• Keine Ergebnisse gefunden

Gotteshäuser. Berühmte Sakralbauten und ihre religiösen Fundamente

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Gotteshäuser. Berühmte Sakralbauten und ihre religiösen Fundamente"

Copied!
27
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Gotteshäuser. Berühmte Sakralbauten und ihre religiösen Fundamente

Sie sind Räume des Gebetes und des Gottesdienstes, oder auch Gotteshäuser im engeren Sinn, an de- nen die Präsenz des Göttlichen wahrgenommen wird: Sakralbauten sind Orte menschlich-göttlicher Kommunikation und der religiösen Begegnung. In unterschiedlichen Intensitäten und Ausprägungen markieren Tempel, Kirchen oder Kultstätten die Gegenwart Gottes auf der Erde. Sie sind damit als Schnittstelle von himmlischer und irdischer Sphäre konstruiert, häufig auch unter Einbezug handfester politischer und wirtschaftlicher Interessen. In Gotteshäusern verschmelzen Himmel und Erde, Geistli- ches und Materielles, Religion und Kultur.

Die Vorlesung stellt herausragende Sakralbauten unterschiedlicher Epochen mit ihrer Entstehungsge- schichte vor und beleuchtet ihre religiösen und gesellschaftlichen Kontexte.

Sieben Vorlesungen, jeweils Mittwoch, 18.15 bis 19.45 Uhr, 22.9. bis 3.11.2022, Raum HSG 01-014

**Die Vorlesung wird hybrid durchgeführt: Vor Ort im Hörsaal und zeitgleich online. **

Hier der Lin: https://us02web.zoom.us/j/84947720263?pwd=Y1pOamxjWXo4UlY4Nk0wOU- doSHd1UT09

22. September Pantheon, Rom

29. September Kirchenschätze in Graubünden 6. Oktober Hagia Sofia, Istanbul

13. Oktober Der Jerusalemer Tempel 20. Oktober al-Haram-Moschee, Mekka 27. Oktober San Pietro, Rom

3. November Stonehenge, England

Vorlesung 2, 29. September 2021 Kirchenschätze in Graubünden

Inhalt:

1. Graubünden: Land des Übergangs 2. Was ich auslassen muss

3. St. Peter in Mistail

4. Churrätien: Geschichte Graubündens zwischen Römerzeit und Mittelalter 5. Sogn Gieri (St. Georg) in Rhäzüns

6. Die Walser

7. Die Holzkirche Obermutten

(2)

1. Graubünden: Land des Übergangs

Conrad Ferdinand Meyer, Jürg Jenatsch (1876)

Die Mittagssonne stand über der kahlen, von Felshäuptern umragten Höhe des Julierpasses im Lande Bünden. Die Steinwände brannten und schimmerten unter den stechenden senkrechten Strahlen. Zuweilen, wenn eine geballte Wetterwolke emporquoll und vorüberzog, schienen die Bergmauern näher heranzutreten und, die Landschaft verengend, schroff und unheimlich zu- sammenzurücken. Die wenigen zwischen den Felszacken herniederhangenden Schneeflecke und Gletscherzungen leuchteten bald grell auf, bald wichen sie zurück in grünliches Dunkel. Es drückte eine schwüle Stille, nur das niedrige Geflatter der Steinlerche regte sich zwischen den nackten Blöcken und von Zeit zu Zeit durchdrang der scharfe Pfiff eines Murmeltieres die Ein- öde.

In der Mitte der sich dehnenden Passhöhe standen rechts und links vom Saumpfade zwei abge- brochene Säulen, die der Zeit schon länger als ein Jahrtausend trotzen mochten. In dem durch die Verwitterung beckenförmig ausgehöhlten Bruche des einen Säulenstumpfes hatte sich Re- genwasser gesammelt. Ein Vogel hüpfte auf dem Rande hin und her und nippte von dem kla- ren Himmelswasser. […]

Endlich tauchte ein Wanderer auf. Aus der westlichen Talschlucht heransteigend, folgte er den Windungen des Saumpfades und näherte sich der Passhöhe. Ein Bergbewohner, ein wetterge- bräunter Gesell war es nicht. Er trug städtische Tracht, und was er auf sein Felleisen geschnallt hatte, schien ein leichter Ratsdegen und ein Ratsherrenmäntelchen zu sein. Dennoch schritt er jugendlich elastisch bergan und schaute sich mit schnellen klugen Blicken in der ihm fremdarti- gen Bergwelt um.

Jetzt erreichte er die zwei römischen Säulen. Hier entledigte er sich seines Ränzchens, lehnte es an den Fuss der einen Säule, wischte sich den Schweiss mit seinem saubern Taschentuche vom Angesicht und entdeckte nun in der Höhlung der andern den kleinen Wasserbehälter. Darin er- frischte er sich Stirn und Hände, dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete mit ehr- furchtsvoller Neugier sein antikes Waschbecken. Schnell bedacht zog er eine lederne Briefta- sche hervor und begann eifrig die beiden ehrwürdigen Trümmer auf ein weisses Blatt zu zeich- nen. Nach einer Weile betrachtete er seiner Hände Werk mit Befriedigung, legte das aufge- schlagene Büchlein sorgfältig auf sein Felleisen, griff nach seinem Stocke, woran die Zeichen verschiedener Masse eingekerbt waren, liess sich auf ein Knie nieder und nahm mit Genauig- keit das Mass der merkwürdigen Säulen.

»Fünfthalb Fuss hoch«, sagte er vor sich hin.

(3)

- Geographisch: Übergangsland zwischen Nord- und Südeuropa; Wasserscheide Lung- hinpass: Wasser in drei Meere

- Kulturell-sprachlich: Übergangsland zwischen deutscher und romanischer Kultur; drei- sprachiger Kanton, mit vielsprachiger Bevölkerung

- Verkehrstechnisch: Seit prähistorischer Zeit werden die Bündner Pässe genutzt als Übergang zwischen Nord- und Südeuropa, zum Transfer von Menschen und Waren.

An diesem Transfer beteiligten sich die Bewohner Graubündens schon immer anteils- mässig.

(4)

Reiseverkehr und Kirchenschmuck: Christophorus-Fresken auf Kirchenwänden

Christophorus (latinisiert) oder griechisch Christophoros (altgriechisch Χριστόφορος „Christus- träger“) ist eine legendarische Märtyrer- und Heiligenfigur. Der Riese Christophorus soll Jesus über einen Fluss getragen haben. Eine historische Person ist dahinter nicht erkennbar.

In den bildlichen Darstellungen, die sich ab dem 12. Jh. verbreiteten, hat Christophorus die Gestalt eines Riesen, der sich auf einen Stab oder Baumstamm stützt und der Jesus, meist als Christuskind, auf der Schulter trägt.

Dir Anrufung des Heiligen soll vor einem unerwarteten plötzlichen Tod bewahren. So wurde Christophorus im Mittelalter zum Schutzpatron der Reisenden. Zu dem mit dem Heiligen ver- bundenen Brauchtum gehört das Mitführen einer Christophorusmedaille oder -plakette oder eines anderen Bildnisses im Fahrzeug, so in Bayern bis heute.

«Gute Fahrt»: Moderne Christophorus-Medaille für das Auto

Eine Besonderheit sind die romanischen, sehr grossen Christophori an den Aussenwänden von Kirchen in Graubünden.

(5)

…in Rhäzüns und St. Maria (Val Müstair)

- Historisch: Übergang zwischen Antike und Mittelalter fliessend, kein Abbruch; und so auch der Übergang zwischen Mittelalter und Gegenwart: Was einmal steht, wird ste- hen gelassen. Das gilt auch und besonders für Kirchenbauten: Egal, ob es politische oder konfessionelle Veränderungen gab, Kirchen blieben, sie bleiben und blieben meist unverändert stehen.

Beispiel für eine «vergessene», übergangene und übergehende Kirche: Kapelle St. Maria Magdalena, Paspels

(6)

2. Was ich auslassen muss

Reformierte Kirche Stuls/Stugl: Tonnengewölbe mit Fresken von 1300 (Giotto-Schule)

Kirche St. Martin, Zillis: Romanische Saalkirche mit einer Holzdecke aus 153 Bildtafeln von 1100

Kloster Disentis: Um 700 gegründetes Kloster mit Kirche im Vorarlberger Barock

Kloster St. Johann, Müstair: Um 800 gegründetes Kloster mit Fresken aus der Karolingerzeit

(7)

Kathedrale St. Mariä Himmelfahrt, Chur: Spätromanische Pfeilerbasilika (1200) mit Krypta un- ter dem Chor

Kirche Lohn, Schams: Spätgotische Kirche an exponierter Lage

Kirche St. Remigius, Falera: Die Kirche aus dem 15. Jh. liegt abseits des Dorfes am Fusse eines bewaldeten Hügels, der Mutta, wo sich eine bedeutende Kult- und Astronomiestätte aus vor- römischer Zeit befand, die mit Megalithen markiert wurde.

3. St. Peter Mistail

Eine karolingische Kirche in einsamer Lage über der Albulaschlucht, erbaut um 800 oder we- nig früher auf den Grundmauern eines älteren Sakralbaus. Es ist die älteste und besterhaltene Anlage vom Typus des rätischen Dreiapsidensaales.

(8)

Mistail ist eine Kirche und ehemaliges Frauenkloster aus der Karolingerzeit in der Gemeinde Albula/Alvra, weit ausserhalb des Ortes Alvaschein, an der Albulaschlucht.

Der Konvent wurde vor 806 als bischöfliches Eigenkloster, vermutlich auf Initiative des Klos- ters Cazis, gegründet. Daher auch der heutige Name Mistail: Er geht zurück auf Monasterium – Müstair – Mistail.

Nach nicht sicher einzuordnenden Vorgängerbauten wurde um 800 die heute noch beste- hende Dreiapsidenkirche gebaut. 926 wurde sie dem Apostel Petrus geweiht (Petrus-Patrozi- nium). Aus ihrer Entstehungszeit stammen Freskenreste.

Das Kloster wurde zwischen 1096 und 1154 aufgehoben. Dann übergab Bischof Adelgott von Chur die Kirche samt den Meierhöfen Prada (Gemeinde Albula/Alvra), Savognin und Latsch (Gemeinde Bergün) dem Prämonstratenserstift St. Luzi in Chur zu Eigen. 1282 gelangte die Kirche mit den Höfen Prada und Savognin wieder ans Bistum, seit 1397 sie im Besitz der Ge- meinde Alvaschein. Im selben Jahr am Gallustag 1397 fand eine Neuweihe der Kirche statt. Im Norden der Kirche sind Überreste von Konventgebäuden nachgewiesen. Ein in seinen Funda- menten bezeugtes Atrium westlich des Sakralbaus ist teilweise ins Albulatobel abgerutscht.

Was geschah mit der Kirche nach Aufhebung des Klosters? Nicht viel. Immerhin scheint Mistail als Begräbniskirche der Pfarrei Tiefencastel gedient haben. Für das frühe Mittelalter sind nördlich der bestehenden Kirche in Schiefer eingehauene Gräber, südwestlich ein kleines gewölbtes Mausoleum belegt. Nach der Auflösung des Klosters behielt die Kirche das Begräb- nisrecht, vorerst offenbar für das ganze Albulatal, bis 1679 noch für Alvaschein. An der Wende zum 15. Jh. entstanden die Fresken in der Hauptapsis und an der Nordwand wie auch der Turm und die Sakristei. Im Norden der Kirche sind Überreste von Konventgebäuden nach- gewiesen. Ein in seinen Fundamenten bezeugtes Atrium westlich des Sakralbaus ist teilweise ins Albulatobel abgerutscht.

Aussenansichten

(9)

Lage der Kirche: Ausserhalb von Alvaschein

Besonderheit von Mistai: Ein vollständig erhaltener, nicht modifizierter Dreiapsiden-Bau Beinhaus (Südseite)

(10)

Innenansichten

Inneneinrichtung heute; Inneneinrichtung des 17. Jh., in den 1960er-Jahren entfernt.

Wandmalereien von Mistail:

In der Kirche sind bedeutende Wandmalereien in vier Schichten erhalten.

1. Von der karolingischen, mit den Fresken von Müstair verwandten Ausmalung sind nur noch spärliche Reste an den Schiffswänden und in der Südapsis erhalten.

(11)

2. Gotische Fresken von oberitalienischem Charakter um 1400/10 vom so genannten Mistailer Meister, eines der wenigen erhaltenen Beispiele des «weichen Stils» in der Schweiz: in der Mittelapside Christus Pantokrator, umgeben von vier Engeln mit Lesepulten (= Evangelisten) und den Evangelistensymbolen; darunter im ersten Streifen die Apostel, im zweiten der hei- lige Georg mit dem Drachen, ein Ritterheiliger (wohl Georg als junger Ritter) und Epiphanie;

an der Nordwand ausserordentlich grosses Christophorusbild.

Mittelapsis

Gesamtansicht und Kalotte (runder oberer Abschluss der Apsis)

(12)

Mittelfries mit Aposteln und untere Bildreihe mit dem jungen Ritter St. Georg im Zentrum

Christophorus, um 1400

3. Archaisch anmutende Malereien eines vermutlich einheimischen Meisters, wohl um 1397 an der Nordwand: heiliger Gallus, Kirchweihe durch Petrus und so genannten Feiertagschris- tus.

(13)

4. Churrätien: Geschichte Graubündens zwischen Römerzeit und Mittelalter

Das ganze Alpengebiet und alle Strassenverbindungen zwischen Italien und oberer Donau ka- men 15 v.Chr. unter römische Herrschaft.

Die Provinz Raetia et Vindelicia (Augsburg), deren Kurzform Raetia sich allmählich durch- setzte, wurde vielleicht schon unter Kaiser Tiberius (14-37), spätestens aber unter Kaiser Clau- dius (41-54) gegründet. Zentrale Orte im Westteil der 80'000 km2 grossen Provinz waren Kempten, Bregenz (Brigantium) und Chur (Curia). Chur hat eine für römische Städte typische Lage; hier verzweigten sich die verschiedenen Strassen über die Bündner Pässe und nahm wohl auch die Rheinschiffahrt nach Norden ihren Anfang. Ab ca. 10-30 n.Chr. nehmen Sied- lungen und Funde in den Bündner Haupttälern zu. In den Tälern reihten sich dorfartige Sied- lungen entlang der Strassen von 300 m (Roveredo) bzw. 515 m (Maienfeld) bis gegen 1500 m Meereshöhe (Zernez). Bevorzugt wurden nach Süden oder Südosten exponierte, oft hoch über dem Fluss liegende Terrassen.

Nach der Legende soll der heilige Luzius in Rätien im späten 2. Jahrhundert n.Chr. missioniert haben; archäologisch fassbar ist der Übergang von der antiken Religion zum Christentum erst in spätrömischer Zeit, in der in Chur, Bonaduz und Schiers frühchristliche Kirchenbauten ange- legt wurden. Sowohl in Chur wie in den Tälern ist ab dem 4. Jahrhundert mit zunehmend grösseren Gemeinden zu rechnen; der Bischofssitz in Chur scheint im späten 4. Jahrhundert gegründet worden zu sein, und ab 451 sind Churer Bischöfe schriftlich bezeugt.

Churrätien entstand aus der römischen Provinz Raetia Prima und war gebietsmässig zunächst mit dem Bistum Chur identisch. Zum mittelalterlichen Bistum Chur gehörten: das Gebiet des heutigen Kantons Graubünden (ohne Puschlav), das Rheintal bis zum Hirschensprung, das Sarganserland, die Linthebene, die nördlichen Teile des Kantons Glarus, das Urserental, das Gebiet des Fürstentums Liechtenstein, das Vorarlberg bis und mit Götzis, das Paznaun und der Vinschgau bis zur Passer.

(14)

Merkmale der rätoromanischen Kirchensprache deuten eine weitgehende Romanisierung und Christianisierung Churrätiens vom 5. zum 6. Jahrhundert an. Im 6. Jh. bildete Churrätien den östlichen Teil des Frankenreichs der Merowinger. Mit einer Schenkung an das Kloster Disentis 765 beginnt die wichtige merowingisch-karolingische Epoche. Als Karl der Grosse die Aleman- nen stärker ans Frankenreich band und 773-774 das Langobardenreich eroberte, begann er die politische Selbstständigkeit des Durchgangslandes Churrätien schrittweise zu beseitigen:

Im Zusammenhang mit dem Vertrag von Verdun 843 (Teilung des karolingischen Imperiums) ist eine Verkehrsorganisation (teils römischen Ursprungs) mit der Hauptroute Maienfeld- Chur-Lenzerheide-Julier/Septimer-Bergell und der Engadinstrasse Zuoz-Ardez-S-charl-Müns- tertal-Vinschgau. 843 fiel Churrätien durch den Vertrag von Verdun ans Ostfränkische Reich;

das Bistum Chur wurde vom Erzbistum Mailand gelöst und Mainz unterstellt, was die nach 805 begonnene Germanisierung der kirchlichen und weltlichen Führungsschicht und des Rechts förderte.

In karolingischer Zeit erlebte Churrätien seine kulturelle Hochblüte (Hauptträger Bistum Chur, Klöster Disentis, Müstair und Pfäfers). Als Bildungsstätte strahlte Chur nach St. Gallen aus.

Vom künstlerischen Glanz Churrätiens im Frühmittelalter künden vor allem die Klosterkirchen Müstair und Mistail sowie die Kapelle St. Benedikt in Mals (Vinschgau). Von ca. 850 bis 950 fliessen die Quellen spärlicher; Churrätien verlor wohl an politischer und verkehrswirtschaftli- cher Bedeutung und wurde in das 917 errichtete neue Stammesherzogtum Schwaben einbe- zogen.

St. Benedikt, Mals; St. Prokulus, Naturns; St. Veit, Tartsch

Die Rolle Churrätiens in der Reichspolitik der Ottonen beruhte auf der Bedeutung der Bünd- ner Pässe für die Italienpolitik der deutschen Könige. Otto I. und II. waren nicht zufällig Förde- rer des Churer Bistums, benutzten sie doch die Bündner Pässe häufiger als die nachfolgenden Könige. Von Süddeutschland her wurden die Übergänge und Territorien kontrolliert, so z.B.

1150 die Lenzburger die Lukmanierstrasse, die Herzöge von Schwaben errichteten am Ende des 12. Jahrhunderts eine Art herzogliche Verwaltung in Churrätien.

Doch dann setzen sich lokale Machtstrukturen durch: An die Stelle der auswärtigen Herren aus dem südschwäbischen Raum traten einheimische lokale Gewalten. Äusseres Zeichen die- ses Wandels war der Burgenbau, der, im 11. Jahrhundert schon stark verbreitet, seinen Höhe- punkt zwischen der Mitte des 12. und dem Anfang des 14. Jahrhunderts erreichte. Um die

(15)

Kanton Graubünden herauswuchs.

5. Sogn Gieri (St. Georg), Rhäzüns

Herausragend erhaltenes Beispiel eines vollständig ausgemalten mittelalterlichen Kirchen- raums in der Schweiz.

Die Kirche Sogn Gieri, rätoromanisch im Idiom Sursilvan für St. Georg, liegt abgeschieden auf einem bewaldeten Hügel über dem Hinterrhein.Das Hochplateau, auf dem die beiden Ort- schaften Rhäzüns und Bonaduz liegen, bricht gegen Südosten steil gegen den Hinterrhein ab.

Vor diesem Abgrund erheben sich einige Hügel. Einer davon wird von der Kirche Sogn Gieri besetzt. Die Kirche ist vom Dorf in etwa zehn Minuten zu Fuss erreichbar. Eine Zufahrt mit dem Auto ist nicht möglich.

Am heutigen Ort konnte ein Vorgängerbau, eine karolingische Saalkirche mit gestelzter Apsis und ummauertem, offenem Vorhof archäologisch festgestellt werden. Die heutige Anlage stammt hauptsächlich aus dem 10. Jh., bestehend aus romanischem Schiff mit Flachdecke und gotischem Chor aus dem frühen 14. Jahrhundert mit Kreuzrippengewölbe. Die Kirche be- steht aus grob verputztem Bruchsteinmauerwerk, verstärkt durch Eckverbände aus Tuffstein.

Schiff und Chor sind unter einem einheitlichen Satteldach zusammengefasst. Die Giebelfas- sade im Westen besitzt eine überdachte, doppelläufige Treppe, die zum Eingangsportal führt.

Das Patrozinium St. Georg geht auf die lokale Legende zurück, nach welcher der heilige Georg Graubünden Mitte des 4. Jahrhunderts missioniert und an dieser Stelle mit dem Pferd über die Rheinschlucht gesetzt habe, um den heidnischen Verfolgern zu entkommen.

960 übergibt König Otto I. dem Bischof von Chur die Kirche in castello beneduces et razunnes (Bonaduz und Rhäzüns). Wegen der Lage zwischen Bonaduz und Rhäzüns könnte damit die Kirche Sogn Gieri gemeint gewesen sein. Die Baugeschichte von Sogn Gieri ist eng verbunden mit dem Geschlecht der Brun von Rhäzüns. Denn ebenfalls erwähnt ist in der Urkunde Ottos I.

ein Castellum, dem späteren Sitz der Herren von Rhäzüns. Wie diese Burganlage an das Ge- schlecht der Rhäzünser gelangte, bleibt unbekannt. Ab Mitte des 13. Jh. zählten die Freiher-

(16)

Kräfte der adeligen Geschlechter, die politische Zukunft gehörte den kommunalen Bewegun- gen und den Bünden.

Zum Innern der Kirche:

Auffällig sind die archaischen Kirchenbänke: eine Holzbalken-Konstruktion ohne Lehnen. Zur Einrichtung gehören ein einfaches Herrschaftsgestühl und eine Rechteckkanzel, beide um 1660.

(17)

zur Zeit der höchsten Machtentfaltung der Freiherren von Rhäzüns, angefertigt.

Die hochgotischen Wandmalereien wurden von zwei verschiedenen Künstlern oder Künstler- gruppen angefertigt. Die älteren im Chor und am Chorbogen um 1350 vom Waltensburger Meister gemalt worden, die jüngeren an den Schiffswänden 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts vom Rhäzünser Meister.

Chor und Chorbogenwand

Chor: Die Rippen sind illusionistisch zur Vortäuschung reicher Profile farbig bemalt. In den Ge- wölbekappen hat es Blattranken zwischen vier grossen Medaillons mit Engeln als Evangelis- ten, auf dem Schlussstein ein Antlitz Christi. In den drei Gewölbeschilden sind die Verkündi- gung (flankiert von Fuchs und Storch der Äsop-Fabel), Kreuzigung und Marienkrönung darge- stellt; unter kräftigem Mäanderfries befindet sich eine stark zerstörte Anbetung der Könige.

Chor Schlusswand/Ostseite

(18)

Chor Nordseite: Evangelist Lukas, Mariae Verkündigung, Drei Könige; Fuchs und Storch

Chor Südseite: Evangelist Markus, Marienkrönung, Apostel

Chorbogenwand: Der Bogen ist wie die Gewölberippen des Chors illusionistisch gefasst, an der Wand, hat es drei Bilderstreifen mit ikonografisch interessanten, ineinanderfliessenden Szenen der Wunder und Leiden des heiligen Georg: Rechts oben zeigt König Dadianus dem Heiligen die Marterinstrumente Rad und Kessel, daneben folgen Darstellungen eines Wunders des heiligen Georg, der aus dem Haus einer armen barmherzigen Witwe Zweige spriessen lässt; darunter wird ihm das verkrüppelte Kind der Witwe vorgeführt, links davon die Gefan- gennahme Georgs; links oben wird Königin Alexandria nach ihrem Bekenntnis zum Christen-

(19)

dem Stifter und zwei Frauen unter dem Wappen Rhäzüns, rechts, über dem gemauerten Al- tarblock, Johannes der Täufer.

Chorbogen

Südlicher Chorbogen; in der Mitte des obersten Streifens erscheint König Dadianus (in der

„Legenda aurea" Dacianus); er hat sein Edikt gegen die Christen erlassen und weist auf die an-

(20)

Nördlicher Chorbogen mit Schutzmantelmadonna

Details Mantelmadonna: Zu ihren Füssen kniet — in Stifterhaltung — ein jugendlicher, bar- häuptiger Mann, ungerüstet und ungegürtet, in langem Gewand. Über ihm steht in gotischen Unzialen: DNS JOHS. Ein Kreuz über dem Haupt bezeichnet ihn als verstorben; in einem

(21)

Nordwand: Drachenkampf Georgs

Den Zyklus des Waltensburger Meisters beschliesst die grossformatige Darstellung des Dra- chenkampfes oben an der Nordwestwand, die als volkstümlichster Teil der Georgslegende be- sonders hervorgehoben wurde. Sie zeigt nach dem Bericht des Jakobus de Voragine aus der Legenda Aurea den hl. Georg als Beschützer der Königstochter, für die er in ritterlicher Manier mit eingelegter Lanze auf seinem Streitross gegen den Drachen anreitet. Die Kreuze auf Schild und Schabracke kennzeichnen ihn als christlichen Ritter. Den eher rituell aufgefassten Charak- ter der Kampfszene verstärkt noch der sternenübersäte Hintergrund mit den stilisierten Bäu- men. Völlig zurecht wurde diese Darstellung immer wieder in die Nähe der Manessischen Lie- derhandschrift gerückt, der bedeutendsten weltlichen Buchmalerei des 14. Jh., die wohl in Zü- rich entstand.

Der Meister hinter dem Werk: Der sogenannte Waltensburger Meister

Waltensburger Meister wird er genannt, weil er in der Nordwand der Reformierten Kirche Waltensburg in der Surselva um 1330 sein bedeutendstes Werk hinterlassen hat: einen gut erhaltenen, zeichnerisch hochstehenden Passionszyklus

Wandmalerei in der Kirche von Waltensburg; Aussensicht der Kirche Waltensburg

(22)

und intensive Farben bewahrt hat. Auch die Plastizität der Figuren, die Modellierung der Fal- ten und die Nuancierung lässt sich letztlich auf diese besondere Malweise zurückführen, die sehr feinkörnigen Putz und ein vielleicht ölhaltiges Bindemittel benutzt. Insgesamt erweist sich dieser Maler als Meister auf dem Gebiet der Komposition, da er an traditionelle Bildthe- men gebunden ist, diese jedoch in eigenständiger Weise umsetzt.

Schiff (Rhäzünser Meister)

An den Längswänden und an der Westwand befinden sich drei Streifen von Einzelbildern aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts, in denen sich der so genannte Rhäzünser Meister durch seine lineare und improvisierende Darstellungsweise in der Art einer Armenbibel von der stil- treuen und durchkomponierten Kunst des Waltensburger Meisters unterscheidet. In freier Folge hat es streng voneinander geschiedene Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, an der Nordwand zusätzlich Andachtsbilder: Oben der heilige Nikolaus mit den drei Jung- frauen, unten ein so genannter Feiertagschristus, Gregorsmesse, lokale Legende vom Sprung des heiligen Georg über den Rhein, Erzengel Michael als Seelenwäger, Tod und Bestattung der Muttergottes.

Nordseite

(23)

Westseite

Westseite: Bibla Pauperum; Schöpfung

6. Die Walser

Als Walser werden die alemannischstämmigen Kolonisten bezeichnet, die im 12. und 13. Jahr- hundert ihre Heimat im obersten Rhonetal (Wallis) verliessen und sich weit zerstreut im da- mals romanischsprachigen Grossraum der Alpen ansiedelten. Im Lauf des 14. Jahrhunderts verbreiteten sie sich in sekundären Schüben von den Erstkolonien aus weiter und gründeten zwischen den romanischen Vorbewohnern und abseits von ihnen deutschsprachige Niederlas- sungen.

Der Siedlungsraum der Walser überspannt die zentralen Alpentäler in einer Länge von 300 km

(24)

Untertanen im Zug des Landesausbaus in unwirtlichen Gegenden anzusiedeln. Die Valser wa- ren quasi gewollte Flüchtlinge. Diese geplanten, herrschaftlich organisierten Ansiedlungen be- zweckten eine Festigung der Herrschaftsansprüche, die Vermehrung der Bevölkerung, die Ro- dung von Nutzflächen oder den Unterhalt und die Kontrolle alpiner Passübergänge. In Verträ- gen mit den rätischen Herren, die sie herbeigerufen hatten, sicherten sich die Walser als Ent- gelt für die kolonisatorische Tätigkeit eine Rechtslage, die sie zu einem privilegierten Stand zwischen den vielen Hörigen und den wenigen Vollfreien machte. Dazu kam das Recht der Selbstverwaltung in einer eigenen Gerichtsgemeinde mit freier Ammannwahl.

Bis ins 20. Jahrhundert haben die Walser manches von ihrer angestammten Eigenart erhalten.

Auffälligstes Merkmal ist die Sprache, ihre inmitten einer romanischen Umwelt durch Jahr- hunderte bewahrte höchstalemannische Mundart, die in Verbindung mit dem Wallis steht.

Auffällig sind der ungewöhnliche Vokalreichtum, die Verschiebung des «s» zu «sch» (sie = schii, uns = ünsch/insch, Füchse = Függsch), die Aufhellung der Laute (Haus = Hüüs, drei = drii), die Wandlung von -nk zum weicheren -ch (trinken = triichä, treiche), das «ei» bei Verben (sie geht = schii geit, er steht = är steit), Eigenarten in der Verkleinerungsform (Häuschen = Hüüschi, Mädchen = Meitjä, Kühlein = Chüetschi). Walser-Deutsch ist eine durch auffällige Ei- genart, hohe Altertümlichkeit, örtliche Neuerungen mit romanischen Einschlägen gekenn- zeichnete, in den einzelnen Kolonien verschiedenartig fortentwickelte Bergmundart, das we- sentlichste Erbgut, das die Rhonetalauswanderer zu bewahren vermochten.

Das allen Walsern gemeinsame Brauchtum ist spärlich. Es finden sich einige Motive und Ge- stalten in Sagen wie die Wildmannli, die Doggi oder die Totenzüge. Gemeinsam war den Walsern die Verehrung des hl. Theodul, einem der ersten Bischöfe des Wallis. Da die ersten Siedler noch keine Familiennamen trugen, lassen sich kaum genealogische Rückschlüsse zur Urheimat herstellen. Vom 14. Jahrhundert an sind die heute noch gebräuchlichen Familienna- men nachweisbar, die regional als typisch walserisch gelten. So etwa die Guler in Klosters, die Flütsch in St. Antönien, die Bärtsch in Furna, die Buol, Meisser und Kindschi in Davos, die Bru- nold, Sprecher und Mettier im Schanfigg, die Lorez, Trepp, Meuli, Hössli und Mengelt im Rheinwald, die Gredig, Buchli, Bandli, Hunger, Gartmann und Zinsli in Safien, die Jörger und Furger in Vals, die Hitz und Hemmi in Churwalden, die Engi in Tschiertschen, die Stoffel und Heinz in Avers, die Wyss und Elsa in Mutten, die Alig und Mirer in Obersaxen, um nur einige der Walser Familiennamen aus Graubünden aufzuzählen.

(25)

Innenraum: Chor mit Spitzbogen-Konstruktion, Tonnengewölbe als Decke; Wandmalereien

Aussensicht

7. Kirche Obermutten

Die Kirche von Obermutten zählt zu den einmaligen Sakralbauten der Schweiz. Sie ist das ein- zige erhaltene Gotteshaus, das ganz aus Holz gebaut wurde. Die umliegenden Lärchenwälder boten dazu den Baustoff. Eine Holztafel über dem Eingang weist auf das Baujahr von 1718 hin.

Der Ortsname Mutten leitet sich ab von romanisch „Muotta“, motta = Hügel. Die erste ur- kundliche Erwähnung ist 1365 belegt: „ uff die Mutten“. Zu unbekanntem Zeitpunkt, vielleicht erst um 1400, wurde Mutten von deutschsprechenden Walsern aus Davos oder Avers besie- delt. Die Siedlung steigt in drei Gruppen aus einer Höhe von 1470 m ü. M. bis 1870 m auf: Un- termutten oder „Underemwald“. Dann Staffel und schliesslich Obermutten. Mutten trat als einzige Gemeinde des unteren Albulatales um 1582 zur Reformation über.

(26)

Obermutten mit Dorfbrunnen

(27)

Lärchenholz. Der Innenraum ist sehr schlicht gehalten. Neben der einfachen Kanzel findet sich eine schmucke Orgel leicht erhöht auf der Chorempore. Alle Holzbestandteile der Orgel, auch die Holzpfeifen, sind ursprünglich. Das Instrument stammt von Heinrich Ammann aus Wild- haus, der diese sogenannte Toggenburger Hausorgel im Jahr 1807 gebaut hatte.

Bei der Renovation von 1930 wurde ein Dachreiter über dem Giebel aufgesetzt, zuvor hingen die Glocken unter dem Dachvorsprung der Front.

Innensicht der Kirche Obermutten

Kirche Obermutten, vor 1930 und heute, mit Dachreiter

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Schließlich wäre es unbedingt erforderlich, dass beide in Zukunft durch den Stil ihrer Politik gegenüber den anderen, vor allem den kleineren Partnern beweisen, dass sie führen,

Renate Maria Zerbe: Grundschulkinder auf den Spuren der Bibel © Auer Verlag – AAP Lehrerfachverlage GmbH, Augsburg.. Name

* Von den Studierenden an der HTW Chur mit Wohnsitz ausserhalb des Kantons Graubünden stammten im Jahr 2017 77 % aus anderen Schweizer Kantonen sowie dem Fürstentum

Bei Stahl und Kupfer behandelt man nach der Belichtung mit heißem Waller, an allen nicht von Licht getroffenen Stellen wird das Metall freigelegt und kann als- dann mit

Es kann chinefilche oder lithographilche Tufche, Aquarell-, Öl-, Glas- oder Emaillefarbe verwendet werden, nur muß diefelbe in allen Fällen dünnflüffig und frei von allen

seiner Arbeit viel mehr Freiheit, und es stehen ihm viel mehr Mittel zu Gebote, so daß bei einer Radierung eine große malerische Wirkung des Bildes erzielt werden kann, auch

Der Ver- treter einer Firma, der eine solche Karte besitzt, braucht sich deshalb nicht zu wundern, daß er in vielen Geschäften nicht den Chef sprechen kann und abgewiesen wird,

AUTOTYPIE, HERGESTELLT NACH EINER RETUSCHE, DIE NACH WERKSTATTZEICHNUNGEN ANGEFERTIGT UND IN DER BRÜSSELER WELTAUSSTELLUNG