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Archiv "Interview: Vorstoß in die neue Welt" (24.11.2000)

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DÄ: Herr Dr. Richter-Reichhelm, Sie haben Ziele, aber wenig Zeit. Die Amtsperiode des jetzigen KBV-Vor- standes endet im März. Was können Sie noch erreichen?

Richter-Reichhelm: Realistisch be- trachtet, zwei Dinge: eine nicht mehr umkehrbare Entscheidung der KBV für den Standort Berlin und den neuen EBM durch den Bewertungsausschuss zu bringen.

DÄ: Zumindest der EBM kann aber nicht losgelöst von weiteren Vorhaben gesehen werden.

Richter-Reichhelm: Nein. Der EBM ist verbunden mit dem Morbiditätsin- dex (MIX), dem wichtigsten strategi- schen Ziel der KBV für die nächsten zwei Jahre. Das ist das Instrument, mit dem wir zwar nicht die Welt aus den Angeln heben werden können, das aber endlich rationale Aspekte in die Vergütungsdiskussion bringen wird.

Unser jetziges System ist dadurch ge- prägt, dass die Budgets nichts mit dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung zu tun haben. Das wollen wir umkeh- ren. Der Morbiditätsindex wird die ef- fektiven Behandlungskosten von wich- tigen Krankheitsbildern nachweisen.

Bei aller gebotenen Vorsicht glaube ich, dass wir im Jahr 2002 in dieser Hinsicht ganz gute Grundlagen erar- beitet haben werden.

DÄ: . . . um dann zu hören, dass es sich nur um interessengeleitete Datenerhe- bungen handelt?

Richter-Reichhelm: Mein Wunsch ist es, dass wir den MIX nicht als KBV al- leine machen, sondern die Krankenkas- sen mit ins Boot nehmen. Denn das wä- re eine Plattform der gemeinsamen Selbstverwaltung, um gemeinsam in die neue Welt vorzustoßen. Außerdem

möchten wir, dass auch die veranlassten Leistungen mit in die Finanzierungsde- batte kommen. Die dafür notwendigen Daten haben nur die Krankenkassen.

DÄ: Und wie stehen die Aussichten für ein gemeinsames Projekt?

Richter-Reichhelm: Konkret stehen wir mit zwei großen Krankenkassen in Erfolg versprechenden Verhandlungen.

Eine Ersatzkasse und eine Primärkasse.

Die wollen uns Daten liefern und die Auswertung mit uns gemeinsam ma- chen. Es ist ja so, dass der MIX auch für die Kassen ganz interessante Aspekte hat. Nehmen Sie den völlig verqueren Risikostrukturausgleich der Kranken- kassen. Auch da sind die Gutachter zu dem Ergebnis gekommen, dass die Morbidität sehr viel stärker berücksich- tigt werden muss. Das ist parallel zu un- seren Überlegungen geschehen. Es ist also der richtige Ansatz.

DÄ: Was passiert, wenn der MIX zu dem Ergebnis käme, dass genügend Geld für die Versorgung da ist?

Richter-Reichhelm: Um es einmal klar zu sagen: Wir wissen nicht, was beim MIX herauskommt. Es kann auch ein Eigentor sein, aber wir wollen eine sau- bere Kalkulation. Wenn herauskäme, dass genug Geld zur Verfügung steht, dann wars das, dann stellen wir keine Ansprüche mehr. Belegen die Zahlen allerdings eine unzureichende Finan- zierung, dann wollen wir das nötige Geld auch haben.

DÄ: Auch mit dem neuen EBM wollen Sie eine bessere Vergütung erreichen.

Richter-Reichhelm: Beides hängt zu- sammen. Zurzeit haben wir Punktwerte von 6,5 bis 7 Pfennig im hausärztlichen Bereich und 4,5 bis 6 Pfennig bei den Fachärzten. Das kann so nicht funktio- nieren. Kalkulatorisch müssen wir mit zehn Pfennig rechnen. Dies vorausge- setzt und unterstellt, dass sich das Punktzahlniveau im neuen EBM nicht wesentlich ändert, haben wir heute eine Unterdeckung von rund 30 Prozent. Es gibt also einen Überhang, den ich nicht mit zehn Pfennig bedienen kann. Da gibt es nur die Möglichkeit, diese Lei- stungen für Gottes Lohn oder zu einem miserablen Punktwert oder aber gar nicht mehr zu erbringen.

P O L I T I K

A

A3136 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 47½½½½24. November 2000

S

eit knapp einem Jahr ist Dr. med.

Manfred Richter-Reichhelm Vor- sitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Der Ber- liner Urologe trat im Januar dieses Jahres mit einem überzeugenden Votum der Vertreterversammlung die Nachfolge von Dr. med. Win- fried Schorre an, der kurz zuvor überraschend seinen Rücktritt er- klärt hatte.

Richter-Reichhelm ist es seither ge- lungen, die Öffentlichkeit und zuneh- mend auch die Politik für die unaus- weichlichen Folgen einer dauerhaf- ten Budgetierungspolitik zu sensibi- lisieren: die „schleichende Rationie- rung“ von medizinischen Leistungen.

Der neue KBV-Vorsitzende will an- stelle der rein fiskalisch festgesetzten Budgets den tatsächlichen Versor- gungsbedarf der Bevölkerung zum Maßstab der Vergütungsbemessung machen.

Ein Schritt in diese Richtung ist die an- gestrebte EBM-Reform nach dem Vor- bild des schweizerischen Ärztetarifs Tarmed. Die betriebswirtschaftliche Kalkulation der ärztlichen Leistun- gen soll in Verbindung mit den so genannten Punktzahlgrenzvolumina feste Preise ermöglichen. Ein weiterer Schritt ist die Erarbeitung des Morbi- ditätsindex. Damit sollen die tatsäch- lichen Kosten der Versorgung von relevanten Krankheitsbildern nach- gewiesen werden.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärz- teblatt zeigt Manfred Richter-Reich- helm die mittelfristigen Perspektiven für die ambulante ärztliche Versor- gung auf. DÄ-Fragen: Josef Maus

Interview

Vorstoß in die neue Welt

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,

Manfred Richter-Reichhelm, über den Morbiditätsindex

und den neuen EBM

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DÄ: Die Politik wird das nicht gerne hören.

Richter-Reichhelm: Was? Dass wir Ärz- te den Mangel bewusst machen? Von Drohgebärden alleine lässt sich die Poli- tik nicht irritieren. Das sitzen die aus. Da muss schon derselbe Effekt eintreten wie bei der restriktiven Arzneimittelver- ordnung. Im Übrigen haben die Ge- sundheitspolitiker im Bundestag jetzt schon reichlich Ärger. Die bekommen Druck von ihren Kollegen, denen die Pa- tienten in ihren Wahlkreisen in den Oh- ren liegen. Die fragen nämlich: Was macht ihr da eigentlich mit den Ärzten?

Und sie sagen: Das passt uns nicht.

DÄ: Womit wir bei der „schleichenden Rationierung“ wären.

Richter-Reichhelm: Reden wir von der Leistungseinschränkung. Die Politiker hassen das Wort Rationierung. Wie auch immer: Kürleistungen kann es an- gesichts der unzureichenden finanziel- len Mittel nicht mehr geben. Früher ha- ben uns die Krankenkassen immer vor- geworfen, wir würden zu viele und unnötige Leistungen bringen. Jetzt dre- hen wir das Rad zurück und kriegen von den Kassen zu hören: Ihr erfüllt eu- ren Sicherstellungsauftrag nicht. Das bezeichne ich als Pharisäertum.

DÄ: Leistungseinschränkungen – wie soll das konkret funktionieren?

Richter-Reichhelm: Sicher nicht so, dass ich am Anfang losjubele und dann in der neunten Quartalswoche feststel- le: das Geld ist alle, und jetzt mache ich Budgetferien. Nein, ich rede von der Leistungsverdünnung von Anfang an, und ich rede von einer starken Zurück- haltung bei der Veranlassung von Lei- stungen. Wenn Sie 1 000 Mark Haus- haltsgeld haben, dann gehen Sie auch nicht in den ersten vier Tagen für 800 Mark Austern essen, sondern Sie mar- schieren von vornherein zu Aldi. Um aber keine Missverständnisse aufkom- men zu lassen: Im Zweifel werden wir Ärzte immer für den Patienten ent- scheiden. Wenn aber ein erkennbarer Mangel an Leistungen entsteht, dann müssen die gesetzlichen Vorgaben gelockert werden.

DÄ: Das heißt also, Richter-Reich- helm will es jetzt wissen.

Richter-Reichhelm: Genau so ist es.

Die Zeiten des Schmusekurses sind vor- bei! Wenn mit dem EBM und über den MIX kein Mangel sichtbar wird, dann ziehe ich meinen Mantel an und gehe nach Hause. Wenn es aber doch einen Mangel gibt, dann poche ich auf die zu- sätzlichen Mittel.

DÄ: Kurzer Szenenwechsel. Sie waren in den letzten Wochen viel unterwegs – unter anderem in Ulm beim Hausärzte- tag. Wie war der Empfang?

Richter-Reichhelm: Eher kühl. Der Abschied war zwar nicht gerade über-

schäumend, aber doch freundlich. Ich hatte den Eindruck, dass ich ein paar Pluspunkte auf dem Hausärztetag ge- macht habe. Das Ganze hatte ja eine besondere Brisanz gewonnen, weil der BDA mit seiner heftigen Kritik an der EBM-Reform so ein bisschen Begleit- musik gemacht hat. Ich habe den Dele- gierten gesagt, dass es noch keinen KBV-Vorstand gegeben hat, der so viel für die Hausärzte getan hat wie der jet- zige.

DÄ: Was hat denn der Vorstand für die Hausärzte getan?

Richter-Reichhelm: Also, eine ganz große Leistung, die noch von Winfried Schorre angestoßen und zu Ende ge- führt worden ist, war der Konsens des BDA mit dem Berufsverband der In- ternisten zur Gliederung der ambulan- ten Versorgung. Die Kompromisslinie ist heute die Basis unseres neuen EBM.

DÄ: Mit dem die Hausärzte aber nicht ganz zufrieden sind.

Richter-Reichhelm:Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir stärken das Selbstverständnis der Hausärzte in ih- rer Lotsenfunktion, und wir grenzen die hausärztlichen Arbeitsbereiche von dem ab, was den Fachärzten überlassen bleiben muss. Sicher, das alles ist noch nicht abschließend definiert, und wir müssen auch bereit sein, gegebenenfalls nachzubessern. Aber die Richtung stimmt.

Den hausärztlichen Vergütungsan- teil hat der BDA mit einer erfolgrei- chen Lobbyarbeit – hauptsächlich in der Person von Profes- sor Kossow – bei den Regierungsparteien erreicht. Was wir uns als KBV an die Brust heften können, ist, dass wir diese Rege- lung zügig mit den KVen realisiert ha- ben.

DÄ: Die Internisten ohne Schwerpunkt sitzen aber zwischen den Stühlen.

Richter-Reichhelm:

Das macht mir große Sorgen. Die Fachin- ternisten haben ihre Heimat, aber die ohne Schwerpunkt müssen sich bis zum 31. 12. 2000 entscheiden, ob sie haus- ärztlich tätig werden wollen. Diese Kol- legen wissen nicht, was aus ihnen wird.

Die haben Zukunftsangst, und ich kann das sehr gut nachvollziehen. Wenn dann Herr Schulte-Sassen vom BMG (zuständiger Abteilungsleiter für die Gesetzliche Krankenversicherung, d.

Red.) sinngemäß erklärt, die sollen nicht nur aufs Geld schielen, sondern auf ihre Profession achten, dann finde ich das schon zynisch. Was können wir tun? Wir können uns mit der Festle- gung der neuen Bedarfszahlen vor Ort Zeit lassen. Bis dahin ist vielleicht der neue EBM beschlossen und in der Test- phase. Dann sind auch die Bewertun- gen der Leistungen bekannt. Das ist keine absolute Sicherheit für die Inter- nisten ohne Schwerpunkt, aber mehr

als eine Krücke. ✮

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 47½½½½24. November 2000 AA3137

Richter-Reichhelm: Den Mangel bewusst machen. Foto: Josef Maus

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