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Hypochlorsäure in vivo und in vitro: Rolle im Immunsystem und als Desinfektionsmittel

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Hypochlorsäure in vivo und in vitro:

Rolle im Immunsystem und als Desinfektionsmittel

Abschlussarbeit

Postgradualstudium Toxikologie der Universität Leipzig

Dr. Beate Fuchs

Leipzig, 26. Juni 2006

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Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis häufig verwendeter Symbole und Abkürzungen III 1. Einleitung und allgemeine Eigenschaften von Hypochlorsäure 1 2. Hypochlorsäureentstehung 2

2.1. In vitro Darstellung 2

2.2. In vivo Entstehung 3 3. Bestimmung von Hypochlorsäure 4

3.1. In vitro Bestimmung 4

3.2. In vivo Bestimmung 4

3.3. Biomarker 5

4. In vivo Toxizität 5

4.1. Reaktionen einfacher Amine (Butylamin) mit Hypochlorsäure 7 4.2. Reaktionen des Taurins (Modell für Aminosäuren) mit Hypochlorsäure 9 4.3. Reaktionen von HOCl mit Aminosäuren 11

4.3.1. Reaktionen nichtaromatischer und schwefelfreier Aminosäuren 11 4.3.2. Reaktionen aromatischer Aminosäuren 13 4.3.3. Reaktionen schwefelhaltiger Aminosäuren 16 4.4. Reaktionen von HOCl mit ausgewählten Peptiden und Proteinen 17 4.4.1. Reaktionen von HOCl mit Glutathion 17 4.4.2. Reaktion von HOCl mit Serumalbumin 18 4.4.3. Einfluss von HOCl auf Collagen 19 4.5. Reaktionen von HOCl mit Kohlenhydraten 20 4.6. Reaktionen von HOCl mit Lipiden 21 4.7. Relevanz von HOCl bei Erkrankungen 23

5. In vitro Toxizität 25

5.1. Akute Toxizität 25 5.1.1. Hautirritationen 26 5.1.2. Hautsensibilisierung 26 5.1.3. Orale Toxizität 27 5.1.4. Augenirritationen 28 5.1.5. Inhalationen 28

5.2. Ökotoxizität 29

(3)

6. Anwendungen und Wirkungsweise von Natriumhypochlorit 30 6.1. Im Gesundheitswesen 31 6.2. In der Industrie 32 6.3. Produktbeschreibungen von im Haushalt genutztem Hypochlorit 34 6.4. Klassifizierung und Kennzeichnung von NaOCl-haltigen Produkten 34 7. Schlussfolgerungen und Zusammenfassung 35

8. Literatur A

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Verzeichnis häufig verwendeter Symbole und Abkürzungen AFB1 Aflatoxin B1

AS Aminosäure

Bu Butyl

δ Partialladung

DNA engl.: Desoxyribonucleic Acid ε Extinktionskoeffizient

GC-MS Gaschromatographie-Massenspektrometrie GSH Glutathion (Glutathionsulfhydryl) GSSG Glutathion-Dimer

HPLC Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie HSA humanes Serumalbumin

k Geschwindigkeitskonstante LOOH Lipidhydroperoxid

LPC Lyso-Phosphatidylcholin

MALDI-TOF engl.: matrix-assisted laser desorption ionisation time-of-flight MAPK engl.: mitogen activated protein kinase

MPO Myeloperoxidase MS Massenspektrometrie

NADP+ Nicotinsäureamid-Adenosin-Dinucleotid-Phosphat

NADPH (H+) reduzierte Form von Nicotinsäureamid-Adenosin-Dinucleotid-Phosphat NMR Kernmagnetische Resonanzspektroskopie

PC Phosphatidylcholin

pK dekadischer Logarithmus der Dissoziationskonstante RA rheumatoide Arthritis

ROS reaktive Sauerstoffspezies (engl.: reactive oxygen species) sn engl.: stereospecific numbering

TauCl Taurin-N-monochloramin TOC engl.: total organic carbon verf. Cl2 beim Umsatz verfügbares Chlor

(5)

1. Einleitung und allgemeine Eigenschaften von Hypochlorsäure

Hypochlorsäure (HOCl)1 ist ein starkes nichtradikalisches Oxidationsmittel und Chlo- rierungsreagenz für eine Fülle von biologischen Verbindungen. HOCl wird einerseits in den Phagosomen von dafür spezialisierten Zellen (hauptsächlich neutrophilen Granulo- zyten) im Körper produziert, wobei angenommen wird, dass die produzierten Mengen zum Abtöten von Mikroorganismen ausreichen und dass dies ein primärer Abwehrme- chanismus des Körpers gegen eingedrungene Mikroorganismen ist (Klebanoff, 2005).

Andererseits ist Hypochlorsäure als Reinigungsmittel kommerziell erhältlich, wobei die erste Variante - genannt „Eau de Javel“ - vor über 200 Jahren von Percy und Berthollet im französischen Dorf Javel in Form von Kaliumhypochlorit (KOCl) produziert wurde.

Kurze Zeit danach, aber noch bevor Pasteur entdeckte, dass lebende Organismen Infek- tionskrankheiten verursachen können, fanden Labarraque und Semmelweis heraus, dass HOCl sehr wirksam Wundinfektionen vorbeugt und Übertragungen des Kindbettfiebers verhindert (Pratt, 1989). Heutzutage steht „Eau de Javel“ im Französischen für Haus- haltsreiniger auf der Basis von Natriumhypochlorit (NaOCl) und das französische Wort

„javeliser“ bedeutet „keimfrei machen“. Auf HOCl basierende Produkte werden auch heute noch wegen ihrer starken desinfizierenden, bleichenden und schmutzentfernenden Eigenschaften als Desinfektions- und Bleichmittel für unterschiedlichste Anwendungen genutzt. NaOCl wird im Handel auch als Natronbleichlauge, Chlorbleichlauge, Bleich- lauge, Hypochloritlauge oder Hypochlorit-Lösung bezeichnet.

Neutrophile Granulozyten (kurz: Neutrophile) sind im menschlichen Körper hochgradig auf ihre Hauptaufgabe spezialisiert: die Phagozytose und Zerstörung von eingedrunge- nen Mikroorganismen (Hampton, 1998). Die Mikroorganismen werden als „fremd er- kannt“ und an spezifische Rezeptoren an der Oberfläche der Phagozyten gebunden.

Nach Einstülpung (Invagination) der Zellmembran wird der Mikroorganismus in das in- trazelluläre Phagosom inkorporiert. Dann folgt ein explosionsartiger Sauerstoff- verbrauch („Oxygen Burst“) der Granulozyten, bei dem Sauerstoff in hochreaktive Sau- erstoffspezies konvertiert und die inkorporierten Mikroorganismen damit getötet wer-

1 Die eigentlich korrekte Bezeichnung ist „Unterchlorige Säure“. Allerdings wird auch im Deutschen in der Regel und in Analogie zum englischen „Hypochlorous Acid“ die Bezeichnung „Hypochlorsäure“ ge- braucht. Diese Bezeichnung wird in der vorliegenden Arbeit durchgehend verwendet.

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den. Eins der wichtigsten antimikrobiellen Systeme im Phagosom ist durch das Enzym Myeloperoxidase (MPO) gegeben, das aus H2O2 und Cl- initial HOCl und anschließend weitere Folgeprodukte bildet. Diese hochreaktiven Substanzen können ebenso auch aus der Zelle ausgeschüttet werden, wobei es zur Gewebeschädigung und zur Entstehung von Krankheiten kommen kann (Klebanoff, 2005). Als eine bedeutende Autoimmuner- krankung wird z.B. die rheumatoide Arthritis (RA) diskutiert (Schiller et al., 2003).

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden zunächst allgemeine Reaktionsschemata zwischen HOCl und physiologisch relevanten Substanzen dargestellt, um ein umfassen- des Bild von den Schädigungsmechanismen und entsprechenden Schutzreaktionen in vivo zu entwerfen. Im Zusammenhang damit werden auch Methoden zum Nachweis der Oxidationsreaktionen von HOCl und weiteren ausgewählten Reaktiven vorgestellt. An- schließend werden im zweiten Teil die Toxizitäten von kommerziellen HOCl-haltigen Produkten und ihren Anwendungen in vitro näher beschrieben, um abschließend die Wirksamkeit und mögliche Gefahren von HOCl und davon abgeleiteter Produkte allge- mein einzuschätzen.

2. Hypochlorsäureentstehung 2.1. In vitro Darstellung

Hypochlorsäure wird technisch durch Einleiten von Chlorgas in Wasser unter gleichzei- tiger Entfernung des gebildeten Chlorwasserstoffs dargestellt. Um den entstandenen Chlorwasserstoff zu binden, wird in der Regel Quecksilberoxid zugesetzt, um damit das Reaktionsgleichgewicht auf die Seite der Reaktionsprodukte zu verschieben:

2 Cl2 + 3 HgO + H2O → HgCl2 × 2 HgO + 2 HOCl

Weiterhin ist bekannt, dass HOCl beim Bestrahlen (γ-Strahlen) wässriger, Chlorid- haltiger Lösungen entsteht (Saran et al., 1996). Allerdings ist HOCl eine relativ instabile Verbindung, die schon im Dunkeln, wesentlich schneller aber im Sonnenlicht gemäß folgender Gleichung zerfällt (Hollemann und Wiberg, 1985):

2 HOCl → 2 HCl + O2 + 92,5 kJ

Deshalb wird für die Umsetzungen mit HOCl wegen der besseren Handhabbarkeit meis- tens das in Lösung wesentlich beständigere NaOCl verwendet. Die Salze der Hypo- chlorsäure, die eine extrem schwache Säure (KS = 2,90 × 10-8) ist, hydrolysieren im sau-

(7)

ren Milieu unter Bildung von HOCl (Morris, 1966). Das Verhältnis zwischen HOCl und NaOCl stellt sich damit je nach pH-Wert der verwendeten Lösung von selbst ein:

ClOÖ + H2O ' HOCl + HOÖ

Da der pKa-Wert von HOCl 7,53 beträgt, liegt unter physiologischen Bedingungen (pH 7,4) nahezu ein 1:1 Gemisch aus HOCl und ClO- vor. HOCl kommt weiterhin häufig in Form von Calciumhypochlorit Ca(OCl)2 („Chlorkalk“) zur Anwendung, das in einem mehrstufigen Prozess aus Ca(OH)2 und Cl2 hergestellt wird.

2.2. In vivo Entstehung

Bei der Immunabwehr von eingedrungenen Mikroorganismen wird HOCl eine große Rolle zugeschrieben. Deshalb wird sie vorwiegend in den Zellen generiert, denen diese Abwehrfunktion im Organismus zukommt (Neutrophilen und Makrophagen). Stimulier- te Neutrophile generieren dafür Wasserstoffperoxid (H2O2) und sekretieren das Enzym Myeloperoxidase (MPO). MPO katalysiert die Reaktion von H2O2 mit physiologisch vorhandenen Chlorid-Ionen (Cl-) und führt dadurch zur Bildung des starken Oxidanz HOCl (Thomas, 1979):

H2O2 + H¾ + ClÖ → HOCl + H2O

Desweiteren resultieren aus der Reaktion von HOCl mit gleichermaßen unter in vivo Bedingungen generierten Superoxidanionradikalen (O2•-) Hydroxylradikale (HO) und im Ergebnis der Reaktion von HOCl mit H2O2 wird Singulett-Sauerstoff (1O2) gebildet.

Einen groben Überblick über die Bildung dieser reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) und die beteiligten Enzyme gibt Abb. 1.

H O

2 2

NADPH-Oxidase

O

2

(Superoxid-Dismutase)

O

2

.- My

eloperoxidase

H/Cl

+ -

Singulett- Sauerstoff Hypochlor-

säure

HOCl

1O2 Hydroxyl -Radikale

HO

HOCl Myeloper-

oxidase

Abb. 1: Schema der in vivo Generierung von reaktiven Sauerstoffspezies

(8)

Aufgrund seiner Dissoziationseigenschaften (pKa = 7,53) existiert HOCl unter physio- logischen Bedingungen als Mischung von beiden Formen: der neutralen und ionisierten (ClO-).

3. Bestimmung von Hypochlorsäure

Für die quantitative Bestimmung von HOCl existieren viele empfindliche und zuverläs- sige Methoden, da HOCl eine molekulare Substanz ist und damit im Unterschied zu re- aktiveren Spezies wie z.B. HO-Radikalen eine große Selektivität aufweist.

3.1. In vitro Bestimmung

Die Bestimmung von NaOCl kann mittels Chemolumineszenz-Messungen, spektralpho- tometrisch, über die Chlorierung von Dimedon oder durch die Umsetzung mit Ellman- Reagenz erfolgen: Das Chemolumineszenz-Signal, das durch die Reaktion zwischen Luminol (3-Amino-phthalhydrazid) und Hypochlorsäure generiert wird, ist der HOCl- Konzentration im Gültigkeitsbereich der Methode direkt proportional (Arnhold et al., 1995). Die spektralphotometrische Bestimmung muss im alkalischen Milieu erfolgen, um sicherzustellen, dass die gesamte HOCl in Form ihres Anions vorliegt. Das Absorp- tionsmaximum des ClO--Ions liegt bei 290 nm (ε290 nm = 350 M−1cm−1), daher dürfen bei der Bestimmung keine weiteren Substanzen anwesend sein, die bei dieser Wellenlänge absorbieren (Morris, 1966). Weit empfindlicher ist die spektralphotometrische Erfas- sung der Bildung von Monochlordimedon aus Dimedon unter dem Einfluss von HOCl.

Das gebildete Produkt weist einen viel höheren Extinktionskoeffizienten (ε290 nm = 1,99 × 104 M1cm1) als das eigentliche HOCl auf (Hewson et al., 1979). Ellman- Reagenz (5,5’-Dithio-bis-(2-nitro-benzoesäure) ist ein empfindliches Reagenz zur Be- stimmung von Sulfhydrylgruppen. Durch HOCl werden −SH-Gruppen effektiv oxidiert, wodurch über ihre Abnahme indirekt die Konzentration von HOCl bestimmt werden kann (Kleber et al., 1997).

3.2. In vivo Bestimmung

Für in vivo-Bestimmungen von HOCl eignen sich in der Regel die oben für in vitro- Bestimmungen beschriebenen Methoden. Allerdings wird beim Arbeiten mit Zellen

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häufig auch die MPO-Aktivität anstelle der HOCl-Konzentration bestimmt (Klebanoff et al., 1984). Dabei muss jedoch zwischen der chlorierenden und oxidierenden Aktivität unterschieden werden.

3.3. Biomarker

Die Verfügbarkeit von Biomarkern für HOCl ist sehr wichtig, um die pathologische Rolle von MPO und ihren Produkten zu untersuchen. Ein guter Biomarker sollte spezi- fisch für die diskutierte reaktive Spezies und chemisch und biologisch stabil sein. Au- ßerdem sollte das Targetmolekül eine hohe Reaktivität aufweisen und in ausreichend hoher Konzentration vorliegen. Die Oxidationsreaktionen von HOCl sind am schnell- sten, führen allerdings oft zu relativ unspezifischen Produkten. Deswegen sind Oxida- tionsprodukte in der Regel nicht als spezifische Marker für HOCl geeignet. Potentielle Biomarker wären die Glutathionsulfonamide, die aus Glutathion (GSH) gebildet wer- den, allerdings noch umfassender untersucht werden müssen (Winterbourn und Kettle, 2000).

Chlorierungsreaktionen sind in der Regel langsamer als Oxidationsreaktionen weswe- gen nur geringere Mengen an Chlorierungsprodukten gebildet werden. Die bevorzugten Chlorierungsreaktionen von HOCl erfolgen mit Aminogruppen, die in Form von Protei- nen in großen Mengen vorhanden sind. Die dabei entstehenden Chloramine sind aller- dings in der Regel kurzlebig und daher zum Nachweis unbrauchbar. Die Chlorierung von Tyrosyl-Resten und ungesättigten Lipiden erfolgt zwar langsamer als die von Ami- nen, die Endprodukte sind aber stabil und daher zuverlässiger zu erfassen (Winterbourn, 2002). Von allen bisher untersuchten Biomarkern für HOCl ist die Bestimmung von chloriertem Tyrosin (3-Chlortyrosin und 3,5-Dichlortyrosin) mittels GC/MS oder HPLC die Methode der Wahl (Winterbourn und Kettle, 2000).

Im folgenden Kapitel werden die genannten Reaktionen von HOCl mit ausgewählten Targetmolekülen eingehender erläutert und deren Reaktionsprodukte charakterisiert.

4. In vivo Toxizität

HOCl gilt allgemein als eine cytotoxische Verbindung (Klebanoff, 1991), die mit vielen verschiedenen Molekülen wie Aminosäuren (AS), Proteinen, Kohlenhydraten, Nuklein-

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säuren und Lipiden reagiert (Winterbourn, 1985; Arnhold et al., 1993; Schiller et al., 1994; Prütz, 1996; Schaur et al., 1998). Proteine sind das Hauptziel für oxidative Schä- digungen durch HOCl aufgrund ihrer hohen Konzentration in biologischen Systemen und der großen Geschwindigkeitskonstanten der Reaktionen zwischen HOCl und Ami- nogruppen (Davies, 2005; Hawkins et al., 2003). Neben natürlich vorkommenden AS sollen hier zu Beginn noch zwei weitere Verbindungen besprochen werden: Zum einen das Taurin (eine Aminosulfonsäure), dem eine hohe physiologische Relevanz beim

„Scavenging“ von HOCl zukommt (Schuller-Levis et al., 2003) und die in millimolaren Konzentrationen in den Neutrophilen vorliegt. Zusätzlich soll ein einfaches Amin (Bu- tylamin) als Modellverbindung besprochen werden, da neben schwefelhaltigen, funktio- nellen Gruppen die Aminogruppe die Reaktivität gegenüber HOCl im wesentlichen be- stimmt.

Einfache AS mit ausschließlich aliphatischen Resten, wie z.B. das Alanin oder Valin, besitzen lediglich zwei funktionelle Gruppen, die ihre Reaktivität gegen HOCl im we- sentlichen ausmachen: Eine Carboxyl- (bzw. im dissoziierten Zustand eine Carboxy- latgruppe COO-) und eine Aminogruppe. Während die Carboxylgruppe nicht weiter oxi- diert werden kann, da der Kohlenstoff dort bereits seine maximale Oxidationszahl von +IV besitzt, kommt der Aminogruppe eine weitaus höhere Reaktivität zu. Dies resultiert zum einen aus der Oxidationsempfindlichkeit des Stickstoffs, der alle Oxidationszahlen von –III in der Aminogruppe bis zu +V, z.B. im Nitrat-Ion (NO3-), annehmen kann, wie auch der Anwesenheit des freien Elektronenpaars am Stickstoffatom, welches ein Ziel für elektrophile Reagenzien ist. Die Reaktionsfähigkeit gegenüber HOCl findet man in noch stärkerem Maße, wenn Schwefel im AS-Molekül vorhanden ist (wie z.B. im Cystein), da der Schwefel eine noch höhere Oxidationsempfindlichkeit besitzt als der Stickstoff (der Bereich der möglichen Oxidationszahlen reicht von –II in Thiolen bis hin zu +VI im Sulfat) (Greenwood and Earnshaw, 1988). Signifikante Änderungen im Re- aktionsverhalten sind für aromatische AS zu erwarten, da der enthaltene Phenylring eine Stelle hoher negativer Ladungsdichte ist und somit für HOCl (und andere elektrophile Reagenzien) das bevorzugte Ziel ist.

Im Folgenden werden die Reaktivitäten der unterschiedlichen AS nach zunehmender Oxidationsempfindlichkeit diskutiert: An die Besprechung einfacher Modellverbindun- gen (Butylamin, Taurin) schließen sich die aliphatischen AS an. Die Betrachtungen lei-

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ten dann zu den aromatischen AS über und die reaktivsten AS, d.h. die schwefelhalti- gen, werden danach beschrieben. Anschließend werden die Reaktionen ausgewählter physiologisch relevanter Peptide (z.B. Glutathion) und Proteine mit HOCl besprochen, wobei nach zunehmendem Molekulargewicht vorgegangen wird.

Schließlich werden die Reaktionen von HOCl mit Kohlenhydraten und Lipiden und zum Abschluss die Wirkungen auf komplexe biologische Systeme, die alle genannten Biomoleküle enthalten, und die in diesem Zusammenhang stehenden Krankheiten be- schrieben.

4.1. Reaktionen einfacher Amine (Butylamin) mit Hypochlorsäure

Die Reaktionen von HOCl mit Butylamin sind aus unterschiedlichen Gründen zur Mo- dellierung der Reaktivitäten physiologisch relevanter AS hochinteressant. Einerseits ist Butylamin ausgesprochen reaktionsträge, so dass es ausschließlich mit den aggressivs- ten Reagenzien reagiert. Andererseits besitzt Butylamin sowohl hydrophile Eigenschaf- ten (durch die Aminogruppe) als auch lipophile Eigenschaften (durch den aliphatischen Butylrest), wodurch ein guter Vergleich mit den unterschiedlich stark polaren AS mög- lich ist. Darüber hinaus sind vom Butylamin mehrere isomere Verbindungen verfügbar (n-butyl, i-butyl, s-butyl und t-butyl), was eine Abschätzung des Einflusses unterschied- licher organischer Reste (mit unterschiedlicher Größe) auf die Reaktivität des Butyl- amins ermöglichen sollte.

Die primären Reaktionsprodukte beim Einwirken von HOCl/ClO- auf Aminogruppen- haltige Verbindungen, sind die entsprechenden Mono- und Dichloramine. In der Regel werden Untersuchungen zur Kinetik der Reaktion von HOCl mit Aminen mittels UV- Spektroskopie durchgeführt. Von Vorteil ist, dass die eingesetzten Amine keine nen- nenswerte Absorption im UV aufweisen, hingegen HOCl/ClO- eine Absorptionsbande im UV-Bereich besitzt. In der Regel wird für diese Absorption der Extinktions- koeffizient von 350 M1cm1 bei 290 nm (in stark alkalischer Lösung) verwendet, wobei diese Bande aber sehr stark vom pH-Wert abhängig ist: In wässriger Lösung liegt ein pH-abhängiges Gleichgewicht zwischen freier Säure und dem entsprechenden Salz vor (Morris, 1966):

HOCl ' H¾ + ClOÖ (pK = 7,53)

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Dieses Gleichgewicht wird mit sinkendem pH-Wert immer weiter zugunsten der freien Säure, d.h. HOCl verschoben, die bei 292 nm nur noch einen Extinktionskoeffizienten von 26,9 M−1cm−1 aufweist, aber dafür stärker im kürzerwelligen Bereich absorbiert (bei 235 nm beträgt der Extinktionskoeffizient ca. 100 M−1cm−1). Arbeitet man jedoch bei konstantem pH-Wert und damit einem definierten HOCl/NaOCl-Verhältnis, so kann die Reaktivität unterschiedlichster Verbindungen mit Hypochlorsäure sehr einfach über die Abnahme der ClO--Konzentration bei 290 nm verfolgt werden (Schiller et al., 1995b).

Bei der Umsetzung von HOCl mit n-Butylamin wird das primäre Reaktionsprodukt, N- Chlorbutylamin, nach 1. Ordnung sowohl bezüglich der Konzentration des eingesetzten ClO- wie auch des eingesetzten Butylamins gebildet. Daraus schließt man, dass bei der Umsetzung kein radikalischer Mechanismus beteiligt ist (Antelo et al., 1995a,b), son- dern die Reaktion molekular verläuft:

Bu−NH2 + HOCl → Bu−NH−Cl + H2O (v = k [BuNH2] [HOCl])

Die Reaktion ist unabhängig von der Ionenstärke der Lösung, was in besonderem Maße auch für die Chlorid-Ionenkonzentration gilt, die den Zerfall von HOCl fördern sollte (Hollemann und Wiberg, 1985), da sie das Gleichgewicht der folgenden Reaktion nach links verschiebt:

2 Cl2 + 2 HOÖ ' 2 HOCl + 2 ClÖ

Die Reaktionsgeschwindigkeit ist jedoch sehr stark vom pH-Wert der Lösung abhängig:

Im stark alkalischen (pH ≈ 11) läuft die Reaktion derartig schnell ab, dass sie auch mit kinetischen Kurzzeit-Analysetechniken, wie z.B. „Stopped-Flow“, nicht mehr verfolgt werden kann. Mit sinkendem pH-Wert nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit stark ab (Antelo et al., 1995a). Hinsichtlich des Einflusses des pH-Wertes zeigte der Vergleich der unterschiedlichen Isomeren des Butylamins, dass die jeweilige Raumerfüllung der organischen Reste (der sterisch anspruchsvollste Rest ist t-butyl) eine weitaus geringere, nahezu vernachlässigbare Rolle spielt (die k-Werte liegen zwischen 10 bis 30 s-1) (Ante- lo et al., 1995b).

Bei einem Überschuss an HOCl und sauren pH-Werten dominiert die Folgereaktion zum Dichloramin:

BuNHCl + HOCl → BuNCl2 + H2O

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Substituenteneffekte spielen für anschließende Sekundärreaktionen des Chloramins eine größere Rolle: Im alkalischen wandelt sich das gebildete Chloramin gemäß folgender Gleichung in den entsprechenden Aldehyd um. Das gilt allerdings nur für das primäre Butylamin, da hier die Aldehydbildung ohne Spaltung von C-C-Bindungen möglich ist:

Cl-HN-C4H9 + H2O → HCl + C3H7CHO + NH3

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Chloramine des t-Butylamins auch in stark alka- lischen Lösungen über längere Zeiten völlig stabil sind. Für die entsprechenden n- Chlorbutylamine gilt, dass in saurer Lösung (pH~2) das entsprechende Dichloramin durch Dismutation des Chloramins gebildet wird:

2 Cl-HN-C4H9 ' H2N-C4H9 + Cl2N-C4H9

Diese Dichloramine entstehen nicht nur durch Dismutation, sondern auch direkt bei der Umsetzung von Butylamin mit HOCl im sauren Milieu, wobei ein Maximum der ent- sprechenden Geschwindigkeitskonstante bei ca. pH = 1,5 beobachtet wird (Antelo et al., 1995a,b). Keine Angabe gibt es erstaunlicherweise zur Nitrilbildung bei der Reaktion von HOCl mit Butylaminen, obwohl diese Reaktion für AS ausführlich beschrieben wird (Pereira et al., 1973).

4.2. Reaktion des Taurins (Modell für Aminosäuren) mit Hypochlorsäure Taurin (2-Amino-ethansulfonsäure, H2N-CH2-CH2-SO3H) ist aufgrund der fehlenden Carboxylgruppe keine AS im eigentlichen Sinn, wird aber oft im Zusammenhang mit den AS behandelt. Das liegt daran, dass Taurin eine stark saure Sulfonsäure-Gruppe (−SO3H) besitzt, die in ihren Eigenschaften mit der Carboxylgruppe von AS vergleich- bar ist. Taurin kommt in hohen Konzentrationen in Geweben vor, die reich an Membra- nen sind (z.B. Retina, Herz, Gehirn und Skelettmuskel) (Lin et al., 1988). Auch in neutrophilen Granulozyten kommt Taurin in vergleichsweise hohen Konzentrationen vor (bis zu 22 mmol/l). Dort hat es eine hohe Relevanz als Antioxidanz (Grisham et al., 1984). Lange Zeit galt Taurin als reaktionsträges Endprodukt (Stryer, 1987) des Me- thionin- und Cystein-Stoffwechsels (Abb. 2).

Neuere Untersuchungen zeigten Taurin als ein Reagenz, das durch reaktive Sauerstoff- verbindungen induzierte Schädigungen an Lipidmembranen effektiv verhindern kann (Nakamori et al., 1990), indem es mit Lipiden um z.B. HOCl kompetitiv konkurriert. Da

(14)

die Reaktion mit Aminogruppen viel schneller als mit olefinischen Resten verläuft, ist dies gleichzusetzen mit einer effektiven Verminderung der HOCl-Konzentration.

C CH

O

NH2 S H

CH2 OH

C CH

O

NH2 S

CH2 OH O

O H

O

Cystein Cysteinsulfonsäure

Oxidation

CH2NH2 S

CH2

O O H Oxidation O

Taurin

Abb. 2: Syntheseweg des Taurins

Über diese rein chemische Wirkung hinaus werden dem Taurin bzw. dem Taurinmo- nochloramin (ClHN-CH2-CH2-SO3H) wichtige regulatorische Funktionen zugeschrie- ben (Kim et al., 1996). Taurinchloramin hemmt die Bildung anderer reaktiver Sauer- stoffverbindungen im Organismus und reduziert die Freisetzung von TNF-α in Leuko- zyten (Kim et al., 1996). Darüber hinaus wurde auch gezeigt, dass Tau-NHCl die Akti- vität humaner Collagenase beeinflusst (Davies et al., 1993). N-Chlortaurin wirkt als

„langlebiges“ Oxidationsmittel, da es lange Diffusionswege zurücklegen bzw. biologi- sche Membranen überwinden kann und somit noch weit entfernt vom Entstehungsort Reaktionen ermöglicht.

HOCl reagiert mit Taurin je nach Stöchiometrie und pH-Wert der Lösungen unter Bil- dung des entsprechenden mono- oder dichlorierten Produkts (Abb. 3).

CH2 NH2 S CH2 O

H O O

CH2 NH S

CH2 O

H O O

Cl CH2

N S CH2 O

H O O

Cl pH-Wert Cl

+ HOCl - H2

O

+ 2 H OCl - 2 H

2O

Taurinmonochloramin (im neutralen Milieu)

Taurindichloramin (im sauren Milieu) Taurin

Dismutation Dismutation

Abb. 3: Schema der Reaktionen zwischen Taurin und Hypochlorsäure

Bei neutralem bzw. leicht alkalischem pH-Wert wird grundsätzlich nur das Monochlor- taurin gebildet − unabhängig von der Stöchiometrie der eingesetzten Ausgangsmateria- lien. Das entsprechende Dichlortaurin wird nur gebildet, wenn die Reaktion zwischen Taurin und HOCl bei pH-Werten kleiner als 5 stattfindet. Unterhalb dieses pH-Wertes

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dismutiert das initial gebildete Monochlortaurin sehr schnell in das entsprechende Di- chlortaurin, wobei freies Taurin entsteht (Abb. 3). Wenn der pH-Wert erhöht wird, ent- steht aus dem Dichloramin wieder das Monochloramin. Die relativ geringe Reaktivität des Monochlortaurins verglichen mit anderen Chloraminen entspricht seiner verhält- nismäßig langen Haltbarkeit von mindestens 24 h (Weiss et al., 1982).

4.3. Reaktionen von HOCl mit Aminosäuren

Im folgenden Kapitel werden die Reaktionen der unterschiedlichen AS-Klassen mit HOCl nach steigender Komplexität besprochen. Zunächst werden die aliphatischen AS ohne weitere bzw. mit einem einzelnen zusätzlichen Substituenten diskutiert, anschlie- ßend die aromatischen und schließlich die besonders reaktiven, schwefelhaltigen AS.

4.3.1. Reaktionen nichtaromatischer und schwefelfreier Aminosäuren

Bereits im Jahre 1909 fand Langheld, dass die Reaktion zwischen einfachen α-AS und NaOCl den entsprechenden Aldehyd sowie Kohlenmonoxid und Ammoniak als stabile Produkte ergibt. Neue Arbeiten auf diesem Gebiet behandeln in der Regel sowohl die Analytik der dabei gebildeten Produkte (Pereira et al., 1973) als auch die Bestimmung der zugrundeliegenden Geschwindigkeitskonstanten (Armesto et al., 1993,1995), die meistens über UV-spektroskopische Messungen erfolgte. Wesentliche Details der Reak- tion sind trotz intensiver Forschung noch weitgehend unverstanden. So existieren zwei Vorstellungen über den Reaktionsmechanismus, die zwar das gleiche Endprodukt lie- fern, aber vollkommen verschieden verlaufen (Abb. 4).

CH N H2

C R

OH O + HOCl

- H2O HC N

C R

H Cl OH

O - HCl C NH R C

OH

O C

R HNH - CO2

C O

R H

+ H2O - NH3 Reaktionsverlauf A:

CH N H2

C R

OH O

C H

N C R

O H OH

OH

O CH

N R C

O O

O H

C N

R H

OH - CO2

C O

R H

Reaktionsverlauf B:

- H2O + H2O

- H2N-OH + 2 ClO-

- 2 Cl-

Abb. 4: Mögliche Reaktionswege zwischen Aminosäuren und HOCl

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Mechanismus A geht davon aus, dass im ersten Schritt der Reaktion durch einen elek- trophilen Angriff des Chloronium-Ions (das in HOCl latent vorliegt) an den Stickstoff der AS zuerst das entsprechende Chloramin gebildet wird. Das gebildete Chloramin eli- miniert anschließend HCl und Kohlendioxid, wobei ein Imin entsteht. Dieses hydroly- siert unter Ammoniak-Abspaltung zu einem Aldehyd, der als stabiles Endprodukt ange- sehen wird (Armesto et al., 1995; Antelo et al., 1995a).

Mechanismus B geht davon aus, dass das eigentliche Reaktiv das Hypochlorit-Anion ist, welches zu einer zweifachen Insertion von Sauerstoff in die NH-Bindung führt, wo- bei durch Wasserabspaltung zunächst eine Nitrosoverbindung entsteht. Diese eliminiert Kohlendioxid unter Bildung des entsprechenden Hydroxylamins, welches letztlich nach Hydrolyse einen stabilen Aldehyd bildet. Mittels NMR-spektroskopischer und chroma- tographischer Techniken wurde gezeigt, dass Reaktionsverlauf A im allgemeinen für AS gültig ist und die Reaktion ohne radikalische Zwischenstufen verläuft (Hazen et al., 1998 a,b).

Aus den initial gebildeten Chloraminen können weiterhin im Rahmen eines Konkur- renzmechanismus Nitrile gebildet werden, wobei Kohlenmonoxid und Ammoniak ab- gespalten wird (Pereira et al., 1973). Die Aldehyde werden bevorzugt bei der stöchio- metrischen (1:1) Reaktion zwischen AS und HOCl im sauren Milieu gebildet. Hingegen entstehen bei HOCl-Überschuss und höheren pH-Werten (d.h. hauptsächliches Vorlie- gen von ClO-) bevorzugt die Nitrile. Dichlorderivate der einzelnen AS werden im stark sauren Milieu (pH ~ 2-4) gebildet, während im stärker alkalischen pH-Wert ausschließ- lich das Monochlorderivat entsteht.

Physiologisch relevante Bedeutung kommt der Entstehung einiger anderer Reaktions- produkte zu, die z.B. durch Einwirkung des kompletten MPO-Systems (MPO/H2O2/Cl-) und somit der enzymatisch gebildeten HOCl auf Serin oder Threonin gebildet werden (Abb. 5).

Den Oxidationsprodukten der beiden hydroxylierten AS wird eine hohe Relevanz bei Entzündungsreaktionen zugeschrieben, da die dabei entstehenden (teilweise sogar unge- sättigten) Aldehyde extrem reaktiv sind und viele Folgereaktionen auslösen können (Anderson et al., 1997; Hazen et al., 1998a,b).

(17)

C NH2

C CH2

OH O O

H

H

C CH2

O

H O

H HOCl

Serin Glycolaldehyd

C NH2

C C

OH OH O

C H3

H H

C C O

H O

H H C H3

HOCl

Threonin 2-Hydroxypropanal

C

C O

H H C H2

Acrolein - H2O

Abb. 5: Gebildete Produkte bei der Reaktion von HOCl mit Serin und Threonin

Aus Serin wird in erster Linie Glycolaldehyd gebildet und aus Threonin zunächst Hydroxypropanal, das leicht zum Acrolein, einem extrem toxischen Produkt, dehydrati- siert wird.

Eine weitere AS, das Lysin, wird im Zusammenhang von gewebeschädigenden physio- logischen Prozessen unter Einfluss von HOCl intensiv diskutiert: Die Einwirkung von Hypochlorit auf Proteine führt zu Stickstoff-zentrierten Radikalen an den vorhandenen Lysinresten (Hawkins und Davies, 1998), die im Rahmen komplexer Reaktionen in wei- tere bislang noch nicht im Detail geklärte Verbindungen zerfallen.

4.3.2. Reaktionen aromatischer Aminosäuren

Im Gegensatz zu den aliphatischen AS besitzen aromatische AS mit dem aromatischen Rest eine weitere funktionelle Gruppe, die gegen Angriffe von HOCl empfindlich ist (Pereira et al., 1973). Die Reaktionen der drei natürlich vorkommenden aromatischen AS (Phenylalanin, Tyrosin, Tryptophan) werden im folgenden eingehender besprochen:

Die Reaktion von Phenylalanin mit HOCl liefert bei physiologischem pH-Wert (7,4) lediglich zwei Produkte in höheren Ausbeuten (Ogata et al., 1981), nämlich Phenylace- tonitril (95%) und Phenylacetaldehyd (5%) (Abb. 6).

C C

O CH2

NH2 OH H

C CH2 N C

CH2 O H

C CH2 O

OH + H2O

Abb. 6: Reaktionsprodukte zwischen HOCl und Phenylalanin

(18)

Phenylacetonitril wird leicht weiter zur entsprechenden Säure hydrolysiert (Pereira et al., 1973). Das heißt, dass im Falle des Phenylalanins hauptsächlich der funktionelle AS-Rest angegriffen wird und der aromatische nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Reaktion von Tryptophan mit HOCl liefert in Analogie zum Phenylalanin in erster Linie den entsprechenden Indolylacetaldehyd (Maskos et al., 1992a,b) (Abb. 7) und nur in sehr geringen Ausbeuten das analoge Nitril. Diese Reaktion ist sehr stark vom pH- Wert abhängig und verläuft nur im basischen Milieu mit messbarer Geschwindigkeit.

Dies kann einerseits mit der ausschließlichen Beteiligung der dissoziierten Form von HOCl, d.h. des Hypochlorit-Anions begründet werden, da bei basischem pH-Wert in erster Linie das Hypochlorit-Anion vorliegt (Morris, 1966). Eine andere mögliche Be- gründung wäre, dass ausschließlich die deprotonierte Form des Tryptophans diese Reaktion eingehen kann (Rausch et al., 1981).

C O CH2C

NH2 NH

OH H

O CH2 C NH

H

Abb. 7: Oxidation von Tryptophan durch HOCl

Im Gegensatz zu den beiden anderen aromatischen AS besitzt das Tyrosin mit seiner OH-Gruppe in para-Postion des aromatischen Ringes eine zusätzliche funktionelle Gruppe (Domigan et al., 1995). Dies führt zu wesentlichen Veränderungen bei den Re- aktionsprodukten, da hier auch radikalische Reaktionsmechanismen auftreten können.

Die hohe physiologische Relevanz der Reaktionen des Tyrosins führte zu umfassenden Untersuchungen, die sowohl anhand des MPO-Systems, stimulierten Neutrophilen als auch mit HOCl durchgeführt wurden. So führte die Umsetzung von Tyrosin mit MPO hauptsächlich zu Oligomerisierungsprodukten der AS (Jacob et al., 1996). Diese wurden als Dityrosin, Trityrosin, Pulcherosin und Isotyrosin mittels HPLC und NMR- Spektroskopie charakterisiert. Obwohl der genaue Mechanismus der Tyrosylradikal- Bildung durch MPO noch weitgehend unbekannt ist, wurde der in Abb. 8 gezeigte Re- aktionsweg von den oben genannten Autoren postuliert.

Initial wird ein Alkoxyl-Radikal (RO) aus Tyrosin gebildet, das über Keto-Enol- Tautomerie im Gleichgewicht mit einer zweiten Spezies steht, bei der das ungepaarte Elektron in ortho-Stellung zur Keto-Gruppe lokalisiert ist. Die Oligomerisierungspro-

(19)

dukte (Dimere und Trimere) einschließlich der entsprechenden Isoformen entstehen durch Rekombination der genannten Radikale untereinander je nach Reaktionsbedin- gungen (Heinecke et al., 1993a,b).

CH O

R

CH O

R R

O

O

H HO

R R

O O H

R

R

O O H

R

R R

+ OH CH O

R

+ HO HO

R R

O H

R

Abb. 8: Oligomerenbildung aus Tyrosin unter Einfluss von HOCl

Diese Daten stehen allerdings im Widerspruch zu einer älteren Untersuchung (Pereira et al., 1973), in der die Einwirkung von HOCl auf Tyrosin im isolierten Modellsystem fünf unterschiedliche Produkte in unterschiedlichen Ausbeuten ergab, wobei 4-Hydroxy-3- chlorphenylacetonitril maßgeblich dominierte (Abb. 9).

OH

CH2CN OH

Cl

CH2CN

OH Cl Cl

CH2CN OH

Cl

CH2CN

OH

Cl Cl

Cl OH

C H

NH2 COOH

3% 86% 7% 3% 1%

Abb. 9: Produktausbeuten bei der Oxidation von Tyrosin durch HOCl

Weiterhin wurde festgestellt, dass die Reaktion zwischen Tyrosin und HOCl stark von der chemischen Umgebung des Tyrosins abhängig ist. Während die in Abb. 9 gezeigten Produkte bei der Reaktion mit freiem Tyrosin erhalten werden, führt die Reaktion von Tyrosinresten in Peptiden und Proteinen hauptsächlich zur Bildung von 3-Chlortyrosin (Kettle, 1996). In neueren Arbeiten werden insbesondere die Veränderungen an aroma-

(20)

tischen AS für die Inaktivierung von Enzymen durch HOCl verantwortlich gemacht (Hawkins and Davies, 2005).

4.3.3. Reaktionen schwefelhaltiger Aminosäuren

Zu den physiologisch wichtigen schwefelhaltigen Aminosäuren zählen das Cystein, das eine Thiolgruppe (-S-H) besitzt, sowie das Methionin, das eine Thioethergruppe (-S- CH3) aufweist. Die besondere physiologische Bedeutung des Cysteins kommt dadurch, dass bei der Oxidation des Cysteins die sogenannten Cystinbrücken entstehen, die ein wichtiges Strukturelement von Proteinen sind (Stryer, 1987).

Die Reaktionen von HOCl mit Thiolen gehören zu den schnellsten Reaktionen von HOCl überhaupt (Winterbourn, 1985) und verlaufen mit Geschwindigkeitskonstanten von ca. 107 M-1 s-1 (Prütz, 1996). Bei der Umsetzung von Cystein mit HOCl wird neben Cysteinsulfon, Cysteinsulfonsäure auch Cystin gebildet, wobei Cystin schließlich wie- derum zu Cysteinsulfonsäure oxidiert wird (Abb. 10). Ähnlich reaktiv ist HOCl auch gegenüber Methionin, wobei in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen die ent- sprechenden Sulfoxide bzw. Sulfone entstehen und eine pH-Erniedrigung die Umset- zung beschleunigt (Horner und Gerhard, 1985).

COOH C NH2 S CH2 CH2 C

H3

H

COOH C NH2 CH2

H S H

Methionin Cystein

COOH C NH2 S CH2 CH2 C

H3 O H

Methioninsulfoxid Ox

Ox

Weitere Spaltprodukte

COOH C NH2 CH2

H S C H3

O

O

Cysteinsulfon

COOH C NH2 CH2

H S O H

O

O

Cysteinsulfonsäure Ox

COOH C NH2 CH2

H S S CH2 C HOOC

N H2

H

Ox Ox

Cystin Ox

Abb. 10: Produkte der HOCl-Umsetzung von Methionin (links) und Cystein (rechts)

Vergleicht man die Reaktivitäten unterschiedlicher funktioneller Gruppen, ist die Reak- tivität von schwefelhaltigen AS so hoch, dass erst wenn alle Schwefelgruppen umge- setzt worden sind, eine Umsetzung mit anderen AS-Resten (z.B. unter Chloraminbil- dung) stattfindet (Arnhold et al., 1990).

(21)

4.4. Reaktionen von HOCl mit ausgewählten Peptiden und Proteinen

Obwohl an den isolierten AS bereits einige Fragen hinsichtlich des Reaktionsmecha- nismus offen bleiben, stellen Peptide und Proteine aufgrund ihrer hohen physiologi- schen Konzentration das Hauptziel für HOCl dar. Im folgenden werden die Reaktivitä- ten exemplarischer Vertreter der Peptide und Proteine beschrieben.

4.4.1. Reaktion von HOCl mit Glutathion

Glutathion (GSH), ein biogenes Tripeptid, ist Bestandteil vieler pflanzlicher Organis- men, Mikroorganismen sowie höherer Lebewesen und das wichtigste intrazelluläre Re- doxsystem. Allerdings wird angenommen, dass bei einer Verminderung der GSH- Konzentration auch andere Antioxidantien (Thioredoxin und Glutaredoxin) stärker zum tragen kommen (Cunningham und Ahern, 1995). GSH galt lange als Musterbeispiel ei- ner Verbindung mit antioxidativen Eigenschaften (Flohé et al.,1982), wobei aber neuere in vitro Untersuchungen zeigten, dass die Coinkubation von GSH mit Lipidmembranen zu Lipidperoxidation führt (Pichorner et al., 1995). GSH findet man intrazellulär in be- sonders hohen Konzentration (ca. 0,1 bis 10 mM).

Dabei liegt das Tripeptid (γ-Glu-Cys-Gly) gewöhnlich in seiner reduzierten Form als Thiol (eine –SH-Gruppe enthaltend) vor. An dieser Thiolgruppe kann das Glutathion zu einem Dimer mit einer Disulfidbrücke oxidiert werden (Abb. 11).

HOOC C C

O

CH2 CH2 C C O N

SH CH2 H

H

COOH N CH2 H

NH2 H

Glu Cys

Gly

Cys

Gly

Gly Glu

Glu

S S

2 e-, 2 H+

Cys

Abb. 11: Struktur von reduziertem und oxidiertem Glutathion

(22)

Für den Mechanismus der Glutathion-Oxidation und damit für seine antioxidative Wir- kung werden die Enzyme Glutathion-Peroxidase und Glutathion-Reduktase benötigt.

Glutathion-Peroxidase ist ein Selen-haltiges Enzym (4 Se-Atome im Protein), das die Zersetzung von Lipidhydroperoxiden (LOOH) in Gegenwart von GSH katalysiert:

LOOH + 2 GSH → H2O + LOH + GS-SG

Glutathion wird unter anderem über diesen Prozess verbraucht, aber über Glutathion- Reduktase unter Verbrauch von NADPH (H+) wieder regeneriert:

GSSG + NADPH + H¾ → 2 GSH + NADP¾

GSH wird durch HOCl nicht nur zum Disulfid oxidiert, sondern es entstehen weitere Produkte durch selektive Oxidation der Thiolgruppe. Diese beiden Produkte werden ir- reversibel, das Disulfid jedoch reversibel gebildet (Winterbourn und Brennan, 1997).

Unter in-vivo-Bedingungen sind die Verhältnisse allerdings wesentlich komplizierter, da hier neben dem GSH viele andere Verbindungen als Reaktionspartner für HOCl vor- handen sind. So bilden sich z.B. beim Einwirken von HOCl auf Neutrophile gemischte Disulfide (z.B. aus Cystein und Glutathion), was das Vorhandensein von anderen anti- oxidativen Verbindungen in den Neutrophilen unter in vivo Bedingungen belegt (Carr und Winterbourn, 1997).

4.4.2. Reaktion von HOCl mit Serumalbumin

Albumin ist ein Protein, das in sehr hohen Konzentrationen (~10 mg/ml) im Blut von Wirbeltieren vorkommt. Deswegen und wegen seiner reaktionsfreudigen, funktionellen Gruppen sind dessen Reaktionen sehr relevant für den Organismus. Im wesentlichen gibt es zwei Komponenten des humanen Blutes, die antioxidative Wirkung gegen HOCl besitzen (Hu et al., 1993). Abgesehen von Vitamin C sind das vor allem thiolgruppen- haltige Derivate des Albumins. Sonstige Verbindungen mit antioxidativem Potential ge- gen HOCl scheint es kaum zu geben, weder Lipide (Vitamin E) noch die in größeren Mengen vorhandene Harnsäure spielen eine nennenswerte Rolle. Das lässt sich vermut- lich auf die größere Konzentration von humanem Serumalbumin (HSA) im menschli- chen Blutplasma zurückführen, so dass infolge Kompetition kaum Reaktionen mit ande- ren reaktiven Komponenten stattfinden können (Hu et al., 1993). Ähnliche Untersu- chungen (Arnhold et al., 1990) zeigten, dass bei der Reaktion zwischen HOCl und ande-

(23)

ren biologisch-relevanten Molekülen zuerst alle –SH-Gruppen verbraucht werden, be- vor es zu Reaktionen mit anderen (weniger) reaktiven Gruppen (z.B. Aminogruppen) kommen kann. Obwohl HSA lediglich eine Thiolgruppe aufweist, scheint diese jedoch die Quelle seiner antioxidativen Wirkung zu sein. Eine detaillierte Analyse der Reaktion zwischen dem MPO-System und HSA wurde unlängst von Salavej et al. (2006) vorge- legt. In Arbeiten von Sharanov et al. (1988,1989) wurde festgestellt, dass Ceruloplasmin eine noch höhere Reaktivität gegenüber HOCl aufweist, allerdings liegt dieses Protein in geringeren Konzentrationen vor und ist deshalb von geringerer Bedeutung.

4.4.3. Einfluss von HOCl auf Collagen

Collagen kommt weitverbreitet in verschiedenen Geweben von unterschiedlichen Orga- nen vor, z.B. in Haut, Sehnen und Knorpel (Ebert, 1993). Es ist das im Tierreich häu- figste Protein überhaupt. Collagen unterscheidet sich von anderen Proteinen durch seine typische AS-Zusammensetzung (Abb. 12) und seine besonderen Struktureigenschaften.

Erstere besteht nur aus einigen wenigen AS, wobei insbesondere das Glycin in sehr gro- ßen Mengen im Collagen vorkommt (Ebert, 1993). Die Collagenstruktur beinhaltet mehrere Peptid-Einzelstränge, die sich zu Tripelhelices zusammenlagern woraus schließlich die Collagenfasern resultieren.

0 100 200 300

Gly (333)

Pro (120)

Ala (103)

Hyp (99)

Glu (89)

Arg (50)

Asp (43)

Andere (163) Aminosäuren

0 100 200 300

Gly (333)

Pro (120)

Ala (103)

Hyp (99)

Glu (89)

Arg (50)

Asp (43)

Andere (163) Aminosäuren

Anteil ausgewählter AS-Reste im Collagen (bezogen auf 1000 Reste)

Abb. 12: Aminosäure-Zusammensetzung von Collagen (bezogen auf 1000 AS-Reste)

Über die Effekte von HOCl auf Collagen gibt es keine Übereinstimmung in der Litera- tur. So fand man, dass physiologisch-relevante Konzentrationen an Hypochlorit sehr schnell mit Collagen unter Fragmentierung reagieren (Davies et al., 1993; Olszowski et al., 2003). Neben der Freisetzung von Collagenbruchstücken und der Abnahme des Ra-

(24)

dius der Collagen-Aggregate wurde eine Abspaltung der ε-Aminogruppen des Lysins mit anschließender Carbonylgruppenbildung und eine Transformierung der Tyrosin- Reste in Dichlortyrosin detektiert. Demzufolge werden bei der Umsetzung von Collagen mit HOCl erst nach initialer Chlorierung kurzkettigere Fragmente (10-50 kDa) produ- ziert. Im völligen Widerspruch zu diesen Ergebnissen konnte mittels NMR- spektroskopischer Methoden kein nennenswerter Einfluss von HOCl auf Collagen nachgewiesen werden (Schiller et al., 1995a,b).

4.5. Reaktionen von HOCl mit Kohlenhydraten

Ein weiteres mögliches Ziel für oxidative Schädigung durch HOCl sind die Kohlenhy- drate. So wird beispielsweise Glucose an der primären Alkoholgruppe in 6-Position oxi- diert, was schließlich zur Bildung von Glucuronsäure führt (Schiller et al., 2003). Aller- dings besitzt diese Reaktion kaum physiologische Relevanz, da sie nur bei sehr hohen Mengen an HOCl abläuft. Weitaus komplexere Reaktionen laufen jedoch ab, wenn sub- stituierte Kohlenhydrate wie z.B. N-Acetylglucosamin eingesetzt werden, das ein Bau- stein der Wiederholungseinheit wichtiger Polysaccharide (z.B. Hyaluronsäure) ist. Das Isomere (N-Acetylgalaktosamin) findet sich z.B. in Chondroitinsulfat, das große Anteile der extrazellulären Matrix ausmacht. Hier wirkt HOCl sehr selektiv, sodass bei diesem Zucker die N-Acetylgruppe bevorzugt abgespalten wird, wobei Acetat entsteht (Abb.

13). Diese Reaktion bildet gleichzeitig ein instabiles Zwischenprodukt, dem die Struktur eines chlorierten Amids zugeordnet wurde (Schiller et al., 1994, 2003).

O H OH H H O H OH

H NH H CH2OH

C CH3

O

O H OH H H O H OH

H N

H CH2OH

C CH3

O Cl

O OH H H H O H OH

H NH H CH2OH

Cl

+ H CH COOH H

Chlorierung + H2O

Abb. 13: Mögliche Abfolge der Reaktion zwischen N-Acetylglucosamin und HOCl

Dieser Reaktionsmechanismus wird auch bei Polysacchariden wie z.B. dem Chon- droitinsulfat beobachtet. Die Reaktionen an der N-Acetylseitenkette überwiegen zwar auch bei höhermolekularen Zuckern, gleichzeitig werden aber auch die Polymerketten in kürzerkettige Oligosaccharide fragmentiert, was mittels Viskositätsmessungen und

(25)

HPLC-Untersuchungen an entsprechend behandelten Hyaluronsäure-Lösungen eindeu- tig nachgewiesen wurde (Baker et al., 1988).

4.6. Reaktion von HOCl mit Lipiden

Obwohl es eine Vielzahl unterschiedlicher Lipide gibt, beschäftigen sich die meisten Arbeiten in diesem Zusammenhang mit dem Phosphatidylcholin (PC). Deshalb wird auch hier das PC ausschließlich diskutiert. Wenn HOCl mit ungesättigtem PC reagiert, wird es in der Regel an die Doppelbindungen addiert und es entstehen hauptsächlich Chlorhydrine (Abb. 14) und in geringerem Ausmaß auch Epoxide, Glykole und Hydro- peroxide (van den Berg et al., 1993; Winterbourn et al., 1992; Arnhold et al., 1995):

C

H CH HOCl CH CH

Cl

OH

+

Abb. 14: Schema der Chlorhydrin-Bildung aus olefinischen Doppelbindungen

Die Produktausbeute hängt dabei in entscheidendem Maße von der Art der Reaktions- führung (pH-Wert, Gegenwart von Salzen usw.) ab. HOCl ist auch in der Lage eine Li- pidperoxidation zu initiieren (Sepe et al., 1985; Stelmaszynska et al., 1992; Panasenko et al., 1994, 1995), wenn eine zusätzliche Radikalquelle, z.B. initial gebildete Hydroper- oxide (Abb. 15) zur Verfügung stehen (Panasenko et al., 1997a,b, 1999). Diese Reak- tionen wurden jedoch bislang primär an artifiziellen Hydroperoxiden (wie z.B. dem t- Butylhydroperoxid) untersucht. Hier konnte gezeigt werden, dass die initial gebildeten Alkoxyl-Radikale primär zu dem entsprechenden Peroxid rekombinieren.

(CH3)3COOH + HOCl

(H3C)3CH 2

O (H3C)3COOC(CH3)3

Abb. 15: Schema der Lipidperoxidation

In aktuellen Untersuchungen mittels MALDI-TOF Massenspektrometrie und 31P-NMR- Spektroskopie wurde der Einfluss von HOCl auf PC untersucht (Arnhold et al., 2001, 2002). Diese Untersuchungen bestätigten, dass aus ungesättigtem PC Chlorhydrine und Glycole gebildet werden und zeigten außerdem, dass Lysophosphatidylcholin (LPC) entsteht, wobei Chlorhydrine bei einfach oder zweifach ungesättigten Fettsäureresten und Lyso-PC bei höher ungesättigten PC dominierte. Mit gesättigtem PC reagierte

(26)

HOCl hingegen nicht. Analoge Produkte wurden bei der Umsetzung von PC mit MPO erhalten (Panasenko et al., 2003). Sowohl bei der Umsetzung mit HOCl als auch mit MPO wurde gezeigt, dass mit steigendem Gehalt an Doppelbindungen die Ausbeute an LPC zunimmt. Eine besonders hohe LPC-Ausbeute ergibt daher die HOCl-Umsetzung von Phospholipiden, die Arachidonsäure-Reste (4 Doppelbindungen) oder Docosa- hexaensäure-Reste (6 Doppelbindungen) enthalten. Diese Reste enthalten mehrere Stel- len an denen Chlorhydrin-Bildung möglich ist, was die Tendenz zur Abspaltung des modifizierten Fettsäure-Restes erhöht: Es ist bekannt, dass die Esterbindung etwas schwächer ist als eine Einfachbindung zwischen C-Atomen. Die Einführung von Chlor- atomen und Hydroxylgruppen in eine aliphatische Wasserstoff-Kohlenstoffkette bei der Chlorhydrin-Bildung erzeugt einen zunehmenden negativen induktiven Effekt. Es wird angenommen, dass die Chlorhydrin-Bildung die Ester-Bindung im PC durch diesen Mechanismus schwächt (Abb. 16) und es dadurch zur Abspaltung des Fettsäure-Restes und zur Bildung von LPC kommt (Arnhold et al., 2002):

C O

O

R CH2

CH

C O OH

2

P O O

O- CH2 CH2 NH2 + (CH3)3 CH

2

CH2 CH2 CH CH CH2 O

HO ClH

H

H H

δ+ δ+ δ

δ

Abb. 16: Negativer induktiver Effekt bei der Chlorhydrinbildung (R = Fettsäurerest)

Obwohl die Geschwindigkeitskonstante der Reaktion von HOCl mit funktionellen Gruppen von Proteinen (Sulfhydryl, Thioether, Aminogruppen) wesentlich größer ist als mit den olefinischen Resten der Lipide (Winterbourn, 1985; Arnhold et al., 1995), sind Reaktionen von HOCl mit Lipiden wahrscheinlich dennoch bedeutsam, wenn man die große Menge des kationischen Enzymes MPO in der Nähe der negativ-geladenen biolo- gischen Membranen (durch den Gehalt an negativ geladenen Lipiden) und die extrem hohen lokalen Konzentrationen von Phospholipiden betrachtet. Außerdem enthalten be- stimmte Zellen und Gewebe riesige Mengen an PC mit Docosahexaensäure-Resten, wie beispielsweise Spermien, Gehirn und Netzhaut.

(27)

Das Vorhandensein einer Vinyl-ether-(alkenyl-)Bindung in der sn-1 Position von Plas- malogen-Phospholipiden (Abb. 17) macht diese im Vergleich zu ihren 1-acyl-(ester-) Analoga (Abb. 16) besonders empfindlich gegenüber oxidativen Angriffen (Brites et al., 2004). Darauf basiert die Hypothese, dass Plasmalogene als „Scavenger“ die ande- ren Phospholipide, Lipide und Lipoproteine vor Oxidationsreaktionen schützen (Reiss et al., 1997).

CH O

CH CH2

C H

C

H2 O P O O

O- R O C

O R2 R1

Abb. 17: Schema der Plasmalogen-Phospholipide (R = Kopfgruppe, R1/ R2 = Fettsäurerest in sn-1 bzw. sn-2 Position

Cholesterol kann durch HOCl zu unterschiedlichen Oxysterolen und drei Chlorhydrin- Isomeren umgesetzt werden (Spickett et al., 2000). Ähnlich wie Triacylglycerole reagie- ren isolierte Cholesterylester bzw. reines Cholesterol kaum mit HOCl. Dies ist wahr- scheinlich mit strukturellen Unterschieden zu begründen.

4.7. Relevanz von HOCl bei Erkrankungen,

Wie in den vorangegangenen Abschnitten ausführlich erläutert wurde, reagiert HOCl hauptsächlich mit den N-Acetylgruppen von Kohlenhydraten, mit den Doppelbindungen von Lipiden und den Amino- und Thiolgruppen von Proteinen. Im folgenden soll an- hand einiger Beispiele umrissen werden, wie sich der schädigende Einfluss von HOCl in vivo bei entzündlichen Erkrankungen manifestieren kann:

In vitro Experimente an Fibroblasten und Endothelzellen zeigten, dass hohe Konzentra- tionen an HOCl zytotoxisch wirken und schnell Nekrose herbeiführen (Vissers et al., 1999), hingegen geringere Konzentrationen in der Lage sind den MAP-Kinase-Signal- weg (Midwinter et al., 2001) zu aktivieren und damit das Überleben der Zellen zu si- chern oder Wachstumsstillstand und Apoptose herbeizuführen (Vissers et al., 1999).

Auf ähnliche Weise können zu hohe Konzentrationen von HOCl zu Einschränkungen der Befruchtungsfähigkeit von Spermien führen (Lipid-Oxidation, Verlust der Beweg-

(28)

lichkeit und Überlebensfähigkeit) während geringe Mengen von HOCl gleichzeitig auch eine wichtige Rolle bei der Spermienphysiologie (z.B. Kapazitation und Akrosom- Reaktion) spielen (Lamirande et al., 1997). Es wurde nachgewiesen, dass die bei Ent- zündungsreaktionen im männlichen Urogenitaltrakt gesteigerte HOCl-Bildung die Zellmembranen der Spermien schädigt und damit die Anzahl befruchtungsfähiger Spermien vermindert. Demzufolge ist die Fertilität wesentlich verringert (Leßig et al., 2005).

Chronische Parodontitis generiert eine Entzündungsreaktion, bei der Neutrophile schließlich HOCl sezernieren und die Entzündungsantwort über HOCl und Taurin-N- monochloramin (TauCl) moduliert wird, wobei TauCl inhibierend wirkt und HOCl Ent- zündungsmediatoren aktiviert. Es wird vermutet, dass an der Pathogenese von Parodon- titis eine verringerte Aktivität der Neutrophilen und demzufolge eine defiziente Produk- tion von HOCl und TauCl beteiligt ist (Mainnemare et al., 2004).

Experimentelle und klinische Beobachtungen zeigen, dass Atherosklerose in Verbin- dung mit einer Hyperaktivität von Neutrophilen steht und dabei vermehrt MPO produ- ziert bzw. sezerniert wird. Der Gehalt an 3-Chlortyrosin (einem spezifischen Marker von HOCl-modifizierten Proteinen) fand man in atherosklerotischen Patienten um ein vielfaches gegenüber dem Gesunden erhöht. Daraus wurde geschlussfolgert, dass HOCl in vivo produziert wird und Lipoproteine so modifiziert, dass diese eher zu Lipidper- oxidation neigen und damit wahrscheinlich eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung der atherosklerotischen Gefäßschädigung spielen (Panasenko et al., 2001). Die bevorzugte Aufnahme von HOCl durch Makrophagen und deren anschließende Umwandlung in Schaumzellen konnte ebenfalls eindeutig nachgewiesen werden (Carr et al., 2000).

Aufgrund der nachgewiesenen massiven Akkumulation von Neutrophilen in patholo- gisch veränderter Synovialflüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) wird HOCl eine bedeutende Rolle bei der Gelenkknorpelzerstörung von Patienten mit RA zugeschrieben (Arnold 1997). Dabei stellen sich die Kohlenhydrate des Gelenk- knorpels als ein bevorzugtes Ziel für HOCl dar, wohingegen die oxidativen Wirkungen von HOCl gegen Collagen nur schwach ausgeprägt sind. Dieser Unterschied lässt sich darauf zurückführen, dass Collagen aufgrund seiner tripelhelikalen Struktur und der daraus resultierenden Unlöslichkeit kein gutes Ziel für HOCl ist (Schiller et al., 2003).

(29)

Die Beteiligung von HOCl wird weiterhin bei verschiedenen neurodegenerativen Er- krankungen vermutet, da sie unter akuten entzündlichen Bedingungen das umliegende Hirn-Gewebe zu schädigen vermag (Krasowska und Konat, 2004): So fanden 1997 Nagra et al. in den Mikroglia (den gehirnspezifischen Makrophagen) von Multiple Skle- rose-Patienten, dass Myeloperoxidase im Gegensatz zu gesundem Gehirngewebe exprimiert ist. Ebenfalls wurde in senilen Plaques von Alzheimer-Patienten eine Ex- pression von MPO gefunden (Reynolds et al., 1999).

Chronische Entzündungen werden außerdem mit einem erhöhten Risiko zur Krebsbil- dung assoziiert. HOCl schädigt dabei DNA, RNA, Lipide und Proteine durch Oxidation und Chlorierung, was zu erhöhten Mutationsraten und veränderten Enzym- und Protein- funktionen führt (z.B. Inhibierung von Tumor-Suppressor-Proteinen) und somit zum mehrstufigen Karzinogenese-Prozess beitragen kann (Ohshima et al., 2003).

5. In vitro Toxizität

Die Einwirkung von Natriumhypochlorit kann je nach Konzentration zu schweren Ver- ätzungen oder zu Entzündungen der Haut, Augen und Atmungsorgane führen. Die Wir- kung von Natriumhypochlorit-Lösung beruht einerseits auf seiner stark alkalischen Re- aktion und andererseits auf dem stark oxidierenden Charakter der zugrundeliegenden unterchlorigen Säure und ihren Reaktionsprodukten bei Kontakt mit organischem Mate- rial. Die kombinierte Wirkung gleicht insgesamt einer Laugenvergiftung mit starkem Gewebeangriff, wobei Blasenbildung auf der Haut und eine stark methämoglobinbil- dende Wirkung möglich ist.

5.1. Akute Toxizität

Die Ergebnisse von Unfallgutachten zur Wirkung von HOCl-Lösungen aus euro- päischen Giftkontroll- und Überwachungs-Zentren haben gezeigt, dass die akute Auf- nahme von HOCl durch Unfall zum größten Teil nur zu geringeren, vorübergehenden Gesundheitsschäden ohne einen bleibenden Schädigungseffekt führt (Racioppi et al., 1994). Die häufigste Form der Aufnahme ist Verschlucken, gefolgt von Einatmen von Gasen, die durch Vermischen von NaOCl mit Ammoniak oder Säuren entstehen kön- nen.

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