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Gendiagnostik braucht Grenzen

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Bayerisches Är zteblatt 7- 8/2013

Meinungsseite

Der medizinische Fortschritt produziert nicht zuletzt durch die Erfolge der Genforschung eine Informationsflut bisher ungekannten Aus- maßes. Eine Flut, die auch für die Ärzte viele neue Fragen aufwerfen wird. Die moderne Gen- diagnostik birgt große Chancen in Bezug auf die Vorbeugung und Heilung schwerer Krank- heiten, weil sie auch dazu beitragen kann, de- ren Ursachen aufzudecken. Sie weckt zugleich Hoffnungen auf eine weniger gefährliche vor- geburtliche Risikoabschätzung.

Die genetischen Daten erweisen sich immer mehr als individueller Fingerabdruck eines Menschen mit Informationen, die weit über ein akutes Krankheitsgeschehen hinausge- hen. Sie erlauben bei genauem Hinschauen und richtiger Interpretation auch den Blick in eine mögliche Zukunft. Das macht sie ebenso reizvoll wie gefährlich. Denn es stellt sich die Frage, wie viel will und wie viel soll ein Indivi- duum tatsächlich über sich und seine im Inne- ren angelegten versteckten Gesundheitsrisiken erfahren können. Es muss abgewogen werden, ob und, wenn ja, wann möglicherweise sogar durch Reihenuntersuchungen ein Tumor im frühesten Stadium mithilfe der neuen Technik diagnostiziert werden soll.

Der spektakuläre Fall des Hollywood-Stars An- gelina Jolie könnte exemplarisch dafür stehen.

Familiär vorbelastet, wusste sie dank der Gen- diagnostik um ihr hohes Brustkrebsrisiko. Ihr Vorgehen in Form der Amputation beider Brüs- te, um das Risiko auf ein Minimum zu verrin- gern, war rigoros. Mitte Mai ging sie damit an die Öffentlichkeit. Dieser offene Umgang mit dem Krankheitsrisiko und dem gravierenden medizinischen Eingriff sind eine Werbung so- wohl für die moderne Diagnostik als auch für eine konsequente Krebsvorsorge. Das wird nicht ohne Wirkung bleiben. Andere Frauen werden verstärkt ihrem Vorbild folgen. Angelina Jolie hat ihnen ein Stück ihrer Angst genommen.

Noch ist die genetische Diagnostik für die Allgemeinheit zu teuer, um sie präventiv und umfassend einzusetzen. Aber die Entwicklung

schreitet unaufhörlich voran. Die Tests werden billiger, ihre Anwendung selbstverständlicher werden – und damit steigen natürlich die Er- wartungen. Fachkreise gehen davon aus, dass eines nicht allzu fernen Tages bezahlbare Tests für jedermann auf den Markt geworfen wer- den, mit denen jeder, wenn er es nur will, für sich selbst vorsorglich sein persönliches Ge- sundheitsrisiko abklären kann. Auch wenn der Vertrieb dieser „Volkstests“ hierzulande gesetz- lich verboten werden sollte (wovon nach den jüngsten Empfehlungen des Deutschen Ethik- rates von Ende April auszugehen ist), werden sich andere Wege der Beschaffung via Internet finden lassen. Geschäftemacher werden sie in- ternational vertreiben, so lange es Länder gibt, in denen sie verkauft werden dürfen.

Aber was passiert nun mit all den gewonnenen Daten? Wer kann damit etwas anfangen? Wer bewertet sie? Nach welchen Kriterien werden sie bewertet? Wer übernimmt die Verantwor- tung für einen nach gründlicher Abwägung vorzunehmenden Eingriff – der Arzt oder möglicherweise der betroffene Patient? Was dürfen Eltern über die genetischen Daten ihrer Kinder wissen? Droht gar der ganz und gar gläserne Patient, auf dessen genetische Daten Arbeitgeber oder Behörden zugreifen können? Eine Horrorvorstellung, weil sie zu Missbrauch geradezu einlädt. Man stelle sich nur vor: Nur der hat noch Aussichten auf eine Anstellung, der genetisch „sauber“ ist, sprich, das geringste Gesundheitsrisiko in sich trägt, was sich dann ökonomisch auszahlen soll. Das heißt in der Konsequenz, dass der Patienten- und Datenschutz in dieser Hinsicht verbessert werden muss.

Dabei muss immer bedacht werden, dass die genetischen Informationen nur etwas über die Veranlagung zu einer bestimmten Krankheit aussagen können, es aber keine Gewissheit gibt, dass diese Krankheit jemals ausbrechen wird. Und noch etwas wird leicht vergessen: Der Mensch ist sehr viel mehr als nur ein genetisch vorbestimmtes Wesen. Sich allein auf eine Veranlagung zu berufen, hieße,

alle äußerlichen Einwirkungen auf die Ge- sundheit zu ignorieren: Lebenswandel, Um- welteinflüsse, Arbeitsbelastung, psychischen Druck, Unfälle etc.

Noch komplexer ist der Umgang mit vorge- burtlichen Gentests, mit denen mögliche Be- hinderungen eines Babys vorab diagnostiziert werden können. Wie weit reicht hier die Ent- scheidungsgewalt der werdenden Eltern? Wenn ihnen keine Grenzen gesetzt werden, droht eine ethisch extrem gefährliche Selektion, die weit über die Frage „gesund oder krank“ hi- nausgeht. Dann ist der Weg nicht mehr weit zu Designerbabys.

Angelina Jolie hat für sich entschieden, den Gentest zu machen und sich dann operieren zu lassen. Diese Selbstbestimmtheit ist eine der Grundvoraussetzungen für einen verantwor- tungsvollen Umgang mit der genetischen Dia- gnostik und den gewonnenen Patientendaten.

Niemand darf am Ende zu derlei Tests genötigt werden. Denn wer wider Willen zu viel über sich und seine mit einer gewissen Wahrscheinlich- keit von Krankheit geprägten Zukunft erfährt, verliert am Ende die Chance auf ein möglicher- weise ansonsten völlig unbeschwertes Leben.

Autor

Joachim Bomhard, Redakteur, Augs- burger Allgemeine, Augsburg

Gendiagnostik braucht Grenzen

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