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Die Einheit der Geschichtswissenschaft : vertikal, horizontal, diagonal

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)ürgen Osterhommel

Die Einheit der Geschichtswissenschaft:

vertikal, horizontal, diagonal

"Dies ist eine Ver<tnstaltung zur Geschichte der sp;iten Neuzeil. Beginnen wir also mit Dschingis Khan." \'V'enn man eine Vorlesung über Imperien und lmpctitlismus seit l760 so einleitet, kann man der Aufmerksamkeit seiner l lörer gewiss sein, ;.umindcst vorüberge- hend. Gelingt es dann auch, anschaulich und begreifbar zu machen, dass es nicht willkürlich ist, auf diese Weise anzufangen, ist schon viel erreicht.1 Sludierende und das l.aicnpublikum, also unsere Seniorstudenten und außerakademischen Leser, können es sich leisten, die Kom·

petenzziiune zu ignorieren, mit denen die _htchleute ihre [>arzellen einFrieden. Manche crwar··

tcn, dass auch wir es /.um Zwecke von {.ehre und öffentlicher D;u·stcllung l'lltl. Sie misstrau- en dem Historiker der "spiitcn" Neuzeit nicht, wenn er gelegentlich in das l3. oder 16. Jalu· ..

hundert zurückgreiFt.

Vorab schulde ich Auskunft über meinen eigenen Erfahnmgshintcrgrund. lch arbeite an einer relativ kleinen Universität, [(onstanz, die es sich nicht leisten kannund will, die europä- ische Geschichte des l9. und 20. Jahrhunderts und die "auiSereuropiiische" (dieses fragwür··

dige Etikett mag nur als Kürzel dienen) auf mehrere Köpfe zu verteilen. Der Spätncuzeitler ist daher für beides zuständig. Die Universitiü ist in den Geisteswissenschaften sowohl mit einem Sonderforschungsbereich als auch mit einernExzellenzduster ausgestattet. Dort tref- fen sich regclmäiSig die Historikerinnen und Historiker aller Epochen von der Altorientalis- tik bis zur Zeitgeschichte. Die Verbünde bringen es augcrdem mit sich, dass Historiker selten unter sich sind- Intcrdisziplinaritilt als Lebensform, mit Chancen und Kosten. [n der Lehre macht sich die f•:pochenintegration bisher weniger stark bemerkbar. Daher werde ich in den folgenden Thesen auf sie nicht eingehen. Die Thesen setzen die Annahme voraus, dass sich drei l)imetlsionen transzendierender Verkl<tmmeru11g unterscheiden lassen: vertikttl die Eiil- heit in der chronologischen Tiefe, horizontal die Einheit in der räurnlichen, über das Wir des Okzidents hinaus gehenden Breite, diagoncd die Einheit in der Nachbarschaftlichkeit syste- matischer Subdisziplinen und Gesichtspunkte.

!. Die vertikale Einheit konstituiert sich dmch die Formung von Kontinuit~it, also Perio"·

disierung. Periodisierungsdiskussioncn sind nötig, gerade auch dann, wenn die Einheit der Geschichte bewahrt werden soll. Vielfach gelten sie als pedantisch und praxisfern, besten-

I So ;r.uerst in Konstanz ! 999. lnzwisdwn ist eine solche Geschichte der [mperien seit dem Sp;itlllit- tclaltcr geschrieben worden:jo/m Darwin: After 'Cunerbne. The Global History of Empire Sincc 1405.

London 2007.

166

Ltl!s als ein notwendiges Olw\.2 Sie nll'1sscn dennoch immer wieder neu geführt werden.

\Xf,1rum? f\~riodisicrungcn dicnc11 der Entlastung. Man braucht sie als konvcnti011cllc {<'estl(>

Fllli~CII, weil man nicht z:u jedem spczi[ischen Zw,~ck sein ga11Z persönliches 'l'emporalschcma

~~r(inden kann. lhrc konventionelle Nützlichkeit li-irdcrt allerdings die Tendenz zur Routi··

nisicrung im /\II tagsbetrieb und zur Vcrdinglichuog in den Köpfen von Studier~nden. So verbreitet sich im Verlaufe einer akademischen J•'rühsol'.ialisation schnell die unbdragtc An- nahme, es existierten eine substanziell besondere ,,1-'rlihe Neuzeit" oder eine eigcnstiindige

/.eitgcschichte" als gleichsam natürliche Objekte.J Oder die theoretischen und methodi-

~c\1en

Vorlieben

einz~lner

Dozenten werden als allgemeine Charakteristika besonderer .Epo- chenzugänge missverstanden. Dass [)criodengrenzen und Periodcnna1nen auF Übereinkunft, h~stsctzung und Tradition bcruh,~n, muss immer wieder einsichtig genucht werden. \'Veniges kann die Einheit der Geschichte klarer erhellen als die Reflexion auf die Notwendigkeit, die··

sc Einheit mit Struktur zu versehen.

Spezialisienmg, eine starke Triebkraft hinter der instiwtioncllen Kristallisierung von Zcit- katq:;orien, ist ein normakr Vorgang der Wissenscbaftsgcschichte. [n der Historie folgt sie vor allem \~iner Logik der Zeitstückclung. Mit der Exp<tnsion und Binnendiffercn;.ierung des hKhes, mit der Multiplikation der Themen und Quellenfunde verreinem sich die Epochcn- kategori(~ll. Gegenwart und "jüngste" Vergangenheit rücken in "historische" Uist<HII" 1\s gibt tLmn ein J.irüh-, I--loch .. und Spiitmiu:eblter, nach der "ncueren" noch eine "ncuestc" Ge··

schichte, hinter der normalen Zeitgeschichte vielleicht sogar eine "ncuest:e Zeitgeschichte" .·1 Solche Neueinführungen werden anfangs argumentativ abgesichert; mit der Zeit schwin- det aber der BegründungsbedarF und die Sdbstverstiindlichkeit des Periodenschnitts nimmt tax~rh<tnd. [\;riodisicrungsdebattcn verFlüssigen Zcitschcmat<1. Sie verhindern, t!_<tss sich eine Ziisurengl:iubigkeit verfestigt, dass Kolossaldaten wie 1789, 1914 oder l945 der Uberprüfuug ihres spezif-Ischen Sinngewichts entzogen werden. Pcriodisierungsdcbatten 111Üsscn auch die Ut\terschiedlichcn Zeitstrukturierungen der 'I'cilbereiehc der Geschichtswissenschaft zum '['henu machen, etwas "essentialistischer" gesagt: die "Periodenverschiedenheit der Kultur- gebiete" .5 Die politische Geschichte periodisiert anders und vor allem schärfer als die l~~ligi­

ons-, Sozial- oder Umweltgcschichtc. Aber auch sie muss die Möglichkeit flicf~endcr Uber- gänge ernst nehmen, wie sie ;,um BeispieJ \~alter Demcl erläutert hat.r' Ziisurcn dramatisieren

2 Vgl. ausführliehcr]iirgen Osterhammei: Über die Pcriodisierung der netteren Geschichte. [n: Bcrlin ..

Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Berichte und Abhandlungen. Bel. lO. Berlin 2006, S.

45-64.

3 Eine neue Entwicklung in der Geschichtsschreibung zur Bundesrepublik ist eine Art von Dekaden- fetischismus, der den j<lhrzehnten der l950cr, 1960cr (usw.) Jahre eine jeweils eigene Physiognomie /.u- schreibt. Vgl. grundsiit;.-.lich:j,Ison Sco/.t Smith: 'J'he Str<lnge History of the Dccade: Modemity, Nostal- gia, and the Perils of Periodization. [n: Journal of Social History 32, 1998, S. 26}· .. 86.

4 f-lrms-Peter Schwt~r7.: Dieneueste Zeitgeschichte. "Geschichte schreiben, während sie noch qualmt".

In: Viencljahrsldte flir Zeitgeschiclue 51,2003, I I. l, S. 5···29. Die Wissenschaftsgeschichte der Epo- chendifferenzierung muss noch geschrieben werden. Einen i\nf;wg maclu]äantt Fichhorn: Geschidns·

wissenschaft zwischen Tradition und Tnnovation- Diskurse, Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung. Göttingen 2006.

5 ]ohtm J-!endrik]äcob van der flol: Sinndelltung und Pcriodisicrung der Geschichte. Eine systemati- sche Übersicht der Theorien und Auffas.~ungcn. Leiden 1999, S. (,:),

6 Walter Demel: "Fiiel~endc Epochcngrcnzen". Ein Pbdoycr für eine neue Periodisierungsweisc histo··

rischer Zeitriiume. [n: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, [997, T--L 10, S. 590-98; das.: Die Bedeutung von Zeitz;isuren für das Zeitbewusstsein und die geschidnswissenschaftliche Periodisierung.

In: Urs Faes/Bdatrice Zie[!,ler (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Festschrift fiir Urs Bin-er!i. Zürich 2000, S. 79-%.

167 Erschienen in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht ; 60 (2009), 3. - S. 166-172

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-84247

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die Geschichte und machell sie überhaupt erst ct"'.:ihlbar; sogar die longuc durde kennt lk.

schlcunigung und RcL<mhtion. Der gcnaue Blick entdralll;ttisicrt dann wieder.

Schlicf\lich stehen I listoriker in der Praxis vor der Aufgabe, 'I'emporalstrukwren tns R;iumlichc ;.r,u proji;.r,icren. Was wird aus einem wie selbstverst<'indlich anmutenden D<'ttcngc··

ri.ist, wenn nun es auf das Nachbarland anwendet? Selbst innerhalb Europas lassen sich na- tionale Pcriodisieruttgcn tticht leicht in Übereinstimmung bringen. Eine gesamteuropäische Epocheneinteilung ergibt sich nicht ;.r,wangsläufig aus der Addition und Aufstapelung von Nationalperiodisierungcn; und eine globale Strukturierung der Geschichte ist zwar keines""

wcgs unmöglich, aber in jedem Falle etwas anderes als eine blofk Linienverlängerung euro- p:iischer Strukturen. Überhaupt sollten alle Periodisierungcn in der Praxis mit eint::m Raum- index verst::hen werden. i'vhn sollte also angeben, wdche Celtungst::n;treckung man einer bestimmten Periodenfolge zusprechen möchte. lst /'.um ßeispid "l848" ein nationales, t::in

~esamlt::uropiiisch(.!s oder gar <.~in globales Zi'isurdatum? Flir CroßbritatH1~cn, RussLu:d odn Spanit::n hat dieses Jahr keine ht::rausragende Bedeutung, h.."tr die USA bo.t::tchnct es ke111e Re-·

volution, sondern den milit:irisclten Siq~ über Mexiko. Und "l78l)" war vielleicht in einem geschichtsphilosophischcn, aber nicht in cint::tn wirkungsgt::scllichtliclten Sinne ein ~clter­

eignis/ Je gröfkr der betrachtete Raum, dt::sto mehr Liehern sich die Zeitstrukturen auf. Das zcrsplitttn die Einstr:ingigkeit saubt::rt::r Fpochcnsequenzen, tri1gt aber paradoxerweise dazu bei, die gewohnten Zeitscbnittt:: zu rehnivieren und damit Einlwit neu zu stiften. \'Venn eine Fpoche, <.kr man aus inlulrlichen Gründen eine bt::sondert:: [>hysiognomie als ,,"Frühe Nt::u-- zcit" zuweist, in England und <'tllf eiern Balkan, in Mexiko und in Japan an gan;.r. unterschied- lichen chronologischen\'{/ endepunkten endet, dann verHechten sich die Zt::itf:-iden und stär- ken dett Eindruck eines historischen Kontinuums, tbs sich nicht ohne \'Veitcrcs in Scheiben

;.r.t::rlegen Hisst.

2. So unvermeidlich die ;t,(.!it!iche Binnendifft::renzierung innt::rhalb eines (in Maßen) wachs- enden und sich immer wieder an neucn Problemstcllung(.!n und Methodenansii.tzcn orientie- r(~nden Faches ist, so sehr bleibt die Verldrrmmerung der Epochen nicht nur als theort::tische Aufgabe, sonckrn ,1uch als Herausforderung der Praxis gestellt. Sie kann vor allem auf vier

\'<'eisen geschehen:

(a) durch eine bcsondert:: Aufmerksamkeit auf Rezeptions-· und Wirkungszusammenhänge (z. B. "Antike-Moderne");~

(b) durch die Beachtung langfristiger Prozesse, welche die konventionellen, meist an der politischen Ereignisgeschichte orientierten I•:inschnitte überspannen (so etwa in der Umwelt- oder Wirtschaftsgeschichte);')

(c) c!Ut·ch die verschiedenen Möglichkeiten di<tchronen, also Epochengrenzen übt::rspringcn- den Kontrastierens oder- methodisch <tnspruchsvoller- Vergkicht::ns, wie sie in der Popu- larhistorie beliebt (z. B.lmperium Romanum- USA), Fachhistorikern jedoch eher suspekt sind, obwohl sie sich in Instituten und Verbünden relativ leicht organisiert::n licf~t::n;10

7 Vg!. ]oseph Klaits!Michacl I-!. J-Jai!."/.el (I-Irsg.): Thc Global Ramific<ttions of the Frcnch Revolution.

Cambridge 1994.

8 Ein großartiges Beispiel ist jetzt \1/i!j~·ied Nippel: Antike oder moderne Freiheit? Die Begründung der Demokratie in Athen und in der Neuzeit.l'rankfurt a. M. 2008.

9 Vg!. etwa die neue Interpretation der lndustrialisicrun~ bci.fan de Vries: 'L'hc Imlustrious Revolution.

Con;umer Jkhaviol" and thc Uousehokl Economy, 1650 to tbc Prcscnt. Cambridge 20_98.

10 Vg!. immer noch Christicm lv!eier: Aktueller Bedarf an histol"ischcn Vergleichen. Ubcrkgungen aus dem Fach der Alten Geschichte. In: I leinz-Gerhttrd !Trruptl]iirgen Kocktt (Hrsg.): Geschichte und Ver- gleidl. Ans~itze und Ergebnisse international vergleicheilder Geschichtssclll"cibung. Frankfurt a.M./New York 1996, S. 239-70, bcs. 244 ff.

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(d) d_u_:-ch di_e Verwt::ndung analytische-r Karq:;-orien, die zunächst wenig zeit·· und raurnspc·- /'.t!tsch smd und erst in spii.tercn Arbeits·-, Diskussions·· und Lernschritten konkretisiert und anscllauliclt gefüllt werckn.11

Die Vt::rkhmmerung von Epocht::n -· in welcher l.'orm <1Uch immer ergibt .~ich nicht von selbst aus der J!orschungs- und Lehrpraxis. Sie setzt den Willen zur Z:isurüberschreituug vo- raus und hat es dort schwer, wo in eint::r Welt knapper Ressourcen und eingespielter Zunft·-

mentalit:-iten Epochenreviere verteidigt werden. '

_3. Die rdro-nliche Einheit der Geschichtswissenschaft ist al.s "regulative [dee" hntte in- solern gegeben, als sich Historiker aller Linder prinzipiell im wissenschaftlichen Diskurs verständigen. können, am sichtbarstt::n auf den [nternationalen I--[istorikerkongresst::n, wir- k:mgsvoller u! einem Gellecht t.lwmenspcziflschcr Koopt::rationsbczichungt::n. 1·' Auch wenn dtes gclegentltch als "eurozentnsch" oder gar "kulturimperialistisch" kritisiert wird, so ist d:Kh f_t::st;.r.u_halten, dass

~)cn_kfor~nen,

Methodt::n und fhrstdlungswciscn der ('uropiiischcn (,esclttehrslorschuitg, Wie sie sett dt::tn l1:L Jahrhundert entstanden, sich weltweit durt::h- gt::st::tzt haben, wcnnglcic!t unter viclf~iltigstcr lokaler Modifikation und lTiit ;.r,unchmendcr

n~cht··okzidemaler

Bcwiligung: Man denke an die international brt::it rezipierten Anstöße in-·

c!ts~j.1cr

[

[ist~)riker

_und.

Kulturwis~ensehaftlerinnt::n.

13 Abgesehen davon, dass überct!l die je- wetltgen ll<ltlOtMilustonschcu lntert::sscn quantitativ die Oberhand haben, wirken in cinem

sol_d:~n

I;?ialog kultllrspezifischc Tksonderheitt::n weniger erschwerend als politische oder rehgtose Zensur und vor allem als der objt::ktiv unterschiedliche Auslxn1 der Geschiclnswis-- scns~hah im Spektrum zwischt::n ihrem fast völligen Fdtlen in manchen kkint::n Lindern mit iinnhchen

wir:scha~tlichen

Voraussetzungen für Bildung und \Vissenschaft um\ dem rit::sigen Apparat der (,csduehtsforschung-i.ihcr alle Teile der Welt- in den USA.

Schwierig ist es, daraus Schlussfolgerungen für nationale acadernic comrnunities zu ziehen.

Wie weit

spie~~ln

:ich curop,1ischc Genwinschaftsbildung auf der einen, Globalisicrung auf der anderen Sctte tn den Interessen und ürientierungen deutscht::r Historiker? Setzen sich d,iese

lntcgr~1.tio:1sprozessc .in ~le:·

.realen Wdt in eint:: umfassender konzipierte Einheit des

l:•ac~1es

um, tn eme entprovtnztaltstertc- Gt::schichtswissenschaft? Die Europäisierung schrei- tet fort, vor allem in der Zeitgeschichte; aber sie bleibt selektiv. Sie zieht ihre eigenen K0s ..

ten nach sich, wie man schnell am Verschwinden des Mittclmecrt::s aus dem "atlgcmcinhis-

to~·ischcn"

Horizont erkennen kann. "Europäische" Geschichte spielt sich anfangs um das Mtt:telnwer ab. Alle Althistorika sind Meditt::rranisten. Spätestens mit den Staufern und den Kreuz;.r.ügen entfernt sich das Mittelmeer jedoch aus dem üblichen Geschichtsbild und

b\~ibt

wenige_n Italien- und Spanienspczialistt::n überlassen. Renaissanct::forschung ist heute ketn

~:·on~mct.et",tcr S~h~crp~tnkt

d?r

deut_sc~l.Cn Forsch~1ng.

Der Osten und Süden der Regi- on dnftet tn ehe Zustancbgkelt der Üsmamsttk, deren retche und komparativ leicht erschlieg- baren Befunde von

Fri.ihneuzeithi~torikern

- trotz Braudei - nur selten beachtet werden.

r:ass das Bild der Frühen Neuzeit, wie es Studit::rendc im Regelfall kennen lernen, die ibe- nschen Länder und selbst die östlichen und stidlichen Teilt:: der T--bbsburgennonarchic ein-·

11 Ei_n neucrcs Beispiel ,bhir, wie eine "iiltcre" Epoche mit einer diffcrcn;.r.iertcn, an den Sozial wissen··

scl_1aftcn gcsch;dtcn Begrifflichkei~ erschlossen W(~rdcn k~mn, ist Cl;ris \\ficl~!urm: Franting thc Farly MJ(ldlc Ages. btropc <Wd thc Mcclttcrranean 400--·800. Oxtord 2005.

12 i\uswmgsp1.11_dH

i.?

hie,r: Kar! Dietrich Fnlnumn: Toward ;t Global Community of I-listori;ul.':. Thc Intcrnatwnal I--ItstonC<ll Congrcsses and the International Conunittcc of I [istorical Scienccs, !898----2000.

Ne':'. York_2005 (e~·wcitcrte et.lglischsp~:achigc Passung) ..

_IJJ<.~nen bJO~mphlsch_ausgenchteten Ubcrblick gibt}tu-kie Asst~ydg!VCronique BdndY(Hrsg.): At Home tn Dtaspora. South Asi<Hl Scholarsand rhe West. Bloomington, [nd. 2003.

169

(3)

schließt, darf bc;r.weifch- werden. Selbst über r:rankreich, Fng!and und die Niederlande dürF- te man irn Studium demlieh weniger crbhren als über das Alt-e Reich. Die Ostcuropiiischc Ccschichte führt ein Eigenleben, das sich als deutsche Sotl(!crcntwick!ung wissensclwftshis-·

tori;;ch erktircn Eisst und Für cb.<> gute Cründc sprechen. Jhm korrespondiert jedoch keine i-ihnlichc Privilegierung anderer Teile des Kontinents, etwa der \'V'csteuropiiischcn Geschich-- te, deren geographischer U mhtng unbestimmt bleibt: lvhnchmal werden die britischen l nseln hinzu gerechnet, manchmal nicht. Die Separierung der Ostcuropiiischen Geschichte ist mit der Marginalisicrung des von ihr erforschten Raumes auf den nu:ntäl nurps vider Historiker erkauft. \'V'o Einführungsvorlesungen im arbeitstciligcn Zyklus angeboten werden, spricht oft der Osteun)p<lhistoriker über "seine" Region, wiihrend das Europa der J\.llgemcinhistn ..

rikerin <Ul der polnischen \'\!estgrcnzc endet. \'ifie aber !;isst sich die curop:lische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ohne die stiindige Einbeziehung H .. usslands und der Lind er Ost~

n1ittclcuropas vcrstcllCI\?

iVliL dem Rest der Welt sieht es noch iirger <lliS. Relativ am besten ausr~ch,wt ist die lateill··

amcrikanischc Geschichte. Die norclamcrikanische Ceschieilte kann wegen fehlender Sprac!1-.

hi.'irclen am ch{~stcn "nebenbei" unterrichtet werden, auch wenn in der Forschung besonders große i\nstrcngutlgcn erforderlich sind, um in den USA selbst Cehör ;r,u f-inden. Wiihrcnd die ueucrc afrik,wische Geschichte an die kurze deutsche Kolonialvergangenheit an;r,ukniip- fen verH\ag, fehlen Brücken zur Geschichte Asiens, die noch überwiegend in autarken Regio- nalfiichcrn wie Sinologie, Japanologie oder Islamwissenschaft beheimatet ist und daher die groge Mehrheit der Historiker nie ~rrcicht. [ndien und Ägypten, China und Japan dürften seltene Giiste in den historischen Curricub unserer UniversitiiH~n sein.

Eine zcitgcm:iEc, auch intcrnatiotl<ll akzeptable hori;r.ontal--riiullllichc Einheit (kr Ce ..

schichtswissenschaft wird sich nur dann erreichen lassen, wenn jedes cinigerlll<lßen breit aus ..

~ehautc historische [nstitut LHwr Kompetenz·-· personell auf Dauer gestellt, also jenseits der Zufälligkeiten von Lehraufträgen- entweder zu Amerika oder zu Asien/ Afrika verfügt, im Idealfall für beidcs. Sobald die vier Standardepochen abgedeckt sind, soHte eine fünft:e oder sechste Professorenstdlc eine aufkreuropiiischc Ausrichtung erh<llten. Dass kooperations- willige Jnhabcr solcher Stellen einen vollwertigen Beitrag zu Lehre und PrüFungen leisten können, ist rnittlerweile vielFach erwiesen. Solange zusiit;r.!iche Prokssurcn nicht zu erwar- ten sind, werden neuartig definierte Lehr- und Forschungskapazitiüen durch Umverteilnng geschaffen werden müssen. Es wird interessant sein zu beobachten, ob unter andauerndem Innovationsdruck Stellen verteidigt werden können, deren Existenz allein durch Tradition, Gewohnheit und Abendlandideologien legitimiert wird. Riiumliche Einheit liisst sich aller- dings durch organisatorische MafSnahmen allein nicht herstellen. Sie verlangt eine Abkehr von der unausgesprochenen Annahme, die (west-)europiiische Geschichte sei der Normal··

pfad, alles andere Abweichung oder bestenfalls blasse Kopie. Fehlte es lange an ausgearbeite ..

ten Konzepten zur Integration der europäischen und der "augercuropäischcn" Geschichte, die über Universalit~i.tsappellc und geschichtsphilosophische Spekulationen hinausgegangen w:üen, so haben Transnationale Geschichte und Globalgeschichte in den letzten Jahren for- schungsnahe Grundlagen für eine erweiterte 61umliche Einheit der Geschiclltswissenschaft geschaFfcn.1·1

14 Vgl. /vfargttrethe Gumdner/Dictrntl-r Rothernumdl\'(fo/fgang Sclnuentkcr (I Trsg.): Globalisicrllllg und Globalgcschichtc. Wien 2005; Guni!lr1 Budde!Sebäsficm Conmd!Ofiver jcrm: (Hrsg.): ·-l'ransn;ILionale Ccschicbtc. Themen, Tendenzen und Theorien. G()ttingcn 2006; .')r:bastimz Cormui/Andreas Fch~ertl Ulrike FreitAg (Hrsg.): Clob;llgsschichtc. Theorien, Ans;iv.c, Themen. Frankfurt a.M./N cw York 2007.

170

4. Die c!isziplindre Einheit der Geschichtswissenschaft wird durch das \\/irk{~n einer ge- heinwisvollcn [ntcgraLioHs-- und Stabilisierungskraft gesichert, hinter deretl llUr ll<libironi-- sche Selbstbezeichnung als "Zunft" die \'V'issenschaftssoziologie bisher wenig Licht gewor fen hat. Dieser Kohiisionsfaktor, der in der üblichen Spannung von [nldusion und l':xklusion wirkt, verhindert ;r.umindcst organis<ltoriscb eine Fragrnentierung des Faches. [n denletzten fahrzehnten ist eine "reine" Geschichtswissenschaft, die ,,]s kooperationstaugliche Nachbar- ,.<>chaft <lllenblls "[-lilfswisscnschaften" duldet, selten geworden. Die Herausforderung der

[nterdisziplinaritiit hat sich selbst in kouserv<ltive Kernbereiche des l;aches vorangeschoben.

Das hat festgefügte Selbstverstiindnissc nschüttcrt. Der Grad zwischenfachlicher Orientie- rung ist mittlerweile sogar zu einern Unterscheidungskriterium unterschiedlicher Verstiind"·

niss~ von Geschichtswissenschaft geworden. Die M(iglichkcitcn sind hier zahlreich und die Übcrgiinge f-lid~cnd. Das Spektrum reicht von der Notwendigkeit, die besonderen Grund-·

];wen einer /\nlchnunt;swisscnschaFt zu meistern (so in der Mcdi;r.ingcschichte, Rechtsgc-·

scY1ichtc oder

Wirtscll<~Ftsgcschichte,

wo im Crunde eine Doppelkompetenz erforderlich ist), bis ;r,u einer losen Orientierung an allgemeinen Zeitgeisllendenzcu (;r.. U. "l)ostmodcrnc"), deren Grad theoretischer Formulierung und Explizierung stark schwankt. Die Hinwendung tnch au/Sen kann bis zu /\bhiingigkcit (neokbssische Wirtschaftsgeschichte oder Psychogc-- schichtc psychoanal ytischcr Provenienz) gesteigert werdet\ oder zu ll ybridformen zwischen Geschichte und So;r.iologic Führen. W<-1S den Einen eine begrüßenswerte Pluralisicrung zu sein scheint, bedeutet für Andere eine Unterminierung der Fachkohiiren/ .. Zugespitzt gesagt:

/\us dem Gegeneinander von zentripetalen und zentrifugalen Kr;Hten entsteht eine Span-·

nung zwischen Zunftautismus und Grcnzverlust:.

\V'issenscllaftssoziologisch hoch interess;U1t ist die Frage des Aufstiegs und h1lls von Leitdisziplinen, ;r.u denen die Historiker jeweils eine besondere N:ihc verspürten:

- permanente Ignorierung der Geographie, des ältesten N<Khb,lrhches der Historie, bis hin zum jüngsten sp(aial turn, der eher von So:.-.iologen als von Geographen forciert wird;

zunehmende Distanzierung im Verhiiltnis zur Philosophie (abgesehen von l-listoriker- Philosophcn wie Michel Poucault), die sich umgekehrt heute weniger mit der \'V'isscn- schaftslehre der Geistes·· und Sozialwissenschaften befasst als noch vor zwei oder drei

Jahrzehnten; .

Verschwinden des Ökonomischen augcrhalb einer spezi,,!istischen \\/irtschaltsgcschichte, neuerdings seine vereinzelte Wiederkehr unter dem Titel einer Kulturgeschichte der Öko- nomte;

- Verdunkelung der Ethnologie seit dem Höhepunkt ihrer Ma(~stäblichkcit in den siebziger Jahren, dabei ihre Reduktion auf eine kleine Zahl von Klassikern, die als allgemeine Kulturtheoretiker ohne Bezug zu ethnologischer Forschungspraxis (oh ihrer eigenen) aufgefasst werden;

Aufstieg ei11er dekonstruktionistischcn Literaturwissetlschaft, die über einen generalisier- ten Text- bzw. Diskursbegriff ihren Gegenstandsbereich erweitert und gelegentlich eine [>rimatstelllJI1g innerh<llb der Kulturwissenschaften beansprucht;

analog dazu Annäherung an eine zur Bildwissenschaft gewandelten Kunstgeschichte;

bleibende :Relevanz und Populari6t der Soziologie, vor allem in Gestalt weniger Meisterdenker (neben den "Kbssikcrn": Pierre Bourdieu, Nildas Luhmann), allcnlings selten Bezug auf die international in der Soziologie selbst einflussreiche Rcrtioncll--choicc··

Richtung.

Solche Tendenzen sind freilich schwer zu beschreiben und n1 beleg,~n. Subjektive Eindrü- cke können eine gcnaue Untersuchung der rats:ichlichen Koopcmtiotls- und Zitationsverh:iJt ..

nissc nicht ersetzen. Auch die F•'rage nach einer geschichtswissenschaft!ichen K.ernidcntität auf dem großen Jahrmarkt der Geistes .. und Kulturwissenschaften (den man nicht scheuen 171

(4)

sollte), muss diskutiert werden. Sie stellt sich schon im A!!ug: Was ist das Spezifische, das Studierende lernen wollen L111d sollen, wenn sie i'.U um-· und chcn nicht i'.Ur So;~.iologie oder Medienwissenschaft ~-- komrnen? Die bnheit des Faches ist in der Gcschichtswissenschal't vielleicht ein geringeres l)roblcrn als etwa in der Soziologie, wo die unterschiedlichen Rich- tungen Mühe haben, eine gemeinsame Sprache zu finden. Sie bleibt aber eine [--IerausForde- rung, die zwischen den Polen von lnsularität und Auflösung immer wieder neu zu meistern ist.

172

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