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Bemerkungen über die nordbuddhistische
Terminologie im Hinblick auf die Bodhisattvabhümi.
Von Unrai Wogihara.
Bekanntlich hat der nördliche Buddhismus eine so lang an¬
dauernde selbständige Entwicklung durchgemacht, daß zu dem Grund¬
stock von Gemeinsamkeiten, die ihn mit dem südlichen Buddhismus
verbinden, eine übergroße Fülle von Besonderheiten hinzugetreten
sind. Diese Besonderheiten, soweit sie der Terminologie an¬
gehören, erfordern immer noch die angespannte Aufmerksamkeit
der Gelehrten, die sich eingehender mit dem nördlichen Buddhismus
beschäftigen. Es sind eben doch erst ein paar der terminologisch
wertvolleren Werke — zu denen natürlich Legendensammlungen
nicht zu rechnen sind — ausreichend untersucht worden. Nun
haben ja freilich die Nordbuddhisten selber ein terminologisches
Wörterbuch größeren Stils, die Mahävyutpatti, hervorgebracht, und
man sollte meinen, daß es nur darauf ankäme, dieses zu benutzen.
Allein einmal enthält es nur die leicht klassifizierbaren Ausdrücke,
nicht die ebenso zahlreichen Einzelausdrücke besonderer Art. Und
sodann sind die Bedeutungen, die bei der Verarbeitung des
Mahävyutpatti-Wortschatzes im Neuen Petersburger Wörterbuch an¬
gesetzt worden sind, durchaus nicht immer ausreichend bestimmt
oder überhaupt zutreffend. Die Bedeutung eines Ausdrucks läßt
sich eben da, wo die Klassifikation der Mahävyutpatti nicht als
solche einen ganz bestimmten Fingerzeig gibt, bloß aus Literatur¬
stellen, deren oft mehrere erforderlich sind, genau ermitteln. Beispiels¬
weise soll äcarya-musti (wörtlich „die Faust des Lehrers') dem
Neuen Petersburger Wörterbuche zufolge „Zwang' bedeuten;
allein, wie aus der Bodhisattvabhümi zu entnehmen ist, hat das
Wort vielmehr den Sinn von „heimliche Aufbewahrung,
Geiz ".
Die Unzulänglichkeit dessen , was bisher in der Feststellung
der nordbuddhistischen Terminologie erreicht worden ist, kam mir
wie auch meinem verehrten Lehrer Professor Leumann besonders
zum Bewußtsein, während wir im Lauf der letzten zwei Jahre
gemeinsam eine Ausgabe von Haribhadra's Kommentar znr Astasa-
452 Wogihara, Bemerk, über die nordbuddhistische Terminal,
hasrikä Prajnaparamita vorbereiteten. Und da mir aus dem chine¬
sischen Tripitaka die Bodhisattvabhümi als ein Text bekannt
war, der geeignet wäre, vielfach Auskunft zu gewähren, so be¬
mühten wir uns zunächst, die Cambridger Handschrift des Werkes
in die Straßburger Universitätsbibliothek geliehen zu erhalten. Weil
indessen besagte Handschrift in Europa als Unikum gilt — in
Nepal dürften wohl noch weitere Exemplare zu finden sein —
so mußte ich mich zum Studium des Textes persönlich nach
Cambridge verfügen, habe dann aber daselbst beim Oberbibliothekar
Mr. Jenkinson das liebenswürdigste Entgegenkommen gefunden.
So bin ich in Stand gesetzt, von der Bodhisattvabhümi eine Aus¬
gabe versprechen zu können. Einstweilen werden ein paar An¬
gaben über das mir zu Gebote stehende Material nicht unwill¬
kommen sein.
Das Cambridge-Manuskript der Bodhisattvabhümi befindet sich,
weil es eine der ältesten nordbuddhistischen Handschriften ist, in
etwas verwahrlostem Zustande. Vielfach fehlt der Rand samt der
Paginierung und daher haben denn zahlreiche Blätter bis zu meinem
Eintreffen in Cambridge an falscher Stelle gestanden. Unter Zu¬
ziehung der chinesischen Übersetzungen gelang es, die
Reihenfolge der Blätter vollständig zu sichern und zugleich fest¬
zustellen, daß die Handschrift ursprünglich 151 Blätter gehabt und
davon am Anfang 3 und im Verlauf 4 weitere (nämlich das 20.,
30. 41. und 51.) verloren hat. Gegenüber diesen bedauerlichen
Mängeln darf mit hoher Befriedigung darauf hingewiesen werden,
daß im übrigen die Handschrift als eine vorzügliche gelten mag,
so daß nur selten ein Fehler vorkommt.^)
Von gleichem Wert wie die Giite der Handschrift ist die Güte
einer der drei chinesischen Übersetzungen. Diese Über¬
setzungen zu ermitteln war rair bereits in Straßburg (während des
Sommers 1903) möglich gewesen an der Hand der fünf Seiten, die
Professor Bendall in seinera Catalogue of the Buddhist Skt. MSS.
in the Univ. Library Cambridge der in Rede stehenden Handschrift
gewidraet hat. In Bunyiu Nanjio's Catalogue of the Chinese
Tripitaka findet raan die Übersetzungen unter folgenden eine Identi¬
fikation des gemeinten Werkes wenig begünstigenden Titeln:
No 1086. jBodhisattvacaryä-nirdesa' oder „Bodhisattvabhömidhara-sütra".
No 10S5. ^Bodhisattvacaryä-nirdesa« oder ,BodhisattvabhadrasIla-rätra".
No 1170. „Saptadasabbümi-sästra-yogacäryabhümi" oder ,Yogäcaryabhümi- sSstra'. Von diesem Werk kommt nicht das Qanze in Betracht.
1) Man würde dies nicht vermuten, wenn man die Stellen liest, die Pro¬
fessor Bendall in seinem Cambridge-Katalog p. 192—196 abgedruckt hat.
Er hat sich nämUch ungemein oft versehen, was das altertumliche Alphabet und die Schnelligkeit, mit der der Katalog ausgearbeitet wurde, entschuldigen mögen.
Auch die Folio-Angab en von Professor Hendall treffen nicht zu, insofern die Blätter immer auf der Vorderseite, nicht (wie er auf Grund der sonst üblichen Praxis annahm) auf der Rückseite, numeriert sind.
Wogihara, Bemerk, üher die nordbuddhistische Terminologie. 453
Anerkennung verdient vor allem die dritte dieser Über¬
setzungen, die im Jahre 646/47 n. Chr. von Hiuen ths ang an¬
gefertigt wurde. Man weiß, daß Hiuenthsang als Übersetzer einen
ausgezeichneten Ruf genießt, ünd da er in Indien insbesondere die
Lehren der Yogäcärya-Schule studiert hat und eben aus
dieser unsere Bodhisattvabhümi hervorgegangen ist, so braucht es
keines weitern Beweises, um die Zuverlässigkeit seiner Arbeit zu
erhärten. — Wie es mit der tibetischen Übersetzung der Bodhi¬
sattvabhümi steht, vermag ich nicht anzugeben. Sie wird von andern
Gelehrten geprüft werden müssen. Nur so viel sei hier beigefügt,
daß sie mit Hülfe der chinesischen Übersetzungen ermittelt
wurde. Weil nämlich die Büchertitel oft etwas schwanken und
weil im Übrigen bei unserm Text aus besondern Gründen bloß der
Anfang (nicht zugleich das Ende) für eine Identifikation zu ver¬
wenden war, gerade der Anfang aber im Sanskrit fehlt, so über¬
setzte ich ihn aus dem Chinesischen ins Englische und gab
damit Professor Bendall Gelegenheit, im Tanjur dem Text auf die
Spur zu kommen.
Vielleicht erwartet man hier noch ein paar Proben aus dem
terminologisch-lexikalischen Gewinn, den die Bodhisattvabhümi ver¬
spricht. Obschon eine Auswahl schwer ist, setze ich mindestens
folgendes her.
adhyäpadyate ,er vergeht sich".
aSvhhä im Sinne von aiubha-hhävanä als Bezeichnung eines Samädhi.
Man vergleiche die im NPW. aus der Unterschrift von Mahä¬
vyutpatti 52 (gedruckt in der Einleitung p. VII) zitierte Be¬
zeichnung aäubha-bhävanäh „fromme Betrachtungen über das
Unerfreuliche des Lebens". Aus der Jaina-Dogmatik käme eine
der zwölf Anupreksäh oder Bhävanäh in Betracht {,aiucitva*
in Ümäsväti's Pra^amarati 149 b, Premchand's Ausgabe p. 16).
üvedha „Einwii-kung".
vdguvtthikä. Das NPW. bietet unter Berufung auf die Mahävyut¬
patti vdgunthikayä „mit verschleiertem Gesicht". In der
ISodhisattvabhümi finden wir folgende Serie von Dativen:
1. uccatarake äsane nisannäya. 2. glänäya.
3. udgunthikä-krtäya. 4. purato gacchate.
Offenbar bezeichnet udguiithikä die durch das Hochziehen oder
Überziehen des Gewandes') entstehende Verhülltheit des
Kopfes.
uddäna. Statt der Bedeutung „Inhalt" setzen die Nachträge des
NPW. genauer „Inhaltsangabe". Man findet die beiden
beigegebenen Belegstellen in Kern's Ausgabe der Jätakamälä
2D. 245 a Mitte und p. 247 b unten. Als dritte Stelle kommt
1) Daher richtig ud-, nicht ava- wie das NPW. erwartet.
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454 Wogihara, Bernerh. über die nordbuddhistische Terniim
*im selben Text hinzu p. 252 a 5. Jedesmal folgt die Inhalts¬
angabe in Form eines Sloka. Ganz ebenso begegnet uddänam
mit einer nachfolgenden Inhaltsangabe, die jeweils einen ^loka
ausfüllt, am Anfang verschiedener Kapitel der Bodhisattvabhümi.
upanisad. Das Wort begegnet bei den Buddhisten in folgenden
drei besondern Verwendungen, von denen im NPW. die ej-ste
in üblicher Weise gebucht und die zweite nur durch einen
Hinweis auf Pänini '- S. 479 (sollte heißen 477) angedeutet ist:
,1. in dem öfter begegnenden Ausdruck upanifadam api na ksamate ,es
verträgt nicbt einmal eine an die Seite Stellung» d. h. es verträgt (weil ganz geringfügig) überhaupt keine Vergleichung (mit dem andern). Das Stein'sche (in der Wüste Taklamakan ausgegrabene) MS. der Vajracche¬
dikä bietet die ältere (prakritische) Lesart upanitam, wie man auf Tafel V von Stein's Preliminary Report sehen mag.
2. imnesenSinneundvonTibetern.hetu-bhäva bei Haribhadra oder von kärana bei Ceylo¬
3. in der Bedeutung ,Grad, Stufe" in der Bodhisattvabhümi: tasyaibhir dasa- bhir äkäraih kusala-samgrähaka-sila-vyavasthitasya ksipram eva kusala-sam- graho bhavati sarväkSras ca yad uta dänopanisadä silöpanifadä ksänty- upanisadä viryöpanisadä dhyänopanisada pancakärayä ca prajnayä.
Eine Ableitung und genetische Anordnung der drei Bedeutungen ist mir einstweilen noch nicht gelungen.
rtiyate ,er schämt sich". So lautet die korrekte Form des Verbums.
Die Bodhisattvabhümi schreibt stets ri statt r. Andererseits finden wir in der vom PW. verzeichneten Saddharmapundarika-
Stelle in altertümlich-unregelmäßiger Weise das Aktivum statt
des Mediums.
gaha „Nische". Es ist wahrscheinlich, daß diese der Bodhisattva¬
bhümi zu entnehmende Bedeutung auch in Pänini IV, 2, 138
vorliegt; die hier geforderte Ableitung^ gahiya würde also
heißen ,in einer Nische befindlich".
bhandita „verhöhnt" zu belegen aus der Bodhisattvabhümi.
sämict. Das NPW. gibt ohne Literaturbelege die Bedeutungen
„vandanä' und (in den Nachträgen) „Anständigkeit, Ordent¬
lichkeit, Höflichkeit". Die erste Bedeutung begegnet in der
Bodhisattvabhümi :
buddhänäin mahäbhümi-pravistänäin ca . . . bodhisatt-
vänäm sämicim krtvä.
pädayor nipatya sämicim krtvä.
Dies Wenige möge genügen. Es bleibt nur übrig, hinzu¬
zufügen, daß Professor Leumann zu seinen vielen Verdiensten
um mich noch das eine hinzugefügt hat, daß er mir für den vor¬
stehenden Aufsatz seine vielfach bessernde und ergänzende Feder
zur Verfügung stellte.
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Ein griechisches Theater in Indien.
Von Th. Bloch.
(Aus einem Briefe von ihm an E. Windisch.)
Indian Museum, Caleutta, 30. 4. 1904.
, . . . Meine letzte Reise galt dem Ramgash Hill im Sirguja
State, dem größten der Tributary States of Chota Nagpur. Von
den beiden Inschriften in den Höhlen im nordwestlichen Teil dieses
Berges waren bisher nur die von Cunningham im ersten Bande des
Corpus Inscriptionum veröffentlichten Facsimiles zugänglich. Die
Erklärung beider macht noch erhebliche Schwierigkeiten, und ich
weiß nicht, ob es mir gelingen wird, das Rätsel zu lösen. Die
letzte Zeile der einen Inschrift in der sogenannten Jogimara-Höhle
lautet : Devadine nama \ lupadakhe | , d. h. Devadatto näma
rüpadalcsah \ . Die Decke der Höhle ist mit Resten alter Malerei
bedeckt, und aus der Inschrift erfahren wir, daß Devadinna der
Name des Malers war. Freilich darf man nach diesen Resten sich
keine allzu hohe Vorstellung von der Geschicklichkeit dieses Malers
machen. Wie sollte man das auch in so abgelegener Gegend, einem
Vorposten arischer Civilisation, erwarten? Die Figuren sind in
rotbraun auf weißem Grunde angebracht. Elefanten, Bäume und
anderes sind mit derselben Farbe gemalt. Bei menschlichen Figuren
sind die Umrisse des Körpers mit schwarzen Linien gezeichnet, die
Augen weiß und schwarz und das Haar schwarz und auf der linken
Seite in einen Knoten gebunden, eine Haartracht, die sich noch
jetzt in jener Gegend findet. Bekleidete Teile des Körpers sind
weiß gelassen, nur die Umrisse wurden in roten Linien angedeutet.
Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, diese Malereien für
modern zu halten. Sieht man jedoch genauer zu , so findet man
vieles für die alte Kunst charakteristische , ■/.. B. das bekannte
Caitya-window, einen Wagen mit Pferden, ganz im alten Stil, und
vieles andere, was man in späterer Zeit sicher nicht so dargestellt
hätte. Hält man die Inschrift dazu, so scheint es unbedenklich,