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Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Mutter Teresa und die Armut des Westens“ der Friedensbibliothek Berlin im Linzer Mariendom.

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Mutter Teresa und die Armut des Westens

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Mutter Teresa und die Armut des Westens“ der Friedensbibliothek Berlin

20. April 2018, Mariendom, Linz

Maria ist die erste Missionarin. Dieses Wort von Mutter Teresa habe ich gut im Ohr. Ich glaube, dass es 1979 war, als ich sie das an der Urbaniana in Rom sagen hörte. Sie hat damals den Besuch der schwangeren Maria bei Elisabeth so gedeutet, dass Maria die erste Missionarin sei, weil sie Jesus zu Elisabeth gebracht hat. Missionar ist in diesem Sinne jeder, der sich ernsthaft die Frage stellt: Wie kann ich Jesus zu den Menschen bringen?

Indirekt habe ich Mutter Teresa im Zusammenhang mit einem Priester der Diözese Linz erfah- ren. Dieser hat sich von seiner Arbeitsstelle nach Indien aufgemacht, um bei Mutter Teresa zu wirken. Und was hat sie gesagt: Er solle nach Hause gehen. Da gäbe es genug Arme und sein Ort als Priester sei in Europa.

Die Armut in Europa und die Armen auf diesem Kontinent hat sie durchaus gekannt: Es waren für sie die Obdachlosen, die Vereinsamten und die Alten, die Drogenabhängigen. Sie hat die Armut Europas aber auch in der großen Gleichgültigkeit gesehen, im Egoismus und im Kon- sumverhalten. Und sie hat beklagt, dass der Wert und die Würde des Menschen in Europa mit Füßen getreten werden. Wie schaut es auf diesem Kontinent mit der Ehrfurcht vor dem Leben aus?

Mutter Teresa wird als Heilige verehrt und bewundert. Sie wird aber auch massiv kritisiert, weil sie zu wenig politisch denke und nicht die Strukturen der Armut kritisiere. Für die 68er (in diesem Jahr sind es 50 Jahre) ist sie alles andere als ein Vorbild. Und natürlich ist sie zu fromm für die Zeitgenossen. Ihr ist eine Ausstellung der Friedensbibliothek Berlin im Linzer Marien- dom gewidmet. Was kann sie uns zum Frieden und zur Friedensehnsucht als Friedensnobel- preisträgerin des Jahres 1979 sagen?

Für einen gerechten Frieden darf weder Gewalt verharmlost noch ein berechtigtes Sicherheits- bedürfnis ignoriert werden. Und es braucht eine Überwindung der Einäugigkeit durch das Wahrnehmen des Leidens sowie der Ängste der jeweils anderen. Hinschauen statt weg- schauen lautet die Devise: „Die Mystik der Bibel – in monotheistischen Traditionen – ist in ihrem Kern eine politische Mystik, näher hin eine Mystik der politischen, der sozialen Compas- sion. Ihr kategorischer Imperativ lautet: Aufwachen, die Augen öffnen! Jesus lehrt nicht eine Mystik der geschlossenen Augen, sondern eine Mystik der offenen Augen und damit der un- bedingten Wahrnehmungspflicht für fremdes Leid. Dabei rechnet er in seinen Gleichnissen mit unseren kreatürlichen Sehschwierigkeiten, mit unseren eingeborenen Narzissmen. Er kenn- zeichnet uns als solche, die ‚sehen und doch nicht sehen’. Gibt es womöglich eine elementare Angst vor dem Sehen, vor dem genauen Hinsehen, vor jenem Hinsehen, das uns ins Gese- hene uneindringbar verstrickt und nicht unschuldig passieren lässt? ‚Sieh hin – und du weißt’.“1

1 Johann Baptist Metz, Mit der Autorität der Leidenden. Compassion – Vorschlag zu einem Weltprogramm des Christseins, in: Feuilleton-Beilage der Süddeutschen Zeitung, Weihnachten 1997.

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Gott und die Friedenssehnsucht

John Lennon hat 1971 einen Song geschrieben – und wir singen ihn heute –, der weltberühmt wurde: „Imagine“: „Stell dir vor,/es gibt den Himmel nicht,/ keine Hölle unter uns./ Stell dir all die Menschen vor/ leben nur für den Tag./ Stell dir vor/ es gäbe keine Länder/ das ist nicht so schwer./ Nichts wofür es sich zu töten oder sterben lohnte/ und auch keine Religion./ Stell dir vor all die Leute/ lebten ihr Leben in Frieden.“ Das Lied thematisiert die Vision eines harmlosen und glücklichen Zusammenlebens von Menschen. Die Beseitigung von Tabus und Grenzen, vor allem aber das Zurückdrängen von Religion, stellte für diese Weltanschauung die Bedin- gung für eine universale Harmonie der Menschheit dar.

Mutter Teresa hat die Option für die Armen, die Schwachen und die Sterbenden immer mit der Anbetung des je größeren Gottes verbunden. Sie hat durchaus Nächte und Dunkelheit erlebt.

Und sie hat dabei Jesus in Leere hinein geliebt, ohne Resonanz, ohne spürbare Erfahrung und ohne Erfolg. Anbetung als Anerkennung Gottes stellt den Mensch radikal vor die Frage: Vor wem gehst du in die Knie? Vor Gott oder vor Götzen? Es ist dem Menschen versagt, sich mit irgendetwas zufrieden zu geben, sich irgendwo zu verschanzen, das weniger ist als Gott.

Weder Arbeit, noch Beruf, weder Ehe noch Familie, auch nicht Macht, Ehre, Geld, Anerken- nung u. v. a sind genug. Gott allein genügt: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken.

Alles vergeht, Gott bleibt derselbe. Geduld erreicht alles. Wer Gott besitzt, dem kann nichts fehlen. Gott allein genügt.“ (Teresa von Avila) Die Menschen gehen aneinander nicht bloß wegen Hass und Gleichgültigkeit kaputt, sondern auch, wenn sie einander vergötzen, wenn sie voneinander alles erwarten. Im Menschen scheint wohl Gott durch, aber es wäre fatal, wenn der Mensch sich selbst, andere, eine Gemeinschaft, eine Nation oder eine Rasse und Klasse vergötzt, d. h. zum letzten Prinzip erhebt. Anbeten heißt: Ich kreise nicht wie ein Löwe im Käfig umher, weil ich vergessen habe, nach oben zu blicken, sondern: Gott ist mir Mitte und Zentrum.

Mutter Teresa hat mit ihrer Option für die Armen und mit der Anbetung Gottes zu recht den Friedensnobelpreis erhalten. Ein Dienst am Frieden kann die Kritik an allen Götzen und die Radikalisierung der Gottesfrage sein. Gerade die Verabsolutierung von bestimmten endlichen und begrenzten Werten führt nicht selten zu tödlichen Konflikten. Den Götzen der Herrsch- sucht, des Übermenschen, des Kapitals, des Nationalismus, des Rassismus, des Militarismus oder des gekränkten Stolzes wurden Millionen von Menschen geopfert. Sogar Werte wie der Friede selbst, wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erzeugen das Gegenteil ihrer selbst, wenn sie von gewaltsam universalisiert werden. So wurde die „fraternité“ der französischen Revolutionsheere zur Aggression gegen die alte Welt, die sozialistische Brüderlichkeit zum Sowjetimperialismus oder eine christliche Ethik zum Kreuzzug gegen die Heiden. Innerge- schichtliche Endlösungen, politische Utopien und Revolutionen wurden zum Terror. Zum Götzen kann auch das Sicherheitsbedürfnis werden, z. B. wenn von der Rüstung ein hohes Maß an Intelligenz absorbiert, Kapital gebunden und damit indirekt ein Krieg gegen die Armen geführt wird.

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

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