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Archiv "Hilfseinsatz in Tansania: Zwischen Armut und Dankbarkeit" (12.06.2009)

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ie kleine Propeller- maschine landet am Nachmittag auf der roten Er- de des winzigen Flughafens im Westen Tansanias. Nach einem Abstecher zu den zer- fallenen Holzhütten Kigo- mas, zwischen denen Lepra- kranke um ein paar Shilling betteln, geht es auf die knapp 70 Kilometer lange Reise nach Norden in Richtung der Grenze zu Burundi. Wir fah- ren mehr als zwei Stunden auf unbefestigten Straßen mit riesigen Schlammlöchern, vorbei an Palmen und Ba- nanenplantagen.

Am nächsten Tag im Heri Mission Hospital lerne ich Ramadhani kennen, einen 16- jährigen Patienten, der nach einer missglückten Darm-OP in un- ser Krankenhaus verlegt wurde. Der Junge ist bis auf die Knochen abge- magert, und durch eine offene Bauch- wunde sind Darm, Kot und Eiter zu erkennen. Wir beginnen sofort mit der Gabe intravenöser Antibiotika und Flüssigkeit. Ramadhani sorgt für eine gedrückte Stimmung in der Be- legschaft, jeder rechnet mit seinem baldigen Tod. Umso erstaunlicher ist es, als sich einige Tage später sein Zustand stabilisiert hat. Da wir nicht über geeignete Methoden zur paren- teralen Ernährung verfügen, müssen wir dem Jungen trotz des offenen Abdomens erlauben, zu essen. Sonst verhungert der unterernährte Junge.

Anfangs bin ich sehr erschreckt über die Zustände im Krankenhaus.

Es ist frustrierend, dass hier für die einfachsten Dinge das Geld fehlt. So wird mir etwa eines Morgens bei der Visite eine ältere Frau mit den Sym- ptomen eines Herzinfarkts vorge-

stellt. Da es kein EKG-Gerät gibt und man von Troponin- Tests und Herzecho sowieso nur träumen kann, muss ich mich auf Anamnese und kli- nische Untersuchung verlas- sen und die Grenzen meiner Möglichkeiten erkennen und akzeptieren.

Für Hunderte Menschen im Umkreis von vielen Kilo- metern ist das Heri Mission Hospital die einzige Alterna- tive zu traditionellen Hei- lern. Die Medizinmänner sind in Westtansania noch sehr verbreitet und verursachen mit ihren unkonventionellen Heilmethoden mehr Schaden als Nutzen. Oft besteht ihre Therapie darin, Kräuter und Erde auf Verletzungen zu reiben. Oder sie versuchen, die Krankheit zu besiegen, indem sie die Haut in parallelen Schnitten an- ritzen. Bei einer Struma haben die Patienten dann viele kleine Schnitte am Hals, bei Narben am Bauch könnte es sich zum Beispiel um den Versuch handeln, eine zu große Milz zum Schrumpfen zu bringen.

Gelegentlich müssen wir auch klei- ne Kinder mit einer transfusions- pflichtigen Anämie behandeln, weil ihnen der Medizinmann die Uvula abgeschnitten hatte, um den Husten zu bekämpfen.

Ein besonders trauriges Beispiel dafür, wie fatal sich das Zusammen- treffen von Armut und schlecht er- reichbarer medizinischer Versorgung auswirkt, ist Sago. Sago ist acht Jahre alt und wurde vor einigen Monaten von einer Schlange ins Bein gebis- sen. Seine Eltern brachten ihn zu ei- nem Medizinmann. Dieser konnte nicht verhindern, dass sich sein Bein infizierte. Erst als es Sago richtig schlecht ging, brachte man ihn zu uns ins Heri Mission Hospital. Leider war das Bein zu diesem Zeitpunkt schon so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass es amputiert werden musste. Es folgten viele Wochen komplizierter Wundbehandlung, bis der Stumpf schließlich einiger- maßen frei war von Infektionen.

Das Erstaunliche an afrikani- schen Kindern ist jedoch, dass sie trotz einer solchen Tragödie nicht verzweifeln oder sich beschweren.

Sago saß jeden Morgen mit einem breiten Lächeln in seinem Bett und beobachtete uns gespannt bei der Wundkontrolle. Den Rest des Tages habe ich ihn oft mit beeindrucken- der Geschicklichkeit und lächelnd mit seinen Krücken durchs Kran- kenhaus flitzen sehen.

Überhaupt habe ich den Ein- druck, dass die Kinder in Afrika eine andere Einstellung zu Krankenhäu- sern und Ärzten haben als in Euro- pa. Anstatt sich zu fürchten oder gar zu schreien, scheinen sie vielmehr gespannt zu sein, was wir mit ihnen vorhaben. Wir hatten regelmäßig Kinder mit großen Abszessen oder Verletzungen, die sie sich bei der Arbeit mit Messern und Macheten zugefügt hatten. Aber statt Angst sieht man in ihren Gesichtern meist nur eine gewisse Neugier und Inter- esse dafür, was mit ihnen passiert.

HILFSEINSATZ IN TANSANIA

Zwischen Armut und Dankbarkeit

Ein Erfahrungsbericht aus dem Heri Mission Hospital in Westtansania

S T A T U S

Bis auf die Knochen abgemagert – Ramadhani kämpft nach einer miss- glückten Bauch-OP um sein Leben.

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 24⏐⏐12. Juni 2009 A1271

Sago (l.) lächelt – und das, obwohl ihm nach einem Schlangenbiss das linke Bein amputiert werden musste.

Fotos: Diana Blaschke

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A1272 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 24⏐⏐12. Juni 2009 Der Unterschied zwi-

schen einer deutschen und einer tansanischen Station ist auf den ers- ten Blick zu erkennen – und zwar nicht nur wegen des großen Schlafsaals und der alten Betten. Vor allem trifft man in einem afri- kanischen Krankenhaus oft mehr Angehörige als Patienten. Fast je- der Patient hat mindes- tens einen Angehörigen

mitgebracht, der den Tag und häufig auch die Nacht „auf Station“ ver- bringt. Die Angehörigen schlafen unter oder neben dem Bett des Pati- enten und sind dafür zuständig, den Kranken zu waschen und mit Essen zu versorgen. So ist es kein seltener Anblick, dass die gesamte Station mit Menschen gefüllt ist, die auf dem Boden um mehrere Töpfe mit Essen sitzen, erzählen und essen.

Das Heri Mission Hospital hat ein Einzugsgebiet von vielen Quadratki- lometern, einen Krankenwagen gibt es nicht. Die Patienten kommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln (falls sie sich das leisten können), zu Fuß (falls sie dazu noch imstande sind), oder sie werden von Angehörigen auf einer Trage in die Klinik ge- bracht. Ein Teil der Familie bleibt

anschließend bis zur Ent- lassung im Krankenhaus (oder zumindest in der Nähe), um den Patienten zu verpflegen und not- falls Blut zu spenden be- ziehungsweise nach ge- eigneten Spendern zu suchen. Da es im Heri Mission Hospital keine Blutbank gibt, kann es mehrere Tage dauern, bis unter den Familienange- hörigen oder im Dorf des Patienten ein geeigneter Spender gefunden ist. Im Normalfall geht das aber sehr schnell, weil die meisten Tansanier über eine schein- bar unerschöpfliche Anzahl an Ver- wandten und Bekannten verfügen.

Trotz der sehr einfachen Verhält- nisse im Krankenhaus, der Armut und des damit verbundenen Leids ist es doch erstaunlich, wie vielen Patienten man mit einfachsten Mit- teln helfen kann. Auch wenn das Geld an allen Ecken und Enden fehlt, können trotzdem jedes Jahr Hunderte Patienten operiert werden – die meisten erfolgreich. Obwohl das Krankenhaus nicht über eine In- tensivstation verfügt und auch die wenigen zur Verfügung stehenden Medikamente von Zeit zu Zeit aus- gehen, haben sich die meisten unse- rer chirurgischen Patienten sehr gut

erholt. Sogar Ramadhani konnte nach einigen Wochen entlassen wer- den, zwar immer noch völlig abge- magert, aber in stabilem Zustand.

Bei ihm hat sich eine Art natürliches Stoma gebildet, und er konnte sogar selbstständig einige Schritte durchs Krankenhaus laufen – angesichts seines anfänglichen Zustands grenzt das schon fast an ein Wunder.

Da die Wohn-und Arbeitsbedin- gungen in Westtansania bei Weitem nicht europäischen Standards ent- sprechen, bedarf es anfangs einiger Überwindung und auch Improvisa- tion, wenn man hier als Ärztin tätig ist. Mitten im Chaos wird einem dann bewusst, wie gut es uns in Deutschland geht. Nach einigen Tagen weichen das Entsetzen und die Frustration über die ärmlichen Ver- hältnisse der Erkenntnis, dass man auch unter diesen Umständen den Patienten sehr viel geben kann – und noch viel mehr zurückbekommt.

Bald fällt es einem nicht mehr schwer, kleinere Unannehmlichkei- ten mit einem Lächeln und einem

„Hamna Shida“ (Kisuaheli für „kein Problem“ oder „macht nichts“) zu kommentieren. Nach einiger Zeit findet man hier zurück zu der in- neren Ruhe und Zufriedenheit, die einem in der Hektik Europas viel zu häufig abhanden kommt. I Diana Blaschke

RECHTSREPORT

Notfallarzt als möglicher Verrichtungsgehilfe

Ein Arzt, der während der vorüber- gehenden Abwesenheit eines an- deren Arztes dessen Praxis führt, kann möglicherweise als dessen Verrichtungsgehilfe angesehen werden. Ob die Stellung eines Notfallarztes damit mit der eines Praxisvertreters vergleichbar ist, muss im Einzelfall geprüft werden.

Denn zwischen Vertrags- und Notfallarzt besteht häufig kein persönlicher Kontakt, weil die Kassenärztliche Vereinigung den Notfalldienst selbstständig organi- siert. Im vorliegenden Fall muss sich das Berufungsgericht erneut

mit den Einzelheiten befassen.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Geklagt hatten die Erben eines Patienten. Sie verlangten von den beklagten Ärzten Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Der Patient hatte in der Nacht vor seinem Tod starke Schmerzen. Die Ehefrau rief daher in der Gemeinschaftspraxis an.

Der Anrufbeantworter verwies sie an den Notfalldienst. Der Notfall- arzt diagnostizierte eine Gastro- enteritis, verordnete Poskopan und verabreichte zwei Milliliter MCP. Der Kranke erlitt am folgenden Tag einen tödlichen Herzinfarkt.

Die Kläger machten geltend, der Notfallarzt habe aufgrund unzureichender Untersuchungen die Anzeichen eines Herzinfarkts verkannt. Dafür müssten auch die niedergelassenen Ärzte einstehen, weil der Notfallarzt den Dienst als ihr Verrichtungsgehilfe übernom- men habe.

Das Berufungsgericht hatte dies verneint, weil ein Behand- lungsvertrag lediglich mit dem Notfallarzt zustande gekommen sei. Die öffentlich-rechtliche Ver- pflichtung des niedergelassenen Arztes zum Notfalldienst begründe keine zivilrechtlichen Pflichten gegenüber einem Anrufer. Die Be- stellung eines Vertreters im Sinne

der Notfalldienstordnung könne nicht als Vollmacht für den Ab- schluss eines Behandlungsvertra- ges des Patienten mit den vertre- tenden Ärzten verstanden werden.

Nach Auffassung des BGH kommt eine Haftung nach § 831 Bürgerliches Gesetzbuch in Be- tracht, falls der Notfallarzt als Ver- richtungsgehilfe anzusehen ist.

Voraussetzung dafür ist nicht, dass er einen Kollegen rechtsgeschäft- lich vertritt. Vielmehr kann eine Ver- richtung jede unentgeltliche oder entgeltliche Tätigkeit sein, die in Abhängigkeit von einem anderen zu leisten ist. (Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. März 2009, Az.:

VI ZR 39/08) RAin Barbara Berner Mehr Angehörige als Patienten:Verwandte

und Freunde waschen die Patienten und versorgen sie mit Essen.

S T A T U S

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