- der im Fernsehen gesehen ha- ben, hat das persönliche Erle- ben eine andere Dimension.

Während die Aufräumar- beiten fünf Tage nach der Kata- strophe scheinbar noch nicht begonnen haben, ist das Militär dabei, die militärischen Stel- lungen am Küstenstreifen er- neut zu sichern. Sandsäcke, MG-Stellungen, Stacheldraht- abgrenzungen werden errich- tet. Gibt es in diesem Moment

wirklich nichts Wichtigeres?

Die Arbeit in den Flüchtlings- lagern beginnt: Jeden Morgen fahren wir von unserem Stütz- punkt in Manipay circa eine Stunde über zum Teil katastro- phale Straßen nach Point Pe- dro zur Koordinationsstelle.

Dort wird uns unser Einsatzge- biet zugeteilt. Wir sind die ein- zigen Ärzte, die eine ambulan- te Versorgung anbieten. Eine Woche später kommen Ärzte aus Portugal von der Organisa- tion „Ärzte für die Welt“ hinzu.

In Point Pedro und Umge- bung sind bis zu 4 000 Men- schen durch die Flutkatastro- phe umgekommen, weitere 20 000 wurden obdachlos. Sie wurden auf 20 Flüchtlingsla- ger, meist Schulen, verteilt.

Dort gibt es notdürftig einge- richtete Schlafstellen, Wasser und Nahrung.Wir fahren regel- mäßig in die Lager und bieten medizinische Hilfe an. Dabei sind wir auf die Unterstützung von Dolmetschern angewie- sen. Es gibt drei Versorgungs- stellen: einen ärztlichen Unter- suchungsbereich, der in der Regel aus vier „Sprechstun- den“ besteht, eine Verbands-

stelle und eine Medikamenten- ausgabestelle.

An zwölf Arbeitstagen ha- ben wir rund 2 200 Patienten- kontakte. Auffällig sind die zahlreichen Verletzungen der Patienten. Sie sind zum einen bedingt durch die während der Flutwelle zusammenfallenden und umstürzenden Häuser oder im Wasser treibende Ge- genstände. Zum anderen, und dies ist der häufigste Grund, durch den ins Meer gespülten Stacheldrahtzaun, der die zahl-

reichen Militärstellungen um- gab.Wir sehen sehr tiefe,super- infizierte Schnittverletzungen.

Teilweise ist eine Osteomyelitis und/oder Sepsis zu vermuten.

Wir säubern die Wunden, be- handeln sie antiseptisch und verordnen eine antibiotische Therapie. Oft ist eine sofortige intravenöse Antibiotikathera- pie notwendig. Durchfaller- krankungen sind relativ selten.

Wir behandeln Wurminfektio- nen, Infektionen der oberen Luftwege,Otitiden,immer wie- der Pneumonien, gerade auch bei Kleinkindern. Viele Men- schen haben bei ihrem Kampf ums Überleben in den Wasser- massen das Wasser aspiriert.

Viele klagen über Ganzkör- perschmerzen, weil sie vor der Flutwelle um ihr Leben ge- rannt waren und jetzt muskulä- re Beschwerden haben. Aber auch typische Stresskrankhei- ten wie Ulcera duodeni sowie Hypertonien stellen wir fest.

Sehr häufig beschreiben die Patienten psychosomati- sche Symptome, Angstzustän- de und depressive Gemütszu- stände. Immer wieder spüren wir die Fassungslosigkeit der Menschen. Das Meer symbolisierte zuvor für viele Betroffene Leben, Existenzsiche- rung, und jetzt? Das Meer hat Leben zer- stört, die Existenz- grundlage, Haus und Beruf genommen. Die- se Fassungslosigkeit führte lange Zeit zu einem Schockzustand, zu einer Lethargie, die ein Anpacken und Aufräumen von Trüm- mern und Überresten blockierte und verhin- derte. Wir begegnen ständig Menschen, die über den Tod von Familienangehörigen be- richten. Wir können nur die äußeren Wunden versorgen.

Die inneren tiefen Verletzun- gen bedürfen einer längerfri- stigen psychosozialen Hilfe, die wir nicht leisten können.

Prof. Dr. med. Gerhard Trabert E-Mail: Gerhard.Trabert@fh-nuernberg.de

Flutkatastrophe/Sri Lanka

Als die Zeit stehen blieb

Fotos:Gerhard Trabert

Einsatz in Point Pedro: Die äußeren Wunden sind behan- delbar, die inneren bedürfen einer langfristigen Hilfe.

Langfassung im Internet:

www.aerzteblatt.de/plus2805

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