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Archiv "Hilfseinsatz in der Zentralafrikanischen Republik: In der Mitte von Nirgendwo" (21.12.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 51–52

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21. Dezember 2009 A 2581

D

er sechs Monate alte Säugling liegt ganz still auf dem Tisch der „Intensivstation“. Das Weiß sei- ner Augen leuchtet kontrastreich zur tiefschwarzen Haut seines Gesichts.

Widerstandslos und ohne dass ein Jammern von ihm zu hören wäre, durchstochern die Krankenpfle- ger von beiden Seiten gleichzeitig die kleinen Ärmchen des Kindes auf der verzweifelten Suche nach ei- ner Vene. Der Bauch des Kindes ist aufgetrieben. Es weint schon lange nicht mehr. Es sind die Augen eines tot geweihten Kindes, die mich fixie- ren, solange ich in Ruhe den venösen Zugang lege. Im OP bereitet mein chirurgischer Kollege Edgar, seit ei- nem Jahr im Ruhestand und erfahre- ner Afrikakenner, alles für die anste- hende Laparatomie vor.

Die Ausrüstung, die Médecins sans Frontières (MSF; Ärzte ohne Gren- zen) hierher in das Krankenhaus ge- bracht hat, ist einfach, aber funktionell.

Ich arbeite teilweise mit Narkosemit- teln, die bei uns nicht mehr eingesetzt werden, die mir aber aus meiner Aus- bildungszeit vor 20 Jahren und meinen früheren Afrikaaufenthalten wohl ver- traut sind. Die Apparate sind sehr ein- fach, ich komme gut mit ihnen zurecht.

Paoua heißt die Stadt im Nirgend- wo. Sie liegt im äußersten Nordosten der Zentralafrikanischen Republik.

Ich muss gestehen, dass ich anfangs gar nicht so genau wusste, wo dieses vergessene Land eigentlich liegt. Ob- wohl seine Fläche mehr als doppelt so groß wie die von Deutschland ist, zählt die Bevölkerung nur vier Mil- lionen Menschen.

Als ich das erste Mal das Kran- kenhaus betrete, wundere ich mich über die deutsche Nationalfahne, die über dem Eingang aufgemalt ist. Sie erinnert an den Bau des Gebäudes mit deutscher Hilfe im Jahr 2002. Bereits

im Jahr 2006 verwaiste das Kranken- haus jedoch. Wie so häufig hier in Afrika schlugen sich rivalisierende Präsidenten und ihre Anhänger ge- genseitig die Köpfe ein. Das einhei- mische Personal floh aus dem Kran- kenhaus. Die Einrichtung wurde ge- plündert. MSF übernahm das 80-Bet- ten-Hospital kommissarisch, um eine Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Im Umkreis von

mehreren 100 Kilometern ist es jetzt das einzige noch funktionierende Krankenhaus mit je einer gynäkolo- gischen-geburtshilflichen, internisti- schen, pädiatrischen und operativ- chirurgischen Abteilung. Immer noch ist die Sicherheitslage wechselhaft.

Zurzeit gibt es etwa sechs verschie- dene militärische und paramilitäri- sche Einheiten, die in wechselnder Stärke die Sicherheitslage bestim- men. Die übelsten Banden sind die

„coupeurs du route“ (Wegelagerer), die Mord und Totschlag ihr Hand- werk nennen.

Während meines fünfwöchigen Aufenthalts war es aber recht ruhig.

Nur zweimal spitzte sich die Lage kurzzeitig zu. Einmal wurde ein hochrangiger Rebellenführer mitten am Tag in unserer unmittelbaren Nachbarschaft erschossen. Eine Wo- che später massakrierten sich Stra- ßenräuber und Händler auf dem Markt in der Hauptstadt Bangui ge- genseitig, 25 Tote und mehr als 50 Schwerverletzte binnen einer Stunde.

Jetzt schläft unser kleiner Patient in Narkose. Es werden die letzten schmerzfreien Stunden seines kurzen Lebens sein. Das Kind lag schon drei Tage mit einem akuten Abdomen auf der Station und wurde uns erst heute Mittag vorgestellt. Ich hoffe noch, dass das Kind nach erfolgreicher Operation des Volvulus und Wieder- erwachen aus der Narkose die erste entscheidende Nacht übersteht. Am nächsten Morgen ist sein Bett jedoch leer, die Matratze zum Lüften bereits

an der Wand hochgestellt. Im Bett daneben liegt jetzt ein achtjähriger Junge mit großflächigen zweit- und drittgradigen Verbrennungen an Brust, Bauch und Beinen. Ein Vier- tel seiner Körperoberfläche ist ver- brannt, sein Schicksal ist ungewiss.

Die Patienten, die zu uns kom- men, haben zum Teil weite Wege zu Fuß zurückgelegt. Es gibt keine mo- torisierten Fahrzeuge, außer denen HILFSEINSATZ IN DER ZENTRALAFRIKANISCHEN REPUBLIK

In der Mitte von Nirgendwo

Ein deutscher Anästhesist berichtet über seinen Einsatz

für Ärzte ohne Grenzen in einem der ärmsten Länder der Erde.

Diese jungen Menschen sollen eine bessere Zukunft haben, dafür sind wir hier.

Das Hospital Paoua – 2006 übernahm Ärzte ohne Grenzen das 80-Betten-Haus kommissarisch.

Fotos:rg F. Kustermann

Verschnaufpause:

Jörg F. Kustermann (50), Vater von fünf Kindern, ist seit sechs Jahren nie- dergelassen in ei- nem Anästhesie- team in Ulm.

S T A T U S

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A 2582 Deutsches Ärzteblatt

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21. Dezember 2009 der Hilfsorganisationen und ein oder

zwei Lastwagen. Die Leiden der Pa- tienten müssen enorm sein, wenn sie sich manchmal über mehrere Tage ins Hospital schleppen; und das mit Krankheitsbildern, die für Europäer nahezu unbekannt geworden sind.

In einer schwierigen Zeit hatte MSF das Krankenhaus übernommen, seine Funktionstüchtigkeit wieder- hergestellt und Schritt für Schritt in

die Hände der lokalen Behörden zu- rückgegeben. Inzwischen sind nur noch wenige Schlüsselpositionen mit ausländischen Helfern besetzt.

Unser Ärzte-ohne-Grenzen-Team ist eine bunte, internationale Gruppe.

Natalie (Krankenschwester), Isabelle (Projektleiterin) und David (Logisti- ker) kommen aus Frankreich, Mauro (Verwaltung) stammt aus Italien, Be- ky (Pharmazeutin) aus Ghana, Paul (Arzt) aus dem Kongo, Charly (Arzt) von der Elfenbeinküste, Edgar (Chir- urg) aus Luxemburg und ich aus

Schwaben. Die „Verkehrssprache“

ist französisch. Meines hatte in den letzen Jahren doch etwas gelitten.

Trotzdem komme ich zurecht, schaf- fe es sogar, einfache kleine Fortbil- dungen am Nachmittag oder Wo- chenende abzuhalten. Der Zusam- menhalt in der Equipe ist großartig, die Einsatzbereitschaft beispielhaft.

Oft arbeiten wir bis in den Abend, auch am Wochenende. In der freien Zeit pflegen wir Kontakte zu be- freundeten Hilfsorganisationen am Ort, besuchen die Schule und die Kirche, um mit Unterstützung des Rektors oder des Pfarrers freiwillige Blutspender für unsere chronisch klamme Blutbank zu gewinnen.

Wieder ruft es über Funk. Im Krankenhaus braucht man uns drin- gend zum Kaiserschnitt. In wenigen Minuten holpert der Toyota-Gelän- dewagen zum Krankenhaus. Natür- lich geht hier alles etwas langsamer, was nicht verwundern darf, wenn man bedenkt, dass es kein öffentli- ches Telefonnetz, weder Strom-, Wasser- noch Abwassernetz gibt. Die nächste asphaltierte Straße liegt Hun- derte von Kilometern entfernt. Es dauert, bis alle Mitglieder des OP- Teams den Weg in der Dunkelheit aus ihren Hütten ins Hospital gefun- den haben. Alles geht diesmal gut, was leider nicht immer der Fall ist.

Manchmal ist ein Kind bereits tot, wenn wir endlich eintreffen, manch- mal gelingt die Reanimation des

Neugeborenen. Es ist kaum vorstell- bar, wie schnell sich die Neugebore- nen dann auch von so einem Ereignis erholen. Auch die Mütter überleben trotz massiver Blutverluste (mit Hb- Werten von 3,0 g/l im Schock), die bei uns den Einsatz von Blutkonser- ven und Intensivtherapie notwendig machen würden. Sie überleben nicht nur, sondern sie sind unbeschwert glücklich, lachen am nächsten Mor- gen und stillen ihren wiederbelebten Säugling, als hätte es keinen nächtli- chen Überlebenskampf gegeben.

Morgen früh werde ich wieder laufen gehen. Gegen fünf Uhr stehe ich auf, schlüpfe in die Laufschuhe, solange die anderen noch schlafen, warte die erste Morgendämmerung ab, schnappe mir das Handfunkgerät und renne kilometerweit die Piste entlang, weiter als es eigentlich er- laubt ist. In den Dörfern kommen die Kinder angerannt, laufen neben mir her, rufen „Moschu, Moschu“, was

„ein Weißer, ein Weißer“ heißt und aus Kindermund fast gleich klingt wie „beau jour, beau jour“. Da sehe ich sie wieder, die leuchtenden Au- gen Afrikas, diesmal hoffnungsvoll und unbeschwert. Diese jungen Men- schen sollen eine bessere Zukunft ha- ben, dafür sind wir hier. ■ Dr. med. Jörg F. Kustermann

Das Spendenkonto von Ärzte ohne Grenzen: Bank für Sozialwirtschaft, BLZ: 370 205 00, Konto-Nr.: 97 0 97

Haben Vertragsärzte im Rahmen eines Kollektiv- verzichts ihre Zulassung zurückgegeben, so ist eine Wiederzulassung vor Ablauf der Sechsjah- resfrist nicht möglich. Das hat das Bundessozial- gericht (BSG) entschieden.

Die mit § 95 b Absatz 2 SGB V verfolgten Ziele, Vertragsärzte von einer kollektiven Rück- gabe ihrer Zulassung abzuhalten sowie im Falle eines Kollektivverzichts möglichst schnell eine ausreichende ärztliche Versorgung wie- derherzustellen, dienen dazu, eine funktionie- rende und finanzierbare gesetzliche Kranken- versicherung aufrechtzuerhalten. Dabei geht es um die Sicherung eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes.

Im entschiedenen Fall hatte eine Fachzahn- ärztin für Kieferorthopädie mit Wirkung zum 30. Juni 2004 auf ihre im Dezember 1994 er- teilte Zulassung verzichtet. Ihr Wiederzulas- sungsantrag vom 13. August 2004 wurde ab- gelehnt. Entsprechende Klagen gegen die Ent- scheidung waren erfolglos.

Auch nach Auffassung des BSG hat die Zahnärztin keinen Anspruch auf Wiederzu- lassung. Ihrem Antrag steht entgegen, dass eine erneute Zulassung frühestens sechs Jahre nach Abgabe der Verzichtserklärung erteilt werden kann. Einen Beurteilungs- spielraum haben die Zulassungsgremien hier nicht.

Da die Zahnärztin zusammen mit anderen Kollegen in einem abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung verzichtet hatte, kam § 72 a Ab- satz 1 SGB V (Übergang des Sicherstellungs- auftrags auf die Krankenkassen) zum Tragen.

Diese Regelung ist verfassungsgemäß. Damit treffen die Klägerin auch die gesetzlich vorge- sehenen Rechtsfolgen. Sie kann sich nicht auf etwaige Rechtswidrigkeiten des Feststellungs- bescheids durch die Landesbehörde berufen, weil dieser Bescheid Bindungswirkung hat.

Weil der Feststellung der Aufsichtsbehörde Drittbindungswirkung zukommt, sind andere Be- hörden beziehungsweise Gerichte daran gebun- den, und zwar ohne Rücksicht auf ihren Inhalt.

(Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Juni 2009, Az.: B 6 KA 16/08 R) RAin Barbara Berner

Kollektiver Zulassungsverzicht: Sechsjahresfrist ist einzuhalten

RECHTSREPORT

Die Kinderstation – nur selten haben Schwerstkranke ein eigenes Bett.

S T A T U S

Referenzen

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