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Schriftliche Ausfertigung des am mündlich verkündeten Erkenntnisses:

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(1)

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 04.03.2014

Geschäftszahl L515 1435726-1

Spruch

Schriftliche Ausfertigung des am 17.02.2014 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. TÜRKEI, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.02.2013, Zl. 1218.289-BAW, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24.02.2014 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 144/2013 als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF wird das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als "bP" bezeichnet), ist eine Staatsangehörige der Türkei und brachte nach illegaler Einreise am 17.12.2012 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP Folgendes vor:

"Nachdem mein Mann im Jahre 2011 verstorben ist, wollte mich die Familie meines Mannes mit dem jüngeren Bruder (Schwager) verheiraten. Ich wollte das nicht und musste deshalb das Land verlassen".

Befragt zu ihren Rückkehrbefürchtungen gab sie an:

"Ich müsste meinen Schwager heiraten und wenn ich nicht einwillige, könnten sie mich auch töten".

Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte die bP Folgendes vor:

"...

Frage: Nennen Sie Ihren Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihre Volksgruppenzugehörigkeit, Ihre Staatsangehörigkeit und Ihre Religionszugehörigkeit!

(2)

Antwort: Ich heiße XXXX, wurde am XXXX in XXXX geboren, ich bin Staatsangehörige der Türkei, ich bin Angehörige der kurdischen Volksgruppe, ich bin moslemischen Glaubens, ich bin verwitwet, mein Mann ist verstorben, ich habe keine Kinder und keine Sorgepflichten.

Frage: Wie lautet der Name Ihres verstorbenen Ehemannes?

Antwort: XXXX, er wurde XXXX geboren und ist am XXXX verstorben bei einem Verkehrsunfall.

Frage: Welche Ihrer Angehörigen befinden sich noch in der Türkei?

Antwort: Meine Eltern, drei Brüder und eine Schwester.

Frage: Wo leben Ihre Eltern?

Antwort: In Istanbul, auch meine drei Brüder und die Schwester leben in Istanbul, aber nicht alle gemeinsam an einer Adresse.

...

Frage: Wo waren Sie zuletzt vor Ihrer Ausreise aus der Türkei wohnhaft?

Antwort: An der Adresse meiner Eltern in Istanbul, XXXX.

Frage: Worum handelt es sich bei dieser Adresse?

Antwort: Das ist ein dreistöckiges Gebäude in dem wir eine Wohnung bewohnen, wir sind dort Mieter.

Frage: Haben Sie immer Zeit Ihres Lebens in Istanbul gelebt?

Antwort: Ja.

Frage: Wann haben Sie geheiratet?

Antwort: Am XXXX.

Frage: Lebten Sie dann mit Ihrem Mann gemeinsam?

Antwort: Ich bin dann zu meinem Mann nach XXXX gefahren, kurze Zeit später ist mein Mann aber bei einem Verkehrsunfall verstorben.

Frage: Wie kam es zu dieser Eheschließung?

Antwort: Er hat in Istanbul gearbeitet, er wurde mir über Bekannte vermittelt und dann haben wir geheiratet.

Frage: Die Eheschließung erfolgte mit Zustimmung Ihrer Eltern, Angehörigen?

Antwort: Ja, natürlich.

...

Frage: Warum haben Sie die Türkei verlassen? Nennen Sie Ihre Fluchtgründe?

Antwort: Wegen meines verstorbenen Mannes. Sie wollten, dass ich seinen Bruder heirate, ich habe das aber abgelehnt. Sie haben mich ständig belästigt.

Frage: Erstatten Sie bitte ein konkretes und detailgenaues Vorbringen zu Ihren Fluchtgründen!

(3)

Antwort: Ich bin nach dem Tod meines Ehemannes wieder zu meinen Eltern nach Istanbul zurückgekehrt und dann hat mich meine Schwiegermutter ständig angerufen. Seit dem Tod meines Mannes war bereits einige Zeit vergangen, meine Schwiegermutter sagte mir, dass sie mich von Istanbul abholen wird und dass ich ihren anderen Sohn heiraten solle, das ist bei ihnen so eine Tradition, ich wusste das nicht, ich habe das erst nach dem Tod meines Mannes erfahren, dass es so eine Tradition gibt. Die Ältesten im Dorf XXXX, in der Provinz XXXX haben einen entsprechenden Entschluss gefasst und ich wollte das nicht. Ich war bei meinen Eltern und habe den Entschluss gefasst nach Österreich zu kommen.

Frage: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe anzugeben?

Antwort: Nein, das sind meine Gründe.

Frage: Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?

Antwort: Meine Familie war dagegen, bei uns gibt es so eine Tradition nicht.

Frage: Wird so eine Angelegenheit nicht unter Männern, Ihrem Vater und Ihren Brüdern erledigt?

Antwort: Die Anrufe habe ich erhalten, natürlich haben das meine Eltern mitbekommen und meine Brüder auch und ich habe Angst gehabt, dass es einmal zu einer Auseinandersetzung kommt, denn das ist bei denen Sitte.

Frage: Wie oft hat die Schwiegermutter bei Ihnen angerufen?

Antwort: 40 Tage nach dem Tod meines Ehemannes gab es ein Essen zum Gedenken des Verstorbenen.

Nachdem alle Gäste nach Hause gegangen sind, an dem Abend waren auch alle seine Geschwister anwesend, meine Schwiegermutter hat mir gesagt, ich soll nach Istanbul fahren und mich erholen bis einige Zeit verstrichen ist, dann würde sie mich wieder holen, damit ich ihren anderen Sohn heirate, befragt den Zwillingsbruder meines verstorbenen Ehemannes XXXX. Dann bin ich nach Istanbul zu meinen Eltern zurückgekehrt und nach zwei Monaten hat meine Schwiegermutter mich angerufen.

Fragewiederholung:

Antwort: Das war verschieden, mit Abständen, ca. ein bis zwei Mal im Monat.

Frage: Was wollte Ihre Schwiegermutter konkret von Ihnen?

Antwort: Es ist schon höchste Zeit, dass ich wieder komme und ich sagte ihr jedes Mal, dass ich das nicht will.

Frage: Welche Volksgruppenzugehörigkeit hat die Familie Ihres verstorbenen Ehemannes?

Antwort: Sie sind auch Kurden.

Frage: Gab es noch weitere Vorfälle bis zu Ihrer Ausreise?

Antwort: Nein, nur diese Anrufe, dass sie kommen und mich holen wollen und ich habe das immer abgelehnt.

Frage: Diese Anrufe haben immer Sie entgegengenommen?

Antwort: Ja.

Frage: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in die Türkei?

Antwort: Sie sind dazu fähig, dass sie mich von Istanbul nach XXXX bringen.

..."

I.2. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht

(4)

zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei verfügt (Spruchpunkt III.).

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde zum Vorbringen der bP Folgendes aus:

"...

Vorerst war Ihr Vorbringen in Hinblick auf vorgebrachte antragsrelevante Gründe zu beleuchten.

Sie stützten Ihr Vorbringen vor dem Bundesasylamt ausschließlich auf Behauptungen hinsichtlich einer neuerlichen Verehelichung mit dem Bruder Ihres verstorbenen Ehemannes (im Anschluss wird dargelegt, dass diesen Behauptungen keine Glaubhaftmachung zuteil werden konnte) und machten daher kein einem Konventionsgrund entsprechend zu erkennendes Vorbringen. Somit liegt keine systematische, staatliche oder staatlich geduldete Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung vor.

Behördliches Interesse von türkischen Behörden an Ihrer Person jedweder Art haben Sie konkret befragt ausgeschlossen. Es gibt keinen einzigen Hinweis auf asylrelevante Verfolgung auch nicht im Falle einer Rückkehr in die Türkei.

Bei eigener Darstellung der Fluchtgründe haben Sie in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt/Außenstelle Wien am 21.02.2013 höchst vage und allgemein behauptet, dass Sie wegen Ihres verstorbenen Ehemannes die Türkei verlassen hätten, "sie" wollten, dass Sie den Bruder heiraten, was Sie aber abgelehnt hätten und "sie"

hätten Sie ständig belästigt.

Aufgefordert konkret und in allen Details über Ihre Fluchtgründe zu berichten, haben Sie wiederum höchst allgemein behauptet, dass Sie nach dem Tod Ihres Ehemannes wieder zu Ihren Eltern nach Istanbul zurückgekehrt wären und Ihre Schwiegermutter Sie ständig angerufen hätte. Ihre Schwiegermutter hätte zu Ihnen gesagt, dass Sie von Istanbul abgeholt werden würden und dass Sie den anderen Sohn heiraten sollten, dies wäre Tradition. Die Ältesten im Dorf (Ihres verstorbenen Ehemannes) hätten einen Entschluss gefasst und Sie wollten dies nicht und wären nach Österreich ausgereist.

Zusammengefasst ist zu Ihrem Vorbringen festzuhalten, dass Sie bei eigener Darstellung bloß allgemeine und abstrakte Behauptungen bzgl. der Motive für Ihre Ausreise aus der Türkei behauptet haben und Sie bei eigener Darstellung der Fluchtgründe ganz offensichtlich nicht in der Lage waren eine konkrete und gegen Sie höchstpersönlich gerichtete Verfolgung zu nennen.

Zusammengefasst ist zu Ihrem Vorbringen festzuhalten, dass Sie eine konkrete und personenbezogene Verfolgung zu keinem Zeitpunkt Ihrer Einvernahmen behauptet haben und sich daher auch nicht ableiten lässt, dass Sie jemals in der Türkei einer Bedrohungssituation ausgesetzt waren.

Schlussendlich wird zu Ihrem Vorbringen auch festgehalten, dass entsprechend Ihrem dargestellten traditionell verpflichteten familiären Hintergrund derartige Ansuchen wie eine erneute Eheschließung letztendlich nur mit Zustimmung des Familienoberhauptes (Vater/Brüder) geregelt werden. Sie haben dazu selbst angegeben, dass sich Ihre Familienangehörigen mit einer erneuten Eheschließung nicht einverstanden gezeigt haben und die Türkei mit Wissen und Billigung sowie Unterstützung Ihrer Familienmitglieder (Bruder) verlassen zu haben.

Dies ist ein weiteres deutliches Indiz dafür, dass Ihre Ausreise aus der Türkei nicht aus asylrelevanten Motiven erfolgt ist. Vor dem oben angeführten Hintergrund ist es nicht plausibel nachvollziehbar, dass Ihre Familienangehörigen Ihre Ausreise aus der Türkei bloß wegen Telefongesprächen mit Ihrer Schwiegermutter (Ihren Angaben zufolge einer alten Frau) organisiert hätten.

Zusammenfassend gelangt die erkennende Behörde daher im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Beweiswürdigung zu einem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, indem sie aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere aber aufgrund Ihres höchst allgemeinen und nicht plausibel nachvollziehbaren Vorbringens zu dem Schluss kommt, dass Sie mit der Schilderung Ihrer Fluchtgründe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht haben.

(5)

Da Ihnen wie bereits erörtert im Herkunftsstaat keine Verfolgung droht und Sie über Schulbildung, Arbeitserfahrung sowie familiäre Anknüpfungspunkte in der Türkei verfügen, geht die erkennende Behörde davon aus, dass Ihnen im Herkunftsstaat auch keine Gefahr i. S. d. Art. 3 EMRK droht.

..."

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche Feststellungen.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorgekommen sei. Ebenso stelle eine Ausweisung keinen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf ein Privat- und Familienleben der bP dar.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde das bisherige Vorbringen wiederholt und bekräftigt. Insbesondere wurde gerügt, dass das BAA eine reale Bedrohungssituation nicht erkannt habe.

I.4. Für den 24.02.2014 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer Beschwerdeverhandlung.

Gemeinsam mit der Ladung wurden der bP Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde sie - in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.

Für den Fall, dass der bP gegenwärtig Bescheinigungsmittel nicht zugänglich sind, weil sie sich beispielsweise noch im Herkunftsstaat befinden, wurde die bP eingeladen, ehestmöglich die erforderlichen Schritte zu setzen, damit ihr diese zugänglich werden und sie im Anschluss daran vorzulegen. In diesem Fall wurde sie auch ersucht, dem erkennenden Gericht bekannt zu geben, welche Bescheinigungsmittel sie beabsichtigt vorzulegen, wo sich diese gegenwärtig befinden und wann mit deren Vorlage gerechnet werden kann.

Sollte der bP die Existenz von Bescheinigungsmitteln bekannt sein, sie darauf aber keinen Zugriff haben, wurde sie aufgefordert innerhalb der oa. Frist bekannt zu geben, um welche Bescheinigungsmittel es sich handelt, wo sich diese befinden und warum sie hierauf keinen Zugriff hat.

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung brachte die bP vor, bisher im Asylverfahren wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben und wiederholte im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.

I.1.5. Am Ende der Verhandlung wurde das Erkenntnis öffentlich verkündet. Die Beschwerde wurde gemäß §§

3, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 144/2013 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF wurde das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen (Sachverhalt)

II.1.1. Die beschwerdeführende Partei

Bei der beschwerdeführenden Partei handelt es sich um eine im Herkunftsstaat der zahlenmäßig zweitgrößten Ethnie angehörige Kurdin, welche aus einem überwiegend von Türken, Kurden und Arabern bewohnten Gebiet stammt und sich zum Islam bekennt. Die beschwerdeführende Partei ist eine verwitwete, junge, gesunde, arbeitsfähige Frau mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Die Eltern sowie 3 Brüder und eine Schwester leben nach wie vor im Herkunftsstaat der bP.

(6)

In Österreich leben zwei Brüder der bP. Sie lebt bei einem dieser beiden Brüder, dieser sorgt für sie.

Die Identität der bP steht aufgrund des vorgelegten Nüfus fest fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

Staatsaufbau

Die Türkei hat je nach Schätzung zwischen 74 und 79 Millionen Einwohner.

(CIA - Central Intelligence Agency: The World Factbook, People and Society, Stand: 5.12.2012;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/tu.html Zugriff 3.1.2013 / Auswärtiges Amt:

Türkei; Stand April 2012;

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01- Nodes_Uebersichtsseiten/Tuerkei_node.html Zugriff 3.1.2013)

Die Türkei hat ein parlamentarisches Mehrparteiensystem und einen Präsidenten mit limitierten Machtbefugnissen. Die Parlamentswahlen im Juni 2011 waren im Allgemeinen fair und frei. Zivile Behörden wahrten generell effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte.

(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011;

24.5.2012)

Die Türkei ist eine parlamentarische Republik und definiert sich in ihrer Verfassung (Art. 2) als demokratischen, säkularen und sozialen Rechtsstaat auf der Grundlage der Ideen des öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität und Gerechtigkeit sowie der Menschenrechte und als besonders verpflichtet den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk. Staatsoberhaupt mit weitgehend repräsentativer Funktion ist der Staatspräsident, die politischen Geschäfte führt der Premierminister. Durch das Referendum vom 21.10.2007 wurde die Verfassung dahingehend geändert, dass der Staatspräsident künftig nicht mehr vom Parlament, sondern vom Volk gewählt wird.

Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung durch die Art. 7 (Legislative), 8 (Exekutive) und 9 (Judikative) festgelegt. Art. 9 sieht vor, dass die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte "im Namen der türkischen Nation" erfolgt.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

Die Türkei verbindet Elemente einer modernen, westlichen, demokratisch strukturierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft mit einem lebendigen und in der türkischen Gesellschaft tief verwurzelten Islam sowie mit einem teilweise ausgeprägten Nationalismus. Sie ist geprägt von starken politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegensätzen, die das politische System immer wieder auf eine harte Belastungsprobe stellen. Das gemeinsame Erbe aus rund 700 Jahren osmanischer und 80 Jahren türkischer Geschichte ist eine ausgeprägt starke Rolle des Staates, gegenüber dem Rechte des Einzelnen häufig zurückstehen.

Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates (Trennung von Staat und Religion) mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Der Laizismus zählt zu den vier Grundprinzipien der Republik.

Gleichzeitig übt der Staat durch das Amt für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) die Kontrolle über den (sunnitischen) Islam aus, der weite Teile des öffentlichen Lebens in der Türkei prägt. Handlungen und Meinungsäußerungen, die einen Einfluss des Islam auf das staatliche oder gesellschaftliche Leben fordern, können strafrechtlich verfolgt werden. Das Laizismusprinzip ist immer wieder Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen, die zum Teil mit erheblicher Schärfe geführt werden. Weitere kontroverse Themen sind die Rechte der kurdischstämmigen Bevölkerung, die Anerkennung der Aleviten als eigene Religionsgemeinschaft und in inzwischen deutlich abgeschwächter Form die Stellung des Militärs.

Die Westorientierung ist Staatsprogramm der modernen Türkei. Die türkische Regierung hat den Beitritt zur EU als prioritäres Ziel ihrer Politik formuliert. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan haben das Bekenntnis der türkischen Regierung zur Reformpolitik, die dem Wohl des Landes diene, mehrfach öffentlich betont. Sie werden darin von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Am 12. September 2010

(7)

haben sich in einem Referendum rund 58% der Türken für zuvor von der Regierung beschlossene Verfassungsänderungen ausgesprochen, die einige der in der Beitrittspartnerschaft genannten Prioritäten umsetzen. Im Oktober 2011 wurde zudem ein breit angelegter Prozess zur Erstellung einer gänzlich neuen Verfassung gestartet, der neben den im Parlament vertretenen Parteien auch alle Teile der türkischen Gesellschaft einbezieht. Erklärtes Ziel ist die Ausarbeitung einer deutlich liberaleren Verfassung, in deren Mittelpunkt die Grundrechte des Einzelnen stehen und die dadurch zur weiteren Demokratisierung und Modernisierung der Türkei beitragen soll. Nach derzeitigen Planungen soll dieser Prozess Ende 2012 mit der Verabschiedung eines neuen Verfassungstextes abgeschlossen werden.

(Auswärtiges Amt: Innenpolitik; Stand April 2012;

http://www.auswaertiges-

amt.de/sid_454DFB0C86BA3768516593591A4DB067/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Innenp olitik_node.html Zugriff 3.1.2013)

Politik / Wahlen

Das türkische Parlament, die Große Türkische Nationalversammlung, wird für vier Jahre gewählt (Mehrheitswahlrecht). Die letzten Wahlen fanden am 12. Juni 2011 statt. Es gilt eine landesweite Zehn-Prozent- Hürde für den Einzug einer Partei ins Parlament.

Bei den Parlamentswahlen im Juni 2011 erhielt die konservative AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) 49,8 Prozent der Stimmen (+ 2,2 Prozent). Sie verfügt mit aktuell 327 der 550 Sitze über die absolute Mehrheit im Parlament. Hauptoppositionspartei ist die sozialdemokratisch-kemalistische CHP (Republikanische Volkspartei), die unter dem neuen Parteivorsitzenden Kemal Kiliçdaroglu und mit einer inhaltlichen Neuausrichtung leicht auf 25,9 Prozent (+5 Prozent) zulegen konnte und 135 Abgeordnete stellt. Zweitstärkste Oppositionskraft ist die rechts-nationalistische MHP, der mit 12,9 Prozent der Stimmen (+ 1,4 Prozent) der Wiedereinzug ins Parlament gelungen ist. Sie verfügt über 53 Abgeordnete. Die pro-kurdische BDP (Partei für Frieden und Demokratie) zog mit 35 Abgeordneten ins Parlament ein.

(Auswärtiges Amt: Innenpolitik; Stand April 2012;

http://www.auswaertiges-

amt.de/sid_454DFB0C86BA3768516593591A4DB067/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Innenp olitik_node.html Zugriff 3.1.2013)

Menschenrechte

Allgemein

Es gibt keine Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder allein wegen ihrer politischen Überzeugung.

Die Türkei gehört dem Europarat an und ist Partei der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950, des 1.

Zusatzprotokolls (Grundrecht auf Eigentum) sowie des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, des 11. (obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), des 13. (uneingeschränkte Aufhebung der Todesstrafe) und des 14. Zusatzprotokolls. Das 4.

(u. a. Verbot der Kollektivausweisung und Recht auf Aufenthalt von Staatsbürgern), 7. (Verfahrensgarantien) und 12. Zusatzprotokoll (Verbot jeder Form von Diskriminierung) wurde jeweils unterzeichnet, aber bislang nicht ratifiziert.

Die Türkei ist weiterhin Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987. Sie gehört neben dem Europarat auch der OSZE an. Für sie gelten die menschenrechtsrelevanten Dokumente dieser Organisationen, vor allem das Kopenhagener Dokument von 1990. Der Europarat ist im Rahmen von Justizprojekten in der Türkei tätig.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land als Ersatz für die bislang fehlende Verfassungsbeschwerde (sie wird ab dem 23.09.2012 eingeführt) eine wichtige Rolle. Bislang wird der EGMR in vielen Fällen nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges angerufen. Zum anderen ist die EMRK aufgrund Art. 90 der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar. Beide Aspekte werden jedoch in der innerstaatlichen Justiz nicht ausreichend berücksichtigt. Die Urteile des EGMR

(8)

insbesondere im Bereich Meinungsfreiheit werden nicht ausreichend von Gerichten der ersten Instanz berücksichtigt.

Der Menschenrechtsschutz wird in der Verfassung in Artikel 2 festgeschrieben und in den folgenden Paragraphen konkretisiert. Parteien werden durch Artikel 68 Abs. 4, Abgeordnete durch ihre Eidesformel (Art.

81) auf ihre Einhaltung verpflichtet.

Die Türkei ist Partei folgender VN-Übereinkommen:

- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 (in der Türkei in Kraft seit 10.08.1988);

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1966 (in Kraft

seit 16.06.2002);

- Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 (seit 27.01.1995 in Kraft) und des Zusatzprotokolls betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie von 2000, das von der Türkei am 08.09.2000 unterzeichnet und am 28.05.2002 ratifiziert wurde. Das Zusatzprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten wurde von der Türkei ebenfalls am 08.09.2000 unterzeichnet und am 02.03.2004 ratifiziert.

Am 25.11.2010 wurde zudem die 2007 unterzeichnete Europaratskonvention über den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch ratifiziert;

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von 1979, von der Türkei am 24.07.1985 ratifiziert, und das Zusatzprotokoll von 1999, am 08.09.2000 unterzeichnet, am 26.08.2002 ratifiziert;

- Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 1952, am 25.05.1959 ratifiziert;

- Übereinkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, mit dem Vorbehalt, die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf Flüchtlinge aus Europa anzuwenden;

- Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 (in Kraft

seit 29.03.1950);

- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966: Die Türkei

unterzeichnete das Abkommen am 15.08.2000. Ratifiziert wurde es am 10.07.2003, es trat am 11.08.2003 mit Vorbehalten zu Art. 13 Abs. 3 und 4. in Kraft.

- Die Türkei zeichnete am 15.08.2000 sowohl den Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ratifiziert am 07.07.2003; in Kraft seit dem 21.07.2003) als auch den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 (ratifiziert am 10.07.2003, in Kraft seit dem 11.08.2003). Gleichzeitig hat sie jedoch mehrere Erklärungen und Vorbehalte abgegeben, die mit Verweis auf die türkische Verfassung und den Vertrag von Lausanne die Bedeutung der Zeichnung der Pakte im Hinblick auf die Beachtung von Menschenrechten bei extraterritorialen Einsätzen türkischer Sicherheitskräfte (Nordirak, Nordzypern) und auf die Garantie von Rechten ethnischer und religiöser Minderheiten stark einschränken. Das Fakultativprotokoll zum ersten Pakt, das eine Individualbeschwerde zu einem besonderen Ausschuss vorsieht, wurde am 03.02.2004 gezeichnet, jedoch mit einer Vorbehaltsklausel am 29.06.2006 ratifiziert (in Kraft seit 05.08.2006). Das 2. Fakultativprotokoll (Abschaffung der Todesstrafe) ist seit 27.12.2005 in Kraft.

- Fakultativprotokoll zu dem VN-Übereinkommen gegen Folter (OPCAT), am 14.09.2005 unterzeichnet.

Das eine unabhängige, finanziell und strukturell autonome Überwachungseinrichtung vorsehende Fakultativprotokoll wurde am 23.02.2011 ratifiziert und trat am 12.03.2011 in Kraft.

- Internationales Übereinkommen zum Schutz der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (in Kraft seit 08.07.2004).

(9)

- Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (unterzeichnet am 30.03.2007, ratifiziert am 28.09.2009, Zusatzprotokoll unterzeichnet am 28.09.2009.

Die Türkei ist - trotz ihres Beitritts zur Organisation Islamischer Staaten (OIC) 1969 - nicht Partei der Erklärung der Islamischen Staaten zu Menschenrechten.

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

In Bezug auf internationale Menschenrechtsinstrumente hat die Türkei am 14.3.2012 die Konvention des Europarats zur Vermeidung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt ratifiziert. Drei zusätzliche Protokolle der Europäischen Menschenrechtskonvention wurden noch nicht ratifiziert. Nach Konsultationen von europäischen und anderen Ombudsmännern, wurde das Gesetz zur Institution des Ombudsmannes am 14.7.2012 verabschiedet.

Die Ausbildung in Bezug auf Menschenrechte für Beamte, Richter, Staatsanwälte und Polizisten wurde weitergeführt. Strafrechtliche Verfolgungen gegen Menschenrechtsverteidiger stiegen, wobei hierbei insbesondere Paragraphen betreffend Terrorismus angewandt wurden. Die breite Definition von Terrorismus im Anti-Terrorismus Gesetz bleibt weiterhin Anlass zur Sorge.

Im Großen und Ganzen wurden Fortschritte bei der Einhaltung internationaler Menschenrechte gemacht, trotzdem sind noch einige Reformen ausständig.

(Europäische Kommission: Türkei - Fortschrittsbericht 2012; 10.10.2012)

Mit inzwischen zahlreichen Reformpaketen hat die Türkei seit August 2002 viele der in der EU- Beitrittspartnerschaft aufgelisteten Prioritäten im Menschenrechtsbereich in Angriff genommen:

Abschaffung der Todesstrafe, Maßnahmen zur Verhütung sowie zur erleichterten Strafverfolgung und Bestrafung von Folter ("Null-Toleranz-Politik"), Ausweitung der Vereinsfreiheit, Ermöglichung der Wiederaufnahme von Verfahren nach einer Verurteilung der Türkei durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Stärkung der zivilen Kontrolle über das Militär, Beendigung gesetzlicher Diskriminierungen von Frauen sowie eine grundlegende Reform des Straf- und Strafprozessrechts haben viele Verbesserungen gebracht. Weitere Reformen, vor allem im Bereich Religionsfreiheit sowie hinsichtlich der Durchsetzung von Gewerkschaftsrechten, müssen von der türkischen Regierung noch durchgeführt werden.

Darüber hinaus kommt es vor allem auf die Anwendung der Reformgesetze in der Praxis an. Dies gilt maßgeblich im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit. Den Schwerpunkt "Implementierung beschlossener Reformen" betont auch die EU in ihrer Beitrittspartnerschaft mit der Türkei. Der effektive Grundrechtsschutz hängt wesentlich von den Entscheidungen türkischer Gerichte ab, die das geltende Recht auslegen.

(AA - Auswärtiges Amt: Innenpolitik; Stand April 2012; http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Innenpolitik_node.html Zugriff 3.1.2013)

Es gab Berichte über Verletzungen der Menschenrechte. Menschenrechtsorganisationen berichteten weiterhin von Fällen von Folter und Missbrauch durch Sicherheitskräfte, vor allem wenn sich Opfer in Polizeigewahrsam befanden (jedoch nicht in Haftanstalten selbst), bei Demonstrationen und bei Transfers zu Gefängnissen. Folter und Missbrauch fanden meistens außerhalb von Anhaltezentren statt. Der Grund hierfür liegt darin, dass in diesen informellen Kanälen eine Aufzeichnung der Taten schwieriger ist. Gerichte untersuchten im Berichtszeitraum [2011] Vorwürfe von Missbrauch und Folter durch Sicherheitskräfte, aber verurteilten die Täter eher selten. Die Behörden erlauben Sicherheitsbeamten, die des Missbrauchs bezichtigt wurden üblicherweise, in ihren Ämtern zu verbleiben.

Es gab im Berichtsraum weder politisch motiviertes Verschwindenlassen von Menschen, noch politisch motivierte Tötungen.

(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011;

24.5.2012)

Minderheiten

(10)

Minderheiten in der Türkei

Von den je nach Quelle zwischen 74 und 79 Millionen Einwohnern, sind etwa 70-75% ethnische Türken, 18%

ethnische Kurden und der Rest andere Minderheiten (7-12%). Landessprache ist Türkisch. Es werden auch verschiedene kurdische Sprachen und andere Dialekte gesprochen.

(CIA World Factbook: Turkey, Stand 28.6.2012;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/tu.html;

Zugriff 4.1.2013 / AA - Auswärtiges Amt: Übersicht; Stand April 2012;

http://www.auswaertiges-

amt.de/sid_35D1B0BD0C9AED8F54321B840B1E8C77/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01- Nodes_Uebersichtsseiten/Tuerkei_node.html Zugriff 4.1.2013)

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur

"Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der in Art. 37 bis 44 des Lausanner Vertrages niedergelegte, aber nicht auf bestimmte Gruppen festgeschriebene Schutz allerdings nur auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca.3.000) und die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) sowie die jüdische Gemeinschaft (ca. 27.000).

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio, davon 90% Tscherkessen), Roma (nach unterschiedlichen Quellen zwischen 2 und 5 Mio.), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken und Albaner).

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

Vor dem Hintergrund der Sorge, dass die Anerkennung ethnischer Unterschiede dem Auseinanderbrechen des zentralistischen Einheitsstaates Vorschub leisten könnte, werden alle türkischen Staatsbürger laut Verfassung als vor dem Gesetz gleichberechtigte Individuen und nicht als Angehörige einer Mehrheit oder Minderheit angesehen. Ihre ethnische Zugehörigkeit wird amtlich nicht erfasst.

(AA - Auswärtiges Amt: Innenpolitik; Stand April 2012; http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Innenpolitik_node.html Zugriff 4.1.2013)

Der Staat verlangt, dass alle türkischen Bürger gleich behandelt werden, da jedoch nur drei Minderheiten rechtlich anerkannt werden, sehen sich andere Minderheiten und vor allem auch Kurden Einschränkungen bei der Sprache, Kultur und Meinungsfreiheit gegenüber. Die Situation hat sich aber seit den Reformen aufgrund der EU-Beitrittsverhandlungen verbessert.

(FH - Freedom House: Freedom in the World 2012, Turkey, Mai 2012)

Kurden allgemein

Schätzungen zufolge sind 10 bis 15 der ca. 74 Millionen türkischen Bürger kurdischer Abstammung. Viele leben verstreut im Land und sind dort in die türkische Gesellschaft integriert. In den wirtschaftlich unterentwickelten und zum Teil noch feudalistisch strukturierten Regionen im Osten und Südosten der Türkei leben ca. sechs Millionen Kurden, in einigen Gebieten stellen sie die Bevölkerungsmehrheit. Ihre Lage hat sich in den letzten Jahren dank Infrastrukturmaßnahmen, einer - wenn auch begrenzten - Verbesserung der sozio-ökonomischen Verhältnisse sowie ersten Schritte bei der Gewährung kultureller Rechte deutlich verbessert.

Der im Sommer 2009 von Staatspräsident und Regierung initiierte Prozess der sog. "Demokratischen Öffnung", der vor allem die dauerhafte Überwindung des Kurdenkonflikts ermöglichen, aber auch die generelle Demokratisierung der türkischen Gesellschaft befördern soll, hat bisher wenig konkrete Ergebnisse hervorgebracht. Mit den wieder aufgeflammten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und den türkischen Streitkräften im Juli 2011 steht der Sicherheitsaspekt

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wieder verstärkt im Vordergrund der türkischen Politik. Die Regierung hält jedoch offiziell an der

"Demokratischen Öffnung" fest.

(AA - Auswärtiges Amt: Innenpolitik; Stand April 2012; http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Innenpolitik_node.html Zugriff 4.1.2013)

Türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

Der private Gebrauch des Kurdischen (Kurmanci) und der weniger verbreiteten, vermutlich aus dem Altpersischen entstandenen Sprache Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Durch die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als der einzigen Nationalsprache wird die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden, aber auch andere ethnische Gruppen, etwa Zaza-sprachigen Aleviten, erschwert. 2010 wurde indes durch eine Änderung des Wahlgesetzes das Verbot von Wahlwerbung in einer anderen Sprache als Türkisch aufgehoben, und bei den Parlamentswahlen im Juni 2011 fand Wahlwerbung auf Kurdisch und vereinzelt auch Zaza und Armenisch statt.

Seit 2009 sendet der staatliche TV-Sender TRT 6 ein 24-Stunden-Programm in den Sprachen Kurmanci (Kurdisch) und Zaza. Zudem wurden alle bisher geltenden zeitlichen Beschränkungen für Privatfernsehen in

"Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden" aufgehoben. An der staatlichen Artuklu-Universität in Mardin wurde 2010 ein "Institut für lebende Sprachen" (u.a. Kurdisch und Aramäisch) eingerichtet. Die staatliche Alpaslan-Universität in Mus bietet einen Magister in kurdischer Sprache an, die private Istanbuler Bilgi-Universität hat Kurdisch seit 2009 als Wahlfach im Programm. In Tunceli gibt es universitäre Angebote zum Erlernen der Sprache Zaza.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

Erst vor kurzem gab die türkische Regierung die so genannte "4+4+4?-Schulreform bekannt, die den Schulbesuch türkischer Kinder künftig in je vier Jahre Grund-, Mittel- und Oberstufe einteilt. Mit der Einführung von Kurdisch-Unterricht tritt nun eine weitere Neuerung im Schullehrplan des Landes in Kraft. Der Ankündigung durch den stellvertretenden Ministerpräsident Besir ATALAY, Kurdisch könnte bald als Wahlfach in türkischen Schulen angeboten werden, folgte nun prompt die Zusage. Premier Recep Tayyip ERDOGAN sicherte die Einrichtung entsprechender Klassen zu. Den Vorstoß gab er auf einer parlamentarischen Sitzung der AKP bekannt.

(Anfragebeantwortung des VB Türkei per Email vom 9.7.2012)

Die Türkei will Kurdisch als Wahlfach an den Schulen einführen. Der Unterricht in der Sprache ist bisher von der Regierung mit der Begründung verboten, dies könnte zur Spaltung des Landes beitragen. Am Dienstag [12.6.2012] gab Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bekannt, dass seine Regierung den Unterricht des Kurdischen sowie einiger anderer Sprachen und Dialekte an Schulen erlauben werde. "Dies ist ein historischer Schritt", sagte Erdogan.

Seit Jahrzehnten kämpfen die Kurden im Südosten der Türkei für Autonomie. Zuletzt zeigte sich die Regierung in Ankara kompromissbereit. Kurdische Sprachinstitute sowie private Kurdischklassen erhielten bereits die Erlaubnis zum Unterrichten. Ebenso sind mittlerweile kurdischsprachige Fernsehprogramme zugelassen.

Aufseiten der Rebellen sowie der kurdischen Politik wurde allerdings Kritik laut, dass der Schritt nicht weit genug gehe. Sie beharrten auf ihrer Forderung nach Autonomie sowie nach einem vollständig in Kurdisch gehaltenem Unterricht.

(Der Standard: Türkische Regierung will Kurdisch als Wahlfach an Schulen erlauben, 12.6.2012;

http://derstandard.at/1338559377332/Tuerkische-Regierung-will-Kurdisch-als-Wahlfach-an-Schulen-erlauben Zugriff 4.1.2013)

Seit September 2009 dürfen Häftlinge mit ihren Besuchern Kurdisch sprechen, kurdische Dörfer, die türkische Namen erhalten hatten, dürfen wieder ihre originalen Namen zurückerhalten, und auch kurdische Namen sind seit 2003 erlaubt. Bezüglich der Namenswahl ist anzumerken, dass diese zwar frei ist, aber die vier im türkischen

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Alphabet nicht vorhandenen Buchstaben W, X, Q und î und die damit geschriebenen kurdischen Namen weiterhin nicht zugelassen werden.

(SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (Aurel Schmid): Türkei: Die aktuelle Situation der Kurden, 20.12.2010)

Während des Berichtszeitraumes [2011] erhöhten Polizei und Justiz den Druck auf Mitglieder der pro- kurdischen Partei des Friedens und der Demokratie (BDP). Menschenrechtsaktivisten und Parteifunktionäre behaupteten, dass die Behörden mehr als 4 000 Fälle gegen kurdische Politiker verfolgten. Die meisten Mitglieder wurden wegen angeblicher Verbindungen zur KCK, regierungskritischer Äußerungen oder wegen Unterstützung der PKK bzw. von Abdullah Öcalan untersucht und strafrechtlich verfolgt.

(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011;

24.5.2012)

Die türkische Regierung brachte am 12.11.2012 einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, mit dem die Verwendung der kurdischen Sprache vor Gericht zugelassen werden soll, wie türkische Medien berichteten. Dies ist eine Hauptforderung der kurdischen Hungerstreikenden in türkischen Gefängnissen sowie einiger kurdischer Parlamentsabgeordneter, die sich der Aktion angeschlossen hatten. Zudem fordern sie bessere Haftbedingungen für PKK-Chef Abdullah Öcalan.

(ORF.at: Kurdische Sprache vor Gericht, 13.11.2012;

http://volksgruppen.orf.at/diversitaet/aktuell/stories/173744/ Zugriff 15.1.2013)

Nach Aufforderung des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan haben mehr als 700 kurdische Gefangene in der Türkei im November 2012 einen seit 68 Tagen andauernden Hungerstreik beendet. Das teilte einer der Sprecher der Streikbewegung, Deniz Kaya, vom Gefängnis aus mit, wie die prokurdische Nachrichtenagentur Firatnews meldet. Kayas Bruder Mehmet hatte am Samstag den zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilten Öcalan getroffen und danach eine schriftliche Erklärung des Gründer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) veröffentlicht.

Darin hieß, die Hungerstreikaktion habe "ihr Ziel erreicht" und sollte "umgehend und ohne jedes Zögern"

eingestellt werden. Die Streikenden hatten unter anderem bessere Haftbedingungen für Öcalan sowie die Zulassung der kurdischen Sprache vor Gericht gefordert. Den Hungerstreik hatten am 12. September [2012]

etwa 60 Gefangene begonnen. Nach und nach schlossen sich ihnen landesweit immer mehr Häftlinge an.

(Welt.de: Über 700 Kurden in der Türkei beenden Hungerstreik, 18.11.2012;

http://www.welt.de/newsticker/news1/article111249190/Ueber-700-Kurden-in-der-Tuerkei-beenden- Hungerstreik.html Zugriff 15.1.2013)

"Hürriyet" hatte am Montag [31.12.2012] berichtet, Beamte des Geheimdienstes MIT seien am 23. Dezember zu einem vierstündigen Treffen mit Öcalan zusammengekommen. Ziel sei es, die PKK dazu zu bringen, die Waffen niederzulegen und den seit knapp drei Jahrzehnten andauernden Aufstand zu beenden, in dem bisher rund 45.000 Menschen getötet wurden.

Die türkischen Behörden haben zwei kurdische Abgeordnete zu dem seit 1999 inhaftierten Chef der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, vorgelassen. Wie der türkische Fernsehsender NTB berichtete, fand das Treffen am Donnerstag [3.1.2013] auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer statt, wo Öcalan inhaftiert ist. Bei den Volksvertretern, die mit Öcalan sprachen, handelt es sich dem Bericht zufolge um die Abgeordnete Ayla Akat Ata von der Partei für Frieden und Demokratie [BDP] sowie um den parteilosen Abgeordneten Ahmet Türk [ehemaliger Parteivorsitzender der DTP, die wiederum die Vorgängerpartei der BDP war; mittlerweile ist er unabhängiger Abgeordneter im türkischen Parlament].

Justizminister Sadullah Ergin rief laut einem Bericht des Senders HaberTürk dazu auf, den Besuch der Abgeordneten bei Öcalan nicht politisch zu instrumentalisieren. Falls dies versucht werde, komme eine

"Fortsetzung" der Kontakte nicht infrage, sagte Ergin. Anfang der Woche hatte Yalçin Akdogan, der Berater von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, bestätigt, dass kurz vor Weihnachten mit Öcalan über die Entwaffnung der Kurden-Rebellen verhandelt wurde. Bei dieser Gelegenheit verlangte Öcalan laut Informationen der Zeitung

"Hürriyet", dass er direkten Kontakt zu Vertretern der Kurden haben wolle.

(Der Standard: Kurdische Abgeordnete besuchten Öcalan in Haft, 4.1.2013;

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http://derstandard.at/1356426713552/Kurdische-Abgeordnete-besuchten-Oecalan-in-Haft Zugriff 4.1.2013)

Drei kurdische Aktivistinnen werden in Paris mit Schüssen in Leib, Genick oder Kopf tot aufgefunden. Unter ihnen ist auch eine Mitbegründerin der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die Türkei geht von einem Angriff auf die Friedensgespräche aus. Die Frauen waren am frühen Donnerstagmorgen [10.1.2013] erschossen in den Räumen des Kurdischen Instituts aufgefunden worden, das eng mit der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbunden ist.

In der Türkei gibt es derzeit neue Friedensgespräche zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan. Die türkische Regierung will erreichen, dass die PKK die Waffen niederlegt und führende PKK-Kader die Türkei verlassen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warnte vor Störungen der Gespräche. Es sei nicht klar, ob es sich bei der Tat um eine interne Abrechnung oder um das Werk von Gegnern der Friedensgespräche handele, zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu den Regierungschef am Donnerstag. Erdogan rief zur Ruhe auf, bis das Ergebnis der Ermittlungen vorliege.

(Frankfurter Rundschau: Entsetzen über Mord an Kurdinnen, 10.1.2013; http://www.fr- online.de/politik/frankreich-entsetzen-ueber-mord-an-kurdinnen,1472596,21429098.html Zugriff 15.1.2013)

Religion

Religionsfreiheit

Die Verfassung gewährleistet Religionsfreiheit, auch in der Praxis gewährleistete die Regierung dieses Recht im Allgemeinen. Trotzdem schränkten konstitutionelle Vorgaben dieses Recht ein. Die Regierung zeigte einen Trend zur Verbesserung des Respekts vor und Schutz des Rechts auf Religionsfreiheit.

Die Regierung erlegte muslimischen und anderen religiösen Gruppen Beschränkungen auf, einschließlich Einschränkungen muslimischer religiöser Ausdrucksformen in Behörden und staatlichen Institutionen, um den säkularen Staat zu bewahren. Behörden führten das umfassende Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden und Schulen weiter, obwohl das Verbot in Universitäten nicht vollzogen und in manchen Arbeitsstätten ganz ignoriert wurde. Mitglieder religiöser Minderheiten behaupteten, dass sie aufgrund ihres Glaubens an Karrieren in staatlichen Behörden gehindert wurden.

Religiöse Minderheiten hatten Schwierigkeiten bei der Glaubensfreiheit, Registrierung, Eigentumsrechten und bei der Ausbildung ihrer Anhänger und Geistlichen. Obwohl religiöse Reden und Meinungen legal sind, sahen sich einige Muslime, Christen und Bahais Einschränkungen und vereinzelter Belästigung wegen angeblicher Missionierung oder Bereitstellung religiösen Unterrichts von Kindern gegenüber.

Es gab Berichte über gesellschaftliche Beleidigungen und Diskriminierung aufgrund religiöser Zugehörigkeit, Glaubens oder religiöser Ausübung. Viele Christen, Bahais, Juden und Aleviten sahen sich gesellschaftlichem Misstrauen und Argwohn gegenüber und bestimmte gesellschaftliche Gruppen äußerten weiterhin antisemitische Meinungen. Personen, die vom Islam konvertieren wollen, erfuhren manchmal gesellschaftliches Misstrauen und Gewalt seitens Verwandter und Nachbarn.

(US DOS - United States Department of State: 2011 International Religious Freedom Report - Turkey, 30.7.2012)

Die Verfassung sieht die positive und negative Religions- und Gewissensfreiheit vor (Art. 24). Sie gilt - wie alle Grundrechte - in Verbindung mit Art. 14, der den Missbrauch der Grundrechte regelt (insbesondere "Gefährdung der unteilbaren Einheit von Staatgebiet und Staatsvolk, des Laizismus oder der Demokratie"). Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt; individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen (z.B. bei Anstellungen im öffentlichen Dienst) kommen vereinzelt vor. Das Kopftuchverbot an den Universitäten besteht de jure weiterhin, ist de facto jedoch durch eine Entscheidung des Hohen Hochschulrates YÖK 2010 aufgehoben worden.

Die nach türkischer Lesart nicht vom Lausanner Vertrag erfassten religiösen Gemeinschaften, darunter auch römisch-katholische und protestantische Christen, haben keinen eigenen Rechtsstatus. Sie können sich als Verein und, nach umstrittener Auslegung des 2008 verabschiedeten Stiftungsgesetzes, auch in Form einer Stiftung organisieren. Eigentumserwerb ist in den genannten Rechtsformen möglich. Das am 20.02.2008 verabschiedete Stiftungsgesetz erleichtert die Situation von religiösen Minderheiten. Es ermöglicht u. a. die Rückgabe von

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Teilen der seit 1974 enteigneten Immobilien und Grundstücke an die Stiftungen der von der Türkei anerkannten nicht-muslimischen Minderheiten. Das Gesetz ermöglicht auch wirtschaftliche Beteiligungen im Ausland sowie den Erwerb weiteren Eigentums ohne neue Genehmigungen. Zahlreiche Arten von Eigentumsverlust werden von dem Gesetz jedoch nicht abgedeckt (insbesondere Erwerb durch Dritte und Untergang des Eigentums). Alle nicht-muslimischen religiösen Gemeinschaften, also auch die anerkannten religiösen Minderheiten, können - trotz entsprechender Rechte im Lausanner Vertrag - de facto in der Türkei keine Geistlichen ausbilden. Die türkischen Behörden sind bereit, durch Einbürgerungen ausländischen Geistlichen die Übernahme von innerkirchlichen Ämtern, die die türkische Staatsangehörigkeit voraussetzen, zu erleichtern.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

Per Gesetzeserlass hat die Regierung [2011] die Rückgabe des nationalisierten Eigentums der Minderheiten beschlossen. Alle Immobilien der Stiftungen der Minderheiten, die seit 1936 unter verschiedenen Vorwänden und nicht zuletzt aus Gründen der "nationalen Sicherheit" enteignet wurden, sollen zurückgegeben werden. Es geht um rund 1400 zum Teil recht ansehnliche Immobilien fast ausschließlich in sehr guter Lage in Istanbul.

Darauf stehen Kirchen, Schulen, Brunnen, Krankenhäuser, Hotels, Wohnhäuser, sogar Moscheen und andere Gebäude. Mit dieser Entscheidung ist die Türkei erstmals über ihren Schatten gesprungen und hat sich bereit erklärt, nicht nur die heute in staatlichem Besitz befindlichen Grundstücke zurückzugeben, sondern auch für vom Staat mittlerweile an Dritte veräußerte Grundstücke "zum Marktpreis" Entschädigung zu zahlen. Dies ist ein teures Zugeständnis, zu dem die politische Führung bisher nicht bereit war. Minderheitenvertreter erklärten, dass sie langfristig zwar mit einer solchen Entscheidung gerechnet hätten - schließlich hatte die Türkei schon in der Vergangenheit Prozesse über die Immobilien-Restitution vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg verloren. Einen derart schnellen Entschluss hatte man aber nicht erwartet.

(Die Presse: Türkei: Rückgabe von Kircheneigentum, 29.8.2011;

http://diepresse.com/home/panorama/religion/689204/Tuerkei_Rueckgabe-von-

Kircheneigentum?_vl_backlink=/home/index.do Zugriff 15.1.2013 / Europäische Kommission: Türkei - Fortschrittsbericht 2012; 10.10.2012)

Die Glaubens- Gewissens und Religionsfreiheit wurde weiterhin im Allgemeinen respektiert. Einigen Kirchenoberhäuptern wurde Polizeischutz bereitgestellt und einige Kirchen bekamen Polizeischutz während der Messen.

Religions- und Ethikunterricht sind in der Primär- und Sekundarstufe weiterhin verpflichtend. Nicht- muslimische Gemeinden haben teilweise Probleme aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit der Religionsgemeinschaften. Das im Mai 2010 vom Ministerpräsidenten verschickte Rundschreiben, das die relevanten Behörden anwies, den Problemen der nicht-muslimischen Gemeinden gebührend Aufmerksamkeit zu schenken wurde nicht immer konsequent angewendet.

Missionare werden weiterhin als Gefahr für die staatliche und muslimische Integrität gesehen. Die Ausbildung von Geistlichen blieb eingeschränkt.

(Europäische Kommission: Türkei - Fortschrittsbericht 2012; 10.10.2012)

Am 01.07.2010 verabschiedete das türkische Parlament das neue Gesetz über das Diyanet [Anm.: die Religionsbehörde, Amt für Religiöse Angelegenheiten]. Dadurch hat die Behörde den Status eines Staatssekretariats erhalten und ist dem Ministerpräsidialamt zugeordnet, wohingegen sie früher eine einem Ministerium nachgeordnete Behörde war. Der Gesetzesnovelle zufolge verfügt der Präsident der Behörde (Amtszeit 5 Jahre) nur noch über drei Stellvertreter (vorher fünf) in sieben Generaldirektionen (vorher 30 Referate). Darüber hinaus ist eine Personalaufstockung von ca. 8.500 Stellen zu den 100.000 vorhandenen vorgesehen, vor allem für Imame für die derzeit 9.000 vakanten Moscheen.

In der Praxis ist die individuelle Glaubensfreiheit weitestgehend gewährleistet; über staatliche Repressionsmaßnahmen, die auf dem individuellen Glaubensbekenntnis des Einzelnen beruhen, liegen keine Berichte vor. Klagen über berufliche Nachteile gibt es insofern, als Angehörige von nichtmuslimischen Minderheiten am Zugang zum Staatsdienst be- oder gehindert werden.

Fälle von Muslimen, die zum Christentum konvertierten, sind besonders aus den Städten im Westen der Türkei bekannt. Rechtliche Hindernisse beim Konvertieren bestehen nicht. Jedoch gibt es Kreise, die Formen des Praktizierens des Christentums als christliche Missionierung und "religiöse Propaganda" mit großem Misstrauen

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betrachten. Immer wieder erscheinen tendenziöse Artikel in der Presse, die der Öffentlichkeit eine vermeintliche Bedrohung suggerieren, die in keinem Verhältnis zu der geringen Zahl der insgesamt ca. 110.000 Christen steht.

In den vergangenen Jahren traten nach offiziellen Angaben aber nur wenige Dutzend Türken zum Christentum über. Es wird jedoch vermutet, dass die Zahl aufgrund des Anwachsens der Freikirchen höher liegt. Eine konkrete Gefahr für Konvertiten in der Türkei durch Muslime besteht nicht. "Eine echte Gefahr für Leib und Leben droht auch nicht von islamistischen Extremisten". Eher ist mit Ausschluss aus der Familie und gezielter Ausgrenzung durch das private Umfeld zu rechnen. Konvertiten haben in der Gesellschaft und vor allem in ihren Familien einen schweren Stand.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern, August 2011)

Übergriffe auf AlevitInnen oder nicht-muslimische VertreterInnen finden vereinzelt statt und werden mit unterschiedlicher Intensität (Abhängig von den lokalen Behörden und Gerichten) verfolgt und geahndet.

Renommierte Forschungsinstitutionen berichten jedoch von einem eindeutigen Rückgang an tätlichen oder gar tödlichen Übergriffen aus religiösen Motiven; auch in der öffentlichen Meinung werden solche Vorkommnisse breit verurteilt.

Die dzt. Regierung ist bemüht, den Religionsdialog grundsätzlich zu fördern; zu einer grundsätzlichen Änderung der Gesetzeslage hat dies jedoch nicht geführt. Positiv ist auch die zunehmende Renovierung bzw. vereinzelte Neubauten von Kirchen zu verzeichnen.

(ÖB Ankara: Asylländerbericht, 19.12.2012)

Religiöse Gruppen

Je nach Quelle leben in der Türkei zwischen 72 und 77 Millionen Menschen. Mindestens 70% der Bevölkerung sind ethnische Türken, knapp 20% Kurden und der Rest verteilt sich auf andere kleinere ethnische Gruppen.

99% der Bevölkerung sind muslimischen Glaubens, die Mehrheit sind Hanefiten (sunnitisch), es gibt aber auch einen beträchtlichen Anteil an Aleviten (ca. 15 Millionen Menschen). Weiters leben in der Türkei ca. 60.000 armenische Christen, ca. 23.000 Juden, 15.000 syrisch-orthodoxe Christen, 10.000 Baha'i, ca.

3.500 bis 4.000 griechisch-orthodoxe Christen, ca. 2.000 Jesiden, ca. 2.500 Protestanten verschiedener Denominationen sowie einige Angehörige der römisch-katholischen Kirche. Die Türkei versteht sich als laizistischer Staat, was eine strenge Trennung zwischen Religion und Politik bedeutet. Das Amt für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) kontrolliert die religiösen Belange. Der Lausanner Vertrag von 1922/1923 regelt in den Artikeln 38 bis 45 ausschließlich die Rechte religiöser Minderheiten.

(BAA - Länderinformation Nr. 12 der Staatendokumentation: Minderheiten in der Türkei: Die Kurden, Juli 2011)

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur

"Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der in Art. 37 bis 44 des Lausanner Vertrages niedergelegte, aber nicht auf bestimmte Gruppen festgeschriebene Schutz allerdings nur auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 3.000) und die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) sowie die jüdische Gemeinschaft (ca. 27.000). Nicht umfasst sind z.B. die syrisch-orthodoxe Religionsgemeinschaft sowie Katholiken und Protestanten.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

Seit der letzten Parlamentswahl im Juni 2011 traf sich die türkische Regierung regelmäßig mit Vertretern unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, der kurdischen Gemeinschaft, der Zivilgesellschaft und Verfassungsexperten. Im Februar 2012 überreichte der Griechisch-Orthodoxe Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. der Verfassungskommission ein 18 Seiten starkes Schriftstück mit Vorschlägen für den verfassungsrechtlichen Schutz für religiöse Minderheiten und Religionsfreiheit für die neue Verfassung.

Religiöse Minderheitsgemeinschaften, einschließlich dem Ökumenischen und Syrischen Patriarchen, dem

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Oberrabbiner und alevitischen Repräsentanten, haben dies begrüßt und sind voller Hoffnung, dass diese Reformen Eingang in die neue Verfassung finden.

(USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom: 2012 Annual Report - Turkey, März 2012)

Aleviten

Das Alevitentum gilt als eine tolerante, weltoffene Religion. Die historischen Ursprünge sind unklar, auch die Zugehörigkeit zum Islam ist umstritten - sogar unter einigen Aleviten selbst. Frauen genießen weitgehend Gleichberechtigung, sie feiern gemeinsam mit den Männern den Gottesdienst (Cem) und sind auch keinen Kleidungsvorschriften unterworfen. Das Sprichwort "Schütze die Reinheit deiner Zunge, deiner Hand und deiner Lende" beschreibt das alevitische Moral- und Ethikverständnis besonders gut.

Aleviten berichten selbst, dass sie ihre Religion in der Türkei relativ frei ausüben können. Angeprangert wird von ihnen jedoch die Nicht-Anerkennung als religiöse Minderheit durch den Staat. Damit geht Hand in Hand, dass ihre Cem-Häuser (Cemevi) von der Regierung nicht als Gotteshäuser betrachtet, sondern als

"Kulturzentren" bezeichnet werden. Dadurch fallen auch Kosten an, die bei sunnitischen Moscheen von der Religionsbehörde Diyanet übernommen werden (als Beispiel, die Gehälter der Imame, oder auch Strom- oder Wasserkosten). Die Diyanet wird aus Steuereinnahmen aller türkischen Staatsbürger - egal welcher Religion sie angehören - finanziert. Umgekehrt jedoch unterhält die Religionsbehörde aber eben nur Einrichtungen des sunnitischen Islam. Zu erwähnen sind hier aber die zwei Stadtverwaltungen Kusadasi und Tunceli, die einstimmig beschlossen haben, dass alevitische Cem-Häuser in ihrer jeweiligen Gesetzgebung, als Gotteshäuser betrachtet werden und somit kostenlos Wasser und Strom zur Verfügung gestellt wird, genauso wie den anerkannten Moscheen. Dies kann als Zeichen für den guten Willen zur Zusammenarbeit mit den alevitischen Mitbewohnern gewertet werden.

Auch die Tatsache, dass alevitische Kinder den verpflichtenden (sunnitischen) Religions- und Ethikunterricht besuchen müssen, wird von den Aleviten bekrittelt. Aber auch hier haben mittlerweile drei Verwaltungsgerichte (Antalya, Ankara und Istanbul) beschlossen, die alevitischen Kinder vom Unterricht auszunehmen. Auch eine ähnliche Rechtsprechung in Izmir wurde vom Staatsrat bestätigt.

Die türkische Regierung hat in den letzten Jahren, vor allem seit 2008 mithilfe symbolischer Gesten versucht, die Probleme und Forderungen der Aleviten zu thematisieren. Zum Beispiel nahm der türkische Kulturminister bei der Eröffnungszeremonie des ersten alevitischen Institutes teil und entschuldigte sich öffentlich für die Leiden, die Aleviten in der Vergangenheit durch den Staat erdulden mussten. 2009 nahm der Premiereminister am alevitischen Fastenbrechen teil und im selben Jahr wurden vierteljährlich Workshops abgehalten, um die Probleme und Erwartungen der Aleviten offen anzusprechen. Dies wurde im Großen und Ganzen gut von der alevitischen Gemeinde aufgenommen. Ein öffentlich-rechtlicher Sender zeigte mehrere Sendungen über die alevitischen Muharram-Feierlichkeiten.

(BAA-Analysen der Staatendokumentation: Aleviten in der Türkei, 29.10.2010)

Mit schätzungsweise 15-20 Millionen bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Die Aleviten werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt; sie können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Ihre Möglichkeiten zur Errichtung religiö-ser Stätten hatte sich 2008 leicht verbessert; verschiedene Stadtverwaltungen hatten den alevitischen Gebetsstätten "Cem-Haus" (Cem-Evi) die Gleichstellung mit Moscheen, insbesondere verminderte Wasser- und Stromkosten, ermöglicht. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser als religiöse Stätten an. Der Kassationsgerichtshof entschied im Juli 2012, dass Cem-Häuser nicht als religiöse Stätten anzuerkennen sind und hob die anderslautende Entscheidung des Ausgangsgerichts Ankara auf. Der Antrag eines alevitischen Abgeordneten, im türkischen Parlament neben der bestehenden Moschee auch ein Cem-Haus einzurichten, wurde ebenfalls im Juli 2012 abgelehnt. Die Basis beider Entscheidungen sind Gutachten der staatlichen, sunnitisch geprägten Religionsbehörde Diyanet. Die 2009 seitens der türkischen Regierung gestartete Reihe von

"Aleviten-Workshops" mit alevitischen Vertretern, Wissenschaftlern, Religionsbeamten und Journalisten wurde bis Anfang 2010 fortgeführt. Ein Ergebnisbericht mit konkreten Handlungsoptionen wurde dem Ministerpräsidenten vorgelegt und nach mehr als einem Jahr unmittelbar vor den Parlamentswahlen am 12. Juni 2011 veröffentlicht. Bisherige Ergebnisse sind die Verstaatlichung des Madimak-Hotels in Sivas und die Überarbeitung des Curriculums des in Grund- und Mittelschule verbindlichen Religionskunde-Unterrichts. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v.a.:

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Anerkennung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, Verwendung alevitischer Steuern für Cem-Häuser statt für Moscheen, Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen "Religions- und Gewissenskunde"-Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Beendigung einer perzipierten Sunnitisierungspolitik.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)

Rechtsschutz

Justiz

Die türkische Judikatur ist auf vier Säulen, den Straf- und den Zivilgerichten, der Verwaltungs- und der Militärgerichtsbarkeit (dessen Kompetenzen mittlerweile durch die AKP-Regierung stark geschwächt wurden) aufgebaut.

Die ordentlichen Gerichte sind für Straf- sowie Zivilgerichtsbarkeit zuständig. Das türkische Zivil- und Strafgerichtswesen ist de facto zweistufig, da es gegenwärtig nur eine Berufungsinstanz - den Kassationshof - gibt.

Die Verfassung nennt an Obersten Gerichten weiters das Verfassungsgericht, Staatsrat, Militärkassationshof, den Hohen Militärverwaltungsgerichtshof und den Konfliktsgerichtshof.

Die Staatssicherheitsgerichte wurden zwar abgeschafft, stattdessen gibt es aber acht "Große Strafgerichte mit Sondervollmacht". Es sind

v. a diese Gerichte, denen Menschenrechtsaktivisten vorwerfen, die staatlichen Sicherheitsinteressen überprortional vor das individuelle Freiheitsrecht zu stellen. Urteile der Staatssicherheitsgerichte können aber bereits wieder aufgenommen werden. In vielen Fällen kommt es dann auch zum Freispruch, da die damaligen Regelungen für die Beweismittelsicherung heute nicht mehr zeitgemäß und zutreffend sind.

Die Regierung kündigte 2012 an, eben diese "Großen Strafgerichte" aufzuheben und durch 29 "Regionalgerichte für schwere Straftaten" zu ersetze. Diese Maßnahmen wurden begonnen. Problematisch ist v.a. die Neubesetzung dieser Gerichte (es würden etwa 700 neue Richter benötigt) und zwischenzeitlich ein paralleles System an Sondergerichten bestehen bleiben wird, da bereits bestehende Verfahren von den bisherigen "Großen Strafgerichten" abzuschließen wären.

Um die - in der Regel sehr lange - Verfahrensdauer zu kürzen,

wurde ein Schlichtungsverfahren im Zivilrecht eingeführt und die Anforderungen der Revisionsklagen erhöht

sollen Bezirksgerichte als Berufungsinstanz auf regionaler Ebene - als Zwischeninstanz zwischen der ersten Instanz und dem Kassationshof - gegründet werden, wodurch das Gerichtswesen dreistufig werden würde.

Insbesondere bei Anti-Terrorismus relevanten Verfahren kann eine U-Haft mehrere Jahre dauern. Amtlichen Statistiken zufolge waren 2011 127.042 Personen in Haft, 1/3 davon ca. in U-Haft.

Mehrere Reformen brachten eine deutliche Verbesserung der rechtlichen Standards (Rechtshilfe, Verfahrensregelungen, div. Legaldefinitionen). Die Umsetzung dieser Bestimmungen, so das türkische Justizministerium, sei in manchen Regionen der Türkei noch nicht zufriedenstellend.

(ÖB Ankara: Asylländerbericht, 19.12.2012)

Gesetzlich ist eine unabhängige Justiz garantiert, diese war jedoch gelegentlich von Außen beeinflusst. Das Gesetz verbietet der Regierung Anordnungen oder Empfehlungen zu erteilen, die die Ausübung der richterlichen Gewalt betreffen. Der "Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte" kontrolliert die Gerichtshöfe der niederen Instanzen und wählen die Richter und Staatsanwälte der höheren Gerichte aus. In diesem Sinne lenkt er die Karrieren von Richtern und Staatsanwälten durch Ernennungen, Beförderungen, Versetzungen und ähnliches.

Es gibt eine unabhängige und unparteiische Justiz in Zivilsachen. Laut Gesetz haben alle Bürger das Recht, einen Zivilrechtsfall zur Kompensation von physischem oder psychologischem Schaden einzureichen, hierzu

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