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«Ich muss zeichnen bis zur Raserei» Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner als Architekt in einem kleinen Werkband des Münchner Hirmer Verlags

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Rezension : Medien Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner als Architekt k 2/2012 - 1

«Ich muss zeichnen bis zur Raserei»

Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner als Architekt in einem kleinen Werkband des Münchner Hirmer Verlags

von Andreas Barz

Der vorgestellte Band fasst die wichtigsten architekto- nischen Entwürfe und Skizzen Kirchners zusammen, die bis zu Beginn dieses Jahres in einer Ausstellung auf der Darmstädter Mathildenhöhe präsentiert wurden und die neben der Frankfurter Werkausstellung im Städel 2011 den Gesamtkünstler Kirchner präsentierten. Die unterschiedlichen Entwurfsgattungen werden in dem Katalogband bautypologisch sortiert und durch zeit- genössische und wissenschaftliche Begleittexte ergänzt. Eine wichtige Stellung nimmt neben der Auseinandersetzung mit den architektonischen Ent- würfen die Darstellung der Architekturlehre und des Lebensumfeldes im Dresden der Jahrhundertwende ein, das den Künstler stark beeinflusst haben wird, auch wenn er in seinen späteren Aufzeichnungen das Architekturstudium nur noch am Rande thematisiert.

Allen voran hat der spätere Hamburger Stadtbaurat Fritz Schumacher seinen Entwurfsstil geprägt und aus- gezeichnet. Dass die Arbeiten nun einem breiten Publi- kum präsentiert werden, ist das große Verdienst dieses Buches.

Der Gesamtplan einer Friedhofsanlage, den Ernst Ludwig Kirchner als Teil seiner Diplomprüfung an der Technischen Hochschule Dresden 1905 einreicht, wirkt zunächst monumental. Kirchner legt ihn als Idealplan im Sinne eines Campo Santo an. Auch die Architektur der Feierhalle mit wehrhaftem Mauerwerk, prägnanten Rundbogenfenstern und seitlich arkadierten Columba- rien entspricht weitgehend dem zeitgenössischen Architekturgeschmack des Fin de Siècle. Auffallend ist allerdings die Ausmalung der Friedhofsfelder in sattem Grün, Violett und Blau sowie die in kräftigem Schwarz dargestellten Gebäude: Die Ausmalung lässt den später weltberühmten Brücke-Künstler und Expressionisten bereits erkennen, wie Dieter Bartetzko in seinem Auf- satz schreibt. Es sind die gleichen bevorzugten kräf- tigen Farben, die uns in den Berliner Straßenszenen knapp zehn Jahre später wiederbegegnen.

Das Diplomthema war vorgegeben und brachte dem Prüfling, der bei Fritz Schumacher, Paul J. Wallot und Cornelius G. Gurlitt studierte, die Gesamtnote «gut»

ein. Das Studium erfolgte auf Wunsch des Vaters, eines Chemnitzer Industriellen, der den jungen Künstler drängte, statt der Malerei die Position eines Bauinge- nieurs anzustreben. Kirchner absolvierte das Studium mit geringem Interesse, aber nicht ohne Begabung und Elan, wie sein Freund und Kommilitone, das spätere Brücke-Mitglied, Fritz Bleyl zu berichten weiß. Die Übungen bei Fritz Schumacher im Freihand- und Orna- mentzeichnen begeisterten Kirchner ebenso wie der Werdegang des zu Kirchners Studienzeit bereits ange- sehenen Malers und Kunsthandwerkers Peter Behrens, der mit seinem selbst entworfenen Wohnhaus auf der Darmstädter Mathildenhöhe 1901 Furore machte und sich seither zu einer Art Gesamtkünstler entwickelte.

Während Kirchner bei Hugo Hartung, dem wohl kon- servativsten Lehrer in Dresden, 1903 noch einen recht konventionellen Entwurf für ein Maleratelier einreichte, das, so Bartetzko, mit seinem kaiserzeitlichen Pathos, den Sattel- und Walmdächern sowie einem martiali- schen Runderker auch den erzkonservativen Berliner Dombaumeister Julius Raschdorff begeistert hätte, ist er in einem beinahe zeitgleich fertiggestelltem Entwurf für ein Wohnhaus am Berghang schon viel radikaler.

Das sparsam ornamentierte Wohngebäude mit großen weißen Wandflächen ist weit eher den Lehren Schuma- chers, Muthesius’ und Loos’ verpflichtet als der heimat- schützlerische Entwurf eines Ateliers kurz zuvor. Weit- aus radikaler und unprätentiöser fällt der Entwurf für ein

«Berghäusel» aus, den Kirchner 1904 vorlegt. Das bei- nahe kubisch ausgeführte Gebäude mit schachbrettar- tigen Fensteröffnungen ist in seiner Schlichtheit von un- geheurer Modernität und zeigt das zeichnerische Talent Kirchners. Es nimmt in seiner Ornamentlosigkeit die Ra- dikalität des 1911 am Wiener Michaelerplatz 3 von Adolf Loos fertiggestellten Wohn- und Geschäftshau- ses Goldmann & Salatsch vorweg, dessen stark ge- äderter grüner Cipollinomarmor in der Portalzone den einzigen Schmuck darstellt und das einen der größten Architekturskandale des frühen 20. Jahrhunderts aus- löste.

Von ebenso schlichter und klarer Gestaltung sind die

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von Kirchner zahlreich entwickelten Interieurs. Der «In- nenraum mit Liege» stellt eine unverschnörkelte Szene- rie mit einfacher Ausstattung dar. Auch hier wieder die bevorzugten Farben Grün, Violett und Gelb. Der Entwurf

für ein Herrenzimmer, beinahe schon eine Vorwegnah- me des Bauhauses, besticht durch seine grüne Ausma- lung und durch die kubisch gehaltenen Möbel.

Die zum Abschluss des Studiums vorgestellten Ent- würfe eines Museums und eines Schlößchens für einen Kunstliebhaber zeigen Kirchners zeichnerische Bega- bung und große Detailkenntnis zeitgenössischer Archi- tektur, sind aber für Bartetzko nur «risikoscheues gol- denes Mittelmaß» und ungewohnt konventionell.

Obgleich auch frühe Zeichnungen von Mies van der Ro- he und Le Corbusier ganz dem Zeitgeschmack der Arts-and-Crafts-Bewegung verhaftet sind und erst spä- ter revolutionäre einzigartige Entwürfe folgten, ist nicht ausgeschlossen, dass Kirchner sich bereits in der Ar- chitektur langweilte und, geplagt von Lustlosigkeit, das rasche Ende seines Studiums abwartete, um endlich das sein zu können, was er mit Vorliebe war: Maler. «Ich muss zeichnen bis zur Raserei, nur zeichnen. Nur arbei- ten, arbeiten und an sonst nichts denken». Was Kirch- ner für sich als Maler beanspruchte und ihn zu einem der wichtigsten Künstler der Moderne machte, konnte

Abb.1: Diplomarbeit. Entwurf einer Friedhofsanlage. Blatt 6, Gesamt- Plan, 1905, Tuschfeder, Bleistift sowie Aquarell- und Sprühtechnik auf Zeichenkarton, 68,5 x 40 cm.

Abb.2: Entwurf für ein Wohnhaus am Berghang. Zwei perspektivische Ansichten, 1903-1905, Tuschfeder und Bleistift auf Karton, 32 x 48 cm.

Abb.3: Skizze für ein Berghäusel, um 1904, Tuschfeder, Bleistift und Aquarell auf Velin, 24,2 x 31 cm.

Abb.4: Innenraum mit Liege, 1902-1905, Bleistift und Aquarell auf Transparentpapier, 13,6 x 21 cm.

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die Architektur ihm nur bedingt sein. Er empfand die Beschäftigung mit der Architektur zwar nicht als Kor- sett, wie die zunächst geplante Promotion im Fach Architektur beweist, aber auch nicht als Leidenschaft.

Und dennoch: Auch in seiner größten Schaffensperiode als Maler übernahm Kirchner den Entwurf für die Aus- stattung seines Berliner Ateliers selbst und schuf ein beeindruckendes Raumerlebnis, das bis heute im Kirchner Museum in Davos erhalten geblieben ist.

Ernst Ludwig Kirchner als Architekt. Katalogbuch zur Ausstellung in Darmstadt, Museum Künstlerkolonie, Mathildenhöhe. Hirmer Verlag, München 2011. 144 Seiten mit vielen, meist farbigen Abbildungen.

ISBN 978-3-7774-4171-9, 34,90 Euro.

Alle Abbildungen aus dem besprochenen Band.

Autor

Andreas Barz, Dipl.-Ing., Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin, 2002 bis 2006 Aufbaustudiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der TFH Berlin. Neben Tätigkeiten am Fach- gebiet Denkmalpflege der TU Berlin und in Pla- nungsbüros freier Stadtplaner. Seit 2001 Mitglied im Freundeskreis Studentendorf Schlachtensee, seit 2004 Vorstandsvorsitzender der Studenten- dorf Berlin Schlachtensee eG, Sprecher des Denkmalnetzwerkes Schaustelle Nachkriegs- moderne, Mitglied in der AG Nachkriegsmoderne der TU Berlin, seit 2009 Geschäftsführer des Internationalen Begegnungszentrums der Wissenschaft in Berlin.

Rezension: Medien

Ernst Ludwig Kirchner als Architekt. Katalogbuch zur Ausstellung in Darmstadt, Museum Künst- lerkolonie, Mathildenhöhe, München 2011, Rezensent: Andreas Barz, in: kunsttexte.de, Nr. 2, 2012 (3 Seiten). www.kunsttexte.de.

Abb.5: Entwurf für ein Herrenzimmer. Perspektive, 1904, Tuschfeder, Bleistift, Gouache und Aquarell, weiß gehöht, auf braunem Zeichenpapier, 24,2 x 21,5 cm.

Sigrid Brandt

Digital unterschrieben von Sigrid Brandt DN: cn=Sigrid Brandt, o, ou=Redaktion Denkmalpflege, email=sigrid.

brandt@culture.hu-berlin.de, c=DE Datum: 2012.03.22 13:13:08 +01'00'

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