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Archiv "Arzneimitteltherapie: Kinder diskriminiert" (08.12.2000)

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linische Prüfungen von Arzneimit- teln am Menschen sind eine wich- tige Voraussetzung für den thera- peutischen Fortschritt. Daher ist die bisherige Situation in der EU unbefrie- digend. Die administrativen Vorgaben, Fristen und Verfahren sind in den Mit- gliedstaaten sehr unterschiedlich. Das behindert vor allem die Durchführung von multizentrischen Prüfungen in ver- schiedenen EU-Staaten. Dies führt zu einer erheblichen Mehrbelastung für die Industrie und zu unverantwortli- chen Verzögerungen bei der Prüfung und Zulassung neuer Präparate, die die Patienten dringend benötigen.

Diese unbefriedigende Situation ver- anlasste die EU-Kommission, einen Vorschlag zur Harmonisierung der Ver- fahren bei der klinischen Prüfung vor- zulegen, über den in der nächsten Wo- che im Europäischen Parlament abge- stimmt wird. Gegenüber dem ursprüng- lichen Vorschlag, der lediglich eine Harmonisierung der Fristen und Ver-

fahren vorsah, haben sich der Minister- rat und das Parlament auf eine Reihe von weiteren Änderungen verständigt.

Vorgesehen ist, dass es für multizen- trische klinische Prüfungen je Mitglied- staat nur eine abschließende Stellung- nahme einer Ethikkommission geben wird. Damit sollen Verzögerungen bei unklarer Kompetenzverteilung vermie- den werden. Die Mitgliedstaaten kön- nen jedoch ein Verfahren einrichten, wonach die verantwortliche Ethikkom- mission die Voten von anderen Ethik- kommissionen an den medizinischen Fakultäten und bei den Ärztekammern einbeziehen muss. Auf diese Möglich- keit hat vor allem der Arbeitskreis Medizinische Ethikkommissionen in Deutschland großen Wert gelegt.

Für die Genehmigung einer klini- schen Prüfung gilt künftig europaweit eine zeitliche Obergrenze von 60 Ta- gen. Bei besonders riskanten Therapien wie Gen- oder Zelltherapie sind längere Fristen vorgesehen. Der Vorschlag des P O L I T I K

A

A3304 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 49½½½½8. Dezember 2000

Klinische Prüfungen in Europa

Verfahren werden harmonisiert

Unterschiedliche Fristen und Verfahren haben bislang die Durchführung multizentrischer klinischer Studien in der Europäischen Union (EU) behindert.

der Landesärztekammer künftig zwei Patientenvertreter entsendet werden.

Dem Gesundheitsminister des Landes, Florian Gerster, schwebt vor, dass dies ein Patientenfürsprecher eines Kran- kenhauses und ein Vertreter einer Selbsthilfegruppe oder einer Verbrau- cherorganisation ist.

Francke kritisierte allerdings, eine Ernennung durch die Landesärztekam- mer sei nicht ausreichend transparent.

Am besten sei es, Patientenvertreter beispielsweise durch ein Ministerium bestellen zu lassen und solche Posten öffentlich auszuschreiben. Nur durch größtmögliche Transparenz lasse sich Legitimation herstellen.

Riedel hatte zuvor erklärt, dass auch Gutachterkommissionen und Schlich- tungsstellen im Mittelpunkt des öffent- lichen Interesses stünden. Deshalb sei hier eine Patientenbeteiligung geboten.

Mit diesem Aspekt hat sich auch eine der Arbeitsgruppen „Patientenrechte“

befasst. Ihre Mitglieder konnten sich al- lerdings nicht auf eine Option einigen.

Vertreter von Patientenorganisationen befürworten eine Erweiterung der Gre- mien um Patientenvertreter oder außergerichtliche Schlichtungsstellen auf breiterer Trägerbasis. Dagegen steht die Befürchtung, dann könne die Bereitschaft der Ärzte sinken, sich am freiwilligen Schlichtungsverfahren zu beteiligen – und ebenso die der Haft- pflichtversicherer. Die AG hat nun die Bundesärztekammer gebeten, eine Art Musterverfahrensordnung für die un- terschiedlichen Gutachterkommissio- nen und Schlichtungsstellen zu erarbei- ten. Außerdem regte sie an, verschiede- nen Optionen zu erproben.

Auch Francke wurde bei der Berli- ner Tagung befragt, ob seine Vorschlä- ge für die Realität taugten. Er gestand zu, dass die Frage der Legitimation von Patientenvertretern sicher einfacher zu beantworten sei, wenn es um sehr spezi- elle Themen gehe, beispielsweise Dia- betesleitlinien. Die Frage, wer im Bun- desausschuss der Ärzte und Kranken- kassen legitimiert sei, die Patientensei- te zum Thema „Akupunktur“ zu reprä- sentieren, sei schwieriger zu beantwor- ten. Der Jurist sah auch die Gefahr, dass Selbsthilfegruppen „unterwandert“

werden könnten, beispielsweise von Firmen oder Verbänden. Sabine Rieser

Arzneimitteltherapie

Kinder diskriminiert

Etwa 80 Prozent der bei Kindern ange- wendeten Arzneimittel sind nicht für Kinder zugelassen, also hinsichtlich Do- sierung und Wirkung nicht gezielt an Kindern untersucht worden. Dies sei ei- ne „Diskriminierung der Kinder“, sagte Prof. Dr. med. Hansjörg Seyberth, Di- rektor der Universitäts-Kinderklinik Marburg. Er beklagte, dass Kinderärzte derzeit bei notwendigen Behandlungen

„Erwachsenenmedikamente“ außerhalb der zugelassenen Anwendungsbereiche und des haftungsrechtlichen Schutzes einsetzen müssten. Im Namen der Deut- schen Akademie für Kinderheilkunde

und Jugendmedizin forderte Seyberth, bindende Richtlinien für Arzneimittel- prüfungen bei Kindern zu entwickeln und kompetente Ethikkommissionen einzusetzen, die darüber wachen. Da die

„rein wirtschaftlichen“ Aspekte die spe- zielle Rolle der Kinder unberücksichtigt ließen, seien staatliche Maßnahmen zur Förderung von Arzneimittelprüfungen bei Kindern unerlässlich.

Derweil haben SPD und Grüne einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der Defizite und Handlungsnotwendig- keiten bei der medikamentösen Behand- lung von Kindern und Jugendlichen kon- statiert. Unter anderem müssten die Arzneimittelhersteller angehalten wer- den, bei Neu- und Nachzulassungen die Indikationsstellung auch für die Kinder- heilkunde zu beantragen. JF

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Europa-Parlaments, den Ethikkommis- sionen längere Fristen einzuräumen als den staatlichen Behörden, stieß jedoch auf den Widerstand des Ministerrates.

Im Genehmigungsverfahren wird die Stellung der Ethikkommission gegen- über den staatlichen Behörden gestärkt.

In der Regel kann mit einer klinischen Prüfung begonnen werden, wenn die zuständige Ethikkommission positiv votiert hat und die Genehmigungs- behörde bis zum Verstreichen der 60- Tage-Frist keine schriftlichen Einwän- de erhebt. Das heißt, dass eine schriftli- che Genehmigung durch die Behörde nach einem positiven Votum der Ethik- kommission nicht notwendig ist.

Dies ist in Deutschland übliche Praxis, wurde jedoch in einigen Mitgliedstaaten anders gehand- habt. Eine schriftliche Geneh- migung sieht die EU-Richtlinie nur in Ausnahmefällen vor.

Der Leiter einer klinischen Prüfung sollte in der Regel Arzt sein, muss aber zumindest aka- demisch ausgebildet und in der Arbeit mit Patienten erfahren sein. Anders als in Deutschland ist es in anderen EU-Staaten üb- lich, dass Krankenschwestern, Biologen, Pharmazeuten und andere Berufsgruppen klinische Prü- fungen leiten. Die Forderung der Bun- desregierung und des Europa-Parla- ments, als Leiter nur Ärzte zu akzeptie- ren, scheiterte am Widerstand der Mitgliedstaaten. Dabei gilt es zu be- rücksichtigen, dass sich die Ausbildung von Krankenschwestern, die in anderen EU-Staaten klinische Prüfungen leiten, von der in Deutschland unterscheidet.

Dennoch darf Deutschland die bisheri- ge Praxis beibehalten, nach der in jedem Fall ein Arzt verantwortlich sein muss.

Für Debatten im Europa-Parlament sorgte die Frage, wie man das Thema klinische Prüfungen an nichteinwilli- gungsfähigen Patienten behandeln soll- te. Kinder, Menschen mit geistiger Be- hinderung oder Altersdemenz können nicht rechtskräftig in die Teilnahme an einer klinischen Prüfung einwilligen. In den Mitgliedstaaten gelten höchst un- terschiedliche Regelungen, auch in Deutschland wird über eine Novellie- rung des Arzneimittelgesetzes disku- tiert. Ministerrat und Kommission woll-

ten sich ursprünglich mit einem vagen Verweis auf die Bioethikkonvention des Europarates begnügen und die Rege- lung den Mitgliedstaaten überlassen.

Für das Europäische Parlament war dies nicht akzeptabel. Es fürchtete, dass Länder, die diese Patienten mit strengen Vorgaben schützen, Wettbewerbsnach- teile erleiden könnten, und forderte des- halb strenge Regeln zum Schutz von nichteinwilligungsfähigen Personen.

Eine Debatte gab es um die Frage der Ausgestaltung dieser Regeln. In der ersten Lesung wurde ein Antrag von Grünen und Sozialdemokraten ange- nommen, der verlangt, dass klinische

Prüfungen an Nichteinwilligungsfähi- gen nur durchgeführt werden können, wenn diese einen direkten Nutzen da- von haben. Diese Formulierung stieß zu Recht auf Kritik. Die Deutsche Gesell- schaft für Kinderheilkunde wies darauf hin, dass klinische Prüfungen gerade an Kindern notwendig sind, um deren Be- handlung zu verbessern.

Nach intensiven Diskussionen mit al- len Fraktionen, Mitgliedstaaten und Ex- perten beschloss der zuständige Aus- schuss des Europäischen Parlaments einstimmig einen Kompromiss, der bein- haltet, dass klinische Prüfungen an Kin- dern ausdrücklich erwünscht sind, aber unter angemessenen Schutzvorschriften stattfinden müssen. Diese Anforderun- gen gehen weit über die der Bioethik- konvention des Europarates hinaus. Es wird nicht nur verlangt, dass die nach Aufklärung erteilte Einwilligung des ge- setzlichen Vertreters vorliegt. Diese Ein- willigung muss den mutmaßlichen Wil- len des Kindes berücksichtigen und kann jederzeit rückgängig gemacht wer-

den. Das Kind muss von im Umgang mit Kindern erfahrenem Personal entwick- lungsgemäß aufgeklärt werden. Zudem haben Kinder, die von ihrem Entwick- lungsstand dazu in der Lage sind, das Recht, die Teilnahme an der klinischen Prüfung zu verweigern oder zu beenden.

Es darf keine finanziellen Anreize mit Ausnahme von Entschädigungen geben.

Die klinische Prüfung muss für die Pati- entengruppe mit einem direkten Nutzen verbunden sein. Außerdem muss nach- gewiesen werden, dass entsprechende Erkenntnisse nicht durch Forschung an Einwilligungsfähigen erzielt werden können. Risikoquelle und die Belastung durch die klinische Prüfung müs- sen definiert und ständig über- prüft werden.

Für andere nichteinwilli- gungsfähige Personen gelten noch strengere Anforderungen.

Hier kann eine klinische Prüfung nur stattfinden, wenn die Gabe des Medikamentes mit einem di- rekten Nutzen für den Patienten verbunden ist. Die unterschiedli- che Behandlung von Kindern und anderen Nichteinwilligungs- fähigen ist dadurch begründet, dass bei Kindern grundlegende Unterschiede im Stoffwechsel vorliegen und man Ergebnisse der klini- schen Prüfung an Erwachsenen oft nicht übertragen kann. Der Stoffwechsel von altersdementen oder geistig behinderten Patienten ist dagegen im wesentlichen identisch mit dem gesunder Erwachse- ner, sodass Dosisfindungsstudien und Phase-1-Prüfungen in diesem Fall an Einwilligungsfähigen stattfinden müs- sen. Urinproben, Blutentnahmen, kör- perliche Untersuchungen und andere Eingriffe können aber im Rahmen einer klinischen Prüfung auch an diesen Pati- enten vorgenommen werden.

Diese Einigung im Europa-Parla- ment gibt zumindest eine Richtschnur vor, die strenger ist als die Konvention des Europarates und trotzdem die For- schung im Interesse dieser Patienten- gruppen fördert. Das Parlament wird am 12. Dezember über den Richtlinien- vorschlag abstimmen, zwei Tage später werden die Gesundheitsminister eine Entscheidung treffen.

Dr. med. Peter Liese, Berichterstatter des

zuständigen Ausschusses im Europäischen Parlament P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 49½½½½8. Dezember 2000 AA3305

Am 12. Dezember stimmt das Europa-Parlament über den Richt- linienvorschlag zur klinischen Prüfung ab. Foto: Europäische Kommission

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