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Predigt zum Karfreitag im Linzer Mariendom

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Academic year: 2022

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Der Blick auf das Kreuz Predigt zum Karfreitag

2. April 2021, Mariendom Linz

Karfreitagserfahrungen

Karfreitag: Eine Frau, 39, Mutter von drei Kindern erhielt letztes Jahr im März die Diagnose Brustkrebs. Sie beschrieb ihre Gefühlslage, bevor die Behandlungen anliefen: „Natürlich gab es Momente, in denen uns alles überwältigte und wir es mit der Angst zu tun bekamen. Wäh- rend ich mir Gedanken an den Tod verbot, stellte sich mein Mann still und heimlich auf die Möglichkeit ein, in einem halben Jahr als Witwer dazustehen. Und wie er es beruflich hinbrin- gen könnte, ganz für mich und dann für drei Halbwaisen da zu sein.“

„Unser Kreuz mit Corona“ – in großen Lettern und in Kreuzesform sind diese Worte auf einem Fastentuch in der Pfarrkirche Brunnenthal zu lesen. Darum herum sind mehr als 400 Zitate von Menschen gruppiert, die sich Gedanken machten zur alles bestimmenden Thematik: „Was mich an Corona nervt …“ Das Tuch, das in der Fastenzeit den Hochaltar in der Pfarrkirche verhüllte, verdeutlicht auf beklemmende und doch eindrucksvolle Weise die vergangenen Monate:

dass alles ständig anders ist

dass ich meine Kinder und Enkel nicht umarmen darf das ewige Gegeneinander statt dem Miteinander

dass ich mitansehen muss, wie unsere Bewohner im Heim an der Besuchsregelung verzwei- feln und vereinsamen und ich nichts an der Situation ändern kann

Depressionen nehmen zu und manche geben sich auf

dass ich nicht einfach ohne zu überlegen einen Freund, eine Freundin umarmen kann; fehlen- des Lächeln in der Gesellschaft durch Vermummung

dass wir Oma nicht besuchen können, dass wir in keine Pizzeria gehen können, dass es kein Faschingsfest gab

und dass immer mehr Mitmenschen andere Mitmenschen anschwärzen finde ich auch als eine sehr bedenkliche Entwicklung

was mir wirklich abgeht, sind die sozialen Kontakte, die sich über Medien nicht ersetzen lassen und Singen geht mir auch ab, und überhaupt die Freiheit, und Fortfahren können

Hinschauen

Heute am Karfreitag wird der Blick auf den leidenden Jesus gelenkt, aber auch auf die Gesich- ter von gezeichneten Menschen hier inmitten unserer Gesellschaft, auf die Gesichter von Kindern, die schon von klein auf geschlagen sind, auf die Gesichter von Jugendlichen, die keinen Platz in der Gesellschaft finden und frustriert sind, auf die Lebensgeschichten von kör- perlich, seelisch oder sexuell Missbrauchten – gerade auf die in der Kirche, auf die Gesichter von leiblich und psychisch Kranken, auf die Gesichter von Flüchtlingen, auf die Gesichter von Sterbenden, auf Gesichter der von der Corona-Pandemie Betroffenen.

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Der Theologe Johann Baptist Metz erkennt im Zusammenhang mit dem Karfreitag eine sich daraus ergebende Verpflichtung, sich der Trauer der konkreten Menschen auszusetzen: Sich der zerstörten, gebrochenen und verzweifelten Menschen anzunehmen und deren Leid als solches wahrzunehmen. Jede und jeder von uns ist im Alltag und in den Medien mit so viel Unrecht und Gewalt konfrontiert. Nicht zuletzt beschäftigt uns die Corona-Pandemie mit ihren Folgen für den einzelnen und die Gesellschaft. Wir dürfen nicht wegschauen, dürfen dieses Leid nicht mit österlichen Floskeln wegschieben, aber doch mit österlichen Augen wahrneh- men. Es gilt diese wahrzunehmen, nicht vergesslich zu werden. Und es gilt, hinter dem Dreck und dem Schmerz die Würde, die Kostbarkeit und auch die innere Schönheit der Menschen zu sehen.

Der Blick aufs Kreuz Jesu öffnet die Augen für unsere menschliche Wirklichkeit. Hinschauen statt Wegschauen, lautet die Devise. Das Kreuz Jesu zeigt, dass Gott mitgeht und gegenwärtig ist, gerade im Leid. Nicht das Kreuz an sich, nicht Leiden und Tod bewirken die Erlösung, sondern die Liebe, die dort zum Ausdruck kommt. Und im Gekreuzigten zeigt sich nicht nur das Gesicht Gottes, sondern auch die Würde der Leidenden und Entwürdigten. Augustinus sagt es mit den Worten: „Wenn ich für die anderen, die Entwürdigten bin, dann bin ich im gekreuzigten und auferstandenen Herrn.“ (Augustinus)

Wer nicht leiden kann, muss hassen?

Nicht selten werden solche Erfahrungen des Leidens zum Nährboden von Rachegelüsten und Revanchedenken, von Hass, Aggression oder Resignation. „Wer nicht leiden kann, muss has- sen.“ (H. E. Richter) Leid wird für manche zum Haltegriff der Verweigerung gegenüber Gott.

Es gibt auch die Flucht in die Sucht, in die Oberflächlichkeit und auch Abstumpfung und Fühl- losigkeit. Sündenböcke und Schuldige werden gesucht. Oder regen sich Protest und Kritik, wird das Engagement und die konkrete Hilfe herausgefordert? „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ (vermutlich von Reinhold Niebuhr vor oder während des Zweiten Weltkriegs)

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

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