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B R E N N P U N K T

28 Physik Journal 17 (2018) Nr. 6 © 2018 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Bereits 2013 lieferte eine Arbeit von Mitarbeitern aus der Gruppe von Björn Hof ein besseres Ver- ständnis des MDR-Zustands []. In ihren Experimenten untersuchten sie die Strömungsmuster von poly- merhaltigem Wasser bei zuneh- mend höherer Reynolds-Zahl. Sie stellten fest, dass sich bei geringer Polymerkonzentration der Über- gang von laminarer zu turbulenter Strömung erwartungsgemäß in Richtung höherer Reynolds-Zahlen verschiebt. Ist die Polymerkonzen- tration jedoch mäßig hoch, tritt der Übergang von laminarer zu unge- ordneter Strömung bei Re-Werten auf, die unter denen des Übergangs in reinem Wasser liegen. Die For- scher kamen zu dem Schluss, dass eine elastische Instabilität diese unerwartet „frühe Turbulenz“ an- treibt. Diese tritt auf, wenn die Strö- mung die Polymere ausreichend gedehnt hat. Unter diesen Bedin- gungen kann es zu einer neuen Art von Turbulenz kommen – der elas to-inertialen Turbulenz, bei der sich eine chaotische Strömung im gesamten Fluid statt in einzelnen Bereichen ausbreitet. Hof und Kol- legen schlugen daher vor, die MDR- Dynamik mit elasto-inertialen Turbulenzen statt mit gedämpften Newtonschen Turbulenzen zu asso- ziieren.

dabei den turbulenten Geschwin- digkeitsschwankungen Energie ent- ziehen. Die Reaktion der Polymere reduziert den Impuls transport zur Wand und so den Widerstand [].

Dass die Erhöhung der Polymer- konzentration den Widerstand nur bis zur MDR-Asymptote reduziert, ist seit den 1970er-Jahren bekannt []. Diese Grenze ist „universell“

für Newtonsche Flüssigkeiten in dem Sinne, dass sie im Allgemeinen nicht von der Art der Flüssigkeit oder des Polymerzusatzes abhängt []. Um die Grenze zu erklären, ha- ben sich die Forscher hauptsächlich auf den Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung konzentriert, der beim Erhöhen der Reynolds- Zahl (Re) auftritt.1) In Rohren ist das für eine Newtonsche Flüssigkeit wie Wasser meist bei Re ~ 2000 der Fall. An diesem „Grenzpunkt“ ist die Strömung instabil und enthält Bereiche mit kurzlebigen Turbu- lenzen. Die Zugabe des Polymers könnte diesen Grenzwert von Re auf einen höheren Wert setzen.

Sobald der MDR erreicht ist, bleibt die Strömung im Grenzzustand

„gefangen“ [, ]. Unklar ist aber, ob dieser MDR-Grenzzustand der Newtonschen Turbulenz (mit turbulenten Bereichen) oder einer noch unbekannten Art von Turbu- lenz entspricht.

D

er Reibungswiderstand ent- zieht einer sich bewegenden Flüssigkeit Energie. Üblicherweise wird dieser Verlust größer, wenn die laminare Strömung zur Turbu- lenz übergeht. Daher führt das Ein- setzen von Turbulenzen zu Proble- men, wenn eine Flüssigkeit durch eine Leitung strömt – sei es Öl in einer riesigen Pipeline, Blut in der menschlichen Aorta oder Flüssig- keit in einem Wärmetauscher. Dem lässt sich durch Zugabe einer klei- nen Konzentration von Polymeren zur Flüssigkeit entgegenwirken, da diese Turbulenzen unterdrücken und den Reibungswiderstand re- duzieren. Jahrzehntelange Experi- mente haben jedoch gezeigt, dass sich auf diese Weise der Wider stand nur auf ein bestimmtes Maß senken lässt. Das Phänomen ist bekannt als „Maximum Drag Reduction“

(MDR)-Asymptote. Jenseits dieser Grenze ist die Zugabe eines Poly- mers wirkungslos. Ein Team um Björn Hof am Institut für Wissen- schaft und Technik in Öster reich hat nun aber einen Parameter- bereich identifiziert, in dem sich der Widerstand über diesen Grenz- wert hinaus reduzieren lässt [1].

Ihre Experimente mit Wasser und gängigen Polymeren liefern damit ein neues Bild der flüssigkeitsdyna- mischen Eigenschaften des MDR.

1946 entdeckte B. A. Toms zu- fällig die widerstandsmindernde Wirkung eines Polymers in einer Flüssig keit, als er den mechani- schen Abbau langkettiger Polymer- moleküle in Wasser untersuchte, das durch ein Rohr fließt []. Er stellte fest, dass schon das Auflösen einer winzigen Menge Polymere in der Flüssigkeit den Reibungs- widerstand um bis zu 70 Prozent reduzierte, obwohl das Polymer praktisch keinen Einfluss auf die Scherviskosität der Flüssigkeit hatte. Bis heute ist der genaue Me- chanismus des Effekts unklar. Am naheliegendsten erscheint es, dass die Polymere mit der Strömung interagieren, sich strecken und

Jenseits bekannter Grenzen

Neue Experimente haben gezeigt, dass die Zugabe eines Polymers zu einer Flüssigkeit den Reibungswiderstand stärker reduziert als erwartet.

Abb. 1 Momentaufnahmen der Strö- mungsgeschwindigkeit zeigen, wie die Zugabe von Polymeren die Eigenschaften der Strömung verändern. Bei einer Reynolds-Zahl von 3150 liegt ohne Poly- mere Newtonsche Turbulenz vor (a). Mit

steigender Konzentration kommt es bei 30 ppm zu einer kompletten Relaminari- sierung (b). Ein weiterer Anstieg der Kon- zentration auf bis zu 150 ppm verursacht eine elasto-inertiale Instabilität (c).

0,50 0,25 0,00 –2,5 –5,0 Abweichung mittlere Geschwindigkeit

0 25 50 75 100

horizontale Position normiert auf Durchmesser a

b

c

aus [1]

1) Die Reynolds-Zahl Re ist eine dimensionslose Zahl, die das Verhältnis zwischen Trägheits- und Viskositätskräften aus- drückt.

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B R E N N P U N K T

© 2018 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 17 (2018) Nr. 6 29 Die neuen Experimente liefern

nun schlüssigere Beweise für die- ses Bild [1]. Die Forscher nutzten die so genannte Particle Imaging Velocimetry (PIV), um die Strö- mungsmuster von Wasser, das in einem Rohr fließt, für einen großen Bereich von Re-Werten und Poly- merkonzentrationen zu bestimmen.

Sie charakterisierten diese Muster als laminare Strömung, Newton- sche Turbulenz oder elasto-inertiale Turbulenz, also ausgedehnte Tur- bulenz mit niedriger Amplitude.

Außerdem ermittelten sie den Wi- derstand in Form eines Reibungs- faktors, der auf dem Druckabfall entlang des Rohres basiert. Diesen Reibungsfaktor haben sie bei fester Reynolds-Zahl und steigenden Werten der Polymerkonzentration gemessen und so den MDR als den- jenigen Punkt identifiziert, an dem der Reibungsfaktor auch bei stei- gender Konzentration abflacht.

Ihre Messergebnisse zeigen deutlich, dass die MDR-Grenze aus dem Zusammenspiel zweier Turbulenzzustände resultiert: Bei niedriger Polymerkonzentration dominiert Newtonsche Turbulenz, bei hoher Polymerkonzentration elastische Turbulenz. Insbesondere stellten die Forscher fest, dass die Zugabe der richtigen Menge an

Polymeren zu Wasser bei Reynolds- Zahlen zwischen 2000 und 3600 – wo üblicherweise Newtonsche Turbulenzen vorhanden sind – die Strömung komplett neu lamina- risiert. In dieser intermediären, relaminarisierten Phase sinkt der Reibungsfaktor erstmals unter die MDR-Asymptote (Abb. 1). Die Zu- gabe weiterer Polymere induziert jedoch elastische Turbulenzen, die den Reibungsfaktor bis zum Errei- chen des MDR ansteigen lassen.

Die Forscher testeten verschie- dene Polymere und fanden heraus, dass die Widerstandsminderung unter MDR in leicht unterschied- lichen Fenstern der Reynolds-Zahl und der Konzentration auftritt.

Für Polyacrylamid stellte sich die erhöhte Widerstandsminderung in Wasser mit Re bis 3600 ein. Diese Reynolds-Zahl ist mit bestimmten medizinischen Anwendungen kom- patibel, bei denen man beispiels- weise einen turbulenten Blutfluss in verengten Arterien (Stenose) vermeiden möchte [7, 8]. Wenn Subs tanzen, die den Widerstand senken, Turbulenzen vermeiden könnten, könnte das die Belastung des Herzens verringern oder eine Schädigung der Blutzellen durch übermäßige Scherung verhindern.

Allerdings ist die Reynolds-Zahl

in vielen praktischen Situationen deutlich höher als 3600 – in Öllei- tungen beispielsweise größer als 105. So bleibt abzuwarten, ob sich dort Polymeradditive entwickeln las- sen, die den Widerstand unterhalb MDR reduzieren können. Auf jeden Fall lohnt es sich, diesen Ansatz zu verfolgen, da der Unterschied im Reibungsfaktor zwischen tur- bulentem und laminarem Zustand in solchen Leitungen mehrere Größenordnungen beträgt. Die richtigen Additive zu finden, um die Strömung laminar zu machen, würde die Ener gie kosten erheblich senken.2)

Markus Holzner [1] G. H. Choueiri, J. M. Lopez und B. Hof,

Phys. Rev. Lett. 120, 124501 (2018) [2] B. A. Toms, Phys. Fluids 20, S3 (1977) [3] I. Procaccia, V. S. L’vov und R. Benzi,

Rev. Mod. Phys. 80, 225 (2008) [4] P. S. Virk, H. S. Mickley und K. A. Smith,

J. Appl. Mech. 37, 488 (1970) [5] L. Xi und M. D. Graham, Phys. Rev.

Lett. 108, 028301 (2012)

[6] D. Samanta, Y. Dubief, M. Holzner, C.

Schafer, A. N. Morozov, C. Wagner und B. Hof, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 110, 10557 (2013)

[7] J. L. Unthank et al., J. Surg. Res. 53, 625 (1992).

[8] M. V. Kameneva et al., Biorheology 41, 53 (2004)

Prof. Dr. Markus Holzner, Depart- ment of Civil, Envi- ronmental, and Geo- matic Engineering, ETH Zurich, Stefano Franscini Platz 5, 8093 Zürich, Schweiz

Obwohl allgemein bekannt ist, dass Eis eine rutschige Oberfläche besitzt, liegt eine vollständige Erklärung des Phänomens noch nicht vor.#) Die aktu- elle Forschung geht davon aus, dass ein dünner Wasserfilm durch die Rei- bungswärme während des Gleitens entsteht. Forscher der Uni Amsterdam und des MPI für Polymerforschung zeigten kürzlich mit spektrosko- pischen Messungen, dass die Glätte von Eis von der Bindung der Wasser- moleküle an das darunterliegende Eis abhängt. Bei –100 °C dominieren drei Wasserstoffbrückenbindungen. Mit steigender Temperatur binden die Wassermoleküle nur noch mit zwei Brücken an das Eis und rollen wie Ku- geln darüber. Die Zahl mobiler Mole- küle wächst bis zum Schmelzpunkt an. Das Gleiten funktioniert aber bei –7 °C am besten, weil dann die Kufen weniger tief in das Eis eindringen.

B. Weber et al., J. Phys. Chem. Lett.

(2018), DOI: 10.1021/acs.jpclett.8b01188

V O R S I C H T, G L AT T E I S !

Andrey Yurlov / Shutterstock

2) Bei diesem Artikel handelt es sich um die bearbeitete Übersetzung von M. Holzner, Poly- mers reduce drag more than expected, https://link.aps.org/

doi/10.1103/Physics.11.29

#) Vgl. Physik Journal, Januar 2018, S. 44

Referenzen

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