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Schriftliche Ausfertigung des am mündlich verkündeten Erkenntnisses

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Academic year: 2022

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Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 16.03.2018

Geschäftszahl W186 2014236-1

Spruch

W186 2014236-1/20E

Schriftliche Ausfertigung des am 15.12.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. VR China, vertreten durch die Caritas Wien, Mag. Karoline OBERHOFER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2014, Zahl 1032885404-140067585, zu Recht erkannt.

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgehalten, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in weiterer Folge: BF), eine chinesische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe Tujia, stellte am 14.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, zu dem sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.

Dabei gab die BF an, ledig zu sein und im Herkunftsstaat die Grundschule von 1993 bis 1996 besucht zu haben.

Sie sei am 12.10.2014 legal mit ihrem Reisepass und einem Touristenvisum eingereist und habe noch am Flughafen ihren Reisepass einem Schlepper abgegeben. Zu ihren Fluchtgründen gab sie an, dass sie von ihrem damaligen Freund mit dem Tode bedroht worden sei und deshalb das Land verlassen habe.

2. Am 24.10.2014 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) eine niederschriftliche Einvernahme unter Beiziehung einer Dolmetscherin der chinesischen Sprache statt. Hierbei gab die BF an, gesund zu sein. Sie habe keine Geschwister, ihr Vater sei 1996 verstorben, die Mutter habe abermals geheiratet und die BF pflege keinen Kontakt zu ihr. Auch mit sonstigen Familienmitgliedern habe sie keinen Kontakt. Sie sei ledig und habe keine Kinder. Nach ihrem Grundschulbesuch habe die BF im Herkunftsstaat als Kellnerin und Babysitterin gearbeitet. Zum einem späteren Zeitpunkt habe sie einen Mann kennen gelernt, der für ihren Lebensunterhalt aufgekommen sei. Sie sei schwanger geworden und der Kindesvater habe sie gezwungen, das Kind abzutreiben. Die BF gab an, in ihrem Heimatland niemals politisch

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tätig gewesen zu sein. Sie habe in China allerdings wegen diesem Mann Probleme gehabt. Er sei ein Beamter und Vizebürgermeister von XXXX gewesen und habe jemanden ermordet gehabt. Sie habe ihren Mann dann angezeigt. Als er das erfahren habe, habe er begonnen, sie zu bedrohen und zu misshandeln. Die BF sei sodann nach Shanghai geflohen, doch selbst dort sei sie von diesem Mann gefunden worden. Aus Angst vor ihrem Mann habe sie das Land verlassen.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 27.10.2014, der BF zugestellt am 30.10.2014, wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF vom 14.10.2014 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen. Unter einem wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig ist (Spruchpunkt III.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Die belangte Behörde legte das Fluchtvorbringen der BF ihrer Entscheidung zugrunde und führte in der rechtlichen Beurteilung aus, dass die von der BF geschilderten Vorfälle bzw. die von ihr vorgebrachte Gefährdung aufgrund des Scheiterns einer angeblichen Liebesbeziehung zu einem hochrangigen Politikers als nicht glaubhaft zu werten seien und die BF darüber hinaus angegeben habe, keine Probleme mit staatlichen Behörden oder Institutionen gehabt zu haben. Sie habe daher nicht glaubhaft machen können, dass ihr in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK drohe oder sie einer wohlbegründeten Furcht vor solcher ausgesetzt gewesen sei. Aufgrund des Umstandes, dass die BF gesund und arbeitsfähig sei, könne sie im Falle ihrer Rückkehr eine neue Existenz aufbauen, weshalb davon auszugehen sei, dass ihr im Falle einer Rückkehr in die VR China in diesem Zusammenhang keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention drohe. Aufgrund der erst kurzen Zeit, in der sie die BF in Österreich aufhalte, und der Tatsache, dass sie weder über einen eigenen Wohnsitz noch über darüberhinausgehende Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfüge, sie die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht in Betracht gekommen.

Mit Verfahrensanordnung vom 28.10.2014 wurde der BF die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig zur Seite gestellt. Am selben Tag wurde der BF auch das Informationsblatt über die Verpflichtung zur Ausreise ausgestellte.

6. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren bevollmächtigten Vertreter fristgerecht Beschwerde. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF von ihrem Freund mehrmals misshandelt worden sei. Sie habe versucht, diesem Mann zu entkommen, was ihr allerding nicht gelungen sei. Der Mann habe die BF stets verfolgt und bedroht. Aufgrund der kurzen Einvernahme vor dem Bundesamt habe man sich kein Bild zu den Fluchtgründen machen können. Die belangte Behörde habe es verabsäumt, sich mit der konkreten Situation der BF und der aktuellen Situation in China auseinanderzusetzen. Neben der Asylgewährung wurde die Gewährung von subsidiärem Schutz, allenfalls die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, die Gewährung der aufschiebenden Wirkung, die Bestellung eines landeskundlichen Sachverständigen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Feststellung der Unzulässigkeit der Ausweisung beantragt.

7. Das Bundesamt legte am 13.11.2014, hg. eingelangt am 17.11.2014 die Beschwerde vor. Das Verfahren wurde der Gerichtsabteilung W171 zugeteilt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.01.2016 eine mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm.

Die Verhandlung gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

"Es ist richtig, ich heiße XXXX , bin am XXXX in China geboren, ledig, ohne Bekenntnis und gehöre der Volksgruppe der Tujia an. Ich bin chinesische Staatsangehörige. Ich halte meine Angaben, die ich bisher im Verfahren gemacht habe, weiter vollinhaltlich aufrecht. Ich bin gesund und nehme keine Medikamente.

Wenn ich gefragt werde, ob ich noch Verwandte in China habe, gebe ich an: Mein Vater ist bereits verstorben.

Er hatte eine Schwester. Diese ist nicht in unserem Gebiet geblieben, sie hat geheiratet und es bestand zu ihr nie Kontakt. Meine Mutter hat mich in jungen Jahren verlassen, nämlich nach dem Tod meines Vaters. Ich war noch

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sehr jung und habe bei meiner Großmutter väterlicherseits gelebt. Meine Mutter hat wieder geheiratet und ist fortgegangen. Auch zu ihr besteht kein Kontakt. Sonst habe ich keine weiteren Verwandten in China.

Meine Großmutter ist bereits verstorben.

Ich bin ungefähr 13 Jahre alt gewesen, als ich von meiner Großmutter weggegangen bin. Zuerst habe ich Babysitter gemacht, drei Jahre lang. Ich habe seinerzeit meine Großmutter verlassen und habe gejobbt als Babysitterin. Während dieser Zeit ist meine Großmutter verstorben. Ich habe dann auch dort gewohnt, wo ich babygesittet habe. Ich hatte dort zwei Kinder zu betreuen. Eines war zwei Jahre alt und das andere sechs Jahre alt. Es war ein Bub und ein Mädchen. Danach habe ich zwei Jahre lang in einem Hotel im Service gearbeitet. Ich habe damals in einer Personalwohnung gelebt. Danach habe ich bei einer Firma, die "KTV" heißt, gearbeitet. Es handelte sich dabei um eine Kette von Karaoke-Bars. Dort habe ich ungefähr ein Jahr gearbeitet. Dabei habe ich bei einem Arbeitskollegen gewohnt. Ich war Kellnerin. Im Jahr 2004 habe ich dann meinen Freund kennengelernt. Ich habe meinen Freund in der Karaoke-Bar kennengelernt. Er ist dort manchmal hingekommen.

Mein Freund war ein Geburtsjahrgang 1964 und somit doch um einiges älter als ich. Er kam einige Male in die Bar und hat mich dann auch mitgenommen irgendwohin, etwas zum Einkaufen und hat mich dazu eingeladen.

Ungefähr vier Monate später hatte er dann eine Wohnung für mich angemietet. Ab diesem Zeitpunkt, als ich in die Wohnung kam, habe ich nicht mehr gearbeitet und er hat gesagt, er werde sich scheiden lassen. Anfangs habe ich nicht gewusst, dass er verheiratet ist. Mein Freund kam unregelmäßig, ich kann nicht sagen, wie oft er in der Woche gekommen ist. Er hatte auch seine Arbeit. Anfangs kam er täglich, dann wurde es weniger. Innerhalb der 10 Jahre habe ich drei Mal ein Kind abgetrieben. Beim ersten Kind sagte er, er wollte es nicht haben und wir haben es dann abtreiben lassen, das zweite Kind war eine Totgeburt und beim dritten Kind hatte er mich zur Abtreibung bedroht. Ich habe mit meinem Freund schon über Kinder gesprochen. Er ist Beamter und darf als Beamter nur ein Kind haben. Er hatte bereits ein Kind. Er hat mir anfangs schon versprochen, dass er mit mir leben würde, mich heiraten würde und auch eine Familie gründen würde. Mir ist erst nach der Totgeburt meines Kindes (zweiten Kindes) im Jahr 2008 klar geworden, dass seitens meines Freundes im Hinblick auf Familiengründung und Heirat es wohl nicht den Tatsachen entsprechen wird. Nach 2008 hat er mir so klargestellt, dass er ein Kind hat und da war ich im Jahr 2013 wieder schwanger und wollte ich das Kind behalten, weil ich gesehen habe, dass ich auch nicht mehr so jung bin und er wollte es unbedingt nicht. Ich würde es insofern ausdrücken, dass die Verhütungsfrage zwischen meinem Freund und mit mir nicht endgültig geklärt war. Er war mein erster Freund, ich hatte keine Erfahrung. Mein Freund war so etwas wie Bezirksvorsteherstellvertreter und wurde auch dann befördert. Mein Freund hatte einen guten Posten, er hat nicht so viel gearbeitet, er war auch korrupt. Er war Politiker. Ich würde sagen, der Name meines Freundes sagt den Leuten in der Umgebung schon etwas. Er ist dann befördert worden und in die Stadt gekommen. Ob er dort noch arbeitet oder ob sie ihn schon festgenommen haben, kann ich nicht sagen. Nach der dritten Abtreibung kam er immer weniger zu mir. Anfangs war er zu mir sehr treu, nachher nicht mehr. Ich denke, er ist dieser Typ. Ich glaube, er hatte dann eine andere. Es kann sein, dass diese andere oder diese anderen käuflich gewesen sind.

Mein Freund hat sich öffentlich mit mir kaum gezeigt, lediglich im privaten Bereich beim Einkaufen, dies aber sehr selten. Ich habe die Frau meines Freundes nur einmal gesehen, als sie mit sechs weiteren Fremden meine Wohnung devastiert haben. Sie hat sich damals bei mir auch vorgestellt. Ich habe einmal versucht, von ihm wegzugehen, das war im Mai 2013. Ich bin mit dem Zug nach Peking gefahren und wurde verfolgt. Dann habe ich versucht, nach Shanghai zu fahren und wurde wieder von jemandem zurückgebracht. Wenn ich hierzu genauer befragt werde, gebe ich an:

Ich habe mich entschlossen, ihn zu verlassen, habe ein paar Sachen gepackt und bin zum Bahnhof gefahren. Der Bahnhof ist nicht weit, ich bin zu Fuß gegangen. Ich habe mir dann eine Fahrkarte gekauft und habe mich glaublich zu Mittag in einen Zug gesetzt. Dieser Zug fuhr 22 Stunden bis Peking. Im Zug habe ich bemerkt, dass mir jemand folgt und ich bin dann ausgestiegen und mit einem anderen Zug in Richtung Shanghai gefahren. Ich bin bis Peking gefahren und in Peking am Bahnhof ausgestiegen. Ich habe erst in Peking beim Aussteigen bemerkt, dass ich verfolgt werde. Es waren zwei von seinen Leuten. In Peking habe ich noch nicht gewusst, wie viele mich insgesamt verfolgen. In Shanghai wusste ich dann, dass es zwei waren. Ich habe mir gedacht, ich werde hier in Peking gesucht, da fahr ich nach Shanghai, vielleicht suchen sie mich dort nicht. Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich dann nach Shanghai gefahren bin, es ist nicht so weit, wie ich damals von Zuhause nach Peking gefahren bin. Ich hatte in Peking Angst, ich wollte gleich weg. Die Fahrkarte habe ich im Zug nach Shanghai erst gekauft. Ich bin dann zwei Nächte in Shanghai geblieben. Gebucht habe ich in einem Hotel, das "7 Tage" heißt. Es handelt sich dabei um eine Hotelkette. Bei mir Zuhause gibt es kein derartiges Hotel, ich habe diese Hotelkette aber vom Sehen her gekannt. Ich bin dann in Shanghai vor einer Bank von zwei Männern aufgeschnappt worden. Ich habe die zwei Männer vorher noch nicht gesehen. Wenn ich gefragt werde, wie es denn sein kann, dass zwei Männer in einer Millionenstadt wie Shanghai mich so leicht identifizieren können, gebe ich an: Ich habe ja gesagt, mein Freund hatte ein sehr breites Netz. Wenn mir vorgehalten wird, dass einerseits mein Freund versucht hat, mich nicht in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, und andererseits er mich mit meinem Aussehen und meinem Namen wohl bekannt machen musste, damit man mich suchen kann, gebe ich an: Es handelte sich dabei um seine unmittelbaren Handlanger, die mich eben schon kannten. Als mich die zwei Männer aufgegriffen haben, war das Kreditinstitut noch geöffnet und es waren auch andere Personen

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auf der Straße. Die beiden hatten keine Waffen, sie haben mir allerdings angedroht, dass sie mir einige Knochen brechen könnten, wenn ich ihnen nicht folgen würde. Ich bin dann ohne Gegenwehr mitgegangen. Ich bin dann mit den beiden Männern mit dem Zug nach Hause gefahren. Es war ungefähr so weit wie nicht Peking sonst. Ich habe während der Zugfahrt zurück nicht den Gedanken gehabt, wieder zu flüchten, ich habe ja keinen Freund und ich war bereits in diesen großen Städten. Als ich von Shanghai zurückgekommen bin, war die Wohnung noch nicht in Unordnung gebracht, das war erst später. Zwischen meiner Rückkehr nach Shanghai und meiner endgültigen Ausreise ist mein Freund noch bei mir vorbeigekommen, aber nicht oft. Das war in einer Zeitspanne von über einem Jahr. In diesem Jahr ist er zumindest ein bis zweimal im Monat gekommen, manchmal war es auch öfter. Und manches Mal kam mein Freund betrunken nach Hause und hat mich dann auch mit Bierflaschen missbraucht. Ich habe dann im Juli 2014 in einem Kopiershop einen Brief diktiert. Der Mann aus dem Kopiershop hat nach Diktat händisch alles niedergeschrieben und es dann in den Computer getippt. Er hat es dann ausgedruckt und ich habe es abgegeben, anonym. In dem Brief habe ich über seine Tat, Korruption und Schmieren geschrieben. Unter dem Ausdruck "Tat" verstehe ich Folgendes: Er war für ein Straßenbauprojekt im Jahr 2011 zuständig und hat dieses durch Verwandte und Freunde von sich durchführen lassen. Er hat dabei hohe Kosten verzeichnen lassen. In Wahrheit waren die Ausgaben jedoch geringer, als das zu Verfügung gestellte und auch ausgenutzte Budget. Unter dem Schlagwort "Schmieren" verstehe ich, dass mein Freund sich für von ihm erbrachte Leistungen schmieren hat lassen und dieses Schmiergeld zum Teil auch an andere weitergegeben hat.

Es war einmal der Fall, dass jemand, der sich das Schmiergeld nicht leisten konnte, sich deswegen dann umgebracht hat. Mit dem Ausdruck "Korruption" verstehe ich, dass er sich einerseits schmieren lässt, andererseits aber auch andere Personen schmiert, damit schließlich und endlich eine Leistung zustande kommt.

Mein Freund hat mir wegen meines Briefes nichts gesagt, er dürfte es nicht gewusst haben. Es war seine Frau, die zu mir gekommen ist. Sie dürfte es gewusst haben. Ich war lang mit meinem Freund zusammen, es war daher so, dass ich vieles gewusst habe, er hat selbst viele Immobilien, davon hatte er auch einige geschenkt bekommen.

Ich habe diese Anzeige mit der Post geschickt. Ich gehe davon aus, dass die Männer, die in meine Wohnung gekommen sind, aufgrund der Anzeige zu mir gekommen sind.

Wenn mir der Richter mitteilt, dass er den Zusammenhang zwischen den Männern und der Ehefrau und dem Brief nicht herstellen kann, gebe ich an: Die zwei Männer, die mich in Shanghai mitgenommen haben, waren bei den Männern in meiner Wohnung auch dabei. Ich glaube schon, dass mein Freund es gewusst hat, dass ich den Brief geschrieben habe. Anfangs vielleicht nicht, doch dann glaube ich, dass er die Männer in meine Wohnung geschickt hat. Mein Freund hat nach der Rückkehr aus Shanghai begonnen, besoffen zu sein, mich mit Bierflaschen zu missbrauchen und mich aber auch kräftig zu schlagen. Ich habe ihm in dieser Zeit mitgeteilt, dass er das bereuen wird, wenn er mich schlecht behandelt. Ich glaube, dass er dann die Sache mit dem Brief auf mich bezogen hat.

Auf Befragung des Richters gebe ich an: Ja, ich bin in der Zeit nach meiner Rückkehr aus Shanghai von meinem Freund auch vergewaltigt worden.".

Infolge Unzuständigkeitseinrede der Gerichtsabteilung W 171 infolge Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung (§20 AsylG 2005) wurde das Verfahren der nunmehrigen Gerichtsabteilung W 186 zugeteilt.

Mit Schreiben vom 04.09.2016 teilte der Rechtsvertreter mit, dass die BF das Vertretungsverhältnis aufgelöst hat.

Mit Eingabe vom 21.09.2016 wurde seitens der CARITAS WIEN mitgeteilt, dass die BF diese mit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung bevollmächtigt hat. Unter einem wurde die Vollmacht beigelegt.

Mit Schreiben vom 21.09.2016 wurde seitens der rechtsfreundlichen Vertretung der BF eine Stellungnahme abgegeben, wonach ausgeführt wurde, dass die BF mittels eines Menschenhändlerringes nach Österreich gekommen sei. Aus Angst vor den Konsequenzen habe die BF den Tätern gefolgt. Sie sei von den Tätern instruiert worden, unwahre Angaben im Verfahren zu machen. Die BF sei derart unter Druck gesetzt worden, dass sie ihre wahren Fluchtgründe und die Umstände ihrer Flucht nach Österreich geheim halten habe müssen.

Die wahre Identität der BF laute XXXX , und ihr Geburtsdatum sei der XXXX . Sie sei geschieden und habe einen Sohn. Sie habe vor ihrer Ausreise aus China einen Mann über Wechat (chinesisches Pendant zu Whatsapp) kennen gelernt, der ihr vorgeschlagen habe nach Österreich zu gehen um dort als Masseurin zu arbeiten. Dieser Mann habe ihr für ca. EUR 14.000,-- einen Reisepass mit Visum besorgt. Die BF sei gemeinsam mit einer anderen Chinesin ausgereist. Sie seien nach Paris geflogen und dort von zwei Chinesen abgeholt worden um in weiterer Folge mit dem Zug nach München zu fahren. Dort seien sie von einem Asiaten abgeholt worden und mit einem Minibus nach Wien transportiert worden. In Wien angekommen sei der BF ihr Reisepass und ihr Personalausweis abgenommen worden. Am folge Tag habe die BF als Masseurin zu arbeiten beginnen müssen.

Bald darauf habe sie auch Geschlechtsverkehr mit den Kunden haben müssen. Von dem Geld, das die Kunden der BF bezahlten, habe sie selbst nichts bekommen. Aus Angst vor möglichen Konsequenzen habe sie sich ihrem Schicksal gefügt. Die BF sei von XXXX und XXXX , den beiden Chefs des Rotlichtlokals, instruiert worden,

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was sie bei ihrer Asylantragsstellung zu sagen habe und zur ehemaligen Rechtsvertretung der BF gebracht worden. Nach dem die BF 20 Tage in der EAST OST verblieben sei, wo sie zuvor ihren Asylantrag stellte, sei sie von XXXX wieder abgeholt worden und musste erneut im Rotlichtlokal arbeiten. Das Geld hätten die Kunden direkt an XXXX bezahlt, es sei lediglich ein Bruchteil an die BF abgegeben worden. In weiterer Folge habe die BF auch in Linz in einem Rotlichtlokal gearbeitet, wo sie die Hälfte ihres Lohnes an XXXX (im Milieu bekannt als " XXXX ") abgeben habe müssen. Ebenso habe sie mit " XXXX " schlafen müssen, wenn dieser dies wollte. " XXXX " habe der BF auch erzählt, dass er bereits wegen Mordes verurteilt worden sei. Nachdem die BF in Graz und Linz für " XXXX " gearbeitet habe, und durch ihren Freund verstanden habe, dass sie lediglich ausgenommen werde, sei sie untergetaucht. Daraufhin habe die BF Droh-SMS von " XXXX " bekommen, in welcher die BF aufgefordert worden sei, zu ihm zurückzukehren. Die BF sei daraufhin noch zwei Mal von "

XXXX " vergewaltigt worden und von ihm bedroht worden. Die BF sei als Opfer von Frauenhandel jedenfalls Mitglied einer sozialen Gruppe iSd Art. 1 GFK. Gegenständlich sei der Tatbestand des Menschenhandels erfüllt, da die BF von China nach Österreich verbracht worden sei, wo ihr bei Ankunft ihr Pass und ihr Personalausweis abgenommen worden seien. Die BF sei insofern getäuscht worden, als ihr in Österreich eine Arbeitserlaubnis und die Möglichkeit als Masseurin zu arbeiten versprochen worden sei. Die BF sei jedoch nach Österreich gebracht worden, um hier ausgebeutet zu werden, da sie als Prostituierte habe arbeiten sollen. Anfangs habe die BF von ihren Arbeitgebern gar keinen Lohn erhalten, später habe sie die Hälfte des Lohnes bekommen. Somit sei jedenfalls der Tatbestand des Menschenhandels gemäß Art. 3 des Palermo-Protokolls erfüllt. Im Fall einer Rückkehr bestehe für die BF jedenfalls die konkrete Gefahr, in China abermals von Mittelsmännern des kriminellen Netzwerkes verfolgt und ausgebeutet, eventuell erneut gehandelt werden zu können. Es gebe nach wie vor Verbindungen der Täter nach China. Diese Verfolgungsgefahr stelle jedenfalls eine reale Gefahr einer Gefährdung von Leib und Leben iSd Art. 3 EMRK dar.

Mit Eingabe vom 03.11.2016 teilte die rechtsfreundliche Vertretung der BF mit, dass auf Basis der von Seiten der BF getätigten polizeilichen Aussagen ein Ermittlungsverfahren gegen die Täter eingeleitet worden sei. Für den 09.11.2016 sei ein Termin zur kontradiktorischen Vernehmung der BF angesetzt. Die BF sei Hauptzeugin und daher für besonderer Wichtigkeit für das Verfahren. Die BF sei seitens der Kriminalpolizei an LEFÖ-IBF, der einzig staatlich angerkannten Opferschutzeinrichtung in Österreich, die Opfer von Frauenhandel berät und betreut, verwiesen worden, und sei seit 24.08.2016 in einer Notwohnung von LEFÖ-IBF untergebracht. Als Beilage wurden die jeweiligen Zeugeneinvernahmen vom 07.06.2016, 13.06.2016, 28.07.2016 sowie vom 22.08.2016 übermittelt.

Mit Schreiben der Caritas vom 04.11.2016 wurde mitgeteilt, dass die BF im Zeitraum 08.11. bis 08.12.2016 von Frau Maryam Alemi BA MA der Caritas vertreten werden.

Das BFA übermittelte am 21.02.2017 einen Aktenvermerk, wonach die BF ihre Identität im Zuge der polizeilichen Einvernahme am 23.01.2017 richtiggestellt hatte und die wahre Identität der BF auf XXXX , geb.

XXXX lautet.

Mit Eingabe vom 15.09.2017 wurde seitens der Rechtsberatung darüber informiert, dass die BF am 08.08.2017 geheiratet hat. Als Beilagen wurden die Heiratsurkunde sowie ein Auszug aus dem Heiratseintrag vorgelegt.

Mit Schreiben vom 16.10.2017 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung der BF die Änderung des Datensatzes der Antragstellerin im Fremdenregister gemäß § 27 Abs. 1 Z 2 DSG bezüglich des Namens und des Geburtsdatums, sodass der Name XXXX und das Geburtsdatum XXXX lautet.

9. Am 15.12.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der das Bundesamt unentschuldigt nicht teilnahm. Die Verhandlung gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

"RI: Trifft es zu, dass Sie in Österreich jetzt verheiratet sind?

BF: Ja.

RI: Ihr Ehemann ist nicht mitgekommen?

BF: Er konnte heute nicht kommen, aber er hat ein Schreiben mitgeschickt, das in weiterer Folge vorgelegt werden wird. (BFV)

RI: Wer von Ihrer chinesischen Familie lebt noch in China und zu wem haben Sie Kontakt?

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BF: Ich habe noch Eltern und einen jüngeren Bruder und einen Onkel und 3 Tanten und ein Kind.

RI: Bei wem lebt Ihr Sohn jetzt?

BF: Mit einer von den 3 Tanten.

RI: Haben Sie regelmäßig oder manchmal Kontakt zu Ihren Eltern oder zu der Tante, bei der Ihr Sohn lebt?

BF: Ja, mit meinem Sohn. Mit meinen Eltern hatte ich eine Telefonverbindung 2 oder 3 Mal im Monat. Mit dem Sohn bin ich über Video und Telefon im Kontakt.

RI: Wissen Ihre Eltern und Ihre Tanten was in Österreich passiert ist?

BF: Nein.

RI erklärt, dass sie sich auf die Mitteilung über anhängige Verfahren beim Bundeskriminalamt vom 03.11.2016 bezieht.

BFV: Es gibt nach wie vor ein laufendes Strafverfahren. Die Sache ist im Moment bei der Staatsanwaltschaft in Wels anhängig. Soweit mir bekannt ist wurden die Aussagen der BF für eine Anklage und weitere Ermittlungen verwendet. Ich glaube auch, dass es in diesem oder einem weiteren Zusammenhang auch mehrere Verhaftungen gibt.

BF: Ja, ich war zweimal bei der Polizei.

BFV: Ich hätte auch den Namen und die Telefonnummer der zuständigen Staatsanwältin. Es ist die Staatsanwältin XXXX Tel. XXXX .

RI: Wann sind Sie weggekommen aus diesem "Zwangszustand"? Wann war das ungefähr?

BF: Im Sommer 2015, ich kann mich an das Datum nicht erinnern.

BFV: Das geht sich glaube ich nicht ganz aus. Die erste Zeugenvernehmung war im Juni 2016.

RI:Als Sie das erste Mal bei mir waren, waren Sie da schon aus dieser Umgebung ‚heraus'?

BF: Aus dieser Umgebung heraus kam ich erst im August vorigen Jahres.

RI: Ich nehme auch an, dass Ihr jetziger Ehemann Sie dabei unterstützt hat?

BF: Ja.

RI: Ist nachher irgendetwas passiert, etwa dass die, mit denen Sie als Zwangsprostituierte arbeiten mussten, versucht haben Sie zu finden?

BF: Ja, sie haben mich angerufen und bedroht und mich vergewaltigt, nachdem ich diesen Chef verlassen hatte.

Auf Nachfrage wird bestätigt, dass dies bei der Polizei aktenkundig ist.

RI: Diese Aussagen, die Sie bei der Polizei gemacht haben, treffen diese alle zu? Ich werde sie so zum Akt nehmen.

BF: Das entspricht der Wahrheit.

RI: Das war im Juni 2016.

BF: Ja, aber ich bin dann erst im August nach Wien gekommen.

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RI: Ist seit damals, Juni 2016, noch etwas in diese Richtung passiert?

BF: Nachdem ich bei der Polizei war, war nichts mehr. Meine Telefonnummer war dann auch nicht mehr erreichbar.

BFV: Sie wohnt immer noch in einer "Schutzwohnung" von LEFÖ-IBF.

RI: Also sind Sie nach wie vor in einem Opferschutzprogramm?

BF: Ja. Ich habe dann, nachdem ich nach Wien gekommen bin, eine psychotherapeutische Behandlung angefangen und ich muss auch Medikamente nehmen.

RI: Haben Sie irgendeinen Arztbrief über die psychotherapeutische Behandlung mit?

BF: Ich habe einen Arztbrief, aber den habe ich nicht mit. Ich habe eine Visitenkarte von der Ärztin mit.

BF gibt an, dass sie folgende Medikamente einnimmt: Sertralin Genericon 50 mg und Zolpidem Hexal und der Name der behandelnden Ärztin lautet XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, 1030 Wien.

RI: In diesem Konvolut habe ich noch gefunden, dass am 09.11.2016 ein Termin zu einer Verhandlung angesetzt war, hat die Verhandlung stattgefunden?

BF: Ich weiß es nicht.

BFV: Ich glaube, dass zu einer Terminverschiebung gekommen ist und das war in Wels. Es dürfte damals um die Vergewaltigung gegangen sein.

BF: Ja, jetzt erinnere ich mich. Ich war 2 Mal dort bei Gericht und bin jeweils von jenem Polizeibeamten begleitet worden, der mich ursprünglich einvernommen hat.

RI: Ich nehme an, dass Sie jetzt in Wien sehr zurückgezogen leben. Wie oft treffen Sie sich mit Ihrem Mann und haben Sie Kontakt zu Freunden?

BF: Wie sehen uns ungefähr alle 2 Wochen. Dann gehe ich auch in den Deutschkurs.

BFV legt ein Schreiben des Ehemannes der BF vor weiters eine Fotografie von der Hochzeit

RI: In welchem Deutschkurs sind Sie jetzt?

BF: A2.

BFV legt Kursbesuchs- bzw. Prüfungsbestätigungen der BF vor.

Die Verhandlung wird um 11:58 unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 12:18 fortgesetzt

RI: Wovor würden Sie sich fürchten, wenn Sie nach China zurückkehren müssten?

BF: Ich würde um mein Leben fürchten.

RI: Können Sie mir erklären, wer Ihnen nach dem Leben trachten würde?

BF: Die Chefs von früher, das sind die, die ich bei der Polizei genannt habe.

RI: Glauben Sie, dass diese "Chefs" Kontakt zu Leuten in China haben?

BF: Ja, ihr Kontaktnetz ist sehr ausgeprägt. Meine Fotos und Videos verbreiten sie von mir.

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RI: Verbreiten sie die im Internet?

BF: In der Gegend, wo ich herkomme, auch über verschiedene Arten im Internet. Sie würden auch Fotos zu mir nach Hause schicken.

RI: Woher wissen Sie, dass Fotos von Ihnen in China verbreitet werden?

BF: Das wurde mir schon gesagt. Der "Chef" hat gedroht, dass wenn ich es nicht mache, er sie verbreiten werde.

RI: Ich nehme an, Ihr Ehemann weiß über all das Bescheid?

BF: Ja.

RI: Die Stadt, wo Sie in China gewohnt haben ... wie groß ist die Stadt?

BF: Das ist keine Stadt, sondern meine Eltern wohnen in einem Dorf am Land.

RI: Wie viele Menschen wohnen dort? Wie viele Häuser gibt es?

BF: So 8 bis 9 Familien leben dort zusammen.

RI: Wo lebt Ihr Sohn mit Ihrer Tante?

BF: Nachdem die Tante geheiratet hat, sind sie alle in eine Großgemeinde gezogen.

RI: Haben Sie alles gesagt, was Sie sagen wollen?

BF: Ich hoffe, dass ich hier eine gültige Aufenthaltskarte erlangen kann und, dass mein Sohn einmal bei mir sein kann (BF weint).

BFV zum Vorbringen der BF: Hinsichtlich der Asylrelevanz möchte ich auf die Judikatur des BVwG verweisen:

GZ W211 1425426, I40 32129326, W252 1425354 sowie W251 1425354 in welchen nigerianischen Betroffenen von Menschenhandel wegen der Zugehörigkeit der sozialen Gruppe von Opfern von systematisch organisiertem Menschenhandel Asyl gewährt wurde. Zudem darf auch verwiesen werden auf die Entscheidung vom BVwG 22.10.2015 zu W119 1434517 mit welcher einer chinesischen Beschwerdeführerin als Opfer von Zwangsprostitution Asyl gewährt wurde. Angemerkt werden darf zudem, dass der BF nach ihrer Flucht aus den Fängen der Täter wiederholt gedroht und sie auch vergewaltigt wurde, eine bereits stattgefundene Verfolgungshandlung ist ein Indiz dafür, dass bei einer Rückkehr weitere Verfolgungshandlungen zu erwarten sind. Wie den Zeugenvernehmungsprotokollen zu vernehmen ist, scheinen die Täternetzwerke gut vernetzt und organisiert zu sein. Die BF wurde von verschiedenen Tätern ausgebeutet und hat diese angezeigt. Aufgrund der Aussagen konnten aktive Ermittlungen ermöglicht werden. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die BF bei einer Rückkehr nach China mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Ziel von Vergeltungsmaßnahmen wird.

Zum fehlenden staatlichen Schutz darf auf die Entscheidungen des BVwG vom 22.10.2015 W119 1434517 verwiesen werden. In dieser Entscheidung führt das BVwG aus, dass nicht angenommen werden kann, dass die Behörden Schutz vor solchen Übergriffen gewähren könnten, da sie selbst teilweise in das Prostitutionswesen involviert sind. Es darf auch auf den aktuellen trafficking in persons report verwiesen werden mit welcher die Volksrepublik China auf tier 3 herabgestuft wurde. Aufgrund der hohen Korruptionsanfälligkeit der Behörden und der Involvierung in Menschenhandel ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei Kontakt mit den Behörden auch die Täternetzwerke von der Rückkehr der BF erfahren, weswegen diese gefährdet ist Opfer von Vergeltungsmaßnahmen zu werden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht nicht offen, diesbezüglich darf auf die Entscheidung des BVwG vom 07.03.2016 zu W119 2007231 verwiesen werden, mit welcher eine chinesische Beschwerdeführerin wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe der Opfer von schwerer häuslicher Gewalt Asyl gewährt wurde. In dieser Entscheidung wurde ausgeführt, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil durch die restriktive Registrierungspraxis des HUKU-Systems nur schwer möglich ist und der Umzug den Verlust des Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen bedingt und es für Personen aus ländlichen Gebieten schwierig ist legal in eine Stadt zu übersiedeln, daher wurde eine zumutbare Innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Zumutbarkeit der IFA muss zudem die hohe Stigmatisierung von ehemaligen Prostituierten in China berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass wie soeben

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ausgeführt wurde, staatliche Behörden teilweise in Menschenhandel involviert sind. Bei einer Rückkehr in die Provinz müsste sich die BF im Rahmen des HUKU-Meldesystems jedenfalls wieder bei den lokalen Behörden melden und wäre dadurch gefährdet von den Täternetzwerken aufgespürt zu werden.

Zum aussageverhalten der BF: Darf auf ein Gerichturteil des BVwG Bern von 18.07.2016 GZ D-6806/2013 verwiesen werden, welches darlegt, welche nachvollziehbaren Gründe für anfangs nicht richtig getätigte Aussagen geltend gemacht werden können:

• Entsprechende Anweisungen der Menschenhändler sowie Kontrolle und Gewaltanwendung und Drohung durch die Händler

• Manipulation einer Bindung des Opfers

• Generelleres Misstrauen gegenüber den Behörden und der Polizei

• Angst vor einer Abschiebung in den Herkunftsstaat

• Angst vor Vergeltungsmaßnahmen von Händlern und Zuhältern gegen das Opfer oder dessen Familie im Herkunftsland

• Angst vor einer Stigmatisierung als Prostituierte und vor einer Zurückweisung durch die Familie oder die Gesellschaft im Herkunftsstaat

• Schamgefühle, insbesondere bei Zwangsprostitution

• Traumatisierung durch sexuellen Missbrauch und Gewalt und oder durch die Umstände der Flucht vor den Menschenhändlern

• Mangelnde Sprachkenntnisse

• Unkenntnis über die rechtlichen Möglichkeiten sowie über die Umstände jener Ausbeutung und damit fehlendes Bewusstsein Opfer von Menschenhandel zu sein

• Unkenntnis der Betroffenen über die Rolle der Asylbehörden.

Im Einzelnen wird auf die Ziffer 622 im angegeben Urteil verwiesen.

BFV: Diese Entscheidung ist sinngemäß auch in diesem Fall zu berücksichtigen.

Das Protokoll wird der BF rückübersetzt.

Nach Durchsicht der chinesischen Geburtsurkunde transkribiert die Dolmetscherin den Namen der BF wie folgt:

XXXX

RI: Welches ist Ihr richtiges Geburtsdatum?

BF: XXXX (dies ergibt sich auch aus der vorgelegten Geburtsurkunde)

RI: Welcher Name steht in der Heiratsurkunde?

BF: XXXX . (Urkunde wird in Kopie vorgelegt)

BFV an BF: Können Sie uns sagen aus welchen Provinzen oder Regionen die verschiedenen Täter stammen?

BF: Genau weiß ich es nicht, aber sie stammen aus Fujian, Zhejiang und Dongbei (Mandschurei).

BFV: Trifft das auf alle Täter zu oder nur einige?

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BF: Ich war die Einzige, aus der Provinz Hunan und von einigen weiß ich, dass sie aus diesen Provinzen stammen.

BFV: Welche persönlichen Informationen haben die Täter in China über Sie, z.B. Wohnort, familiäre Anknüpfung?

BF: 100 %, alles. Sie haben alle meine Dokumente eingesammelt und haben alle Daten von mir.

BFV: Glauben Sie, können Sie sich in einer anderen Provinz außerhalb von Hunan niederlassen und wären Sie dort sicher?

BF: Nein.

BFV: Warum nicht?

BF: Das Kontaktnetz ist zu dicht.

BFV: Könnten Sie sich in China an die Polizei wenden, wenn Sie in Gefahr wären? Glauben, dass die Polizei Ihnen helfen würde/könnte?

BF: Nein, weil die Polizei selbst in der Minderheit ist und weil sie sich vor diesen "Gesellschaften" fürchtet. Sie machen überall die Augen zu, wenn sie etwas nicht sehen wollen, sie sind auf einem Auge blind. Ich finde, dass hier in Bezug auf die Menschenrechte und auch bei der Polizei alles getan wird, um dem Volk zu dienen.

BFV: Was denken Sie denn, wie würde Ihre Familie reagieren, wenn sie erfahren würden, was hier in Österreich passiert ist?

BF: Sie würden sehr enttäuscht und versletzt sein und sie würden die Beziehung abbrechen (BF weint.

RI: Was würde dann mit Ihrem Sohn passieren?

BF: Wenn er selbst es erfahren würde, würde er denken, dass ich eine schlechte Mutter bin und dass er mich nicht mehr haben möchte.

RI an BFV: Haben Sie noch Fragen?

BFV: Nein.

BF: Ich glaube, dass es auch möglich wäre, dass sich meine Mutter oder ich auch selbst töten."

12. Mit Eingabe vom 19.12.2017 beantragte das Bundesamt die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 15.12.2017.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die neunundzwanzigjährige BF ist chinesische Staatsangehörige. Sie wurde am XXXX im Kreis XXXX in der Provinz XXXX geboren. Sie ist geschieden und hat einen Sohn. Im Herkunftsstaat leben die Eltern und der jüngerer Bruder BF sowie ein Onkel, drei Tanten und der Sohn der BF. Der Sohn der BF lebt bei einer Tante.

Die BF besuchte im Herkunftsstaat drei Jahre lang die Grundschule sowie die unterer Stufe der Mittelschule. Sie arbeitete als Fabrikarbeiterin, Dienstmädchen und als Gesundheitsmasseurin.

Die BF lernte vor ihrer Ausreise aus China einen Schlepper über das Internet kennen, welcher ihr in Aussicht stellte, dass sie nach Österreich kommen und dort unter Erhalt einer Arbeitsgenehmigung als Masseurin arbeiten könne. Der Schlepper besorgte für die BF gegen eine Geldsumme einen Reisepass und ein Touristenvisum.

Die BF verließ China am 14.09.2014 und reiste legal in das Gebiet der Europäischen Union ein. Sie wurde in Paris bereits von anderen Chinesen des Schleppernetzwerkes erwartet und über Paris und München nach Wien

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verbracht, wo ihr der Personalausweis sowie ihr Reisepass abgenommen wurden. Am Folgetag musste die BF bereits für einen Mann namens " XXXX " in einem "Massagestudio" als Masseurin arbeiten.

Nach ein paar Tagen wurde sie zum MIGRANTINNENVEREIN ST. MARX gebracht und in weiterer Folge nach Traiskirchen, wo die BF am 14.10.2014 ihren Asylantrag unter falschen Namen stellte, gebracht. Ihr wurde von " XXXX " gesagt, dass sie bei der Asylantragsstellung nicht die Wahrheit sagen, eine Legende erfinden und unter falschen Namen um Asyl ansuchen soll. Die BF wurde daraufhin in die Betreuungsstelle EAST OST in Grundversorgung aufgenommen. Von dort wurde die BF von " XXXX " abgeholt und in ein Rotlichtgeschäft verbracht, wo sie von nun an auch zum Beischlaf mit ihren Kunden gezwungen worden war. Die BF wurde von der Grundversorgung am 29.10.2014 wegen unbekannten Aufenthaltes abgemeldet. Die BF musste zweitweise das gesamte, teilweise auch die Hälfte des Geldes, das die Kunden für ihre Dienste bezahlten, an die Chefin namens " XXXX " abgeben. Als sich die BF zu beschweren begann, drohte " XXXX " mit dem Umbringen der Familie der BF in China und der Veröffentlichung der Nacktfotos der BF in China.

Die BF wurde in weiterer Folge nach LINZ verbracht, wo sie in einem Laufhaus bei einem Chinese mit dem Spitznamen " XXXX " arbeitete und wiederum Hälfte ihres Lohnes an ihn abgeben musste.

Auch arbeitete die BF in einem Laufhaus in Graz, wo sie ihren nunmehrigen Ehemann kennen lernte. Dieser klärte die BF über ihre Ausbeutung auf. Aus Angst vor ihren Chefs lieferte die BF jedoch weiterhin die Hälfte ihrer Einkünfte an " XXXX " ab.

Die BF wurde von " XXXX " immer mehr unter Druck gesetzt. Nachdem die BF in Graz und Linz für die "

XXXX " gearbeitet hatte, und ihr jetziger Ehemann ihr zu verstehen gab, dass sie nur ausgebeutet wird, tauchte sie unter. Die BF bekam daraufhin Droh-SMS von " XXXX ", in welcher er sie aufforderte, zu ihm zurückzukehren. Die BF wurde daraufhin noch zwei Mal von " XXXX " vergewaltigt und bedroht.

Im Jahr 2016 ging die BF erstmals zur Polizei und brachte die Vergewaltigungen und den Menschenhändlerring zur Anzeige. Gleichzeitig stellte sie auch ihre Identität richtig. Es folgten polizeiliche Zeugenvernehmungen mit der BF am 07.06.2016, 13.06.2016, 28.07.2016 und am 22.08.2016.

Aufgrund der Aussagen der BF wurde ein Strafverfahren gegen das von der BF genannte Täternetzwerk eingeleitet.

Die BF wurde von der Kriminalpolizei an LEFÖ-IBF (Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels) verwiesen und ist seither in einer Notwohnung mit geheimer Adresse untergebracht, wo sie auch in psychotherapeutischer Behandlung befindet.

Die BF wurde Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution.

Sie ist nach wie vor als Hauptzeugin in einem Strafverfahren im Bundesgebiet involviert und vor dem Hintergrund der Gefährdung durch die Täter in einem Opfer/Zeugenschutzprogramm.

Die BF besuchte im Bundesgebiet in den Zeiträumen 12.09.2016 - 18.11.2016 und 21.11.2016 - 13.02.2017 Deutschkurse der Niveaustufe A2 und erhielt am 23.03.2016 das ÖSD Zertifikat der Niveaustufe A1.

Bei einer Rückkehr befürchtet die BF erneut Opfer von Menschenhandel zu werden. Die Schutzfähigkeit der chinesischen Behörden ist dagegen nicht gewährleistet.

Die Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10.

Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

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International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018).

Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Quellen:

- BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

- DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-

Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

- DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt- zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

- DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen, http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

- DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

- NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen- behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

- The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

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China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK- Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017).

Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale

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Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

- AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017

- CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook - China,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017

- FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017

- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter.

"Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog.

"Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren,

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diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18.

Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung"

unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei- Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN- Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor.

Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

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Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem

"Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer

"Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt.

Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden.

Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

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