• Keine Ergebnisse gefunden

Persönliche Voraussetzungen für den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin - (Ent)Diskriminierung durch das FMedRÄG 2015 / eingereicht von Justine Tiefnig

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Persönliche Voraussetzungen für den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin - (Ent)Diskriminierung durch das FMedRÄG 2015 / eingereicht von Justine Tiefnig"

Copied!
37
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696 Eingereicht von Justine Tiefnig Angefertigt am

Institut für Legal Gender Studies

Beurteilerin

Assoz.

Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Elisabeth

Greif

Mai 2019

Persönliche

Voraussetzungen

für

den

Zugang

zur

Fortpflanzungsmedizin

– (Ent)Diskriminierung

durch das FMedRÄG

2015

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

(2)

2

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

(3)

3

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 5

2. Methoden der muF ... 6

3. Beschränkung auf verschiedengeschlechtliche Paare ... 7

3.1. Öffnung für lesbische Paare ... 7

3.2. Grundrechtliche Aspekte ... 8

3.3. Änderungen im Abstammungsrecht ... 13

4. Beschränkung auf Personen in einer dauerhaften Partnerschaft – Ausschluss alleinstehender Frauen ... 13

4.1. Fortpflanzungsfreiheit ... 14

4.1.1. Art 8 EMRK ... 14

4.1.1.1. Sachlicher Anwendungsbereich ... 15

4.1.1.1.a Achtung des Privatlebens ... 15

4.1.1.1.b Achtung des Familienlebens ... 17

4.1.1.2. Recht auf Fortpflanzung? ... 17

4.1.1.3. Persönlicher Anwendungsbereich ... 20

4.1.2. Art 12 EMRK ... 20

4.1.3. Art 14 EMRK ... 21

4.2. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs ... 21

4.2.1. Legitimes Ziel ... 21

4.2.1. Verhältnismäßigkeit – Fortpflanzungsfreiheit vs Kindeswohl ... 24

5. Verbot der Leihmutterschaft ... 28

6. Subsidiaritätsprinzip ... 29

6.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer muF ... 30

6.2. Subsidiarität der Methoden der muF untereinander ... 31

6.3. Grundrechtliche Bewertung ... 31

7. Resümee ... 33

(4)

4

Abkürzungsverzeichnis

ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

Abs Absatz AdRÄG 2013 Adoptionsrechts-Änderungsgesetz 2013 aF alte Fassung Art Artikel bzgl bezüglich bzw beziehungsweise

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention FMedG Fortpflanzungsmedizingesetz

FMedRÄG 2015 Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015

gem gemäß

grds grundsätzlich

Hrsg Herausgeber

idF in der Fassung

iSd im Sinne des

iSe im Sinne eines/-r

iSv im Sinne von

IVF In-vitro-Fertilisation

muF medizinisch unterstützte Fortpflanzung OGH Oberster Gerichtshof

PID Präimplantationsdiagnostik

Rsp Rechtsprechung

Rz Randziffer

ua und andere, unter anderem

VfGH Verfassungsgerichtshof

vgl vergleiche

Z Ziffer

(5)

5

1. Einleitung

Das Recht der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (muF) wirft neben rechtlichen auch zahlreiche moralische und ethische Fragen auf. Trotz großer Fortschritte, die in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, wurde das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) über viele Jahre weitestgehend in seiner Stammfassung von 19921 belassen.

Das Erkenntnis des VfGH vom 10.12.20132, welches restriktive Bestimmungen der

Stammfassung aufhob, führte schließlich zum Tätigwerden des Gesetzgebers. Am 24.02.2015 trat das Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 (FMedRÄG 2015)3 in Kraft, welches

das FMedG weitreichend novellierte.

Änderungen gab es hinsichtlich der Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für lesbische Paare, der Aufhebung des Verbots der Fremdeizellspende sowie des Verbots der In-vitro-Fertilisation (IVF) mit gespendetem Samen. Außerdem kam es zu einer Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID).

Nicht durch das FMedRÄG 2015 beseitigt wurde das Subsidiaritätsprinzip, welches eine Inanspruchnahme von Methoden der muF nur als Ultima Ratio zur Überbrückung von Fertilitätsproblemen oder bei Bestehen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit zulässt. Durchbrochen wurde das Subsidiaritätsprinzip nur für den Fall, dass eine Schwangerschaft bei einer von zwei miteinander in eingetragener Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft lebenden Frauen herbeigeführt werden soll.

Ebenfalls festgehalten wurde an der Voraussetzung, dass die Inanspruchnahme der Fortpflanzungsmedizin auf Personen, die in einer Ehe, in einer eingetragenen Partnerschaft oder in einer Lebensgemeinschaft leben, beschränkt ist, was zu einem Ausschluss alleinstehender Personen führt.

Durch das Verbot der Leihmutterschaft sind auch gleichgeschlechtliche männliche Paare sowie Frauen, die kein Kind austragen können, vom Zugang zur Fortpflanzungsmedizin ausgeschlossen.

Durch das Erkenntnis des VfGH vom 10.12.2013, mit welchem ua lesbischen Paaren der Zugang zu Methoden der muF gewährt wurde, kam es zu einer Liberalisierung des

1 FMedG BGBl I 1992/275.

2 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013. 3 FMedRÄG BGBl I 2015/35.

(6)

6

Fortpflanzungsmedizinrechts und auch zu einer Neuerung und Erweiterung des Familienbegriffs. Neben diesen positiven Aspekten, die das FMedRÄG 2015 mit sich brachte, stellt sich die Frage, ob der Ausschluss alleinstehender Personen und das Festhalten am Subsidiaritätsprinzip einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff und eine unzulässige Diskriminierung darstellen.

Vor allem im Ausschluss alleinstehender Personen vom Zugang zur muF kann eine Wertung des Gesetzgebers gesehen werden: ein Festhalten am „traditionellen“ Familienbild. Als Rechtfertigung herangezogen wird vor allem das Kindeswohl. Demnach sollen einem Kind wenigstens zu Beginn zwei Elternteile (und Unterhaltsverpflichtete) zur Verfügung stehen. Hierbei kommt es zu einer Abwägung widerstreitender Interessen: dem Kindeswohl einerseits und der Fortpflanzungsfreiheit alleinstehender Personen andererseits.

In der vorliegenden Arbeit erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für lesbische Paare und der Grundrechtskonformität der Zugangsvoraussetzung des Bestehens einer dauerhaften Partnerschaft sowie in Grundzügen mit dem Weiterbestehen des Subsidiaritätsprinzips und dem Verbot der Leihmutterschaft.

2. Methoden der muF

Es stehen mehrere Methoden zur Verfügung, eine Schwangerschaft auf künstlichem Weg herbeizuführen. Die nach geltender österreichischer Rechtslage erlaubten Methoden sind in § 1 Abs 2 FMedG geregelt. Bei der Insemination in vivo werden Samen in die Geschlechtsorgane der Frau eingebracht (Z 1). Von einer In-vitro-Fertilisation (IVF) spricht man, wenn Eizellen und Samenzellen außerhalb des Körpers der Frau vereinigt werden (Z 2). Unter Embryotransfer versteht man das Einbringen von entwicklungsfähigen Zellen in die Gebärmutter oder den Eileiter der Frau (Z 3). Letztlich können auch noch nicht verschmolzene Eizellen oder Eizellen mit Samen in die Gebärmutter oder den Eileiter der Frau eingebracht werden, was als intratubarer Gametentransfer bezeichnet wird (Z 4). Werden für die Durchführung der muF nur Stammzellen des Wunschelternpaares verwendet, spricht man von einer homologen muF; wird auf eine Samen- und/oder Eizellenspende von dritter Seite zurückgegriffen, von einer heterologen muF.4

4 Vgl Eder-Rieder, Medizinisch unterstützte Fortpflanzung nach dem FMedRÄG 2015. Neuerungen und Erweiterungen,

(7)

7

3. Beschränkung auf verschiedengeschlechtliche Paare

§ 2 Abs 1 FMedG sah in seiner alten Fassung vor, dass eine muF „nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts“5 zulässig sei. In einer

homosexuellen Lebensgemeinschaft oder eingetragenen Partnerschaft lebende Frauen hatten somit keine Möglichkeit, sich den Wunsch nach einem Kind mit Hilfe der muF zu erfüllen.

3.1. Öffnung für lesbische Paare

Durch das Adoptionsrechts-Änderungsgesetz 2013 (AdRÄG 2013)6, mit dem das EGMR-Urteil in

der Rs X ua gegen Österreich7 umgesetzt wurde und das die Stiefkindadoption für

gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Partnerschaft öffnete, kam es zu einer Neubewertung und Erweiterung des Elternbegriffs. Dadurch, dass nun auch die/der (eingetragene) PartnerIn der leiblichen Mutter/des leiblichen Vaters rechtlich Elternteil eines Kindes sein kann, kann der Elternbegriff nicht mehr auf die „klassische“ Variante „Mutter und Vater“ reduziert werden.8

Kurz darauf hob der VfGH im Zuge eines Aufhebungsantrags des OGH mit Erkenntnis vom 10.12.20139 die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ in § 2 Abs 1 FMedG auf.

Weitere Bestimmungen, die der Inanspruchnahme der muF durch homosexuelle Frauen im Weg standen und die mit dem Erkenntnis aufgehoben wurden, waren § 2 Abs 2 FMedG aF, der eine muF nur zuließ, wenn die Herbeiführung einer Schwangerschaft auf natürlichem Wege nicht möglich war, und § 3 Abs 1 FMedG aF, der das Verbot der Samenspende bei einer IVF normierte.10 Anlassfall war der Antrag eines lesbischen Paares, welches sich seinen

Kinderwunsch unter Zuhilfenahme der muF erfüllen wollte, dem die Vornahme der dazu nötigen vorbereitenden Schritte aber aufgrund der damaligen Rechtslage verweigert wurde. Verbunden wurde dieser Antrag mit dem Antrag eines weiteren lesbischen Paares, das ebenfalls die muF in Anspruch nehmen wollte.11 Dies zog wesentliche Änderungen im FMedG nach sich, welche mit

dem FMedRÄG 2015 realisiert wurden.

5 § 2 Abs 1 FMedG, BGBl 1992/275 idF BGBl I 2009/135. 6 AdRÄG 2013 BGBl I 2013/179.

7 EGMR 19.02.2013, 19010/07, X ua gegen Österreich. 8 Vgl Bernat, Gleichgeschlechtliche Eltern, EF-Z 2015, 60. 9 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013.

10 Vgl Mauernböck, Das neue Fortpflanzungsmedizinrecht. Eine erste Auseinandersetzung mit den wesentlichen

Änderungen, ZTR 2015, 107 (107); Wendehorst, Neuerungen im österreichischen Fortpflanzungsmedizinrecht durch das FMedRÄG 2015, iFamz 2015, 4 (4).

11 Vgl Kopetzki, Verbot der Samenspende in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften von Frauen

(8)

8

Der VfGH begründete seine Entscheidung damit, dass für den Ausschluss gleichgeschlechtlicher weiblicher Paare vom Zugang zu Methoden der muF keine Gründe hinreichenden Gewichts vorlägen, selbiger somit einen ungerechtfertigten Eingriff in grundlegende Rechte (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) darstellte.12

3.2. Grundrechtliche Aspekte

Das Recht, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden und sich dafür der Methoden der muF zu bedienen, ist vom Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK erfasst.13 Der EGMR differenziert dabei nicht genau zwischen den beiden Bereichen

Privat- und Familienleben, sondern subsumiert das Recht auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung mithilfe der muF unter beide Aspekte.14

GrundrechtsträgerInnen des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind alle natürlichen Personen.15

Die Beschränkung des Zugangs zu – nach der Rechtsordnung erlaubten – Methoden der muF stellt einen Eingriff in die von Art 8 EMRK geschützten Rechte dar.16 Ein solcher

Grundrechtseingriff durch staatliche Maßnahmen ist nur zulässig, wenn er zur Erreichung eines der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten legitimen Ziele in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.17

Hinsichtlich des Ausschlusses homosexueller weiblicher Paare vom Zugang zur muF ist auch eine Beurteilung unter dem Aspekt des in Art 14 EMRK normierten Diskriminierungsverbots vorzunehmen. Wenn der Zugang zur muF auf verschiedengeschlechtliche Paare beschränkt wird und gleichgeschlechtliche Paare somit davon ausgeschlossen sind, liegt eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung vor. Da, wie der EGMR in Fretté gegen

Frankreich18 feststellte, sexuelle Orientierung als eine persönliche Eigenschaft unter das Kriterium

des „sonstigen Status“ des Art 14 EMRK zu subsumieren ist und die Entscheidung über die eigene Fortpflanzung in den Regelungsbereich einer Bestimmung der EMRK fällt, ist der Ausschluss

12 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013.

13 EGMR 10.4.2007, 6339/05, Evans gegen Vereinigtes Königreich; EGMR 04.12.2007, 44362/04, Dickson gegen

Vereinigtes Königreich.

14 Vgl Sündhofer, Grundrechtlicher Schutz des Eingehens einer dauerhaften Partnerschaft und der Gründung einer

Familie nach der EMRK (2016) 128; Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Anwendbarkeit von Art 8 EMRK auf Aspekte der Fortpflanzung erfolgt in Kapitel 4.1.1.2.

15 Vgl Marauhn/Thorn in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar Bd I2 (2013) Kap. 16 Rz 68.

16 Vgl Sündhofer, Grundrechtlicher Schutz des Eingehens einer dauerhaften Partnerschaft und der Gründung einer

Familie nach der EMRK (2016) 129.

17 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 18 Rz 14. 18 EGMR 26.02.2002, 36515/97, Fretté gegen Frankreich.

(9)

9

lesbischer Paare vom Zugang zur muF auch an dem in Art 14 EMRK normierten Diskriminierungsverbot zu messen.19

Eine Ungleichbehandlung setzt das Vorliegen vergleichbarer Sachverhalte voraus.20 Ein

homosexuelles weibliches Paar wird sich zur Erfüllung des Kinderwunsches regelmäßig der heterologen Insemination in vivo bzw, wenn die Wunschmutter nicht fortpflanzungsfähig ist, der heterologen IVF bedienen. In beiden Fällen unterscheidet sich die Durchführung der fortpflanzungsmedizinischen Maßnahme bei einem lesbischen Paar nicht von der bei einem heterosexuellen Paar. Vergleichsmaßstab ist somit ein heterosexuelles Paar, das auf eine heterologe Insemination bzw eine heterologe IVF angewiesen ist und dem nach der Rechtslage der Zugang zu den genannten Methoden der muF gestattet wird.21

Eine Ungleichbehandlung stellt nur dann eine Verletzung des Art 14 EMRK dar, wenn sie nicht gerechtfertigt werden kann. Sie ist gerechtfertigt, wenn ein legitimes Ziel vorliegt und dieses angestrebte Ziel zu der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht.22

Eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung bedarf besonders überzeugender und schwerwiegender Gründe, um gerechtfertigt zu sein. Der einem Staat grds zugebilligte Ermessensspielraum ist somit in diesem Fall ein geringer.23

Art 8 EMRK steht unter einem Gesetzesvorbehalt. Art 8 Abs 2 EMRK enthält eine Aufzählung legitimer Ziele, die einen staatlichen Eingriff in das konventionsrechtlich geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens rechtfertigen. In Frage kommen bzgl des Ausschlusses homosexueller weiblicher Paare vom Zugang zu Methoden der muF der „Schutz der Gesundheit und der Moral“ und der „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“.24 Insbesondere kommen der

Schutz der traditionellen Familie und die Wahrung des Kindeswohls in Betracht.25

Dem Kindeswohl wird bzgl Fragen betreffend die medizinisch assistierte Reproduktion besondere Bedeutung beigemessen. Es sollen weiters keine „ungewöhnlichen persönlichen Beziehungen“ entstehen, die sich „von den Bedingungen und Folgen der natürlichen Fortpflanzung weit entfernen“.26 Daraus folgt die Annahme, dass es nicht „normal“ ist, wenn ein

19 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 264; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016)

§ 26 Rz 12; EGMR 22.1.2008, 43546/02, E.B. gegen Frankreich.

20 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 26 Rz 8. 21 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 265.

22 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 26 Rz 13.

23 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 266; EGMR 07.11.2013, 29381/09, Vallianatos ua gegen Griechenland;

EGMR 22.1.2008, 43546/02, E.B. gegen Frankreich.

24 Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim Bundeskanzleramt zur Reform des

Fortpflanzungsmedizinrechts, Punkt 4.2.3.2.

25 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 266. 26 ErläutRV 216 BlgNR, 18. GP, 11.

(10)

10

gleichgeschlechtliches Paar Kinder bekommt. Einen gültigen Rechtfertigungsgrund kann dieses Argument jedoch nicht darstellen, da „nicht normal“ iSv „anders“ zu sein gerade das ist, was vom Diskriminierungsverbot der EMRK geschützt wird. Das Ziel der Verhinderung des Entstehens ungewöhnlicher persönlicher Beziehungen könnte nur dann einen legitimen Grund für den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der muF darstellen, wenn derartige Beziehungen das Wohl des Kindes gefährden würden.27 Es existieren mehrere Studien zur Situation von

Kindern, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Diese Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung dieser Kinder durch ihre Lebenssituation nicht beeinträchtigt wird. Zu nennen ist beispielsweise eine deutsche Studie, die zu dem Resultat kam, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sich von solchen, die in herkömmlichen Familienkonstellationen aufwachsen, nicht unterscheiden. Elementar für die kindliche Entwicklung ist nicht so sehr die konkrete Familienkonstellation, sondern vielmehr die Qualität der Beziehung zu den Eltern iSv Nähe und Vertrauen.28 Des Weiteren existieren

Langzeitstudien aus Großbritannien und den USA bzw eine skandinavische Meta-Analyse, die alle zu demselben Ergebnis kamen.29

Davon, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihrer Lebenssituation machen, wird dabei durchaus berichtet.30 Dass solche Erfahrungen

eine seelische Belastung und somit einen Nachteil für die betroffenen Kinder darstellen können, ist zutreffend. Ein Eingriff in ein Grundrecht kann aber nicht mit den oft auf Vorurteilen beruhenden moralischen Vorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung gerechtfertigt werden.31

In seinem Urteil in der Rs X ua gegen Österreich fand der EGMR des Weiteren keine Hinweise darauf, dass zwei in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebende Personen die Bedürfnisse eines Kindes nicht gleich gut erfüllen könnten, wie dies Personen in einer heterosexuellen Partnerschaft möglich ist.32 Der Gerichtshof ist auch der Ansicht, dass gleichgeschlechtliche

Paare ebenso wie verschiedengeschlechtliche Paare in der Lage sind, dauerhafte und stabile Beziehungen einzugehen. Eine etwaige befürchtete höhere Trennungsrate, welche durchaus eine Gefährdung des Kindeswohls darstellen kann, ist somit nicht gegeben.33

27 Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim Bundeskanzleramt zur Reform des

Fortpflanzungsmedizinrechts, Punkt 4.2.4.5.

28 Vgl Rupp, Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften (2009) 306ff;

zustimmend Bernat, Gleichgeschlechtliche Eltern, EF-Z 2015, 60 (62).

29 Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim Bundeskanzleramt zur Reform des

Fortpflanzungsmedizinrechts, Punkt 4.2.4.5.

30 Vgl Rupp, Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften (2009) 306.

31 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 55; Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim

Bundeskanzleramt zur Reform des Fortpflanzungsmedizinrechts, Punkt 4.2.4.5.

32 EGMR 19.02.2013, 19010/07, X ua gegen Österreich.

33 EGMR 24.06.2010, 30141/04, S. H. gegen Österreich; Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim

(11)

11

Eine fehlende Gefährdung des Kindeswohls zeigt sich auch in Hinblick auf die Öffnung der Stiefkindadoption durch das AdRÄG 2013 bzw der gemeinsamen Wahlkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare, wodurch es zu einer Erweiterung des Elternbegriffs kam.34

Betreffend die gemeinsame Adoption sei kein Grund ersichtlich, dass gleichgeschlechtliche Paare schlechter geeignet seien, ein Kind „in stabiler elterlicher Fürsorge und Geborgenheit“ aufzuziehen als verschiedengeschlechtliche Paare. Eine Gefährdung des Kindeswohls durch das Aufwachsen bei gleichgeschlechtlichen Eltern ist somit nicht gegeben.35 Wenn dies für die

gemeinsame Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare gilt, ist nicht ersichtlich, weshalb dies nicht auch für die Erfüllung des Wunsches nach einem genetisch verwandten Kind durch die Inanspruchnahme der muF gelten soll.

In seinem Erkenntnis stellt der VfGH fest, dass eine Gefährdung der Gesundheit der Frau durch die künstliche Insemination nicht erkennbar ist. Diese wird des Weiteren auch gar nicht behauptet.36 Eine Rechtfertigung aufgrund des Schutzes der Gesundheit der betroffenen Frau

kommt somit nicht in Betracht, weshalb als möglicher Rechtfertigungsgrund nur der Schutz der Moral bleibt. Als moralischer Aspekt ist hier vor allem der Schutz der traditionellen Familie zu nennen. Dies ist insofern problematisch, da, wie der VfGH richtigerweise feststellt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht in einem Substitutionsverhältnis zu Ehen und verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften stehen. Vielmehr treten sie zu diesen hinzu. Eine Gefährdung traditioneller Familienkonstellationen durch die Ermöglichung der Erfüllung des Kinderwunsches von in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften lebenden Frauen durch Inanspruchnahme von Methoden der muF ist somit nicht gegeben. Ein Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare vom Zugang zur muF kann somit nicht mit dem „Schutz der traditionellen Familie“ gerechtfertigt werden.37 Es ist auch problematisch, einen

Grundrechtseingriff mit den moralischen Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit und tradierten Vorstellungen zu legitimieren. Gerade das von der Norm Abweichende soll doch durch die EMRK geschützt werden.38 Dies entspringt dem der EMRK zugrunde liegenden Prinzip der

demokratischen Gesellschaft iSv Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit.39

Auch das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung stellt keinen ausreichenden Rechtfertigungsgrund dar. Dieses Recht ist durch § 20 Abs 2 FMedG gesichert, der besagt, dass einem mittels heterologer muF gezeugten Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres Einsicht in

34 Vgl Bernat, Gleichgeschlechtliche Eltern, EF-Z 2015, 60 (60). 35 VfGH 11.12.204, G 119/2014 ua.

36 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013. 37 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013.

38 Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim Bundeskanzleramt zur Reform des

Fortpflanzungsmedizinrechts, Punkt 4.2.4.5.

(12)

12

die Aufzeichnungen über den Samenspender bzw die Eizellenspenderin zu gewähren und daraus Auskunft zu erteilen ist.40

In der Regierungsvorlage zum FMedG wurde als Grund für den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare die damit verbundene Missbrauchsgefahr iS eines Rückgriffs auf die Leihmutterschaft genannt.41 Bzgl der Erfüllung des Kinderwunsches homosexueller Frauen mithilfe von Methoden

der muF ist dies wenig überzeugend, da diese auf die Leihmutterschaft regelmäßig gerade nicht angewiesen sind.42

Auch das Argument, eine Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für lesbische Paare müsse ebenfalls eine Öffnung für schwule Paare und somit eine Zulassung der Leihmutterschaft nach sich ziehen, vermag nicht zu überzeugen. Das Verbot der Leihmutterschaft ist auf eigene Sachgründe gestützt und knüpft weder an die sexuelle Orientierung noch an das Geschlecht an.43

Da sich für den Ausschluss homosexueller weiblicher Paare vom Zugang zu Methoden der muF schon hinsichtlich Art 8 EMRK keine Rechtfertigungsgründe ausreichenden Gewichts finden, liegt darin eine Verletzung von Art 8 iVm Art 14 EMRK. Dem Erkenntnis des VfGH vom 10.12.201344,

mit welchem jene Zugangsbeschränkungen aufgehoben wurden, ist somit zuzustimmen.45

Der Ausschluss gleichgeschlechtlicher weiblicher Paare vom Zugang zu Methoden der muF stellt somit eine Verletzung von nach Art 8 EMRK garantierten Grundrechte dar.

Es bleibt noch zu überlegen, ob im Ausschluss lesbischer Paare vom Zugang zur Reproduktionsmedizin auch ein Verstoß gegen das in Art 12 EMRK normierte Recht auf Familiengründung liegt. Es ist festzuhalten, dass Art 12 EMRK in der Judikatur des EGMR keine Anwendung auf Fälle findet, die den Zugang zu Methoden der muF betreffen. Der EGMR wendet bei der Prüfung solcher Fälle nur Art 8 EMRK an.46 Wie der EGMR feststellte, garantiert

Art 12 EMRK kein Recht auf Fortpflanzung.47 Des Weiteren schließt die Anwendung des

Art 12 EMRK auf Aspekte der Fortpflanzung aufgrund der Verknüpfung des Rechts auf Familiengründung mit dem Bestehen einer Ehe Personen, die sich in einer anderen (legalisierten) Lebensgemeinschaft als einer Ehe befinden, aus.48 Durch die Öffnung der Ehe für

40 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013. 41 ErläutRV 216 BlgNR, 18. GP, 11.

42 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013.

43 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013; Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim

Bundeskanzleramt zur Reform des Fortpflanzungsmedizinrechts, Punkt 4.2.4.5.

44 VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013.

45 So auch Kopetzki, Verbot der Samenspende in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften von Frauen

verfassungswidrig, RdM 2014, 69.

46 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 20.

47 EGMR 15.11.2007, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich (ZE) NL 2008, 3 (Czech).

(13)

13

gleichgeschlechtliche Paare49 könnten sich nun Frauen, die in einer gleichgeschlechtlichen Ehe

leben, auf Art 12 EMRK berufen. Der Frage kommt aber insofern wenig Bedeutung zu, als aus Art 12 EMRK keine weiterreichenden Rechte abzuleiten sind als aus Art 8 EMRK.50

3.3. Änderungen im Abstammungsrecht

Durch die Öffnung der muF für lesbische Paare wurden auch Änderungen im Abstammungsrecht nötig, da ein in einer lesbischen Partnerschaft unter Zuhilfenahme der muF geborenes Kind ansonsten rechtlich nur einen Elternteil hätte.51 Der Gesetzgeber hat mit dem FMedRÄG 2015 die

durch die Öffnung der muF für lesbische Paare im Abstammungsrecht entstandene Lücke geschlossen. § 144 ABGB, der die neue Überschrift „Abstammung vom Vater und vom anderen Elternteil“ erhielt, regelt in Abs 2 leg cit die Abstammung vom „anderen Elternteil“. Demnach ist jene Frau Elternteil des Kindes, die entweder „mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes in eingetragener Partnerschaft verbunden ist“ oder die „die Elternschaft anerkannt hat“ oder „deren Elternschaft gerichtlich festgestellt ist“.52 § 144 Abs 3 ABGB statuiert, dass auf den Vater

und die Vaterschaft Bezug nehmende Bestimmungen auf diese Frau sinngemäß anzuwenden sind. Gem § 148 Abs 3 ABGB ist somit auch jene Frau Elternteil des Kindes (und zwar ohne das Erfordernis der Verbundenheit mit der leiblichen Mutter in Form einer eingetragenen Partnerschaft), die der künstlichen Insemination gem § 8 Abs 1 FMedG in Form eines Notariatsakts zugestimmt hat.53

4. Beschränkung auf Personen in einer dauerhaften Partnerschaft –

Ausschluss alleinstehender Frauen

Gem § 2 Abs 1 FMedG ist der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin auf Personen, die in einer aufrechten Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft leben, beschränkt. Alleinstehenden Frauen steht die Möglichkeit, sich den Kinderwunsch mithilfe der muF zu erfüllen, somit nicht offen.54 Diese Zugangsbeschränkung wurde im FMedRÄG 2015 beibehalten.

49 VfGH 04.12.2017, G 258/2017 ua.

50 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 21.

51 Vgl Fischer-Czermak, Medizinisch unterstützte Fortpflanzung für lesbische Paare, EF-Z 2014, 61 (62). 52 § 144 Abs 2 Z 1 bis 3 ABGB idF FMedRÄG 2015.

53 Vgl Bernat, Gleichgeschlechtliche Eltern, EF-Z 2015, 60 (61); Wendehorst, Neuerungen im österreichischen

Fortpflanzungsmedizinrecht durch das FMedRÄG 2015, iFamz 2015, 4 (5).

54 Alleinstehenden Männern ist der Zugang zur Reproduktionsmedizin ebenfalls verwehrt. Alleinstehende sowie in einer

gleichgeschlechtlichen Beziehung lebende Männer müssten zur Erfüllung ihres Wunsches nach einem genetisch verwandten Kind immer auf die Dienste einer Leihmutter zurückgreifen. Das Verbot der Leihmutterschaft stützt sich jedoch auf eigene Sachgründe, weshalb der Ausschluss alleinstehender Männer bzw homosexueller männlicher Paare vom Zugang zur Reproduktionsmedizin in einem eigenen Kapitel (Kapitel 5) behandelt wird.

(14)

14

Begründet wurde dies damit, dass einem Kind nicht von vornherein nur ein Elternteil – und folglich nur ein Unterhaltsverpflichteter – zur Verfügung stehen soll.55

Alleinstehende Frauen werden sich zur Erfüllung ihres Kinderwunsches in der Regel der heterologen Insemination bzw, im Falle der Sterilität der betroffenen Frau, der heterologen IVF bedienen. Der Rückgriff auf diese beiden Methoden ist Frauen, welche in einer aufrechten Paarbeziehung leben, gestattet, womit hier vergleichbare Situationen vorliegen. Durch die in § 2 Abs 1 FMedG normierte Beschränkung des Personenkreises, dem der Zugang zu Methoden der muF gestattet wird, stellt sich die Frage, ob der Ausschluss bestimmter Personengruppen – in concreto der Ausschluss alleinstehender Frauen – einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personengruppe darstellt und im Weiteren, ob der Eingriff gerechtfertigt werden kann.56 Zu diesem Zweck ist der Frage nachzugehen, ob aus von der Rechtsordnung garantierten

Grundrechten eine Fortpflanzungsfreiheit abgeleitet werden kann, auf die sich alleinstehende Frauen, welche sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe der heterologen Formen der muF erfüllen wollen, berufen können und welche gegenläufigen Interessen bzw Grundrechte gegebenenfalls einen Eingriff in diese Fortpflanzungsfreiheit rechtfertigen können.

4.1. Fortpflanzungsfreiheit

In der EMRK wird ein Recht auf die eigene Fortpflanzung nicht eigens normiert. Ein solches Recht lässt sich jedoch unter Umständen aus anderen Garantien der EMRK ableiten. In Frage kommen hierbei das in Art 8 EMRK normierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und das in Art 12 EMRK enthaltene Recht auf Familiengründung. Nach einer allgemeinen Abgrenzung des Anwendungsbereichs erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die einschlägigen Konventionsgarantien auf Aspekte der Fortpflanzung Anwendung finden. Anschließend wird durch eine Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs untersucht, ob sich alleinstehende Frauen auf eine etwaige aus der EMRK abzuleitende Fortpflanzungsfreiheit berufen können.57

4.1.1. Art 8 EMRK

Art 8 EMRK enthält die Regelungsbereiche der Achtung des Privatlebens, des Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs.58 Dieser breite Anwendungsbereich und vor allem die

55 Vgl Wendehorst, Neuerungen im österreichischen Fortpflanzungsmedizinrecht durch das FMedRÄG 2015, iFamz

2015, 4 (4); ErläutRV 445 BlgNR, 25. GP, 1.

56 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 271. 57 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 9ff.

(15)

15

Unbestimmtheit des Begriffs „Privatleben“ verleiten dazu, Art 8 EMRK fälschlicherweise als einen allgemeinen Auffangtatbestand zu interpretieren.Art 8 EMRK stellt seinem Wesen nach jedoch ein Abwehrrecht dar, das den einzelnen Menschen einen vor staatlichen Eingriffen geschützten Freiraum garantieren soll. Unter Umständen können dem Staat neben dieser vorwiegend negativen Verpflichtung auch Gewährleistungspflichten aus Art 8 EMRK erwachsen.59

4.1.1.1. Sachlicher Anwendungsbereich

Das Recht auf Achtung der Wohnung und das Recht auf Achtung des Briefverkehrs spielen bzgl Fragen der Reproduktion eine untergeordnete Rolle. Die für die Ableitung einer Fortpflanzungsfreiheit relevanten Gewährleistungen des Art 8 EMRK sind somit das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Achtung des Familienlebens.

Eine Beschränkung des Zugangs zur muF stellt nur einen Eingriff in die durch Art 8 EMRK geschützten Grundrecht dar, sofern die künstliche Fortpflanzung – bezogen auf alleinstehende Frauen in concreto ein Recht auf Fortpflanzung unter Zuhilfenahme der heterologen Methoden der muF – vom Schutzbereich des Art 8 EMRK erfasst ist.60

4.1.1.1.a Achtung des Privatlebens

Der Begriff des Privatlebens ist ein weiter und wurde vom EGMR bisher noch nicht abschließend definiert.61 Insofern kann der Schutzbereich nur unter Heranziehung der bisherigen Judikatur des

EGMR und der von diesem als Eingriff in das nach Art 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens qualifizierten Maßnahmen definiert werden.62

Im Zentrum des Rechts auf Achtung des Privatlebens steht die Gewährung eines Freiraums iSe vor staatlichen Eingriffen geschützten Bereichs, innerhalb dessen die einzelnen Menschen ihre Persönlichkeit frei entwickeln und entfalten können.63 Als Teilaspekte des Privatlebens enthalten

und geschützt sind die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die Privatsphäre und die freie Gestaltung der Lebensführung.64

59 EGMR 23.07.1968, 1474/62, Belgischer Sprachenfall; EGMR 13.06.1979, 6833/74, Marckx gegen Belgien; vgl

Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2 (1999) Rz 554; Grabenwarter/Pabel, Europäische

Menschenrechtskonvention6 (2016) § 22 Rz 1; Berka, Die Grundrechte. Grundfreiheiten und Menschenrechte in

Österreich (1999) Rz 460.

60 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 23.

61 Vgl van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak (Hrsg), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights4

(2006) 664.

62 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 23; van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak (Hrsg), Theory and Practice of the

European Convention on Human Rights4 (2006) 664f.

63 Vgl Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2 (1999) Rz 555; Meyer-Ladewig/Nettesheim in

Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) EMRK Handkommentar4 (2017) Art 8 Rz 7. 64 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 22 Rz 6.

(16)

16

Das Recht auf Achtung der Privatsphäre garantiert einen Schutz vor staatlicher Kenntnisnahme der privaten Sphäre des Individuums. Davon erfasst sind zB der Schutz von persönlichen Daten und der Kommunikation sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.65

Art 8 EMRK beinhaltet das Recht, selbst über den eigenen Körper zu bestimmen.66 Schutzgut des

Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper sind die körperliche und seelische Unversehrtheit.67 Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper schützt vor gegen den

Willen der betroffenen Person vorgenommenen Eingriffen in die körperliche und geistige Integrität.68 Dazu zählen beispielsweise zwangsweise medizinische Behandlungen,

Abtreibungsverbote oder eine gegen den Willen der Mutter vorgenommene Abtreibung sowie eine ohne Einverständnis der betroffenen Person durchgeführte Sterilisation oder Kastration.69 Die

psychische Integrität wird durch Maßnahmen berührt, welche eine Missachtung der seelisch-geistigen Selbstbestimmung und der betroffenen Person implizieren. Je nach Intensität und Ausmaß des Eingriffs in die physische bzw psychische Integrität kann das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art 3 EMRK) betroffen sein.70 Ebenfalls vom

Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper erfasst ist das Sexualleben. Art 8 EMRK gewährt ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Eingriffe in dieses Recht stellen beispielsweise Verbote homosexueller Aktivitäten oder sadomasochistischer Sexualpraktiken dar. Auch die Änderung oder Anpassung des Geschlechts ist gem Art 8 EMRK geschützt.71

Das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung sichert das Recht, das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Es wird dem Individuum ein gewisser Freiraum gewährt, innerhalb dessen es sich frei entwickeln und seine Persönlichkeit entfalten kann. Daraus erwächst jedoch keine allgemeine Handlungsfreiheit. Das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung erstreckt sich nur auf „wesentliche Ausdrucksmöglichkeiten der Persönlichkeit.“72 Geschützt sind

beispielsweise die Wahl des eigenen Namens, die freie Wahl der Kleidung, der Zugang zu Informationen betreffend die eigene Herkunft und der besondere Lebensstil von Minderheiten.73

Auch die Entscheidung über die eigene Elternschaft74 und das Knüpfen zwischenmenschlicher

65 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 22 Rz 9; Villiger, Handbuch der

Europäischen Menschenrechtskonvention2 (1999) Rz 564.

66 EGMR 29.04.2002, 2346/02, Pretty gegen Vereinigtes Königreich. 67 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 12.

68 Vgl Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2 (1999) Rz 556.

69 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 12; Meyer-Ladewig/Nettesheim in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer

(Hrsg) EMRK Handkommentar4 (2017) Art 8 Rz 12f; EGMR 08.11.2011, 18968/07, V.C. gegen Slowakei; EGMR

20.03.2007, 5410/03, Tysiąc gegen Polen.

70 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 13; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016)

§ 22 Rz 6.

71 Vgl Pätzold in Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar2 (2015) Art 8 Rz 11ff.

72 Vgl Wildhaber in Pabel/Schmahl (Hrsg), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2.

Lfg. (1992) Art 8 Rz 122; Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2 (1999) Rz 562.

73 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 14; Pätzold in Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar2 (2015) Art 8 Rz 14ff. 74 EGMR 10.4.2007, 6339/05, Evans gegen Vereinigtes Königreich; dazu näher sogleich unten, Kapitel 4.1.1.2.

(17)

17

Beziehungen privater sowie beruflicher Natur sind vom Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung erfasst.75

4.1.1.1.b Achtung des Familienlebens

Das Recht auf Achtung des Familienlebens setzt das Bestehen einer Familie voraus. Es schützt nicht den bloßen Wunsch, eine Familie zu gründen.76 Der Begriff der Familie ist dabei nicht nur

auf eheliche Beziehungen beschränkt, sondern umfasst auch andere faktische familiäre Beziehungen, in denen die Parteien außerhalb einer Ehe zusammenleben.77 Auf das

Vorhandensein von Kindern kommt es dabei nicht an. Des Weiteren ist für das Bestehen einer Familie eine biologische Verwandtschaft zwischen Eltern und Kind nicht erforderlich.78

4.1.1.2. Recht auf Fortpflanzung?

Nach dieser allgemeinen Bestimmung des Schutzbereichs des Art 8 EMRK stellt sich nun die Frage, inwiefern sich aus dieser Konventionsgarantie ein Recht auf (natürliche bzw künstliche) Fortpflanzung ableiten lässt.

Aufgrund des Erfordernisses des Bestehens einer Familie können sich fortpflanzungswillige alleinstehende Personen bzgl ihres Rechts auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung nicht auf das Recht auf Achtung des Familienlebens berufen.79

In der bisherigen Judikatur des EGMR80 und in der Literatur81 wird jedoch vertreten, dass das

Recht auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung unter den Schutz des Privatlebens gem Art 8 EMRK fällt.

Die natürliche Fortpflanzung fällt nach der Rechtsprechung des EGMR jedenfalls unter Art 8 EMRK.82 Erfasst ist hierbei auf jeden Fall das Recht auf natürliche Fortpflanzung innerhalb

einer Ehe. Dieses lässt sich sowohl aus Art 8 EMRK als auch aus Art 12 EMRK ableiten. Aber

75 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 22 Rz 14f.

76 EGMR 13.06.1979, 6833/74, Marckx gegen Belgien; EGMR 26.02.2002, 36515/97, Fretté gegen Frankreich. 77 EGMR 26.05.1994, 16969/90, Keegan gegen Irland.

78 Vgl Pätzold in Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar2 (2015) Art 8 Rz 41ff.

79 EGMR 13.06.1979, 6833/74, Marckx gegen Belgien; EGMR 26.02.2002, 36515/97, Fretté gegen Frankreich. 80 EGMR 10.4.2007, 6339/05, Evans gegen Vereinigtes Königreich; EGMR 04.12.2007, 44362/04, Dickson gegen

Vereinigtes Königreich; EGMR 01.04.2010, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich.

81 Vgl beispielsweise Pätzold in Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar2 (2015) Art 8 Rz 17; Meyer-Ladewig/Nettesheim

in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) EMRK Handkommentar4 (2017) Art 8 Rz 28. 82 EGMR 10.4.2007, 6339/05, Evans gegen Vereinigtes Königreich.

(18)

18

auch die natürliche Fortpflanzung außerhalb einer Ehe ist von Art 8 EMRK – nicht jedoch von Art 12 EMKR – erfasst.83

Neben einem positiven Aspekt hat das Recht auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung auch eine negative Seite, nämlich das Recht, sich nicht fortzupflanzen. Davon umfasst sind Fragen hinsichtlich Empfängnisverhütung und Abtreibung.84

Einer gesonderten Auseinandersetzung bedarf die Einordnung der künstlichen Fortpflanzung, wobei hier zusätzlich zwischen homologen und heterologen Formen der muF zu unterscheiden ist. Es darf nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Bejahung eines Rechts auf natürliche Fortpflanzung notwendig auch die Fortpflanzung unter Zuhilfenahme der Fortpflanzungsmedizin von Art 8 EMRK erfasst ist, wenn man davon ausgeht, dass der Leitsatz

„freedom to have sex without reproduction does not guarantee freedom to have reproduction

without sex“ auch auf die EMRK anwendbar ist.85

Erstmalig wurde die künstliche Fortpflanzung in Evans gegen Vereinigtes Königreich86 unter den

Schutzbereich von Art 8 EMRK subsumiert. Hierbei ging es um das Verbot der Einpflanzung von in-vitro befruchteten und kryokonservierten Embryonen, nachdem der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin nach erfolgter Trennung sein Einverständnis zur Einpflanzung gegenständlicher Embryonen zurückgezogen hatte.87 Der EGMR bejahte hier ausdrücklich, dass

sowohl der Wunsch nach einem Kind als auch der spezifischere Wunsch nach einem genetisch verwandten Kind unter das Recht auf Achtung des Privatlebens fällt.88 Zuvor hatte schon der VfGH

eine Einbeziehung der muF in den Schutzbereich des Art 8 EMRK bejaht. 89 Auch in der Literatur

wurde dies bereits vertreten.90 Dass hierbei die Fortpflanzung unter Einbeziehung Dritter

geschieht und somit aus der Privatheit der Paarbeziehung herausgetreten wird, schadet nicht. In

83 Vgl Wildhaber in Pabel/Schmahl (Hrsg), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2.

Lfg. (1992) Art 8 Rz 185ff; zur Anwendbarkeit von Art 12 EMRK auf Aspekte der Fortpflanzung siehe sogleich unten, Kapitel 4.1.2.

84 Vgl Wildhaber in Pabel/Schmahl (Hrsg), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2.

Lfg. (1992) Art 8 Rz 189ff.

85 Robertson, Procreative Liberty and the Control of Conception, Pregnancy and Childbirth, Virginia LRev 1983, 405

(406); Fahrenhorst, Fortpflanzungstechnologien und Europäische Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1988, 125 (126).

86 EGMR 07.03.2006, 6339/05, Evans gegen Vereinigtes Königreich. 87 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 26.

88 EGMR 07.03.2006, 6339/05, Evans gegen Vereinigtes Königreich; vgl Mayrhofer, Recht der Fortpflanzungsmedizin:

Reformen verfassungsrechtliche geboten? in Lienbacher/Wielinger (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2011), 349 (358).

89 VfGH 14.10.1999, G 91/98, G116/98.

90 Vgl beispielsweise Stolz, Grundrechtsaspekte künstlicher Befruchtungsmethoden, in Bernat (Hrsg), Lebensbeginn

durch Menschenhand. Probleme künstlicher Befruchtungstechnologien aus medizinischer, ethischer und juristischer Sicht (1985) 109 (117f); Fahrenhorst, Fortpflanzungstechnologien und Europäische Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1988, 125 (126).

(19)

19

Dickson gegen Vereinigtes Königreich91 und S. H. ua gegen Österreich92 erfolgten weitere

Einbeziehungen der muF in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens.93

Eine Ableitung des Rechts auf Fortpflanzung (sowohl der natürlichen Fortpflanzung als auch der Fortpflanzung unter Zuhilfenahme der Reproduktionsmedizin

)

kommt insb aus dem als Teilaspekt des Rechts auf Achtung des Privatlebens geschützten Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung in Betracht.94 Das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung soll den

einzelnen Menschen einen vor staatlichen Eingriffen und Regulierungen geschützten Freiraum gewähren, innerhalb dessen sie ihre Persönlichkeit frei entfalten und entwickeln können. Den Individuen wird somit ein Recht auf Selbstbestimmung zugebilligt, wobei dieses Recht nicht als eine allgemeine Handlungsfreiheit zu verstehen ist, sondern nur die persönliche Autonomie schützt, wo sie sich auf wesentliche Entscheidungen bzgl des eigenen Lebens bezieht.95 Die

Entscheidung, Eltern eines Kindes zu werden oder nicht zu werden, betrifft einen solchen „Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit“.96 Die Entscheidung über die eigene Elternschaft

ist Ausdruck der physischen und sozialen Identität einer Person und betrifft in hohem Maße die persönliche Autonomie.97 Treffend heißt es dazu in Eisenstadt v. Baird: „If the right of privacy

means anything, it is the right of the individual, married or single, to be free from unwarranted governmental intrusions into matters so fundamentally affecting a person as the decision whether

to bear or beget a child.”98 Des Weiteren betrifft die Entscheidung über die eigene Elternschaft

auch das Recht auf das Knüpfen persönlicher Beziehungen, gegenständlich der Beziehung zum eigenen Kind.99

Während dies jedenfalls für die homologen Formen der muF gilt, ist fraglich, ob auch die heterologen Formen der muF unter Art 8 EMRK zu subsumieren sind. Bei der homologen muF könnte das Ergebnis grds auch auf natürlichem Weg herbeigeführt werden, da nur die Stammzellen des Wunschelternpaares verwendet werden. Bei den heterologen Formen ist dies nicht der Fall. Wie erwähnt, anerkennt der EGMR jedoch sowohl den Wunsch, ein Kind zu haben und zu diesem eine Beziehung aufzubauen wie auch den Wunsch, ein genetisch verwandtes Kind zu haben.100 Ist die Herbeiführung einer Schwangerschaft und somit das Empfangen eines

91 EGMR 04.12.2007, 44362/04, Dickson gegen Vereinigtes Königreich. 92 EGMR 01.04.2010, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich.

93 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 26; Mayrhofer, Recht der Fortpflanzungsmedizin: Reformen

verfassungsrechtliche geboten? in Lienbacher/Wielinger (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2011), 349 (358); Bernat, Über Umfang und Grenzen des Rechts auf Fortpflanzung/Der Fall Evans vor dem EGMR, EuGRZ 2006, 398 (398f).

94 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 24.

95 Vgl Wildhaber in Pabel/Schmahl (Hrsg), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2.

Lfg. (1992) Art 8 Rz 122; Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2 (1999) Rz 562; EGMR

29.04.2002, 2346/02, Pretty gegen Vereinigtes Königreich.

96 Vgl Balz, Heterologe künstliche Samenübertragung beim Menschen (1980) 20. 97 EGMR 14.12.2010, 67545/09, Ternovszky gegen Ungarn.

98 Eisenstadt v. Baird, 405 U.S. 438, 453 (1972); vgl Bernat, Über Umfang und Grenzen des Rechts auf

Fortpflanzung/Der Fall Evans vor dem EGMR, EuGRZ 2006, 398 (398f Fn 14).

99 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 24.

(20)

20

genetisch verwandten Kindes nur durch eine Stammzellenspende von dritter Seite möglich und wird fortpflanzungswilligen Personen der Rückgriff auf diese Methode verwehrt, stellt dies einen Eingriff in ihr durch Art 8 EMRK geschütztes Grundrecht dar. Außerdem kann die physische Integrität der betroffenen Frau tangiert sein, da das Erlebnis von Schwangerschaft und Geburt ein einschneidendes Erlebnis darstellt. Alle diese Komponenten sind bei einer heterologen muF mittels Samenspende gegeben. Eine fortpflanzungswillige Frau, die unter Rückgriff auf die Samenspende eines Dritten ein Kind empfangen möchte, kann sich somit auf Art 8 EMRK berufen.101 In S. H. ua gegen Österreich erfolgte eine explizite Einbeziehung der heterologen

Formen der muF in den Schutzbereich des Art 8 EMRK.102

Das gem Art 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst somit das Recht, sich den Kinderwunsch mit Hilfe der Methoden der muF inklusive der hier relevanten heterologen muF mittels Samenspende zu erfüllen.

Art 8 EMRK gewährt dabei jedoch kein „Recht auf ein Kind“. Aufgrund seines Charakters als Abwehrrecht schützt Art 8 EMRK die einzelnen Menschen vor staatlichen Eingriffen in ihr grundrechtlich geschütztes Recht auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung. Der Staat wird somit nicht verpflichtet, etwa die muF zu finanzieren oder die Möglichkeit einer muF zur Verfügung zu stellen. Es geht ausschließlich darum, dass der Staat nicht unverhältnismäßig in die freie Entscheidung über die eigene Reproduktion eingreifen darf.103

4.1.1.3. Persönlicher Anwendungsbereich

GrundrechtsträgerInnen des Rechts auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung sind alle natürlichen Personen.104 Geschützt sind hierbei nicht nur Paare, die sich ihren Kinderwunsch

unter Zuhilfenahme der muF erfüllen wollen. In Evans gegen Vereinigtes Königreich wurde dieses Recht explizit auch einer alleinstehenden Frau zuerkannt.105

4.1.2. Art 12 EMRK

Art 12 EMRK schützt das Recht auf Eheschließung und Gründung einer Familie. Die beiden Garantien werden als ein zusammengehöriges Recht angesehen, wonach sich nur Personen in

101 Vgl Fahrenhorst, Fortpflanzungstechnologien und Europäische Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1988, 125

(127); Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 24ff.

102 EGMR 01.04.2010, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich.

103 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 151; Stolz, Grundrechtsaspekte künstlicher Befruchtungsmethoden, in

Bernat (Hrsg), Lebensbeginn durch Menschenhand. Probleme künstlicher Befruchtungstechnologien aus medizinischer, ethischer und juristischer Sicht (1985) 109 (118).

104 Vgl Marauhn/Thorn in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar Bd I2 (2013) Kap. 16 Rz 68. 105 Mayrhofer, Recht der Fortpflanzungsmedizin: Reformen verfassungsrechtliche geboten? in Lienbacher/Wielinger

(21)

21

einer Ehe oder einer anderen legalisierten Partnerschaft darauf berufen können. Alleinstehende Frauen können sich demnach nicht auf Art 12 EMRK berufen.106

4.1.3. Art 14 EMRK

Hinsichtlich des in Art 14 EMRK normierten Diskriminierungsverbots wirft der Ausschluss alleinstehender Personen vom Zugang zu Methoden der muF keine Probleme auf, da es an einem Vergleichsmaßstab fehlt. Alleinstehende Personen befinden sich nicht in einer Situation, welche mit der Situation von in einer dauerhaften Partnerschaft lebenden Personen vergleichbar wäre.107

4.2. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs

§ 2 Abs 1 FMedG, der den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin auf Personen in einer aufrechten Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft beschränkt, stellt einen Eingriff in die Fortpflanzungsfreiheit alleinstehender Frauen dar. Diese werden durch die betreffende Regelung von der Möglichkeit, sich ihren Kinderwunsch mithilfe der heterologen Methoden der muF zu erfüllen, ausgeschlossen.

Art 8 EMRK steht unter einem Gesetzesvorbehalt. Ein Eingriff in diese Konventionsgarantie ist zulässig, wenn eines der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten legitimen Ziele verfolgt wird und der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ iSv verhältnismäßig ist.108

4.2.1. Legitimes Ziel

Der Gesetzgeber begründet seine Entscheidung, die Fortpflanzungsmedizin für alleinstehende Frauen mit dem FMedRÄG 2015 nicht zu öffnen, damit, dass einem Kind nicht von vornherein nur ein Elternteil und somit auch nur ein Unterhaltsverpflichteter zur Verfügung stehen soll.109

Leitgedanke ist somit – wie schon für das FMedG aF – das Kindeswohl, konkret das Wohl des durch die muF entstehenden Kindes.110 Das ist insofern problematisch, als es an dem Individuum,

das als schützenswert angesehen wird, noch fehlt, seine Existenz durch die in Frage stehende Regelung gewissermaßen verhindert wird.111

106 Vgl Pätzold in Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar2 (2015) Art 12 Rz 16f. 107 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 271.

108 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 18 Rz 12ff.

109 Vgl Wendehorst, Neuerungen im österreichischen Fortpflanzungsmedizinrecht durch das FMedRÄG 2015, iFamz

2015, 4 (4); ErläutRV 445 BlgNR, 25. GP, 1.

110 ErläutRV 216 BlgNR, 18. GP, 11.

111 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 81; Bernat, Das Kindeswohl auf dem Prüfstand des Rechts, ÖA 1994, 43

(22)

22

Bisher statuierte der EGMR nur in Dickson gegen Vereinigtes Königreich explizit, dass das Kindeswohl bei Fragen bzgl der Zulassung einer muF ein berücksichtigungswürdiges Interesse sei.112 In anderen Fällen, die eine muF zum Gegenstand hatten, beschränkte sich der Gerichtshof

darauf, den „Schutz der Gesundheit und der Moral“ sowie den „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ als in Frage kommende legitime Ziele festzustellen, dies ohne nähere Begründung oder Differenzierung.113

Eine Ableitung des Kindeswohls kommt aus den beiden in Art 8 Abs 2 EMRK genannten legitimen Zielen des „Schutzes der Gesundheit und der Moral“ und des „Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer“ in Betracht, insbesondere aus ersterem, da es hier keines konkretisierbaren Grundrechtssubjekts bedarf, dessen Interessen zu schützen wären.114

Der VfGH anerkannte in seinem Erkenntnis vom 14.10.1999115 eine Ableitung des Kindeswohls

aus dem „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“. Dies scheint im Hinblick auf die muF nicht besonders überzeugend, da ja das Individuum, dessen Rechte zu schützen sind, noch nicht existiert. Noch gar nicht gezeugtes Leben kann nicht unter den Begriff „anderer“ subsumiert werden. Eine derart großzügige Auslegung des Begriffs „anderer“, dass davon auch noch gar nicht gezeugte Kinder erfasst sind, ist insbesondere deshalb abzulehnen, da der EGMR bisher schuldig geblieben ist zu entscheiden, ob überhaupt der Fötus bzw der Embryo als „anderer“ anzusehen ist.116 Aus dem Offenlassen der Beantwortung dieser Frage ist zu schließen, dass der

EGMR eine Anwendung des „Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer“ auf das ungeborene Leben für unzutreffend hält.117 Ebenso wenig ist das ungeborene Leben als „Mensch“ iSd Art 2

EMRK zu qualifizieren und fällt somit auch nicht unter das nach dieser Bestimmung geschützte „Recht auf Leben“.118 Wenn also schon das ungeborene Leben nicht als „anderer“ und somit als

Grundrechtssubjekt angesehen wird, kann noch gar nicht gezeugtes Leben erst recht nicht davon erfasst sein.

Möglich ist jedoch eine Ableitung des Kindeswohls aus dem „Schutz der Moral“. Der Begriff „Moral“ kann in zweierlei Weise verstanden werden: Einmal kann er den „Schutz des moralischen Ethos oder der moralischen Normen der Gesellschaft insgesamt“ umfassen, andererseits den „Schutz

112 EGMR 04.12.2007, 44362/04, Dickson gegen Vereinigtes Königreich. 113 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 82.

114 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 54. 115 VfGH 14.10.1999, G 91/98, G116/98.

116 Vgl Spranger, Recht und Bioethik. Verweisungszusammenhänge bei der Normierung der Lebenswissenschaften

(2010) 351; Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 82.

117 Vgl Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des „therapeutischen Klonens“, in

Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 15 (22); EGMR 29.10.1992, 14234/88, Open Door und Dublin Well Woman gegen Irland.

118 VfGH 11.10.1974, G 8/74; vgl Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des

(23)

23

der moralischen Interessen und des moralischen Wohlergehens einer bestimmten Gruppe in der Gesellschaft“ bedeuten.119 Bzgl der Herleitung des Kindeswohls ist vor allem an den „Schutz der

moralischen Interessen und des moralischen Wohlergehens einer bestimmten Gruppe in der Gesellschaft“ zu denken, wenn also der Schutz des ungeborenen Lebens auf den moralischen Wertvorstellungen der Gesellschaft beruht. Das Wohl der Kinder zu sichern und sicherzustellen, dass diese in geeigneten Verhältnissen aufwachsen, liegt im Interesse der Gesellschaft. In diesem Sinne lassen sich Grundrechtseingriffe, welche dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen, auf den Schutz der Moral stützen.120

Die Frage, ob auch die bei Zugangsbeschränkungen zur Reproduktionsmedizin einschlägige Wahrung des Wohls noch gar nicht gezeugten Lebens aus dem „Schutz der Moral“ gem Art 8 Abs 2 EMRK abgeleitet werden kann, bedarf einer separaten Beantwortung. Ein vorgeburtlicher Schutz scheidet hier aus, da es noch gar nichts gibt, was geschützt werden könnte. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob das Kindeswohl in dieser Konstellation als vorwirkendes individuelles Grundrecht – denn das Grundrechtssubjekt existiert ja gerade noch nicht – zu sehen ist oder vielmehr als ein objektiver Wert. Es ließe sich vor allem deshalb an eine Vorwirkung des Grundrechtsschutzes denken, da das Kindeswohl seinem Wesen nach zukunftsgerichtet ist, da es auf die zukünftige Entwicklung des Kindes fokussiert. Diese Vorwirkung des Grundrechts knüpft aber wiederum an ein Grundrechtssubjekt an. Gegen den vorwirkenden Grundrechtsschutz spricht somit, dass es hier noch gar kein Grundrechtssubjekt gibt. Das Kindeswohl stellt somit hinsichtlich des noch nicht gezeugten Lebens kein gegenläufiges privates Interesse dar, welches einen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnte.121

Das Wohl des erst durch die in Frage stehende Fortpflanzungsmethode entstehenden Kindes kann aber als objektiver Wert verstanden werden, der nicht auf eine antizipierte Wirkung des Grundrechtsschutzes aufbaut, sondern das Kindeswohl aufgrund seiner „Rückwirkung auf die tatsächlich geborenen Menschen“ schützen will.122 Hierbei geht es gleichsam um Fragen der

Menschenwürde. Das Machbare auf dem Gebiet der Biotechnologie, wie beispielsweise Genmanipulationen, das Klonen von Menschen und die Überproduktion von Embryonen zu Forschungszwecken, tangieren in hohem Maße ethische Fragen hinsichtlich des menschlichen Lebens und bergen das Risiko, dass wissenschaftliche Errungenschaften in einer Art und Weise benutzt werden, welche die Würde und Identität der Menschen gefährdet.123 In diesem Sinne geht

es hierbei um einen Schutz der Würde der Menschheit als Gesamtheit, die Achtung dessen, was die Menschen als Gattung ausmacht und von anderen Gattungen unterscheidet. Dies findet im

119 EGMR 22.10.1981, 7525/76, Dudgeon gegen Vereinigtes Königreich. 120 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 56.

121 Vgl Reinke, Fortpflanzungsfreiheit und das Verbot der Fremdeizellspende (2008) 152f. 122 Vgl Reinke, Fortpflanzungsfreiheit und das Verbot der Fremdeizellspende (2008) 153f.

123 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 57; EGMR 08.07.2004, 53924/00, Vo gegen Frankreich, Sondervotum der

(24)

24

Schutz des Wohls des durch die umstrittene Fortpflanzungsmethode entstehenden Kindes seinen Ausfluss.124

Der „Schutz der Gesundheit“ umfasst nicht nur die physische Gesundheit, welche durch die Anwendung von Methoden der muF gefährdet sein könnte, sondern auch die psychische Gesundheit. In diesem Sinne fällt darunter auch die psychische Entwicklung des durch die muF entstehenden Kindes, welche gefährdet ist, wenn das Kind in eine nicht optimale Umgebung hineingeboren wird.125

Das Kindeswohl, welches sich aus dem „Schutz der Gesundheit und der Moral“ gem Art 8 Abs 2 EMRK ableiten lässt, stellt somit ein legitimes Ziel dar, auf das der Grundrechtseingriff gestützt werden kann. Ob der in Frage stehende Grundrechtseingriff damit auch tatsächlich gerechtfertigt werden kann, sprich, ob die Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft zur Zielerreichung notwendig ist, wird erst auf der Stufe der Verhältnismäßigkeit untersucht.126

4.2.1. Verhältnismäßigkeit – Fortpflanzungsfreiheit vs Kindeswohl

Neben dem Erfordernis des Vorliegens eines legitimen Ziels ist der Ausschluss alleinstehender Frauen vom Zugang zu Methoden der muF nur zulässig, wenn dieser Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist. Weiters muss der Eingriff geeignet sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Dies ist iSe Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen. Der EGMR wägt hierbei die widerstreitenden Interessen gegeneinander ab. Der Eingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten legitimen Ziel stehen.127

In der Regierungsvorlage zum FMedG aF wurde als Rechtfertigung für den Ausschluss alleinstehender Frauen von der Fortpflanzungsmedizin die damit verbundene Missbrauchsgefahr („Leihmutterschaft“) angegeben.128 Wie die Bioethikkommission in ihrer Stellungnahme zur

Reform des Fortpflanzungsmedizinrechts anführt, ist dieses Argument wenig überzeugend. Es ist nicht ersichtlich, wieso die Gefahr eines Missbrauchs bei alleinstehenden Frauen größer sein sollte als bei Frauen, die sich in einer aufrechten Partnerschaft befinden.129

124 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 57; Birnbacher, Gefährdet die moderne Reproduktionsmedizin die

menschliche Würde? in Leist (Hrsg), Um Leben und Tod, (1990), 266 (268).

125 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 59ff. 126 Siehe sogleich unten, Kapitel 4.2.1.

127 Meyer-Ladewig/Nettesheim in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) EMRK Handkommentar4 (2017) Art 8

Rz 110.

128 ErläutRV 216 BlgNR, 18. GP, 11.

129 Bioethikkommission, Stellungnahme vom 02.07.2012 beim Bundeskanzleramt zur Reform des

(25)

25

In der Regierungsvorlage zum FMedG aF heißt es weiter, dass die Ungleichbehandlung von alleinstehenden Frauen im Gegensatz zu Frauen, die in einer Paarbeziehung leben, auf der „überwiegenden gesellschaftlichen Ablehnung der Anwendung der in Betracht kommenden Methoden an Einzelpersonen“ beruht.130 Hier wird also versucht, den Grundrechtseingriff mit den

„moralischen Normen der Gesellschaft“ zu rechtfertigen. Es ist jedoch problematisch, einen Grundrechtseingriff mit den moralischen Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit zu legitimieren. Was die Menschen als „moralisch“ oder „unmoralisch“ ansehen, ist häufig vorurteilsbehaftet und nicht rational. Außerdem lässt sich eine solche Rechtfertigung nur schwer mit den Idealen des der EMRK zugrunde liegenden Prinzips der demokratischen Gesellschaft, nämlich Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, vereinen. Die persönliche Freiheit und die Meinungsfreiheit, welche wesentliche Grundlagen der demokratischen Gesellschaft darstellen, sollen nämlich nicht nur Meinungen und Verhaltensweisen schützen, welche von der Mehrheit der Bevölkerung als positiv angesehen werden, sondern eben gerade auch solche, die „beleidigen, schockieren oder stören“ („offend, shock or disturb“) können.131 Während die Moral grds ein legitimes Eingriffsziel

darstellt, scheidet dieser Rechtfertigungsversuch auf Ebene der Interessenabwägung aus. Dass manche die Anwendung von Methoden der muF an alleinstehenden Frauen als unmoralisch empfinden könnten, rechtfertigt keinen Eingriff in die Fortpflanzungsfreiheit der alleinstehenden Frauen.132

Weiters möchte der Gesetzgeber die Methoden der muF nur ausnahmsweise zulassen, um den „Vorrang der natürlichen Fortpflanzung jedenfalls sicherzustellen“.133 Mit einer Beschränkung des

Personenkreises, dem der Zugang zur muF gestattet wird, soll vorrangig sichergestellt werden, dass Kinder nur in einer „traditionellen“ und dem „natürlichen Ideal“ entsprechenden Familie geboren werden. „Ungewöhnliche Familienbeziehungen“ sollen vermieden werden. Allein die Vermeidung solcher „ungewöhnlicher Beziehungen“ oder die „Bewahrung der Natürlichkeit“ kann jedoch keinen legitimen Anknüpfungspunkt darstellen. Um den Ausschluss alleinstehender Frauen von der Fortpflanzungsmedizin mit der Vermeidung „ungewöhnlicher Beziehungen“ bzw der „Bewahrung der Natürlichkeit“ rechtfertigen zu können, ist es vielmehr erforderlich, dass daraus auch eine konkrete Gefahr für die Entwicklung des Kindes resultiert.134 Hier stellt sich nun

die Frage, ob das Wohl des Kindes durch das Aufwachsen bei nur einem Elternteil gefährdet ist. Hier gilt grds, was bereits bzgl des Ausschlusses homosexueller Paare von der Fortpflanzungsmedizin ausgeführt wurde: Studien kamen einhellig zu der Auffassung, dass nicht so sehr die konkrete Familienkonstellation ausschlaggebend für die kindliche Entwicklung ist,

130 ErläutRV 216 BlgNR, 18. GP, 13.

131 EGMR 07.12.1976, 5493/72, Handyside gegen Vereinigtes Königreich.

132 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 55; Dujmovits, Reproduktionsmedizin – Gesetzgebung im Wandel? in

Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 91 (108).

133 ErläutRV 216 BlgNR, 18. GP, 13.

134 Vgl Czech, Fortpflanzungsfreiheit (2015) 84; Spranger, Recht und Bioethik. Verweisungszusammenhänge bei der

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

E ine Schwangerschaft kann hervorragend mit Schüßler-Salzen be gleitet werden und Beschwerden wie Depressionen, Übelkeit, Krampfadern, Zahnbe- schwerden, Hautjucken und

So werden beispielsweise Schuheinla- gen nur abgegeben, wenn sie eine wesentliche Ergänzung medizinischer Ein- gliederungsmaßnahmen darstellen (Art. Anderseits hat das Gericht

Juni 1934 (2¡i¡ — Protest gegen die Beschränkung der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit (255) — Erinnerungsbuch >Vom U-Boot zur Kanzelt (2J7) — Unterredung mit Göring (2¡8)

• dass die Betrachtung einer Eigenschaft oftmals nicht ausreicht, um zu beurtei- len, ob eine chemische Reaktion stattgefunden hat.. Gängige

Gut sitzende Büsten- halter, Sport-BHs oder nahtlose Bustiers sind jetzt eine gute Wahl, damit sich Kundinnen wohlfühlen.. Viele Frauen freuen sich über ein Plus an Busen und

Daneben nennt das NP aber in Artikel 8a explizit die nicht kommerzielle, also Grundlagenforschung als Forschung, für die die Provider-Länder einen erleichterten Zugang zu

GL kann sich vorstellen, dass das ausschliessliche Anbieten von Mandaten nicht gewinnbringend ist, gut wäre eine Aufteilung 1 zu 3, langfristig sind Mandate zu

Es gibt elternabhängiges BaföG, wenn die Eltern während des Studiums oder der Ausbildung dem Grunde nach unterhaltspflichtig sind und elternunabhängiges BaföG, wenn