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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen AUS DEN BUNDESLÄNDERN
Schwerpunktklinikum .,Werner-Wicker-Klinik", Bad Wildungen, für Rückenmarkverletzte mit Deutschem Skoliosezentrum
Mit einem Festakt wurde vor kur- zem in Bad Wildungen das in Eu- ropa einmalige Schwerpunktklini- kum „Werner Wicker" für Rücken- markverletzte der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Klinikum verfügt zur Zeit über 3 Departments, näm- lich das Zentrum für Rückenmark- verletzte mit 120 Betten (Chefarzt Dr. med. Gerner); das Depart- ment Urologie (Chefarzt Dr. med.
Sauerwein) mit 30 Betten, im we- sentlichen angebunden an die Ab- teilung für die Akutversorgung und Rehabilitation Querschnitts- gelähmter und das Deutsche Sko- liosezentrum mit 100 Betten (Chef- arzt Dr. med. Ziehlke).
Das Klinikum wurde voll auf die Bedürfnisse von rückenmarkver- letzten Patienten abgestellt. Die Klinik wurde sozusagen mit den Augen eines Querschnitt-Patien- ten geplant, der sich nach kurzer Zeit — soweit nicht mehr bettläge- rig — möglichst selbständig im Kli- nikbereich bewegen kann. Aus diesem Grunde sind alle wichtigen Türen mit Radarsteuerung ausge- stattet. Zur Zeit laufen Versuche über eine Funksteuerung an den Aufzügen, die es auch vierseitig
gelähmten Patienten ermöglichen soll, .die Aufzuganlage zu steuern.
Für den Anflug von frischverletz- ten Patienten wurde ein Dachlan- deplatz eingerichtet. Die Landeflä- che ist im Winter elektrisch ge- heizt und damit schnee- und eis- frei. Fünf Krankenbettenaufzüge fahren bis zum Dachgeschoß und können die eingeflogenen Patien- ten aufnehmen. Zwei Aufzüge sind direkt mit den OP-Abteilungen verbunden und über Schlüsselan- lage zu steuern. In dem Dachauf- bau befindet sich ein Pilotenraum, in dem die Besatzung übernach- ten kann, falls die Witterungsbe- dingungen um die `Tageszeit einen Weiterflug nicht zulassen.
Die Intensiv-Überwachungsstation befindet sich direkt unter dem Dachlandeplatz mit 28 Betten für Frischverletzte, Frischoperierte und Risikopatienten. Von dem Überwachungspult können alle Krankenzimmer gut eingesehen werden.
Im Deutschen Skoliosezentrum wird die Arbeit des ehemaligen Zentrums am französischen Kran- kenhaus Emil Roux in Tübingen
fortgesetzt. Seit Inbetriebnahme des Schwerpunktklinikums wird in einem ständig zunehmenden Ope- rationsbetrieb eine große Zahl von Patienten mit Skoliosen und son- stigen Wirbelsäulen- und Formab- weichungen operativ behandelt.
So beträgt die Zahl der großen Wirbelsäulenoperationen schon jetzt über 200. Das Aufgabenge- biet des Deutschen Skoliosezen- trums umfaßt die operative und konservative Behandlung aller Formabweichungen und Instabili- täten der Wirbelsäule einschließ- lich Kyphoskoliosen und Morbus Bechterew sowie posttraumati- sche Instabilitäten.
Der OP-Trakt wurde in einer Grö- ßenordnung von 2100 Quadratme- ter Grundfläche errichtet und be- steht aus je einer aseptischen und septischen Abteilung. Wegen der hochaseptisch vorzunehmenden Knochenoperationen wurden ge- trennte Sterilisationseinrichtun- gen für den aseptischen und septi- schen Bereich geschaffen.
Um den Bedürfnissen aller Patien- ten in allen Lebensbereichen Rechnung zu tragen, hat die Klinik eine Klinikstraße, die neben einem Shop, einem Friseur, einer Biblio- thek, einer Bankfiliale und einer Cafeteria auch eine Selbstbedie- nungsküche mit anschließendem Speiseraum zur Verfügung stellt.
Das Klinikum wurde nach den neuesten Richtlinien für 1978 der HESSEN
Schwerpunktklinikum für
Rückenmarkverletzte und Skoliosepatienten in Bad Wildungen
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 22. November 1979 3141
Dachlandeplatz für Hubschrauber (bis 6 Tonnen) zum Antransport Frischverletzter.
Die Landefläche ist im Winter elektrisch beheizt und damit schnee- und eisfrei
Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen
Schwerpunktklinikum in Bad Wildungen
Berufsgenossenschaft gebaut.
Selbstverständlich enthält die Kli- nik alle Einrichtungen, die zur Rehabilitation gebraucht werden, von Schwimmbädern über Sport- hallen . bis zu Bogenschießbah- nen.
In den Festansprachen von Vertre- tern der Berufsgenossenschaften, der Ministerien, der Landtagsfrak-
Durch krankengymnastische Übungen und ergotherapeutisches Selbsthilfetrai- ning wird versucht, eine weitgehende Unabhängigkeit zu erreichen. Das Foto zeigt das Absenken des Schwimmbad- Bodens, um dem Gelähmten das Schwimmen zu ermöglichen
tionen sowie der Fachleute wurde das neue Klinikum entsprechend gewürdigt und darauf hingewie- sen, daß es nach Aussagen der Fachleute eine einmalige Synthe- se präsentiert zwischen den wis- senschaftlich-technischen Erfor- dernissen modernster Medizin- technik und den „ärztlich-ethi- schen Forderungen" und Notwen- digkeiten für die hier betreuten Patienten.
Professor Sir Ludwig Guttmann, Direktor der British Paraplegic Sports Society, oft als „Vater der Rollstuhlfahrer" apostrophiert, sagte in seinem Festvortrag: „Was mich ganz besonders und sofort tief beeindruckt hat, war die Tatsa- che, daß ich mich nicht in einem Hospital befand, sondern in einem erstklassigen Hotel. Hier wurde die Klinikatmosphäre auf ein Mini- mum heruntergedrückt. Das ist ein ganz großes Verdienst; hoffentlich wird das Prinzip auch in alle ande- ren Länder übernommen."
Professor Paeslack, der derzeitige Präsident der International Medi- cal Society for Paraplegics, stellte die Bereitschaft zur Übernahme eines großen Risikos aus privater Initiative heraus: „Wir sind froh, daß der immer noch bestehende Mangel an klinischen Behand- lungsplätzen für Querschnittsge-
Zur Vorbereitung des Patienten auf seine Skolioseoperation wird die Extension im sogenannten HALO durchgeführt. Über den mit vier Schrauben im Schädel fi- xierten HALO wird ein wachsender Zug ausgeübt, der auch während der Nacht erhalten bleibt. Die Patienten können sich mit Hilfe eines speziell konstruierten Rollstuhls frei bewegen Fotos: Wicker KG
lähmte auf diese Weise kleiner ge- worden ist. Wir sind besonders froh, daß es gelungen ist, in einem Bereich der Bundesrepublik, in dem praktisch bisher ein völliges Vakuum bestanden hat, nun auch hier einen derartigen Schwer- punkt setzen zu können."
Professor Dr. Morscher, Direktor der Orthopädischen Universitäts- Klinik Basel und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ortho- pädie und Traumatologie, sagte in seinen Grußworten unter ande-
rem: „Was mich hier an dieser Kli- nik — und das sage ich nicht nur als Präsident der Deutschen Ge- sellschaft für Orthopädie und Traumatologie, sondern als frei- heitlich denkender Schweizer — so tief beeindruckt hat, ist die Tatsa- che, daß privates Unternehmertum eine solche Institution schaffen kann. Ich glaube, das ist ein Licht- blick in dem vom staatlichen Ein- griff doch so oft eingeengten Me- dizinalsystem." E. H. G.
3142 Heft 47 vom 22. November 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT