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Soll die Kunst bedeutende Waffe der sozialistischen Ideologie sein, so muß vor allem der Künstler befähigt werden, diese Waffe zu handhaben.

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Academic year: 2022

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1.1 Einleitung

„Soll die Kunst bedeutende Waffe der sozialistischen Ideologie sein, so muß vor allem der Künstler befähigt werden, diese Waffe zu handhaben.“1

Im Zuge des Aufbaus eines sozialistischen Staates in den 1950er und 1960er Jahren spielte für die SED die Etablierung ihrer Macht im Bildungswesen eine übergeordnete Rolle. Durch eine auf der sozialistischen Ideologie beruhende Instruktion der Schulen, Hochschulen und Universitäten hoffte die Staatspartei, die zukünftige Gesellschaft in ihrer Essenz beeinflussen zu können. Den künst- lerischen Hochschulen kam in dieser Hinsicht eine besondere Bedeutung zu.

Hier traf der politisch-erzieherische Anspruch an das Bildungswesen auf einen ebensolchen, der an die Kunst – und somit die Musik – gestellt wurde. Der Mu- sik wurde von der sozialistischen Ideologie eine dem Bildungswesen vergleich- bare Rolle bei der Stabilisierung des Herrschaftssystems zugesprochen. Wie in anderen autoritären Staaten setzten auch die politischen Vertreter in der DDR darauf, Musik als Erziehungsinstrument in den Dienst des Staates zu stellen, um hierdurch der Bevölkerung die Werte und Normen des Sozialismus näherbrin- gen zu können.

Vor dem Hintergrund dieser zweifachen parteipolitischen Vereinnahmung durch die Staatspartei bieten die Hochschulen für Musik in der DDR ein viel- schichtiges Forschungsfeld, um die möglichen Verhaltensweisen von Hoch- schulakteuren zu musikpolitischen, musikästhetischen und hochschulpolitischen Thematiken und deren Wechselbeziehungen im ,real existierenden Sozialismus‘

zu hinterfragen und diesbezügliche Besonderheiten aufzudecken. Der Schnitt- punkt ‚Musik- und Bildungspolitik‘ lässt somit besondere Rückschlüsse auf den Charakter des autoritären Regimes in der DDR zu.

1.1.1 Gegenstand und Fragestellung

Der Gegenstand dieser Untersuchung ist das Studium an den vier Hochschulen für Musik der DDR in den 1960er Jahren. Im Zentrum stehen die Übereinstim- mungen und Diskrepanzen zwischen den parteipolitischen Vorstellungen einer Hochschulausbildung der neuen Musikergeneration und der tatsächlichen Unter- richtspraxis in ihrer thematischen Ausgestaltung an den Hochschulen für Musik.

Anhand des Lehrens und Lernens werden zum einen die Versuche der SED ana- lysiert, auf dem Gebiet der Musik Kontrolle auszuüben und langfristig in der DDR eine sozialistische Musikkultur zu etablieren. Zum anderen werden die

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Möglichkeiten und Grenzen diskutiert, sich in einem autoritären Staat musikali- sche Freiräume zu schaffen.

Die Hochschulen für Musik bewegten sich in den 1950er und 1960er Jahren weniger stark im Einflussbereich der SED als andere Institutionen des Bildungs- und Hochschulwesens, so z.B. Schulen und die großen Universitäten. Die Machthaber in Partei und Regierung versuchten, diesen Zustand durch eine In- tensivierung ihrer Steuerungsmaßnahmen im Untersuchungszeitraum zu über- winden. Durch Einschränkung oder Förderung von spezifischen Unterrichtsthe- men im Hochschulstudium sollte die sozialistische Musikkultur bei Musikern und Komponisten in der Ausbildung etabliert werden. Die im Untersuchungs- zeitraum auftretende Diskrepanz zwischen musiktheoretischen Forderungen der SED und Unterrichtspraxis zeigt das zum Teil weite Auseinanderklaffen von offizieller Doktrin und individuellen Musikansichten. Besonders detailliert lässt sich dieser Gegensatz am Beispiel avancierter Musikauffassungen erörtern. Aus diesem Grund erhält der Stellenwert Neuer Musik im Hochschulstudium in der vorliegenden Analyse besondere Beachtung. Da die SED weite Bereiche der Neuen Musik bis in die 1970er Jahre ablehnte, es jedoch unter Komponisten und Musikern in der DDR spätestens seit Ende der 1950er Jahre zu einer intensive- ren Auseinandersetzung mit der Neuen Musik kam, lassen sich politisch- musikalische Diskrepanzen auch an den Hochschulen für Musik vermuten. Da- bei muss natürlich berücksichtigt werden, dass sich viele Hochschulangehörige aufgrund ihrer individuellen Musikauffassung nicht mit der Neuen Musik be- schäftigten, sodass es oftmals schwierig ist, zwischen den Erfolgen staatlicher Einflussnahme und ästhetischem Desinteresse zu unterscheiden.

Diktaturen und autoritäre Staaten nutzen Kunst, um ideologische und politi- sche Botschaften zu übermitteln. Auch die SED instrumentalisierte die Künste für ihre Zwecke. Kunst und Künstler sollten ‚Mitgestalter‘ der sozialistischen Gesellschaft sein und waren dementsprechend beauftragt, ihre subtile Wirksam- keit im Sinne der Staatspartei zu nutzen und so ihren Beitrag bei der Errichtung des Sozialismus in der DDR zu leisten. Diese musikpolitische Doktrin galt auch an den vier Hochschulen für Musik, deren Vertretern 1966 in einem Vortrag des Staatssekretärs des Ministeriums für Kultur erklärt wurde, dass das „Ziel der staatlichen Leitung kultureller Prozesse“ sei, „auf das Denken und Fühlen der Menschen, der sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft, einzuwirken“.

Unter ‚staatlicher Leitung‘ seien „Überzeugungs- und Erziehungsarbeit, ebenso wie die bewusste Anwendung aller Machtmittel im Dienste des Sozialismus“ zu

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erbringen.2 Die SED maß besonders der Musik eine bewusstseinsbildende Funk- tion bei, denn die Musik sei, wie „kaum eine andere Kunst“ in der Lage, „geisti- ge, emotionelle und physische Kräfte in ihrer Einheit zu bewegen“ und das „Zu- sammenleben der Menschen zu beeinflussen“.3 Dieser Theorie folgend, gehörte die Förderung oder Ablehnung bestimmter Musikstile und -entwicklungen zu den Grundzügen der SED-Kulturpolitik. Im Vergleich zur Malerei und/oder der Literatur sind die Werke der Musik in der Regel in ihrer Darstellung weniger konkret und folglich für den angestrebten erzieherischen Zweck schwerer zu instrumentalisieren. Dieses Faktum hatte in der gesamten Geschichte der DDR – und insbesondere im Untersuchungszeitraum – musikästhetische und -theoretische Debatten zur Folge. In diesen Kontroversen versuchten die Musik- funktionäre zu definieren, welche Kriterien eine Komposition erfüllen musste, um sozialistische Werte zu transportieren und welche Kriterien diesem Ziel ent- gegenstanden. Die Schwierigkeit dieser Diskussion zeigt sich in den zahllosen willkürlichen Ablehnungen und Befürwortungen von Kompositionen durch Funktionäre der SED in den 40 Jahren der DDR-Geschichte.4 Unter dieser unsi- cheren Situation litten die Studenten und Lehrkräfte der Hochschulen für Musik:

So wurde beispielsweise der Dresdner Kompositionsstudent Wilfried Krätzschmar5 während seiner Studienzeit beschuldigt, mit seiner Komposition einer ihm unbekannten, revoltierenden Gruppe in Westeuropa nahezustehen.6

Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich über die 1960er Jahre und wird von den um 1957 einsetzenden Verlautbarungen zum sozialistischen Aufbau der

2 HfMuT Leipzig, Hochschulbibliothek/Archiv M44: „Probleme der staatlichen Leitungs- tätigkeit auf dem Gebiet der Kultur“, Referat des Staatssekretärs des Ministeriums für Kultur auf der Arbeitsbesprechung (29.9.1966), S. 3 ff.

3 BArch DR1/8784: „Versuch einer Prognose der sozialistischen Musikkultur in der DDR“, Schriftstück des Ministeriums für Kultur, S. 4.

4 Hierzu ausführlich in 2.1.1 Musikalischer Wandel: Die Kontroverse ums kompositori- sche Material.

5 KRÄTZSCHMAR, Wilfried (*1944): geb. in Dresden, von 1962 bis 1968 Studium (Komposition, Dirigieren und Klavier) an der Hochschule für Musik Dresden. 1968 und 1969 Leiter der Schauspielmusik am Theater Meiningen. Seit 1969 Aspirantur (für Komposition), seit 1971 Lehrbeauftragter (für Klavier, Tonsatz und Komposition), seit 1974 Oberassistent, seit 1981 Dozent, seit 1988 Professor (für Komposition) an der Hochschule für Musik Dresden. Von 1991 bis 2003 Rektor der Hochschule für Musik Dresden. 1994 gründete Krätzschmar das Studio Neue Musik an der Hochschule. Von 2003 bis 2007 Präsident des Sächsischen Musikrates und Mitglied des Bundesfachaus-

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Hochschulen für Musik und der III. Hochschulreform 1969 begrenzt. Infolge der Kulturkonferenz der SED 1957, der III. Hochschulkonferenz 1958 und des V. Parteitags der SED 1958 intensivierte die SED in den folgenden 13 Jahren die Bemühungen einer Ideologisierung der künstlerischen Hochschulausbildung.

Fortan waren die Hochschulen dazu verpflichtet, sozialistische Künstlerpersön- lichkeiten auszubilden, was vor allem durch ‚sozialistisch wertvolle‘ Unter- richtsthemen erreicht werden sollte. Während die Zäsuren des Mauerbaus 1961 und des 5. Plenums des ZK der SED 1965 auf das kulturelle Leben in der DDR mitunter erhebliche liberalisierende bzw. beschränkende Auswirkungen hatten, traf dies offensichtlich für die Hochschulen für Musik nicht zu. Daher finden diese Ereignisse in der Analyse wenig Berücksichtigung.

Nach der III. Hochschulreform 1969 wurde das Hochschulsystem einer grundlegenden Umgestaltung unterworfen, die auch die künstlerischen Hoch- schulen erfasste. Durch die Einführung des Gesellschaftlichen und Wissen- schaftlichen Rates erhielt das Lehren und Lernen an den Hochschulen für Musik eine neue Kontrollinstanz. Die Ausbildung sollte unter der Führung des Rates praxisbezogen reformiert und somit an den Bedürfnissen der sozialistischen Ge- sellschaft ausgerichtet werden. Parallel hierzu änderten sich im Jahre 1971 durch den Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker die kulturpolitischen Unterweisungen. Die neue ‚Weite-und-Vielfalt-Politik‘ Honeckers ermöglichte auch an den Hochschulen sukzessive einen freieren Umgang mit avancierten Musikauffassungen. Eine solche Lockerung wäre in den 1960er Jahren von offi- zieller Seite nicht denkbar gewesen. Die veränderten Rahmenbedingungen der 1970er Jahre der Musik- und Hochschulpolitik erfordern eine andere Herange- hensweise sowie eine neue Beurteilung, sodass eine weiterführende Betrachtung über das Jahr 1969 hinaus für die Beantwortung der Fragestellung der vorlie- genden Arbeit nicht zweckmäßig erscheint.

Die Entscheidung, die Untersuchung auf die fünfjährigen Studiengänge von Instrumentalsolisten, Gesangssolisten, Dirigenten, Komponisten sowie Orches- termusiker für die Spitzenorchester der vier Hochschulen für Musik in Berlin, Leipzig, Weimar und Dresden zu begrenzen und die universitäre Ausbildung der Musikwissenschaftler und Musikerzieher sowie die kürzere Orchesterausbildung an den Konservatorien (die späteren Orchester- und Chorschulen) auszuklam- mern, wird durch die zentrale Forschungsfrage begründet: Um musikpolitische und -ästhetische Differenzen zwischen den Direktiven und der realen Umset- zung im Hochschulunterricht bezüglich Neuer Musik erkennen zu können, muss eine umfangreiche Instrumentalausbildung sowie eine entsprechend lange Aus- bildungszeit gegeben sein, die es überhaupt erst ermöglicht, eine breite und fun- dierte Spielliteraturausbildung zu erhalten. Innerhalb der Hochschulausbildung werden alle Fachbereiche, soweit es die Quellenlage ermöglicht, berücksichtigt.

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Ausnahmen bilden jedoch die spezifischen Ausbildungen der Kirchenmusiker, Tonmeister und Regisseure, die für die Fragestellung nach Neuer Musik weniger relevant sind.

Anhand der Diskrepanzen zwischen den politischen Dogmen und den indi- viduellen Handlungsweisen von Lehrkräften und Studenten an den Hochschulen für Musik wird dem vielschichtigen Verhältnis zwischen musikalischer Selbst- entfaltung und dem Lehren und Lernen in einem autoritären Staat nachgegan- gen. Der Stellenwert Neuer Musik im Unterricht an den Hochschulen für Musik wird mit folgendem Fragenkomplex analysiert:

Unter welchem administrativen Einfluss stand das Lehren und Lernen an den Hochschulen für Musik in den 1960er Jahren und welche Entwicklungen ergaben sich daraus?

Welchen Stellenwert nahm die Neue Musik in staatlichen Vorgaben zur Musik- hochschulausbildung in den 1960er Jahren ein?

Welchen parteipolitischen Ansprüchen musste eine Ausbildung an den Hoch- schulen für Musik in der autoritären DDR gerecht werden?

Wie sah die alltägliche Unterrichtspraxis des musikalischen Lehrens und Ler- nens in einem autoritären Regime aus und welche Faktoren bestimmten die Ausbildung? Welchen Stellenwert nahm darin die Neue Musik ein?

Welche Formen von Freiräumen zur Ausübung avancierter Neuer Musik gab es an den Hochschulen für Musik? Welche Freiräume erkämpften sich die Ak- teure? Welche Konsequenzen hatte das ‚freie‘ Ausleben einer eigenen Mu- sikästhetik?

1.1.2 Forschungsstand

Die vorliegende Studie ist in der Schnittmenge dreier Forschungsgebiete der DDR-Geschichte zu verorten: Erstens der Musikgeschichte, zweitens der Hoch- schul- und Wissenschaftsgeschichte sowie drittens der Institutionsgeschichte.

Die Literatur aller drei Bereiche kann für die Erforschung des Stellenwerts der Neuen Musik an den Hochschulen für Musik der DDR nur eine Ausgangsbasis für die weitergehende Beschäftigung mit der Fragestellung liefern, da bisher in keinem eine Aufarbeitung des Themas erfolgt ist.

Erstens: Zwei Forschungsarbeiten zur Musikgeschichte der DDR bieten für die vorliegende Untersuchung grundlegende Informationen: Daniel zur Weihens Veröffentlichung ist generell eine der grundlegenden Forschungsarbeiten zur Musik und Komposition in der DDR, da er detailliert die administrativen Vor-

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sucht.7 Er analysiert die Arbeitsweisen der Kulturabteilung des ZK der SED, der Staatlichen Kulturadministration, des Ministeriums für Kultur, des Staatlichen Kulturfonds der DDR, der Anstalt für Aufführungsrechte, der Massenorganisati- onen sowie der künstlerischen Organisationen im Umgang mit zeitgenössischer Musik. Da in zur Weihens Arbeit zum Musikleben der DDR die Hochschulen für Musik als die zentrale Ausbildungsstätte der neuen Musikergeneration fehlt, ergänzt die vorliegende Untersuchung seine Forschung um diese fehlenden Ein- richtungen und bietet somit Anknüpfungspunkte zur Vernetzung mit den jewei- ligen Kultur- und Musikinstitutionen.

Die Arbeit von Christiane Sporn zur Instrumentalmusik in den 1960er und 1970er Jahren bietet einen guten Überblick zur Beziehung zwischen den staatli- chen Institutionen, der offiziellen Auffassung über die Funktion von Musik im Sozialismus und der kompositorischen Praxis.8 Die dargestellte Diskrepanz zwi- schen parteipolitischer Theorie und musikalisch-kompositorischer Praxis bietet eine gute Grundlage für die Frage nach divergentem Verhalten an den Hoch- schulen.

Zu einzelnen Persönlichkeiten der Hochschulen für Musik der DDR gibt es biographisch-analytische Studien.9 Ihre Informationen zur persönlichen Musik- ästhetik und zum Musikdenken sowie zu ihrer politischen Einstellung gegenüber dem SED-Regime liefern wichtige Details für die vorliegende Untersuchung.

Von besonderem Interesse sind daher die Schriften zu den Hochschullehrern Rudolf Wagner-Régeny, Karl-Rudi Griesbach, Siegfried Thiele sowie Johann Cilenšek.

Zahlreiche weitere musikwissenschaftliche und musikgeschichtliche Einzel- studien und Sammelpublikationen erbrachten in den letzten Jahren bedeutende Forschungsergebnisse zur Musikgeschichte der DDR.10 Jedoch fanden die Hochschullehre und Fragen der Ausbildung von Komponisten und Musikern an den Hochschulen für Musik der DDR bisher keinerlei Erwähnung, weswegen sie nur ergänzend genutzt werden können.

Zweitens: Das Gros der bisherigen Hochschulforschung untersucht die Um- strukturierungen des Hochschulwesens sowie die Indoktrination der Bildungspo- litik durch die SED. Darin bieten die umfangreichen Forschungsarbeiten von Ilko-Sascha Kowalczuk, Ralph Jessen und Guntolf Herzberg wichtige Ansatz-

7 Zur Weihen (1999).

8 Sporn (2007).

9 Rudolf Wagner-Régeny in Koch (2004); Karl-Rudi Griesbach in Streller (2002); Siegf- ried Thiele in Kneipel (1990); Johann Cilenšek in Garbe (2005).

10 Berg/von Massow/Noeske (2004); Herrmann/Weiss (2002) und (2004); Klemke (2007);

Klingberg (1997); Noeske (2007); Stöck (2008); Tischer (2005); M. Vetter (1996); Zur Weihen (2004).

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punkte für die vorliegende Analyse. Kowalczuks Studie analysiert die Entwick- lung des Hochschulwesens in der DDR vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Mauerbau.11 Dabei widmet er seine Aufmerksamkeit den Versuchen der SED, eine sozialistische Intelligenz zu erziehen, und beleuchtet das oppositio- nelle Verhalten der Hochschullehrer unter besonderer Berücksichtigung der Kri- senjahre 1953, 1956 und 1961. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist die Zulas- sungspraxis an den Universitäten. Die SED förderte den Zugang von Kindern aus ‚Arbeiter- und Bauernfamilien‘ zu einem Hochschulstudium und reduzierte die Studienchancen für den Nachwuchs aus sogenannten ‚bürgerlichen‘ Haus- halten. Für die vorliegende Forschungsarbeit interessiert in diesem Zusammen- hang vor allem die Frage, wie die SED ihre Zulassungspolitik in Studienfächern wie den musischen organisierte, die eine lange Vorbildung erfordern, welche in weniger wohlhabenden Familien häufig nicht geleistet werden konnte.

Jessens Schwerpunkt lag auf der Rolle der Hochschullehrer während der Transformation der traditionellen Universitäten zu Staatsuniversitäten der DDR.12 Dabei arbeitete er heraus, wie es der SED im Laufe der Jahre gelang, die Professorenschaft an sich zu binden. Auch in den Hochschulen für Musik wurde besonderer Wert auf staatsloyale Lehrkräfte gelegt. Da die SED besonders in den sogenannten ‚Hauptfachlehrern‘ eine wichtige Stütze bei der Durchsetzung ihres Machtanspruchs sah, wurde analog zum Vorgehen an den Universitäten auch auf die Hochschullehrer der künstlerischen Lehranstalten, darunter die Hochschulen für Musik, sowohl durch finanzielle Bevorzugung als auch mittels politisch-ideologischem Drucks massiv eingewirkt. Allerdings setzte die Indok- trination der Hochschullehrer der Hochschulen für Musik erst zu dem Zeitpunkt ein, als sie an den Universitäten schon wieder eingeschränkt wurde. Diese Sonderheit wird näher betrachtet werden.

Herzberg beleuchtete detailliert das Verhalten der Intelligenz zwischen An- passung und Opposition in den Jahren von 1956 bis 1958. Für die vorliegende Studie ist vor allem die intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Hochschulkonferenzen und -tagungen gewinnbringend, die, wie sich zeigen soll- te, den Beginn der Indoktrination der Hochschulen für Musik durch die SED markierten.13

Ein weiterer großer Bereich der Hochschul- und Wissenschaftsforschung ist das Thema ‚Widerstand‘, das viele Überblicks- und Falldarstellungen hervorge-

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bracht hat.14 Ein wichtiger Beitrag für die vorliegende Studie ist die Erforschung des Widerstands an den Universitäten von Ilko-Sascha Kowalczuk.15 Darin ana- lysierte er verschiedene Formen widerständigen Verhaltens, die zum Teil auch an den Hochschulen für Musik nachweisbar sind. Diese Studie knüpft daher an Kowalczuks Ergebnisse an und benennt weitere spezifische Widerstandsformen, die an den Hochschulen für Musik aufgetreten sind.

Die Forschung zur Geschichte des Hochschulwesens und der Wissenschaft der DDR lässt trotz ihrer Vielfältigkeit das Studium der Künste an den Universi- täten und den künstlerischen und pädagogischen Hochschulen aus.16 Lediglich der Hochschulpädagoge Siegfried Bimberg veröffentlichte zwei Bände zur uni- versitären Musikpädagogik der DDR und liefert einen Eindruck des Einflusses der sozialistischen Ideologie in einem verwandten Forschungsfeld. Bimberg be- leuchtete unter anderem die hohe Bedeutung des Liedes in den Lehrplänen der Schulen in der DDR. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass Bimbergs Darstellungen eine subjektive, vom eigenen Erleben geprägte Sicht auf das poli- tische System und seine Musikpolitik zugrunde liegt.17

Drittens: Die Veröffentlichungen zum dritten Bereich, der Institutionsge- schichte, sind vergleichsweise rar. Für alle vier Hochschulen für Musik gibt es mehrere Jubiläumsfestschriften aus den Jahren des SED-Regimes, die daher im Rahmen der vorliegenden Studie eher Quellenstatus haben.

Die Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Hochschule für Musik Leip- zig von 1993 versteht sich dagegen nicht als institutionsgeschichtliche Gesamt- darstellung. Die Geschichte der DDR wurde vier Jahre nach dem Fall der Mauer bewusst ausgelassen.18 Demnach liegt der Schwerpunkt der Festschrift auf der Geschichte der Institution im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Für die Hochschu- len für Musik in Dresden und Weimar gibt es jeweils eine nach 1989 erschiene- ne Darstellung ihrer Hochschulgeschichte. Während der Text zur Dresdner Hochschule mit seiner knappen Ausführung in einer formalen Institutionsge- schichte verbleibt,19 geht Wolfram Huschke in der umfangreicheren Weimarer Hochschulgeschichte intensiv und kritisch auf den Themenkomplex des Lehrens und Lernens in einem autoritären Staat ein. Unbehandelt bleiben jedoch auch bei

14 Weber (2006); Kowalczuk (2003); Lambrecht (2003); Müller/Müller (1994); Grigat (1999); Seifert (1999); Feige (1996); Ammer (1995); Krönig/Müller (1994) und andere.

15 Kowalczuk (1995) und (2003)

16 Für den Erscheinungsraum von 1990 bis 1998 hat Peer Pasternack (1999) eine annotier- te Bibliographie mit 1931 selbstständigen Titeln herausgegeben.

17 Bimberg (1996).

18 150 Jahre Musikhochschule (1993), S. 18.

19 Gervink (2005).

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