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Kein Freud ohne Leid

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86 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2014 | www.pta-aktuell.de

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er Hauptpatient, der mich be- schäftigt, bin ich selbst – sagte Sigmund Freud einmal. Der am 6. Mai 1856 in Freiberg in Mähren, damals österreichisch, heute tschechisch, geborene Arzt, genauer Neurologe, Tie- fenpsychologe, auch Kultur- theoretiker und Religionskri- tiker, der insbesondere als Begründer der Psychoanalyse weltweit Bekanntheit erlangte und immer wieder kontrovers diskutiert wurde, meinte damit allerdings: Ein Psychiater muss sich erst einmal selbst ergrün- den, um andere Menschen, seine Patienten, verstehen zu können. Tatsächlich wurde Freud aber erwiesenermaßen immer wieder von körperlichen Krankheiten malträtiert.

Krankheit als ständiger Be- gleiter Im Herbst 1882 – da- mals hatte er gerade nach er- folgreich abgeschlossenem Medizinstudium seine erste Stelle im Wiener Allgemeinen Krankenhaus inne und arbei- tete im Laboratorium für Ge- hirnanatomie im Bereich der Neurophysiologie – wurde bei ihm eine leichte Form von Ty- phus diagnostiziert. Im folgen- den Frühjahr machten Freud erst der Ischiasnerv und dann die Pocken zu schaffen. Wegen Letzteren verbrachte er sogar einige Zeit in Quarantäne.

Immer wieder wurde er von Rheuma- und Migräneatta- cken heimgesucht. Außerdem litt er unter einer chronischen Entzündung der Nebenhöhlen, gegen die er bis 1895 das Sti- mulans Kokain verwendete.

Kein Freud ohne Leid

© Porträtfoto von 1926/Ferdinand Schmutzer

PRAXIS KRANKHEITEN BERÜHMTER PERSÖNLICHKEITEN

Die Seele als Krankheitsursache entdeckt zu haben ist das

große Verdienst von Sigmund Freud. Dass er selbst ein körperliches

Martyrium erdulden musste, ist die Kehrseite des „Seelendoktors“.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2014 | www.pta-aktuell.de

Freud empfand diese körper- lichen Beschwerden selbst jedoch als harmlos im Ver- gleich zu seinen seelischen Be- schwerden, seinen extremen Stimmungsschwankungen mit starken depressiven Phasen, mit Zwangsneurosen wie Reise- angst und Angst vor Zuspät- kommen. Interessanterweise verschwanden viele seiner psy- chischen Probleme – die wo- möglich mit ein Anlass waren, dass er sich ab 1896 intensiver mit „Psychoanalyse“, wie er es selbst nannte, befasste –, nachdem er 1902 in Wien zum außerordentlichen Titular- Professor ernannt wurde.

Rauchen – die Sucht Im Alter von 37 Jahren berich- tete Freud das erste Mal über Herzbeschwerden. Die behan- delnden Ärzte kamen jedoch nicht zu einer einheitlichen Diagnose: Einige sprachen von Angina pectoris, andere von einer Herzmuskelentzündung.

Die einhellige Empfehlung war jedoch: Freud, der nikotinsüch- tig war und häufig 20 Zigarren am Tag rauchte, sollte das Rau- chen aufgeben. Freud startete mehrmals den Versuch, es zu reduzieren oder ganz wegzu- lassen. Doch die Abstinenz ließ ihn jedes Mal körperlich in Aufruhr geraten, geistig fühlte er sich zu nichts fähig, sodass es bei kläglichen Versuchen blieb.

Er sei nun einmal außerstande, ohne Zigarren schöpferisch zu arbeiten, lautete sein Alibi für den intensiven Tabakgenuss.

Die Sucht hatte ihn fest im Griff. Im November 1917 spürte Sigmund Freud dann erst- mals Veränderungen in seiner Mundhöhle. Er bemerkte auch, dass diese unmittelbar mit sei- nem Rauchen, dem intensiven Nikotinkonsum, zusammen- hängen. Da sein Gaumen je- doch immer anschwoll, wenn ihm Nikotin fehlte, rauchte

er intensiv weiter. Freud war damit ein Meister im Ausblen- den von Tatsachen, wenn es um die eigene Gesundheit ging.

Die Krebserkrankung Sechs Jahre später entdeckte Freud dann eine Geschwulst in sei- ner Mundhöhle. Hausarzt und Internist hegten zwar den Verdacht einer Krebserkran- kung, redeten dem Patienten gegenüber aber von einer aus- geprägten Leukoplakie (Weiß- schwielenkrankheit), einer – häufig durch Nikotin oder Alkohol verursachten – Verdi- ckung der Mundschleimhaut, die meist harmlos verläuft.

Sie rieten allerdings zur Ope-

ration – und so erfolgte am 20. April 1923 die erste, um die Geschwulst entfernen zu lassen. Der Untersuchungs- befund der Gewebsprobe des mittlerweile 66-Jährigen ergab als Diagnose Epithelialkrebs.

„Es geht mir nicht sehr nahe“,

schrieb er hierzu, „man wird sich eine Weile mit den Mitteln der modernen Medizin wehren und sich dann der Mahnung von Bernhard Shaw erinnern:

Dont‘t try to live forever, you will not succeed.“ Doch da hatte Freuds Martyrium gerade erst begonnen. Da die erste Opera- tion völlig unzureichend war, wurde am 12. Oktober 1923 unter Lokalanästhesie eine Ra- dikaloperation mit Resektion des größeren Teils des rechten Oberkiefers, des rechten wei- chen Gaumens durchgeführt.

Schon am 12. November folgte die Resektion des Unterkiefers und des weichen Gewebes, da bei den vorherigen Operatio- nen immer nur ein Teil des Tu- morgewebes entfernt worden war. Den Verlust ersetzten die Ärzte später durch eine Kie- fergaumenprothese, die Freud nur mit fremder Hilfe einsetzen und herausnehmen konnte und die immer wieder neu ange- passt werden musste. Der me- chanische Kieferersatz wurde für ihn zu einer lebenslangen Schinderei. Zudem konnte der Verlust des größten Teils der Mundschleimhaut durch Transplantationen nicht völ- lig ausgeglichen werden. „Das Resultat war ein Leben endlo- ser Qual. Essen, Rauchen und

Reden war nur mit großer An- strengung und unter Schmerzen möglich“, erzählte der Hausarzt Dr. Max Schurr. Obwohl der Tumor in seiner Mundhöhle zweifellos vom Tabakrauch stammte, konnte Freud bis zu seinem Tod nicht von sei-

nen geliebten Zigarren lassen.

Ab 1926 begann ein nie enden- der Zyklus von Leukoplakie, Proliferation, präkanzerösen Veränderungen, die in weiteren 30 durchaus qualvollen Eingrif- fen behoben werden mussten.

Erst 1936 war eine dieser Ver- änderungen wieder bösartig. Zu regelmäßiger Arbeit, auch noch zur Behandlung von Patienten, zwang sich Freud dennoch bis in seine letzten Lebenstage.

Selbst in London, wohin der jüdischstämmige Freud sich gezwungen sah von Wien aus 1938 zu emigrieren, gab er seine Analytikerpraxis nicht auf. Im Londoner Exil wurde letztmalig operiert, anschließend wurde eine chirurgisch nicht entfern- bare Gewebsveränderung ver- sucht, mit Röntgenstrahlen in Schach zu halten. Vergebens!

Der Tumor wucherte unge- hemmt weiter, Fäulnisgeruch machte sich aus der Kieferhöhle breit. Als es selbst Freuds treuer Hund, ein Chow-Chow, nicht mehr bei seinem Herrchen aus- hielt, ließ Freud am 21. Septem- ber 1939 Dr. Max Schur zu sich kommen und erinnerte ihn an ein vor Jahren gegebenes Ver- sprechen auf Sterbehilfe. Am frühen Morgen des 23. Septem- ber 1939 starb der Psychoana- lytiker Sigmund Freud schließ-

lich an einer Überdosis Mor- phin – immerhin 83-jährig.

Ganze 16 Jahre hatte der schmerzvolle Gaumenkrebs ihn damit im Griff. ■

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin VORSCHAU

In unserer Serie „Krank- heiten berühmter Persön- lichkeiten“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Menschen vor:

+ Ludwig II (Hirnhautent- zündung und Folgen) + Friedrich Nietzsche (pa-

ranoide Schizophrenie)

»Gegen eine chronischen Entzündung

der Nebenhöhlen verwendete

Freud bis 1895 das Stimulans Kokain.«

Referenzen

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studierte Maschinen- und Gerätebau und absolvierte eine Feuerwehrausbildung; 1988 bis 1991 war Sicherheitsingenieur am Deutschen Nationaltheater in Weimar und seit 1991 ist er