Gottfried Oosterwal: Die Papua. Von der Kultur eines Naturvolkes.
Ans dem Holländischen übersetzt von Lore Orages. Stuttgart 1963,
148 S.; DM 4,80 (Urban-Bücher Bd. 68, Kohlhammer Verlag).
Dor holländische Titel dos Buches ,, Papuas, Mensehen wie wir" ist ein Programm: der Verfasser bemüht sich, in leicht verständlicher Darstellung
einem breiteren Publikum einige Papua-Gruppen zwischen den Flüssen
Mamberamo und Biri im ehemals holländischen Teil Neuguineas so nahe zu
bringen, als handele es sich um gute Nachbarn mit etwas eigenartigen Bräu¬
chen. Seiner Ausbildung entsprechend interessiert sich Oosterwal be¬
sonders für das Funktionieren der zwischenmenschlichen Beziehungen, der
Regeln des Zusammenlebens in den dörflichen Gemeinschaften, den Sank¬
tionen gegen Verstöße. Ein interessantes Kapitel widmet der sektiererisch -
christlich engagierte heutige Professor für Missionswissensehaft dem Zentrum religiösen Lebens: dem ,,faaroh" (heiliges Haus), den magischen Pi'aktiken,
der Rolle des Mond,,Wachstums", dem alles Wachstum auf Erden analog ist
und der Bedeutung der heiligen lebenspendenden Flöten. Dank gebührt dem
Verfasser schließlich für das letzte Kapitel, in dem er einigen Folgen west¬
licher Einflüsse nachgeht und u.a. über Heilerwartungsbewegungen, Kargo-
Kulte u.ä. spricht — leider nieht so systematisch und gründlich, wie man es
sich bei dem packenden Thema wünschte, aber doch anregend und unter¬
haltsam. Alles in allem: keine gestrenge Wissenschaft, aber eine gute an¬
schauliche und ethnogi'a])hisch fundierte Plauderei.
Eno Beuchelt, Köln
R. F. Barton: Autobiographies of three pagans in the Philippines. University
Books, New York, 1963, XLIII -f 271 S., 23 Photos, 2 Karten; S 7.50.
Barton, dor sich lange Jahre auf den Philippinen aufhielt und als Ethno¬
loge ein Autodidakt ist, legt die Lebensläufe zweier Männer (46 und 58 .1.)
und einer Frau (65 J.) vor, Angehörige einer Ifugao-Gruppe in Nord-Luzon.
Sein erklärtes Ziel ist ,, nicht eine generalisierte Kultur darzustellen, wie sie
ein fremder Beobachter auffaßt, sondern das Individuum als Produkt dieser
Kultiu- und die Kultur dureh das Auge des Individuums". Einer instruktiven
ethnograpliischen Einführung, bei der das Schwergewicht auf der Soziai-
ordnung dieser Kopfjäger liegt, folgt die Wiedergabe der Lebensläufe im
Stil der RADiNschen Pionierleistungen in dieser Technik: fast wörtlich, mit
nur wenigen Korrekturen, Ergänzungen und Erläuterungen des Verfassers.
W^obl etwas eigenwillig sind seine Interpretationen der im Mittelpimkt der
Berichte stehenden vorehelichen Sexualbeziehungen, die er als Ausprä¬
gungen eines nicht allein biologisch, sondern auoh sozial stimulierten ,,sex- hungers" ansieht; die Ehe bedeutet ihm lediglich das institutionalisierte
Ende der jugendlichen Promiskuität im Interesse - einer Regulierung der
Eligentumsverhältnisse : man heiratet, um familiären Privatbesitz zu schaffen.
Hier mögen sich Reminiszenzen aus Bartons Leningrader Lehrtätigkeit
niedergeschlagen haben. Interessant sind die mit Mbad, Rivers, Mali-
NOWSKi u.a. übereinstimmenden Beobachtungen, daß trotz des freien
Verkehrs der Jugendliehen wenige voreheliche Kinder gezeugt werden;
erstaunhch, daß soviele Jahre nach Ashley-Montagus Entdeckung der
Phase der adoleszenten Sterilität noch die Frage nach der Ursache auf¬
geworfen wird. End Beuchelt, Köln
Alfred ScHMrrr: Die Bamum-Schrift. Wiesbaden, Otto Harrassowitz 1963
(1964); Band I: Text, XVI -f 701 S. gr. 8», Band II: Tabellen, 59 S. mit
23 z.T. mehrseitigen Tabellen kl. 4°, Band III: Urkunden, 73 Doppel¬
seiten mit 49 z.T. mehrseitigen Abbildungen und einer Kartenskizze
kl. 4°; broschiert zusammen DM 170,—.
Die Bearbeitung der Schrifterfindungen modemer Naturvölker, auf deren
Wiehtigkeit als eines Vergleichsobjekts für den vermutlichen Vorgang bei
den altorientalisehen Schrifterflndungen der Rezensent in dieser Zeitschrift
bereits in Bd. 91 (1937) S. 324—334, Bd. 92 (1938) S. 183—218 und in zwei
noch anschließend zu nennenden Artikeln hingewiesen hat, hat in dem
Sprachwissenschaftler Alfred Schmitt einen vorzüglichen Vertreter ge¬
funden. Sein Bueh über eine Sehriftschöpfung bei den Alaska-Eskimos unter
dem Titel Untersuchungen zur Oeschichte der Schrift. Eine Schriftentwicklung um 1900 in Alaska (Leipzig, Otto Harrassowitz, 1940) ist vom Rezensenten
in ZDMG 95 (1941) S. 374—414 eingehend gewürdigt worden^. Über die
etwa gleich alte Schriftschöpfung des Königs Ngoya von Bamum in Kamerun
hatte man zunächst unvollkommene, aber naeh dem letzten Kriege durch das
Buch von I. Dugast und M. D. W. Jeffreys, L'ecriture des Bamum, sa
naissance, son Evolution, sa valeur phonitique, son utilisation (Memoires de r Institut Frangais d' Afrique Noire (Centre de Cameroun) ; Serie : Popula¬
tions Nr. 4, 1950) etwas bessere Kunde. Zu diesem Buche hat sich der Rez.
in ZDMG 104 (1954) S. 317—329 geäußert.
Das von Frau Dugast in diesem Buche über die Bamum-Schrift mitgeteilte Textmaterial konnte sich allerdings weder nach Umfang noch nach Verarbei¬
tung mit dem der Alaska-Schrift messen. Aber es enthielt doch ein Ver¬
zeichnis der in der Bamum-Residenz Fumban noch vorhandenen fast
hundert Schriftwerke in dieser Schrift und Spraehe. Und das Wissen um
dieses Schriftmaterial ließ A. Schmitt keine Ruhe : er mußte sich einige dieser
Schriftstücke beschaffen und mit derselben Gründlichkeit erforschen wie
die Eskimo-Schrift. Das Ergebnis liegt in dem hier angezeigten Werke vor
und zeigt des Verfassers erstaunliehen Fleiß und Forschungseifer in dem¬
selben rühmlichen Liebte wie sein vorbin genanntes Buch. Über seine Vor¬
gängerin Dugast hinaus erarbeitet Schmitt darin die sieben Entwicklungs¬
stufen dieser Schriff noch einmal von Grund aus neu.
Zunächst konnte er sich eine Anzahl von Texten in den verschiedenen
Schriftstufen mit Unterstützung der Missionsgesellschaften beschaffen.
Proben aus diesen Texten bietet der 3. Band seines Werkes. Bei der Spärlich¬
keit der Hilfsmittel mußte er sich sehr mühsam selbst in die Bamum-Sprache
und ihre Texte einarbeiten. Sein Werk ist also zugleich ein Mittel zum
besseren Verständnis dieser noeh wenig bekannten Sudansprache. In ge¬
duldiger Kleinarbeit hat er dann die Zeichen der einzelnen Sehriftstufen
1 Da die Erstveröffentlichung bald nach Erscheinen durch Luftangriff
völlig vernichtet wurde, hat Schmitt nachträglich eine kürzere Fassung
unter dem Titel Die Alaska-Schrift und ihre schriftgeschichtliche Bedeutung (Marburg 1951; = Münstersohe Forschungen 4) herausgebracht.
2 Zu diesen s. Rez. ZDMG 104 S. 319—322.
nicht nur in TabeUen nebeneinander gestellt, sondern auch genau die Ver¬
änderungen in den einzelnen Stvifen untersucht: welche älteren Zeicben
später weggefallen oder dureh neue ersetzt sind, wie die Texte, die in älteren imd jüngeren Niederschriften vorhanden sind, sich graphisch unterseheiden
usw. Alle diese mühsame Kleinarbeit ist in den Tabellen des zweiten Bandes
übersichtlich zusammengestellt.
Der wichtigste und gehaltvollste Teil des Ganzen ist der 700 Seiten starke
erste Band. Er enthält im ersten Teile naoh einer kurzen Übersicht über die
Geschichte der Bamum-Schrift eine Imapp gehaltene Grammatik der Bamum-
Sprache, die auch der Linguist begrüßen wird. Daran schließt sieh als Haupt¬
teil eine eingehende Erörterung der Scbriftentwicklung nach ihren sieben
Stufen. Der zweite Teil bespricht die Tabellen des zweiten Bandes, während
der dritte Teil durch Transkription, Übersetzimg und Erläuterungen die
Urkunden des dritten Bandes mit strengster philologischer Akribie für den
Schriftforscher erst nutzbar macht.
Es ist in einer Besprechung nicht möglich, den großen Fleiß gebührend
hervorzuheben, mit dem der Verf. die zum Teil recht verborgenen Schätze
des Bamum-Schrifttums gehoben hat. Wir müssen uns mit einem kurzen
Überblick über das begnügen, was Schmitts Buch für die Erforschung dieser
Schrift wie auoh für die allgemeine Schriftgeschichte bedeutet.
Man kann nunmehr viel besser als naeh Dugasts Buehe verfolgen, wie sieh
die einzelnen Entwicklungsstufen nacheinander ausgebildet baben. Die
älteste, nicht durch Dokumente belegte, Stufe mit fast 500 Schriftzeiohen
war nooh eine reine Wortbilderschrift, die auch noch nioht vollständige
Mitteilungen, sondern nur einzelne Stichworte zur Geschiehte der Könige
von Bamum wiedergeben konnte. Man sehrieb zunächst den Namen des
betreffenden Königs und dahinter ein Wort, das auf ein Ereignis seiner
Regierung hindeutete. Das erinnert nioht nur (mit Verf. S. llOf.) an ein
ähnliches Verfahren der aztekischen Bilderschrift, sondern auch an die
W^inter-Counts der Dakota-Indianer, an die Kekinowin der Ojibwa-Indianer
und ebenso an die ältesten ägyptischen Annalentäfelchen, die S. Schott
in seinem Buche Hieroglyphen (Mainz 1951) S. 17ff. besproohen hat.
Die nächsten Stufen zeigen eine Schrift, die sehon beliebige Texte in
ihrem genauen Wortlaut festhalten kann. Das überrascht vielleicht den, der
weiß, wie schwer die Darstellung genauer Wortlaute der älteren Eskimo¬
schrift fällt. Aber dieser scheinbare rasche Fortschritt ist in der Natur der
Bamum-Sprache begründet, die weitgehend einsilbige Wörter ohne Flexion
besitzt, ähnlich der chinesischen Sprache. Jedes konkrete Wort ließ sich
hier leicht durch sein Bild darstellen, und für abstrakte Wörter bot die von
den Bamum wie von allen primitiven Sehrifterfindern reichlich benutzte
Rebus-Schreibung einen bequemen Ersatz, indem man das Bild von ngap
, .Antilope" auch für ngap ,, Woche", das für li ,,Auge" auch für li „Name"
verwendete usw. Eine innere Schriftentwicklung war bei einer solchen
Sprache weder möglich nooh nötig. Leider muß eine solche Sprache unter
den vielen einsilbigen Wörtern sehr viele gleichlautende enthalten (s. die
eben genannten Beispiele), so daß im Einzelfall unklar bleibt, ob das Zeichen li das Wort „Auge" oder das Wort ,,Name" meint usw. Die alten Chinesen
behoben diese Mehrdeutigkeit aueh ihrer Sprache durch Hinzufügung von
Determinativen, den sogenannten „Klassenhäuptern", die den Sinnbereich des gemeinten Wortes andeuten'. Auf diese Weise erreichten sie Eindeutig-
» Vgl. dazu Rez. in Analecta Biblica 12 (Rom 1959) S. 99 mit Abb. 16 und 17.
keit der Lesung, erkauften diese aber durch eine ungeheure Vermehrung der Zeicbenzabl. Ngoya ist diesen Weg nicht gegangen, sondern ließ seine Sehrift
in ihrer Mehrdeutigkeit. Seinen Schreiborn maehte das vielleieht nicht so
große Schwierigkeit wie uns, da sie meist aus dem Kontext ersahen, ob
,,Auge" oder „Name", ,, Antilope" oder „Woche" gemeint war'.
Die weitere Entwicklung der Bamumschrift ist nieht auf Eindeutigkeit,
sondern auf Verringerung der Zeicbenzabl und Vereinfachung der Zeichen¬
formen geriohtet. Von ursprünglich fast 500 Zeiehen hat sie ihren Bestand nach und nach auf nur 80 Zeichen von immer einfacheren und unbildlieberen Formen verringert. Das führte freilich zur Vermehrung der gleichlautenden
Wörter und damit zu noch größerer Undeutlichkeit, die auch durcb Einfüh¬
rung eines imterscheidenden Akzents und eines Determinativs nicht behoben
werden konnte. Die ältere Forsehung verband mit der Verringerung der
Zeichenzahl die Auffassung, daß die Wortschrift sich zur Silbenschrift imd
schließlich fast zur Buchstabenschrift entwickelt habe. Der Rez. bat sich in
ZDMG 104 zwar nur für Silbenschrift als Endstufe ausgesprochen und zwi¬
schen der 5. und (j. Schriftstufe die grundlegende Wandlung zur reinen
Silbenschrift angenommen. Jetzt aber zeigt der Verf., daß aueh diese An¬
nahme irrig ist und daß die Bamum-Schriftzeichen, auch wo sie uns silbisch
erscheinen, von ihren Schreibern nooh als einsilbige Wörter aufgefaßt wor¬
den sind^. Das gilt auch für mehrsilbige Namen, dio nach unserem Gefühl in
Silben, nach Auffassung Ngoyas aber in Wörter zerlegt werden. Die „ano¬
nyme" Silbe, wie nach dos Verf. Vorgang gesagt sei, d.h. die Silbe, die nicht
zugleich ein bedeutungsvolles Wort ist, ist den Bamum offenbar nicht
bewußt geworden. Während also der Eskimo-Schriftschöpfer nach anfäng¬
licher Unfähigkeit zum eindeutigen Ausdruck seiner vielsilbigen Wörter
erst durch seinen lateinschriftkundigen Sohn das Geheimnis der Silbe ent¬
deckt imd nun konsequent verwertet, hat Ngoya die Silbo nur in Gestalt
des einsilbigen Wortes erfaßt und ist letzten Endes immer am Worte haften
geblieben. Wir sehen damit noch einmal mehr, daß selbst die Erkenntnis der
anonymen Silbe und erst recht die des Einzellautes, besonders des Konso¬
nanten, keine Solbstverständliehkeit für einen Schriftsohöpfer ist.
Dank Schmitts emsiger und ausdauernder Arbeit können wir nunmehr
zwei moderne Sohrifterfindungen aus verschiedenen Weltgegonden und für
grundverschiedene Sprachen eingehend studieren und daraus Anregungen
für die Beurteilung aueh der alten Sohriftsehöpfungen gewinnen. Dafür
sollten ihm die Völkerkundler wie die Altertumsforscher in gleicher Weise
dankbar sein. Johannes Friedbich, Berlin
Bryant Tüokerman: Planetary, Lunar and Solar Positions A.D. 2 to A.D.
1649 at Five-day and Ten-day Intervals. Memoirs of the American Philo¬
sophical Society, vol. 59. Philadelphia 1964, S 7,50.
Erfreulich rasch ist die Fortsetzung der hier bereits (ZDMG, 113/3, 1963)
gewürdigten geozentrischen ekliptikalen Ephemeriden erschienen. Der neue
* Auch der neuassyrisehe Schreiber wurde mit der Polyphonie seiner
Silbenzeichen besser fortig als der moderne Assyriologe, und den Schreibern der minoischen Linearsohrift B ging es mit den verstümmelten griechischen Wörtern ebenso.
^ Auch die alten Ägypter haben dort, wo die moderne Forsehung Konso¬
nanten zu sehen glaubt, Wörter und deren bildliche Darstellung gesehen.
Band ist mit 842 Seiten zweieinhalbmal so stark wie der erste, kostet aber nicht einmal das Doppelte! Fih' soine Herstellung konnte eine elektronische
Großrechenanlage IBM 7094 benutzt werden. Während der erste Teil immer¬
hin noch 40 Stunden reine Rechenzeit auf einer IBM 704 erforderte, brauchte
die neue Maschine einschließlich des fertigen Ausdruckens der Ergebnisse für
photomechanische Reproduktion nur netto 12 Stunden fiu' die erheblich um¬
fangreichere Arbeit. Hierin zeigt sich eindrucksvolll der technische Fort¬
schritt.
Die Angaben gelten wieder für 19'^ mittlere Ortszeit auf 45° östlicher
Länge, was für Bagdad ebenso praktisch ist wie für BaVjylon. Um auch die
Beobachtungen von Tycho Brahe und Kepler zeitlich zu erfassen, wurden
die Rochnungen bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts fortgeführt. Da die
Daten nach dem julianischen Kalender angegeben sind, muß man für die
Zeit ab 5./15. Oktober 1582 gegebenenfalls 10 Tago hinzuzählen. In der Ein¬
leitung werden einige (für den normalen Gebrauch unmerkliche) Genauig¬
keitssteigerungen gegenüber dem ersten Teil besprochen und durch eine Zu¬
satztabelle über kurzzeitige Störungen von Jupiter und Saturn ergänzt, die
die Kompatibilität mit den chronologischen Tafeln von P. V. Neugebauer
herstellen.
Winfried E. Petri, Schliersee
Otto Rubensohn: Das Delion von, Paros. Herausgegoben vom Deutschen
Archaeologischen Institut. Wiesbaden: Franz Steiner Verlug 19G2. 185
Seiten; 13 Textabbildungen, 4 Beilagen, 35 Tafeln, 2 Falttafeln. 4".
DM. 58,—.
Habent sua fata libelli. 1899 hat der kürzlich im Alter von 97 Jahren ver¬
storbene Verfasser die im vorliegenden Buch publizierten Ausgrabimgen auf
der Kykladen-Insel Paros, gemeinsam mit dem längst verstorbenen Rob.
Zahn, durchgeführt, erst jetzt war es ihm aber möglieh, den abschließenden
Bericht darüber vorzulegen. Kurze Nachrichten veiöffontliohte er zwar sehon
unmittelbar nach Abschluss seiner Untersuchungen kurz nach 1900; mannig¬
fache Schicksale verhinderton indessen diö Bekanntgabe der ganzen Gra¬
bungspublikation.
Die Grabungen galten dem auf einem Hügel der Insel gelegenen Filial-
kidt des auf dom nahen Delos verehrten Götterpaares Apollon und Artemis,
das dort seit alter Zeit einen wichtigen Kult genoß, der sich schon in archai¬
scher Zeit weit über Delos hinaus verbreitete. Der parische Bezirk war klein,
er umschließt ein unregelmäßiges Quadrat von etwa 25 m. Er barg eine Reihe
an Baulichkeiten, darunter einen kleinen der Artemis geweihten Tempel, und
mindestens drei Altäre. Der älteste unter ihnen vertritt die hoch altertüm¬
liche Form des direkt aus dem Felsen geschlagenen ,, Fels-Altars". Neben den
göttlichen Geschwistern Ajiollon und Artemis wiude, wie eine Inschrift er¬
weist, auch Athena unter dem von ihrem delischen Heiligtum auf dem Berg
Kynthos entlehnton Beinamen ,,Kynthie", überdies Herakles verehrt.
Die Gebäude wurden, wie so oft, bis zu den Fundamenten abgetragen ent¬
deckt. Bauern errichteten Kalköfen in der Nähe des Kultplatzes, in denen
die einst für jene Gebäude verwendeten Marmorwerkstücke zu Kalk ver¬
brannt wurden. Gleiches Schicksal traf auch die meisten Marmorstatuen, von
denen nur wenige, jedoch umso interessantere Reste erhalten blieben. —
Unter den Baulichkeiten ist ein Kultraum von einiger Wiehtigkeit, ein sog.
„Banquett"-Raum, der für Kultfoiern mit ansohlioßonden Opfergelagen
diente. Die ursprünghche Anordnung der Bänke, auf der naeh griechischer Sitte die Teilnehmer lagen, und des zentral aufgestellten Tisches ist noch zu erkennen.
Die Dauer des Heiligtums läßt sich nicht leieht bestimmen. In Gruben, die
imter jüngeren Gebäude-Fundamenten aufgedeckt wurden und nach ge¬
wohnter Weise einst den hier verehrten Gottheiten geweihte Gaben (Ton¬
gefäße, Schmucksachen, Tonfigürchen) enthielten, entdeckte man bemalte
Tonscherben, die vom Ausgang des 8. Jahrhunderts v. Chr. bis tief in das
7. Jahrhundert hinabreiohen ; Bruchstücke von Tonstatuotten erweisen die
Fortdauer des Kults jedoch bis mindestens zum Ende des 4. Jahrhunderts
v. Chr. Einige Überlegungen und Funde lassen es jedoch wahrscheinlich er¬
scheinen, daß der Platz bereits vor dem 8. Jahrhundert als heiliger Ort galt;
mutmaßlich bestand vor der Zeit, da hier Apollon und Artemis verehrt
wurden, ein Kult des Berggottes Hypatos.
Bedeutsam sind trotz ihrer geringen Zahl die aufgefundenen Tonsoherben.
Selbstverständlich dominieren unter ihnen die aus verschiedenen insel-
grieehisehen Töpfereien stammenden Gefäße, vorwiegend der sog. ,, geome¬
trischen" Epoehe; Beziehungen zum nahen Festland ergeben sich aus argi-
vischen und korinthischen Scherben, während ostgrieohische Keramik selte¬
ner bezeugt ist.
Reeht bedeutungsvoll sind einige der insgesamt leider nur wenigen Bruch¬
stücke an Statuen und verwandten Weihungen. Unter ihnen ragt ein (be¬
dauerlicherweise nieht abgebildeter) Steinpfeiler mit spätarehaischer In¬
schrift hervor, die es erweist, daß wir in dem roh zugerichteten, 45 cm hohen, quader-ähnlichen Stein ein fetischartiges Kultmal der kynthischen Artemis zu erblicken haben. Es ist ein spätester Nachfahr vor-griechischer Religions¬
und Kultformen, dem sich in historischer Zeit nur wenige Parallelen zur Seite
stellen. Ebenso wichtig ist eine Marmorstatuetto der Artemis, die kurz vor
Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. entstand. Durch glückliche Umstände
konnte sio kürzlich weiter vervollständigt werden (Mitteilungen des Deutschen Archaeologischen Instituts in Athen 77, 1962, 207ff. Beilage 56ff.). In einer
bisher kaum geklärten Weise vertritt diese Figur in ihrer Kleidung und der
Art, wie sie sie trägt, einen Typus, der uns von kleinasiatischen und syrischen Münzen der späteren römischen Kaiserzeit her wohl vertraut ist. Dort werden
wiederum Artemis wie ihr verwandte Göttinnen oftmals im gleichen Typus
bzw. ihm nächststehender Art dargestellt, stets sind es Wiedergaben dortiger Kultstatuen. Das Alter dieser uns fast aussehließlich durch solche Münzbilder
bekannten Kultfiguren ist bis heute nooh nie genauer untersueht worden.
Nach dem parischen Fund muß man damit rechnen, daß dieser Statuentypus
zeitlich hoch hinauf reicht, sicherlich noeh weit höher, als es jene parische Statuette gestattet. Die eigenartige Erscheinungsform sowohl der parischen Statuette wie der ihr so ähnlichen Kultbilder auf den römischen Münzstem¬
peln läßt eine vermutlich recht alte Typologie erschließen, die ihren Ursprung
möglicherweise in Syrien oder im Gebiet der heutigen Türkei hatte, uns je¬
doch mangels entsprechender originaler Funde vorläufig für ältere Epoohen nooh nieht reeht greifbar sein könnte. Hier eröffnen sich religionsgeschicht¬
liche Aspekte, denen nachzuspüren sich lohnen dürfte.
Korrektur-Zusatz : Ein soeben publizierter Statuetten-Torso der Kybele aus Ayaj (Türkei) wohl des 7. oder 6. Jahrhunderts v. Chr. scheint die These zu be¬
stätigen, daß der Typus der Artemisfigur von Anatolischem abhängt (K. Bittel in: Antike Plastik, herausgegeben von W.-H. Schuchhardt, Lieferung 2, 1964,
15 Anm. 51 Tafel 11 c-d). Ebwin BiELErELD, München
Hermann Junker: Leben und Werk in Selbstdarstellung (Österreichische Akademie der Wissenschaften, philosoph.-histor. Klasse. Sitzungsberichte 242. Band, 5. Abhandlung). Wien 1963. 60 Seiten.
Am 9. Januar 1962 ist Hermann Junker, einer der bedeutendsten und
vielseitigsten deutschen Ägyptologen, im Alter von 84 Jahren verstorben. Es
darf als ein glücklicher Umstand bestraohtet werden, daß wir nunmehr eine
biographische Darstellung dieses so langen und reichen, der Wissenschaft
gewidmeten Lobens aus eigener Feder besitzen.
Junker batte sie bereits mehr als acht Jahre vor seinem Tode verfaßt. Sie
wurde von seiner Schwester zur Verfügung gestellt, durch den Wiener
Ägyptologen Erich Winter vervollständigt sowie mit einem Schriftenver¬
zeichnis versehen und durch die Österreichische Akademie der Wissen¬
schaften, der der Verstorbene seit 1914 angehörte, veröifentlicht. In den
Sitzungsberichten, Abhandlungen und Denkschriften dieser gelehrten
Gesellschaft ist aucb der weitaus größte Teil seines wissenschaftlichen Lebens¬
werkes erschienen. Dies und besonders der Wert, den diese Autobiographie auch als ein Stück Geschichte unserer Wissenschaft besitzt, rechtfertigen ihre Veröffentlichung als Sitzungsbericht der philosophisch-historischen Klasse.
Es kann nicht der Zweck dieser Besprechung sein, den Lebenslauf H. Jun¬
kers ausführhch darzustellen, wie das die zahlreich erschienenen Nachrufe
getan haben. Doch müssen wenigstens ganz kurz die hauptsächlichsten
Gebiete aufgezählt werden, auf denen der Verstorbene gewirkt hat und über
die er in der vorliegenden Sehrift berichtet.
Er war zunäehst von Haus aus (*1877 in Bendorf am Rhein) zum Priester
bestimmt, erhielt 1900 die Weihe und war danach ein Jahr lang in der
px'aktisehen Seelsorge tätig. Von daher brachte der später zum Prälaten
ernannte Ägyptologe ein besonderes Interesse für die Probleme der alt¬
ägyptischon Religionsgesehichte mit, zu denen er in zahlreichen grund¬
legenden Untersuchungen Stellung nahm. Soine Dissertation (1903) war dem
Schriftsystem der Tempel der griechisch-römischen Zeit gewidmet; später
bearbeitete er dio Texto dieser Tempel für das Ägyptische Wörterbuch,
erforschte ihre Grammatik und rettete die Inschriften des in den Fluten
dos Stausoes von Aswän versinkenden Heiligtums von Philae für die Wissen¬
schaft. Als Nachfolger Leo Reinischs 1907 nach Wien berufen und 1912
zum Ordinarius ernannt, nahm or sieh im Anschluß an dessen afrikanistisches
Lebenswerk auch der von der Ägyptologie sonst kaum beachteten nubischen
Sprache an, sowohl der Erforsehung der lebenden Dialekte im Niltal und im
Kordofan als auch der ehristlioh-nubischen Inschriften des Mittelalters.
Seit 1909 aber führte er im Auftrag der Österreichischen Akademie in
Ägypten und Nubien Ausgrabungen durch, eine infolge der ungünstigen
Umstände von Deutschen selten ausgeübte Tätigkeit, die ihn eigentlich zu
dem Archäologen der deutschen und österreichischen Ägyptologie hat werden
lassen. Von 1929—45 war or Direktor des Deutschen Archäologischen Insti¬
tuts in Kairo (1929—39 daneben auch Professor an der dortigen Universität).
Aber er hat sich nicht mit don Ausgrabungen allein begnügt. Sein zwölf-
bändiges Werk „Giza" ist über eine gründliche Grabungspublikation hinaus
ein unentbehrliches Kompendium der Religions-, Kultur- und Verwaltungs¬
geschichte des Alten Reiches. Es wird durch zahlreiche Einzolabhandlungen
ergänzt. Seine übrigen Grabungen an verschiedenen Plätzen (Tura, Merimde,
Kubanija, Ermenna imd Toschka) galten der Erforschung prä- und para¬
historischer Kulturen. Auch hier hat er sich nicht mit der Veröffentlichung 12 ZDMO 116/1
der materiellen Ergebnisse begnügt, sondern versucht, das religiöse und gei¬
stige Leben der Vorzeit aus ihnen zu erschließen. Noeh seine letzte Akademie- Abhandlung beschäftigte sich mit dieser Frage.
Jedem dieser zum Teil recht verschiedenen Forschungsgebiete hat Junker
in seinem Lebensbericht einen eigenen Abschnitt gewidmet. Daneben
findet man natürlich auch seine eigenen Erinnerungen an die versehiedenen Stufen seines Lebens. Dagegen fehlen die in derartigen Autobiographien
sonst üblichen subjektiven Bemerkungen über Fachkollegen gänzlich. Auch
der Bericht über seine Tätigkeit in Kairo, die ibn ja in Berührung mit nahezu sämtlichen Vertretern seines Faches brachte, enthält lediglich Angaben über
die verschiedenen Unternehmungen des Instituts, das unter seiner Leitung
zu einer in aller Welt angesehenen internationalen Stätte der Forschung
^^^*1®" Jürgen v. Bbckebath, München
Sib Alan Gabdiner: Egypt of the Pliuraohs, An Introduction, Oxford
University Press 1961, reprinted 1964.
Sir Alan Gardiners altägyptische Geschichte "Egypt of the Pharaohs"
wurde im vergangenen Jabre zum vierton Malo aufgelegt und als Nr. 85 in
die Reihe der Oxford Paperbacks übernommen. Daß es im Verlaufe weniger
Jahre — die Erstausgabe erschien 1961 — zu so dicht aufeinander folgen¬
den Neudrucken kommen konnte, zeigt das außergewöhnliche Interesse an
dem Werk, das sicherlich nicbt nur dem Sujet, sondern vor allem auoh der
Persönlichkeit des Autors zuzuschreiben ist. Sir Alan, der auf dem Gebiet
der altägyptischen Philologie zu den bedeutendsten Ägyptologen zählt, wen¬
det sich damit insbesondere an den gebildeten Leser und den Studierenden, ohne deshalb für den Fachkollegen weniger fesselnd zu sein. Auf dieser glück¬
lichen Synthese basiert der großo Erfolg des Buches, das der Verfasser selbst nur als eine Einführung betrachtet wissen will.
Der jetzt vorliegende Neudruck stimmt mit der Erstausgabe — von eini¬
gen Nachträgen und den verbesserten Errata abgesehen — völlig überein'.
Nach vier einleitenden Kapitehi, in denen der Verfasser u.a. die ältägyptische Schrift und Sprache, die auf uns gekommenen Quellen sowie in einem Exkurs
die Datierungsmethoden der Ägypter behandelt, folgt dio eigentliche Ge-
schichtsdarstollung. Sir Alan beginnt jedoch nioht wie gebräuehlich mit der
Prähistorie, sondern mit der 3. Dynastie, beschreibt don gesehiehtlichen Ab¬
lauf bis zum Tode Alexanders d. Gr. und fügt erst danach die Besprochung der Vor- und Frühgeschichte an. Wie schon bei seiner mittelägyptisehen
Grammatik, die sich in ihrem andersartigen Aufbau konsequent den Bedürf¬
nissen des Lemenden anpaßt, indem schwierigere Probleme aus der sonst üb¬
lichen Reihenfolge herausgenommen und später behandelt werden, baben für
den Verfasser auch bei der hier gewählten Anordnung pädagogische Gesichts¬
punkte im Vordergrund gestanden. Der Studierende sollte nicht schon auf
den ersten Seiten mit den z.T. ungelösten und strittigen Fragen des geschicht¬
lichen Anfangs konfrontiert werden, deren Lösung bei einer ausgesprochen
philologisch ausgerichteten G«schichtsbetraohtimg wie der vorliegenden um
so schwerer fallen muß, als schriftliche Zeugnisse in dieser Zeit fehlen oder zu¬
mindest sehr selten vorkommen.
1 Besprechungen der Erstausgabe m OLZ 57 (1962), S. 133ff.; Bibliotheca
Orientalis 19 (1962), S. 135ff.; JEA 48 (1962), S. 164; JNES 21 (1962),
S. 67£f.
Sehr zu begrüßen sind die immer wieder herangezogenen Exzerpte von
z.T. unveröffenthchten Originaltexten, deren geschickte Auswahl das vom
Verfasser Gesagte erläutert vmd fortführt. Daß die Ubersetzungen der Texte
dabei ein wenig freier behandelt wurden, wird man in diesem Zusammenhang, bei dem es weniger auf philologische Akribie als auf die historische Aussage
ankommt, kaum als nachteilig empfinden. Jedem der 15 Kapitel ist eine aus¬
gewählte Bibliographie beigegeben, die insofern einseitig ausfallen mußte, als
sie mit Rücksicht auf das englische Leserpublikum in der Hauptsache eng¬
lisch geschriebene Werke aufzählt. Auch die Gestaltung des allzu kurzen In¬
haltsverzeichnisses richtete sich nach dem zu erwartenden Leserkreis und
verzichtete leider auf Spezial-Indiees. Damit versöhnt dann allerdings die
ausführliche, naoh Dynastien geordnete Aufzählung der Könige, die, mit
kommentierendem Text versehen, dio ganze uns erhaltene Überlieferung be¬
rücksichtigt. Als roter Faden dient dabei die Königschronik des ägyptischen
Priesters Manetho in den auf uns gekommenen Auszügen des Josephus, des
Africanus imd des Eusebius.
Sib Alan schrieb im Schlußsatz seines Vorwortes, das vorliegende Werk
würde aller Wahrscheinlichkeit naeh sein Schwanengesang sein. Zum aller¬
größten Bedauern seiner Freimde und Kollegen hat sich inzwischen diese
traurige Prophetie erfüllt. Siii Alan starb 84 jährig im Dezember 1963. Wir
sind dankbar, daß es ihm vergönnt war, auoh auf historischem Gebiet die Er¬
gebnisse seiner lebenslangen Studien zusanunenzufassen und uns in dieser
Form zu hinterlassen.
Winfbied Babta, München
Ebik Hobnung : Untersuchungen zur Chronologie und Geschichte des Neuen
Reiches, Ägyptologisohe Abhandlungen Band 11, Otto Harrassowitz Wies¬
baden 1964, 120 Seiten, DM 20,—
Eine Monographie über die chronologischen Probleme des Neuen Reiches
in Ägypten gilt seit langen Jahron als dringendes Desiderat. Seit dem Er¬
scheinen von Ludwig Borchaedts Chronologie im Jahre 1935', deren Er¬
gebnisse heute zum allergrößten Toil überholt sind, hat os keine zusammen¬
fassende Bearbeitung dieses Fragenkomjalexos mehr gegeben. Während die
Daten des Mittleren Reiches zumindest für die 12. Dynastie eindeutig fest¬
liegen, differieren die möglichen Ansatzpunkte der Thronbesteigungsdaten
im Neuen Reich immer nooh um z.T. mehrero Jahrzehnte.
Erik Hobnung hat sich dieser Probleme in seiner jetzt vorliegenden Ha¬
bilitationsschrift mit bemerkenswerter Gründlichkeit angenommen. Die
Arbeit behandelt den Zeitraum vom Beginn der 18. bis zum Endo der 21. Dy¬
nastie — also die rund 600 Jahro des 16. bis 10. vorchristliehen Jahrhunderts.
Nach einer Zusammenstellung der für die Chronologie verwertbaren Hilfs¬
mittel und der Besprechung methodischer Fragen legt Hobnung in den 2
ersten Kapiteln die Daten für Anfang und Ende des Neuen Reiches fest : für
die Thronbesteigung Ahmoses ergeben sich dabei auf Grund des Sothisdatums
im Papyrus Ebers die Grenzwerte 1578/1546 v. Chr., während das letzte Re¬
gierungsjahr Psusennes II. mit Hilfe des Synohronisrhus Scheschonk I./Reha-
beam von Juda in die Jahre 948 bis 941 v. Chr. fallen muß. Im Folgenden
werden neben der relativen Chronologie Ägyptens und Vorderasiens vor allem
1 L. Borchardt, Die Mittel zur zeitlichen Festlegung von Punkten der ägyp¬
tischen Geschichte und ihre Anwendung, Kairo 1935.
12»
die für eine absolute Datierung entscheidenden Monddaten und Synchronis¬
men zwischen Ägypten und den vorderasiatischen Großreichen besprochen.
Außerdem geht Hobnunci gesondert auf die Geschiehte der Amarnazeit ein.
Er benutzt dabei für dio Festlegung bestimmter Höhepunkte der Regierung
Achenatens die in Teil el-Amarna gefundenen datierten Gefäßaufsehriften.
Ein deutliches zahlenmäßiges Ansteigen der an den Hof gelieferten Gefäße
mit Naturalien, besonders Wein oder Fleisch, muß, so schließt der Verf. mit
Reeht, auf gravierende Ereignisse im Staatsloben hinweisen.
Die Arbeit wird abgerundet durch eine zusammenfassende Aufstellung
aller ermittelten bzw. übernommenen Daten fiu die Königsfolge in Ägypten,
Assyrien, Babylonien und im Hethiterroieh während der Zeit des Neuen Rei¬
ches. Die Grenzwerte stützen sich dabei im wesentlichen — von dem Synchro- nimus Scheschonk I./Rehabeam abgesehen — auf die Thronbesteigimgsdaten
1490 fiir Tuthmosis III. sowie 1290 für Ramses II. Diese von HoRNUN(i als
sicher verrechneten Daten basieren darauf, daß als Bezugsort für das Sothis-
datum des Papyrus Ebers nicht Memphis, sondern mit Sicherheit Theben an¬
zusetzen ist. Für Ramses II. beispielsweise würde ein unsicherer Bezugsort
naeh den von Parker errechneten Monddaten bedeuten, daß neben 1290
auch 1304 als Regierungsbegirm in Betracht käme. Der Beweis, den der Verf.
(S. soff.) führt, mn die nach wio vor umstrittene Entscheidung zwischen
Memphis und Theben zu ermöglichen, ist ein bisher für dio Chronologie Ägyp¬
tens tmbeachtet gebliebener Synchronismus zwischen Ramses II. und dem
Assyrerkönig Salmanassar I., dessen Regierung nach der gut gesicherten
assyrischen Chronologie die Jahre 1275/72 bis 1245/42 lunfaßt. Aus einem
1959 von H. Otten veröffentlichten Brieffragment geht hervor, daß dor He¬
thiter Urhi-Tesub mit Salmanassar I. in Verbindung gestanden hat. Diese
Korrespondenz läßt sich jedoch auf kein bestimmtes Kalenderjahr festlegen.
Somit kann sich Urhi-Tesub sowohl während seiner 7-jährigen Regieiungs-
zeit als auch nach seiner Vertreibung durch seinen Onkel Hattusilis III. von
irgendeinem Verbannungsort aus an Salmanassar I. gewandt haben. Da Ram¬
ses II. in seinem 21. Regierimgsjahre den bekannten Friedensvertrag mit
Hattusilis III. schließt, die Regierung Urhi-Tesubs also davor liegen muß,
ergibt sich für Hornung der indirekte Synchronismus Salmanassar I. Jahr
X = Ramses II. Jahr 21. Damit karm Ramses II. naeh der assyrischen Chro¬
nologie nicht vor 1295/94 auf den Thron gelangt sein, wodurch das Jahr 1304
als Thronbesteigungsjahr entfällt. Memphis muß denmaoh als Bezugsort aus¬
scheiden.
Eine einfache Gegenreehnung läßt jedoch an der Sicherheit des angeführ¬
ten Synchronismus zweifeln. Hornung selbst räumt (S. 51 Anm. 7) die Mög¬
lichkeit ein, ,,daß Urhi-Tesub erst nach mehrjähriger Verbannung an den
gerade zur Herrschaft gelangten Salmanassar I. schrieb". Da wir von mehre¬
ren Aufenthaltsorten Urhi-Tesubs wissen, liegt in der Tat der Gedanke an
eine lange Verbannungszeit nahe. Nimmt man nun an, er habe sich erst 12
Jahre nach seinem Sturz, also 12 Jahre naeh der Thronbesteigung Hattu-
§iliss III. an den neuen Assyrerkönig Salmanassar I. gewandt, so körmte der
Friedensvertrag zwischen Ramses II. und Hattusilis III. bereits 9 Jahro zu-
rückliegen^. In Jahreszahlen ausgedrüekt würde das bedeuten, daß Hattu¬
silis III. 1287/84 V. Chr. (12 Jahre vor Salmanassar I.) don Thron bestieg und
der Abschluß des Friedensvertrages ebenso wio das 21. Jahr Ramses' II. in
2 Als Minimum für die Friedensverhandlungen der beiden Kontrahenten
nimmt Hornuno (S. 59) einen Zeitraum von 3 Jahren an.
die Jahro 1284/81 fielen. Als Thronbesteigungsjahr Ramses' II. wäre damit
das Jahr 1304 v. Chr. wiederum im Bereiehe des Mögliohen und von den bei¬
den Bezugsorten Theben oder Memphis könnte keiner mit Sicherheit ausge¬
schlossen werden. Auch 1490 v. Chr. als Thronbesteigimgsjahr für Tuthmosis
III. dürfte nieht mehr als Fixpunkt angesehen werden. Obwohl vieles —
darunter der indirekte Synchronismus Kadasman-Enlil II. Jahr 1 = Ram¬
ses II. Jahr 21-x — auf Theben als Bezugsort für Sothisdaten während der
18. Dynastie hindeutet, dürfen wir dennoch nicbt von Sicherheit, sondem
nur von großer Wahrscheinlichkeit sprechen.
Winfbied Babta, München
O. NEtTGEBAUEB und RiCHABD A. Pabkeb: Egyptian Astronomical Texts:
I, The Early Dekans ; II, Tlie Ramesside Star Clocks (Brown Egyptological Studies Vol. Ill und V), London 1960 und 1964. I: X u. 134 S., 54 Tafeln, 46 Zeichnungen im Text. II: X u. 78 S., 67 Taf., 19 Zeichnungen im Text.
Diese großzügige Publikation enthält im ersten Band die Neuveröffent¬
lichung der Stern-Uhren von 12 Särgen der ersten Zwischenzeit und des
Mittleren Reichs, der Dekan-Liste im Grab des Senmut aus dem Anfang des
Neuen Reichs bei Der el Bahri, der Stern-Uhr des Osireions in Abydos
(Kap. I), der Himmelsdarstellungen im Kenotaph Sethos' I. zu Abydos und
im Grabe Ramses' IV., der ägjrptisch-demotischen Papyri Karlsberg I und
Ia (Kap. II).
Den Übersetzungen sind subtile, zuverlässige und wertvolle textkritische
und philologische Bemerkungen sowie sachliche Kommentare beigegeben.
Ein besonderes Kapitel (III) ist einer Abhandlung über die ägyptischen De¬
kane und die Einteihmg der Stunden gewidmet und für die Erkenntnis des
Wesens der ägyptischen „Astronomie" von großer Bedeutung.
Der zweite Band enthält die Stern-Uhren an den Decken der Gräber
Ramses' VI., VII. und IX. mit textkritisehen Noten und sachlichen Erläute¬
rungen sowie Erörterungen über Wesen und System der ramessidischen
Stern-Uhren.
Dio pbotographischen Tafeln sind im Ganzen ausgezeichnet. Trotzdem
wäre es sicher nieht überflüssig gewesen, auch im ersten Band außer der
Konkordanz der Texto bei Sethos, Ramses und den Papjrri Carlsberg (Tafel
44—54) und der Übersicht der Dekane (Tafel 26—29) zu jeder pbotographi¬
schen Tafel zusätzlich hieroglyphische und hieratische Handkopien zu geben,
wie es für die obere Hälfte von Tafel 24 dankenswerter Weise gesehehen ist.
Im zweiten Band ist der Benutzer für die Handkopien (Taf. 29—67) dankbar.
Allerdings macht hier auch der Erhaltungszustand der Originale das Lesen
nach den photographischen Tafeln ganz unmöglich.
Der astronomische Laie wird die dureh Skizzen unterstützte Erklärung
astronomischer Ausdrücke in Appendix I des ersten Bandes besonders zu
würdigen wissen.
Dem Rezensenten ist besonders an dem P. Carlsberg I (der ein im 2. Jahr¬
hundert n. Chr. geschriebener Kommentar zur Stern-Uhr des Osireions ist,
wegen seiner Übertragungen der älteren ägyptischen Beisohriften und Texte
in das Demotische der römischen Kaiserzeit besondere sprachgeschichtliche
Bedeutung hat und in dieser Hinsicht einer speziellen Untersuchung wert ist)
der Fortschritt deutlich geworden, den die vorliegende Publikation gegen¬
über früheren Veröffentliehungen bringt. Wir danken beiden Autoren für
das Geschenk, das sie mit diesem Corpus der „Egyptian Astronomical Texts"
der Wissenschaft machen, und beglückwünschen sie zu ihrer Leistung. Zu¬
gleich warten wir gespannt auf den abschließenden dritten Band.
Ebich Lüddeckens, Würzburg
Richabd A. Pabkeb: A Vienna Demotic Papyrus on Eclipse- and Lunar-
Omina. (Brown University Press), Providence, Rhode Island 1959. 59 S ,
9 Taf.
Dor hier publizierte Wiener Papyrus enthält zwei Texte, deren erster Vor¬
bedeutungen von Sonn- und Mondfinsternissen für die Länder Ägypten,
Kreta, Syrien, Amor und Israel je nach Monat, Stunde usw., deren zweiter
nur die Vorbedeutungen verschiedener Mondkonstellationen in erster Linie
für Land und Volk Ägyptens mitteilt.
Abgesehen von der kulturhistorischen Bedeutung der Texte ist es für den
Demotiker wertvoll, hier mit den demotischen Schreibungen der babyloni¬
schen Mond-Monatsnamen bekannt gemacht zu werden.
Die Lesung, Ergänzung und Wiederherstellung, Übersetzung und Kom¬
mentierung beider aus 19 nieht zusammenhängenden Fragmenten bestehen¬
den Texte sowie der Nachweis des babylonischen Ursprungs des ersten Textes imd die Datierung seiner Abfassung (6. Jahrhundert v. Chr.) und vorliegen¬
den Niederschrift (um 200 n. Chr.) sind eine philologische Meisterleistung.
Die Wiedergabe der demotischen Schrift auf den pbotographischen Tafeln
ist hervorragend. Die Auswertung der Texte wird dureh ein ausführliches ägyptisches Glossar erleichtert. Besonders werden den Benutzer die Ausklapp¬
tafeln erfreuen, die ihm lästiges Hin- und Herblättern ersparen.
Die Wissenschaft schuldet R. Pabkeb für dieses ausgezeichnete Werk
großen Dank.
Ebich Lüddeckens, Würzburg
B. H. Stbickeb: De Geboorte van Horums I. Mededelingen en Verhandelingen
van het Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap „Ex Oriente Lux" XIV.
Leiden: E. J. BriU 1963. 86 S., 13 Abb., 8vo. fl. 20.—.
Alexandre Piankoff hat vor mehreren Jahren die Texte und Bilder
aus der Sargkammer im Grabe Ramses VI. neu herausgegeben und über¬
setzt. Sie behandeln die Wiedergeburt der Sonne in der Unterwelt. Im Vor¬
wort seiner Ausgabe bemerkt er dazu: ,,Or, ce n'est pas une mystique, o'est une physique qui rappelle ötrangement les idees d'Höraclite d'Ephese"'.
Auf eüie Umsetzung dieser ägyptischen Vorstellungen in die Sprache moder¬
ner Naturwissenschaft hat Piankoff angesiehts der enormen Sohwierigkeiten
mit guten Gründen verzichtet. Um so mehr ist der mutige Entschluß B. H.
Steickebs zu bewundern, eine naturwissenschaftliche Deutung wenigstens
eines Teiles der Gesamtkomposition zu wagen. Dabei wird der Begriff ,, Wie¬
dergeburt" von ihm ganz wörtlich genommen : Er versteht die Darstellungen
an der linken Wand der Sargkammer als mythologische Beschreibung der
männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane und der Vorgänge, die sich
bei der Zeugung abspielen. Stbickeb bezeichnet diese Bilder mit ihren Bei¬
schriften daher kurz als ,, embryologische Abhandlung".
1 A. Piankoff: La criation du disque solaire; Bibliotheque d'Etude XIX
(Le Caire 1953) S. 1
Eine solche Hypothese muß sich an den zugrunde gelegten ägyptischen
Zeugnissen bewähren. Hierbei ergeben sich jedooh ernste Bedenken — nicht
wegen der Ergebnisse an sich, sondern wegen der Methode, mit der sie ge¬
wonnen werden. So stehen z.B. zu beiden Seiten einer Kapelle zwei Gestal¬
ten, die über ihren Köpfen zwei Behälter halten, in die die Hieroglyphen für
, .Leichnam" {hs.t) und ,, Schatten" (iw.t) gegossen werden. Beisohriften nen¬
nen sie Hsdj und Ktjjtj. Jede von ihnen wird von zwei mumienförmigen
Wesen mit den Namen ,, Leichenschlucker" und „Seelenschlucker" bzw.
,,Leichenschluoker" und „Schlucker der snt.w" flankiert. Stricker bezeich¬
net diese beiden Gefäße als Hoden, in welche sieh von oben der Samen er¬
gießt. Die Erklärung für die größere Zahl der Symbole in der rechten Schale findet er dabei in der besonderen Bedeutung, die im Altertum der glückbrin¬
genden rechten Seite — im vorliegenden Zusammenhang etwa bei der Zeu¬
gung von Knaben — eingeräumt wurde. Das wird mit einer Fülle von Zeug¬
nissen ägyptischer, hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache belegt (a.a.O. S. 31—36).
Zur Charakterisierung der Methode mag dies Beispiel genügen. Auch
werm diese vom Verfasser mit reichem Material rekonstruierten Vorstellun¬
gen vom Geschlechtsleben wirklich in Ägypten lebendig waren, muß ihre
Verbindvmg mit den Darstellungen im Grabe Ramses VI. nooh bewiesen
werden. Nach dem bloßen Versuch eines solchen Beweises sucht man ver¬
geblich.
Doch ist auch die Art, wie ägjrptische ,, Embryologie" rekonstruiert wird,
nicht ganz unbedenklich. Stricker hat dazu neben ägyptisehen Zeugnissen
in großem Umfang aueh die Texte des Corpus Hermetieum herangezogen.
Das ist angesiehts des starken ägyptischen Einflusses auf dessen Autor(en) wärmstens zu begrüßen^. So flndet sich zu dem a.O. S. 16 unter Nr. 23 zitier¬
ten Hymnus auf Gott als Schöpfer des menschlichen Körpers und seiner
einzelnen Organe ein Gegenstück mit verblüffenden Übereinstimmungen im
Tempel des Chnum zu Esna'. Kleinere Lobpreisungen dieser Art sind auoh
anderweitig bezeugt^. Anders sieht es jedoch aus, wenn sieh die Rekonstruk¬
tion zu einem großen Teil oder gar ausschließlich auf die Angaben griechi¬
scher und lateinischer Ärzte und Schriftsteller, bisweilen selbst auf Elemente
indischer Mythologie stützen muß. Die zvisätzliche Bezeugung analoger Vor¬
stellungen außerhalb Ägyptens mag bei der Erforschung der ägyptischen
Gedankenwelt im Einzelfall einmal nützlich sein — ägyptische Belege zu
ersetzen vermag sie nicht.
Freilich kommt gerade dieser reichen Materialsammlung zu einem sonst
wenig beachteten Gebiet besonderer Wert zu. Bei allen notwendigen Vor¬
behalten gegen die Arbeitsweise Strickers sieht man daher dem 2. Teil
dieses anregenden und interessanten Buches mit Spannung entgegen.
Dieter Müller, Göttingen
2 Ph. Derchain: L'authenticite de V inspiration egyptienne dans le „Corpus Hermetieum'-' (Rev. Hist. Rel. 161, 1962, S. 175—98).
^ A.D.Nock — A.-J. FESTuaiiiRE: Corpus Hermetieum I (Paris 1960)
S. 62f. (V 6) und S. Saunbron: Les fetes religieuses d^Esrm (Esna V, Le Caire 1962) S. 94ff.
* Vgl. etwa The Temple of Hibis in el Kliargeh Oasis III (Metrop. Museum
of Art — The Egyptian Expedition; New York 1953) pl. 32 Z. 18ff. Das
weit verstreute und z.T. wohl viel ältere Material bedürfte dringend der
Sammlung.
Klaus Wessel: Koptische Kunst. Die Spätantike in Ägypten, 280 Seiten,
mit 162 Abbildungen, davon 23 als farbige Wiedergaben. Vorlag Aurel
Bongers, Recklinghausen, 68,— DM.
Für die Beurteilung des imposanten Buches von Klaus Wessel „Koptische
Kunst'' ist die Beachtung des Untertitels „Die Spätantike in Ägypten" von
großer Bedeutung. Naeh Meinung des Verfassers ist die koptische Kunst
aus dem „späten Archaismus" der griechisch-römischen Provinzialkunst
Ägyptens als „eigener Anfang", als ein „Aufbruch in eine neue Welt der
Kunst", als „echte Archaik" hervorgegangen. Man weiß seit langer Zeit, daß die koptische Kunst „ein Gebilde von mannigfacher, sinnverwirrender Unterschiedlichkeit und soziologisch bedingter Zweischiobtigkeit" ist. Es ist bekannt, daß sie einige altägyptische Elemente, viel Grieohisob-Römisches
(Hellenistisches), Byzantinisches und später einige sasanidische und viele
Elemente islamischer Kunst verarbeitet. Neu ist aber der Gedanke, daß die
koptische Kunst ein ,, eigener Anfang", eine ,, echte Archaik" sein soll. Aber was ist Archaik ?
Eine Archaik im Sinne der Kunst des Alten Reiches in Ägypten oder der
sumerischen Kunst ist es nieht, denn die eben genannten Künste entstehen
abgesehen von vereinzelten prähistorischen Vorbildern, mehr oder weniger
aus dem Niehts. Man sprieht aber bekanntlich auch von grieohisoher Archaik.
Sie bat Vorbilder, denn wer wollte leugnen, daß etwa die aus dem ,, Perser¬
schutt" der Akropolis hervorgeholte Statue des Koros im Metropolitan
Museum in New York und die Frauenstatue mit Granatapfel in den Berliner
Museen ägyptisch beeinflußt sind. Trotzdem ist etwas Neues entstanden,
das mit gutem Reeht ,, griechische Archaik" genannt wird, es ist ein Neu¬
anfang. In diesem Sinne kann man aueh in der koptischen Kunst von
„Archaik" sprechen, aber mit dem Unterschied, daß sie ausgesprochen viel¬
schichtig imd aus den oben genannten Elementen zusammengesetzt ist.
Wie sieht diese ,,Neue Archaik" aus 1 Man bekommt ein Bild von ihr im
ersten Kapitel des Buches, das der Verfasser als „imaginäres Museum kopti¬
scher Kunst" betitelt. Dort werden Stüeke des „späten Archaismus"
griechisch-römischer Provinzialkunst Werken der ,, neuen Archaik" gegen¬
übergestellt: Stelen, Plastiken, Reliefs, Pilasterkapitelle, Kalksteinfriese,
Wandmalereien, Elfenbeinschnitzereien und Skulpturen. Die in Oranten-
haltung betende Frau „Rodia" (Abb. 4), über deren Kopf im Tympanon der
tempelfrontartig aufgebauten Stele das altägyptische Lebenszeichen stebt,
wird in Gegensatz gestellt zu einer Orantin des „spätarebaischen Typus
provinzialgriecbischer Kunst". Ein ebensolcher Vergleich wird mit zwei
Maria Laetans-Stelen durchgeführt. Die byzantinische Arbeit ist ,, höfisch",
die koptische volkstümlich. Diese Vergleiche werden mit Statuetten, Kapi¬
tellen, Friesen und Elfenbeinschnitzereien fortgesetzt. Auch auf die Malerei
und Textilkunst läßt sich diese Unterseheidungsmethode anwenden. Mehr
oder weniger durchzieht diese Linie das ganze Bueh. Man kann wohl sagen,
daß os das volkstümliche Element ist, das die koptische Kunst zu dem
macht, was sie ist. Das ,, Hellenistische", das ,, Höfisch-Byzantinische" ist ausgeschaltet.
So ergibt sich mit Recht für die Auffassung koptischer Kimst, wie der
Verf. sie versteht, ein Gegensatz zur sog. ,, Alten Schule" die dureh Stbzy-
GOWSKI, Maspebo, Gayet und Gbüneisen vertreten wurde (man kann
wohl aucb Duthuit dazu rechnen). Vieles, was diose E'orscher als ,, koptisch"
bezeichnen, gehört in das Gebiet griechisch-römischer und byzantinischer
Provinzialkunst. Pilasterkapitelle zeigen es deutlieh. Abb. 18 und 20 be-
stehen aus AkanthuskapitoUen, aus deren Blättern ein Antlitz heraus¬
schaut. Der Gesicbtsausdruck und die Art der Formiuig der Blätter — sie
ist in Abb. 20 (koptisch) ganz flächig, abstrahierend gehalten — lassen den
Unterschied zwischen dem Griechiseh-Römisch-Byzantinisehon und dem
Koptischen besonders klar werden. H. Zaloscer hat es in ihrem Aufsatz
,,Zur Entstehung des koptischen Kapitells" gut ausgeführt. Auch D. Zuntz' Studie, „The Two Styles of Coptic Painting" , kann man als Vorläuferin der neuen Auffassung koptischer Kunst bezeichnen. Diese „zaghaften Ansätze"
sind jetzt zum voll ausgewachsenen Buch über „Koptische Kunst" ge¬
worden.
Bei privater Diskussion auf der Tagung in Essen-Bredeney, Villa Hügel
(23.—25. 7. 1963) wurde bedauert, daß Kl. Wessel nicht auch eine Ab¬
handlung über „Koptische Architektur" in sein Buch mit einbezogen hat.
Das dürfte aber eine Spezialaufgabe der Architekten sein, die bereits fleißig
am Werke sind, wie die Modelle koptischer Kirchen und Klöster in der Avis¬
stellung zeigen. Es wird nieht leieht sein, hier das speziell Koptische heraus¬
zuarbeiten.
Die Ausstattung des Buehes von Kl. Wessel ist vorzüglich. Auch dem
Verlag Aurel Bongers gebührt der Dank. Außer den guten Abbildungen sind
noch zwei Karten Ägyptens beigegeben, eine, die die griechischen Zentren
des Landes zeigt, und eine, die die Fundorte koptischer Kunst verzeichnet.
Die umfangreiche Bibliographie umfaßt neun Seiten. Es ist allerdings nach
Ansicht der Verfasserin dieser Bespreehung fraglieh, ob eine ausführliche
Bibliographie exakte Zitatnachweise ersetzen kann. Man braueht ein Bueh
nicht unbedingt zu ,, unterkellern", ist es doch bekannt, daß Nicht-Fachleute
— und für sie ist das Buch aucb geschrieben — den „Kellerinhalt" gern
ignorieren. Trotzdom sollte man Zitate genau angeben. Man kann sie an das
Ende des Buches oder der einzelnen Kapitel stellen. Der wissenschaftliche
Wert der Studie wird dadurch erhöht.
Maria Gramer, Münster i.W.
Sbton Lloyd: Mounds of the Near East. The Rhind Lectures 1961—1962.
In-8», 120 S., 30 Abb. auf 16 Taf.-S., 2 Textfig. Edinbiugh University
Press 1963. 30 s. net. bzw. 6 Dollar.
Für das vom Verfasser gewählte mound hat das Deutsch kein präzises
Synonym. 'Hügel' oder 'Stätte' sind zu allgemein. 'Schutthalde' würde zwar
sachlich prägnant sein, träfe aber naeh dem Sprachgebrauch nieht das Rich¬
tige (das Verbum 'sehütten' ist transitiv und bedeutet etwas von Menschen¬
hand absichtsvoll Hergestelltes, während die mounds beiläufig gewachsen
sind, ohne daß der Mensch dergleichen ausdrücklich im Sinne gehabt bätte),
abgesehen davon, daß eino Halde mehr oder weniger eben oder abhängig ge¬
breitet ist, nicht aber aufgebügelt vorgestellt wird. Bei 'Ruinenstätte' ist der
Begriff von aufgebendem Mauerwerk vordergründig relevant, Kulturrelikto
aus der Vergangenheit in Erdbergung bieten ebon keine vergleiohbnren Asso¬
ziationen. Selbst bei 'Trümmer-' oder 'Scherbenborg' bleibt die Vorstelhmg
vordergründig auf rezente Müllschütten oder auf den Abraum der Kriegs¬
katastrophen eingeengt.
Bei mound aber handelt es sich um in der Vergangenheit in stetigen Zu¬
wachshorizonten entstandene Aufhügelungen, deren Substanz zum aller-
gi'ößten Teil aus dem atmcsphärisch bedingten Zerfall bzw. dem Ausein¬
anderfließen von Bauteilen aus luftgetroekneten Schlammziegeln bestand.
Der geringen Beständigkeit dieses ungebrannten Baumaterials wegen würde
deshalb avich ein deutsches 'Ziegelberg' keine vertretbare Verknüpfung bie¬
ten. Wegen der derzeit bestehenden Unmöglichkeit, die gleichmäßig (von
Kriegs- und Unglücksfällen einmal abgesehen) anfallenden Sehuttmassen
fortzubewegen, planierte man diese an Ort und Stelle ein und wohnte sieb
dergestalt allmählich hocb. Die entstandenen künstlichen Hügel aus Wohn¬
schutt wird man im Deutschen zweckmäßig auch weiterhin mit dem aus dem
Arabischen entlehnten Teil umsehreiben.
Von den Ausgrabungen solcher Teils im Nahen Osten handeln die Ausfüh¬
rungen des Verfassers. Seine Qualifikation ist dureh eine intensive und erfolg¬
reiche Praxis von drei Dezennien von ausgezeichneter Beschaffenheit. Solche sachliche Integrität schließt allerdings manche Bigenwilligkeit nieht aus, wie sie bei den in der nahöstlichen Feldforschung nabezii exklusiv grassierenden Architekturzöglingen nur allzu verständlich sind. Sio betreffen die Beurtei¬
lung kulturgesebicbtlicher Fakten, zumeist aber die grabungsteebnischen Details.
So amüsiert die begriffliche Hypostasierung von Teils fast ein wenig in
ihrer Utrierung. Am liebsten möchte der Verfasser im Auftreten von Teils so
etwas wie eine einheitliche Kulturgesinnung sehen, die einstmals von Zentral¬
asien und von Indien über Persien bis nacb Mesopotamien, Syrien und Ana¬
tolien gereicht hat. Eben weil es sich bei den Teils aber nicht um eine beson¬
dere kulturgesetzliche Ausdrueksform gehandelt hat, besagen die Teils nur
ganz sohlioht, daß die derzeitige Ackerkultivierung durch künstliche Wasser-
benetzung ein abgestimmtes System von Kanälen und Gräben zu prakti¬
zieren hatte, das eine Verlegung von Wohnplätzen nur äußerst mühsam hätte
verwirklieben lassen.
Merkwürdig ist, daß der Autor bei seiner gewünschten weiträumigen Kul¬
tureinheit aller Länder der Teils dennoch auf don willkürlieb verengten Be¬
griff des "Fertile Creseent" des weiland James Henry Brestoad nicht ganz
verzichten mochte, obwohl er dessen unzulängliche Dimensionierung aus¬
drücklich bemerkt (S. 9). Er bemängelt es, daß in diesem Komplex etwa
Ägypten nieht einbegriffen sei. Dasselbe hätte anch nocb für andere integrie¬
rende Bestandteile der babylonischen Koine wie Anatolien, Iran und Mittel¬
asien zu gelten.
Der Autor ist so erfüllt von der Einzigartigkeit nahöstlicher Ausgrabungs¬
technik, daß er nicht an Hinweisen spart, wie überboblieb ibm in der Ver-
gleichiähinsicht gewöhnliehe Arehäologen erschienen, die allen Ernstes ver¬
meinten, gleicher gehobener Leistungen befähigt zu sein.
Nüchtern bleibt allerdings — entgegen den Ansichten des Autors — aus¬
drücklich festzustellen, daß die Summe der Ausgrabungspraktiken bei Teils
jedem Faehprähistoriker mit etwas Grabungserfahrving unbedingt geläufig
ist, wenn er sich erst einmal mit der Problematik mächtigerer Straten und
der Bewältigung der Abraummassen vertraut gemacht hat. Der Autor zitiert
S. 55 (auch S. 92 wieder) provozierend Sir Mortimer Wheeler, der es für evi¬
dent halte, daß die arcbäologischerseits angewendeten Verfahren ohne wei¬
teres auch für Afrika und Asien tauglich seien. Das wäre exakt das, was
der Rezensent soeben selbst konstatierte und was nun einmal der objektive
Tatbestand ist. Es wäre müßig, die ganz ausgezeichneten Praktiken der eng¬
lischen Nahostausgräber zu bestreiten oder aueh nur herabzumindern. Ebenso zweifellos aber ist es auch, daß solche methodisch ganz selbstverständlichen
Fortschritte schon gute dreißig Jahre früher getätigt worden wären, wenn
nicht immer wieder unbescholtene Architekturzöglinge ohne jegliche archäo-
logische Vorbelastung auf Grabungen angesetzt worden wären. Das Beispiel
der deutschen Koldewey-Sehule weist die krasse Verfälschung der Situation
sehr zwingend aus.
Wenn der Autor diese Gegebenheiten nicht wahr haben will, so beruht
das ganz einfaeh auf dem beweisbaren Umstände, daß er archäologische Me¬
thodik nioht abzusehen vermag. Was soll man davon halten, wenn er S. 73
das Waschen, Sortieren und Beschriften von Scherben als eine "archaeological innovation" bezeiehnet. Zur Zeit, als er das in Hassuna praktizierte, be¬
folgten die prähistorischen Ausgräber dieses Verfahren bereits gute zwanzig/
dreißig Jahre, wie denn auch die auf der exakten Fundstatistik beruhende
Stratigraphie eine Entdeckung ebendieser Prähistoriker ist. Wenn der Autor
das Waschen etc. und das sofortige Anlegen eines Diagramms über den
Scherbenanfall gleicb an Ort und Stelle durchführen konnte, so ermöglichte
(ja,g — abgesehen von der Zahl an Handlangern — einzig und allein die Gunst
des Klimas. Im Abendlande stehen für Ausgrabungen jahreszeitlich fast nur
Frühjahr und Herbst zur Verfügung, die Außenarbeiten meist nieht zu¬
lassen (überall aber, wo eine Baracke o.ä. zur Verfügimg stand, wurde aueh
entspreehend taktiert).
S. .56 verspricht der Autor, Sir Mortimers Satz "ad absurdum" zu führen,
indem er eine Grabungssituation von Teil 'Uqair schildert, die es ihm ge¬
raten sein ließ, die Fläche von der Oberkrume zu befreien und zu putzen.
Darunter hätten sich ihm alsbald die Konturen der einstmaligen Einbauten
in schöner Klarheit ausgewiesen. Offensichtlich war sich der Verfasser bei
seiner Beschreibung nieht darüber klar, daß das 'Abkummern' des Mutter¬
bodens (bzw. der Oborflächenschicht) über eingemessenen Grabungsfläehen
seit langem zum ABC von Ausgräbern gehört. Seit von Carl Schuchardt das
'Pfostenloch' entdeckt worden war (vergleiche Potratz, Das Pfostenlooh.
'Orion', Murnau/München 1958, H. 6. 447—52), verfeinerten sich die Gra¬
bungsmethoden zunehmend, wie an den seit 1892 durchgeführten deutschen
Limesforschungen zu verfolgen ist. An solchen Passagen (wie auch dann
wieder S. 101) wirkt der Autor irgendwie haiLsbaeken, weil er Dinge als neu¬
artig hervorhebt, die Archäologen schlechthin geläufig sind.
Dasselbe gilt von den in extenso gebotenen Nachweisen zur Entdeckung
der Bodonstrukturen bei einstmaligem Mauerwerk aus luftgetrockneten Zie¬
geln, das durch irgendwolehe Ereignisse partiell zugeschüttet wurde. Es war
hier der Scharfsinn von Delougaz, der sich die optisch und mit Fingerspitzen¬
gefühl wahrnehmbaren Konsistenzunterschiede zwischen den sonnengebak-
kenen Bausteinen und dem Schlamm-Mörtel zunutze gemacht und die alten
Fugenverläufe mit Messern auszukratzen gelehrt hat. Daß solche Beobaeh¬
tungen erst so spät gemacht wurden, bleibt immerhin bedauorlich, denn da¬
mals unterschied man bei holländischen und nordwestdeutschen Ausgrabun¬
gen schon einige Jahrzehnte die aus Heidoplaggen geschichteten Hügelauf¬
baue von solchen, die aus loser Erde aufgeworfen worden waren. Der Vorwurf,
wieviel aufgehendes Mauerwerk über den Fundamenten bei älteren Ausgra¬
bungen unbeachtet weggegraben worden sei, trifft also in vollem Umfange
jene unentwegt befolgte Sitte, Facharcbäologen von den Ausgrabungen des
Nahen Ostens auszuschließen.
Es ist nun einmal so, daß erst die Prähistoriker — bedingt durcb die ver¬
gleichsweise Spärlichkeit der Relikte in ihren Arbeitsbereichen — die wissen¬
schaftliehe Akribie der modernen Ausgrabungsmecbanik bewirkt haben, mehr
do.qhalb auch als etwa die klassischen Archäologen. Der Umstand, daß die aus
den» Architektennaehwuohs angeworbenen nahöstlichen Ausgrabungnovizen
von derlei Kenntnissen unboscbwort waren, kann nicht der Facharchäologie
angelastet werden. Ein Satz wie der von S. 21 aus des Autors Buch, daß
"diggers care and ingenuity" hinsichtlich der "stratigraphically provenance"
notwendig seien, muß desbalb notwendig wie aus Großvaters Lesebuch klin¬
gen. Mehr als an solchen lapidar vorgetragenen Nichtigkeiten würden Fach¬
leute da schon an der Darlegung interessiert sein, wie man sieh etwa die kon¬
temporäre Identifizierung des Einfüllschuttes zwischen aufgehenden Wänden in einem Gebäude vorzustellen hat, soweit er nicht aus Obergeschossen abge¬
stürzt war.
Archäologen wird aucb Unbehagen bereiten, wie die Schätzung der Zu¬
wachsquoten bei den Schuttstraten für die absolute Datierung zwischen
Hassuna Ia und der altsumerischen Ära (S. 73) kombinatorisch verabsolutiert worden ist. Bei nur drei Vergleichssituationen erseheint die Möglichkeit ex¬
klusiver Gegebenheiten noch keinesfalls als ausreichend eliminiert, um mitt¬
lere Relationen zu garantieren — ganz abgesehen davon, daß die Unterstel¬
lung von rezenten Identitäten eine zu weitgehende Willkür der Annahme dar¬
stellt. Die überhöhten absoluten Zeitansätze der enghschen Ausgräbersebule
haben in soleben stratigraphischen Kalkulationsfehlern ihre Ursachen. Das
Waeh.stum von sedimentierten Böden ist grimdsätzlich singulär bedingt, als
daß man zuverlässige Mittelwerte dafür einsetzen könnte. Daß die heutigen Zuwachsraten nicht ohne weiteres mit der Vergangenheit korrespondieren
können, müßte allein die Überlegung ausweisen, daß jetzt verkarstete Step¬
penböden mit großer Verwehungsanfälligkeit vorliegen, wo es früher künst¬
lieh benetztes Fruchtland gab. Die nachträgliche C'^-Bestimmung bedeutet
angesichts der äußerst sensiblen Spurenauswertung dieser Methode nicht
eben eine diffizile Bestätigung der Resultate, zumal die untersuchten Proben
nieht einmal bodenfriseh, sondern erst 'posthum' entnommen worden sind.
Die einkalkulierten Fehlerwerte bezeichnen im übrigen ohnehin fast schon
die strittige bzw. fragliche Zeitdifferenz.
Wie nachteilig sich fehlende archäologische Schulung bei Ausgrabungen
im übrigen grundsätzlich erweist, hat auch der Naturkundler Braidwood in
Jarmo u.a. unter Beweis gestellt. So informativ seine schnellen Resultate waren — was er sich aber glaubte sparen zu können, werden Spätere dennoch erst nachholen müssen. Wer keine Zeit oder Geduld hat, sollte das Ausgraben ganz las.sen. Solche Stipgräberei ist nieht besser als die Schatzwiihlerei zu
Schliemanns Zeiten. Erst nachfolgende Systemgrabungen vermögen die vor¬
eiligen Ergebnisse zu festigen. Wohl nur bei Faeharchäologen liegt genügend Bewußtsein und Verpflichtung hinsichtlich der Einmaligkeit jeder Grabimgs- situation vor, denn : Was einmal zer- oder gestört worden ist, wird sieh nie¬
mals mehr rekonstruieren lassen. Eine jede Grabungssituation bat einmaligen historischen Urkundswert.
Damit dieses unbedingt lesbare und für Archäologen streckenweise faszi¬
nierende Buch nicht im Faehhader — es ist im übrigen der Autor, der die
Meriten der Arehitekturabkömmlinge gegenüber gewöhnlichen Archäologen
emporzuheben sich unterfängt — Schaden nehme, sei unbedingt djo gute
Qualität dieser Niederschrift attestiert. Wird man dem Verfasser bei seinen
theoretisierenden Deduktionen (wie dann auch noch etwa S. lllff.) nicht
immer folgen — glücklicherweise sind diese Passagen nieht allzu zahlreich
und auch nicht ausgedehnt —, als ebenso sehr fühlt man sieh von seinen
Schilderungen der Feldarbeit angetan.
Angefangen von Darlegungen um den Charakter von Teils, der im einzel¬
nen jeweils die spezielle Ausgrabungstypik zu bestimmen hat, und von der
ausführhchen Beschreibimg der Entdeckung der Bodenzeichnungeii durch Delougaz bei der Ausgrabung von Khafaje, orientieren sieh die Beschreibun¬
gen um die markanten Plätze jener äußerst fruchtbaren und methodisch vor¬
bildlich praktizierten — das sei ausdrückhch bestätigt — Grabungsepoehe
um die beiden Dezennien der dreißiger und vierziger Jahre. Neben Khafaje,
wo außer Delougaz aueh Thorkild Jacobson und der Verfasser schürften, und
Frankforts Teil Asmar findet sich ferner ein Exkurs über den gleichfalls im
Diyala-Bereich gelegenen Teil Agrab. Notwendige Klärungen zur Frage der
Ovaltempel boten den Anlaß zu erneuten Grabungen in Tell'Ubaid, was die
zwanglose Verknüpfung zu einer Würdigung Woolleys und seiner Leistung
in Ur bot. Schilderungen der Arbeiten in Tell'Uqair und Teil Abu Shahrein
schließen sich an.
Aus Nordmesopotamien werden Schürfungen in Ninive, Teil Hassuna (die
S. 71 gebotenen Erschwernisse der äußeren Lebonsbedingungen an diesem
Platze werden auoh Außenstehende auf ihre Kosten kommen lassen) und
Teil Jarmo beschrieben. Es folgen in Anatolien neben mancherlei vereinzel¬
ten Hinweisen Ausführungen zu Troja, Beyeesultan und Sultantepe. Zum
Allgemeinen der Teilgrabungen werden schließlieh noohmals Beyeesultan, so¬
dann Hacilar und Kalhu aufgeführt. Es wäre vormessen und höchst undank¬
bar, wollte man all diesen ausgezeiehneten Leistungen, dio unsere Einsicht in
die Kultur gerade aucb der älteren Vergangenheit an der Schwölle zur Hoch¬
kultur gefördert und vereinzelt sogar entscheidend geformt haben, nioht rück¬
haltloses Lob zollen. Besonders mag man dabei übrigens auf die ungemein
plastischen Ortbesohroibungen des Verfassers hinweisen, die von hohen künst¬
lerischen Graden sind. Ohne die geringste Weitschweifigkeit vermag os der
Autor, örtliche Situationen in wenigen Sätzen derart anschaulich zu um¬
reißen, daß allein schon die Lektüre hoher Genuß ist.
So erlebt man in jedem Augenbliek mit Genugtuung, wie des Verfassers
Blickwinkel sofort an Überzeugungskraft und Glanz gewinnt, wenn die aus-
gräberisohe Praxis zu Worte kommt. Da das aber weitaus den größten Teil
der Darlegungen ausmacht, kann man nicht anders als den Ausführungen mit
Respekt, Anteilnahme und Interesse zu folgen. Archäologie ist wirklich von
ungemeinem Reiz — wenn aueh in oinem anderen Sinne, als es die populari¬
sierende Märchenliteratur der Gegenwart vorzugaukeln unternimmt.
Um abschließend mit einor Bosheit nicht zu geizen : S. 11 mokiert sich der
Verfasser über ,, Riesen" des Faches, die sowohl auszugraben als auoh zu
theoretisieren vermöchten. Hat nicht aber der Autor selbst, als unbestrittener
Ausgräber sich als kimstwissensohaftlicher Literat versucht ?
Druckfehler: S. 49: Teil Acama; S. 94: In der Anmerkung sind dio An¬
fangsbuchstaben des türkischen Eigennamens groß zu schreiben: S. 100,
Z.9: Zwischen "advantage" und "With" muß anstelle dos Kommas einPunlit
stehen; S. 104, Z. 17: biüMing; S. 105, Anm.: Es muß „An. Stud." 8—1/
(und nicht „19") heißen; S. 114, Z. 26: 'Ashur' statt „Ashuv".
Johannes A. H. Potbatz, Stuttgart
Gaster Centetmry Publication, edited by Bbuno Schindleb. London, pub¬
lished for and on behalf of Tho Royal Asiatic Society of Groat Britain and Ireland by Percy Lund, Humphries & Co. Ltd. 1958. VIII, 40 S.
Das Büchlein enthält die Vorträge, die zur Erinnerung an den 100. Ge¬
burtstag von Moses Gastbb (16. 9. 1856—5. 3. 1939) in London gehalten
worden sind. E. Robebtson beschäftigt sich mit "The Aneient Scroll of the Samaritans". Unabhängig davon, wie man zu Gasters Frühdatierungen, bier
wie in seinen anderen samaritanischen Forschungen, steht — an seine Ver¬
dienste um Auffindung und Identifikation dieser Rolle läßt man sieh gern er¬
innern, zumal sie in der Vorrede zu der inzwischen erschienenen Ausgabe
(F. Pekbz Castro, Sejer Abisa', Textos y Estudios del Seminario Filologico
Cardenal Cisneros 2, Madrid 1959, p. XXII) zu kurz kommen. A. Graur
und S. R. BuBSTEiN geben instruktive Überblicke über Gasters Leistungen
auf seinen beiden andern großen Arbeitsgebieten, rumänischer Linguistik
und Volkskunde, worin Gasteb seit 1880 seinen gleichberechtigten Platz
neben Max Müller, E. B. Tylor, James G. Feazer, G. L. Gomme und
Andrew Lang fand. S. Gaon schildert dio wenig bekannte, mehr als 30jäh-
rige Tätigkeit Gastees als Oberrabbiner der spanisch-portugiesischen Judon-
gemeinde in London, seinen Anteil an der zionistischen Bewegung und an der
Entwieklung des Neuhebräischen. B. Schindleb rundet das Bild dureh Er¬
innerungen an gelehrte Gespräche, die aueh Gastees zentral- und ost-
asi.atischo Studien widerspiegeln imd soine Universalität erst richtig hervor¬
treten lassen. Dem dient aueh Schindlbes aus dem Oaster Anniversary Volmne
von 1936 wiederabgedruckte, hier von Vivian Gasteb revidierte und er¬
gänzte Gaster-Bibliographie, deren Wert evident ist.
Carsten Colpe, Göttingen
Gebt Jebemias: Der Lehrer der Gerechtigkeit = Studien zur Umwelt des
Neuen Testaments, hrsg. v. Kabl Georg Kuhn Bd. 2, 376 Seiten.
Göttingen 1963, Vandenhoeck & Ruprecht.
Mit großer Sachkunde durchforscht J. die Qumrantexte bis in die letzten
Details. Dabei erzielt diese — freilich sebr umfassende, aber nicht immer
sehr konzentriert geschriebene — Dissertation folgende Hauptergebnisse:
die Kittim des Habakuk- und Nahum-Kommentars sind die Römer. Der
Frevelpriester ist Jonathan (153—143). Der Zusammenstoß des Lehrers mit
ihm gründet im abweichenden Qumrankalender. Der Lügenmann ist der
Führer einer von der Gemeinde abgespaltenen Gruppe. Der Zorneslöwe des
Nahumkommentars ist Alexander Jannai. Der Lehrer selbst ist Prophet,
Ausleger der Propheten und dos Gesetzes. Er gibt die Norm. Fast tritt or
an die Stelle Gottes (263). Daneben ist er der Niedrige, Ausgestoßone. Ein
Teil der Hodajoth stammen aus seiner Feder. Sein Titel „Lehrer der Ge¬
rechtigkeit" besagt, daß or Gerechtigkeit = Heilswissen lehrt, aber auoh, daß er als Gerechter zu Gott gehört (315). Er beeinflußte die Karäer, Paulus
und die christliche Gemeinde. Im Vergleieh zu Jesus von Nazareth stellt
sich «lesus allerdings als der bei weitem Überragende heraus. Zur Methode:
Die Textanalysen und Begriffsuntersuohungen machen den Wort des Buehes
aus. J. warnt daneben dauernd vor Überschätzung des Quellenwertes der
Texte. Es sind polemische, tendenziöse theologische Texte, aber keine
historischen Texte. Dennoch vorfällt er selbst in seinen historischen Urteilen
im allgemeinen einer solchen Überschätzung dos Quellenwertos, sowohl der
Qumrantexte, als auch der Synoptiker. Von daher wird sein Vergleich
zwischen dem Lehrer und Jesus kaum als glücklich bezeichnet werden
können .
Karl-Gottfried Eckabt, Berlin