Seminar: Soziophonetik SS08
Dozent: Prof. Dr. Jonathan Harrington Referentin: Daniela Männicke
08.05.2008
Inwiefern sind Dialekt-Mischung und die Gestaltung eines neuen Dialekts
willkürlich?
Trudgill, P. Gordon E., Lewis, G., and Maclagen, M. (2000). Determinism in new- dialect formation and the genesis of New Zealand English. Journal of Linguistics, 36,
299-318
Geschichtlicher Hintergrund
Seit ca. 950: Maoris, Ureinwohner Neuseelands
1642: Neuseeland entdeckt vom niederländischen Forscher Abel Tasman
1800: Ankunft der ersten englischen Sprecher in Neuseeland durch den Forscher James Cook
1840: entscheidender Einfluss englischer Sprache in Neuseeland durch Kolonialisierung, 2000 englische Sprecher
1860: durch Goldfunde großflächige Einwanderung von England, 80.000 englische Sprecher
1881: 470.000 englische Sprecher in Neuseeland
Seit 1907 unabhängig von Großbritannien
Geschichtlicher Hintergrund
Anteil der Ansiedler aus verschiedenen englischsprachigen Gebieten nach Neuseeland bis 1881:
22%
20%
7% 49%
1%
1%
Neuseeland heute
Bevölkerung (2006): 4,186 Mio Einwohner
Ethnische Zusammensetzung gemäß Volkszählung 2001:
Etwa 80% europäischer Abstammung, 14,7% Maori (einheimische Polynesier), 6,5% Pazifik-Insulaner
(zugewanderte Polynesier); 6,6% Asiaten, 0,7% andere
Sprachen: Englisch (Amtssprache) und Maori (seit 1987 Amtssprache)
Abstract
Behauptung:
Dialektmischung und die Bildung eines neuen Dialekts sind nicht willkürlich, sondern vorhersagbar
Datenerhebung zur Studie
Aufzeichnungen der National Broadcasting Corporation of New Zealand zwischen 1946 und 1948
Sprachaufnahmen von Nachfahren der ersten europäischen Siedler -> Origins of New Zealand English (ONZE)
P.Trudgill: Auswahl von 83 Aufnahmen (sowohl männlich als auch weiblich) von 34 verschiedenen Orten auf Neuseeland, 39 Sprecher von der Nordinsel und 44 Sprecher von der Südinsel, die zwischen 1850 und 1889 geboren sind
Ziel: Warum ist Neuseelandenglisch so, wie es heute ist?
Neue Dialektbildung
Der Prozess der neuen Dialektbildung gliedert sich in drei chronologisch abgestimmte Etappen
1. Rudimentäre Nivellierung (Niveauausgleich)
Dauer der Phase bis ca. 1860
Anfänglicher Kontakt zwischen Sprechern mit regionalen und sozialen Unterschieden in einer neuen Umgebung
Gegenseitige Anpassung der Sprecher bei der Kommunikation und somit rudimentäre Dialektnivellierung
Sprachliche Eigenschaften werden ausgeglichen, wenn sie vermindert vorkommen und/oder einen regionalen oder soziolinguistische niedrigen Status aufweisen
Neue Dialektbildung
Beispiel:
typische Spracheigenschaft von British English im 19Jhdt:
Verschmelzung von /v/ und /w/ zu /w/, village -> willage allerdings nicht auf den Sprachaufnahmen zu finden ->
schon sehr frühe Nivellierung wegen ihrer extremen Minorität
Neue Dialektbildung
2a. Extreme Variabilität
Dauer der Phase bis ca. 1900
Variabilität in soziolinguistischen Unterschieden zwischen verschiedenen Gemeinden, verschiedenen Arten der
Niederlassung in unterschiedlichen Teilen von Neuseeland
z.B. Goldgräberstadt Arrowtown: Einwanderer aus Australien, Schottland und Irland, keiner aus England -> langsamerer Aufbau einer homogenen Gesellschaft
oder Kleinstadt Milton: alle bis auf einen stammen aus Schottland
-> schnellerer Aufbau einer homogenen Gesellschaft
Menschen in Isolation behalten eher linguistische Merkmale ihrer Vorfahren bei, als Menschen, die in linguistischen
Ballungsräumen leben
Grad der linguistischen Variabilität in einer Niederlassung beeinflusst die Geschwindigkeit einer neuen Dialektbildung
Neue Dialektbildung
Linguistische Variabilität:
Bei einer Dialektmischungssituation nehmen Kinder nicht den einzelnen Dialekt Gleichaltriger an
Orientierung an den linguistischen Vorgaben der
Erwachsenen/Erziehern. Durch mehrere mögliche linguistische Ziele in Ballungsräumen, haben Kinder eine größere Freiheit sich bewusst einzelne Eigenheiten verschiedener Dialekte
herauszusuchen und diese in neue Kombinationen umzuformen
Sprecher, die so aufgewachsen sind, zeigen eine höhere intra- individuelle und inter-individuelle Variabilität, als Sprecher, die in homogeneren Sprachgemeinschaften aufwuchsen
Neue Dialektbildung
2b. Weitere Nivellierung
Sprachliche Merkmale, die von Immigranten nach Neuseeland eingeführt wurden und die rudimentäre Nivellierung überstanden haben und im heutigen Neuseeländisch zu finden sind, aber dennoch nicht auf den sprachlichen Aufnahmen der ONZE auftauchen
z.B. das nordenglische 5-Vokal-System, das fast die Hälfte der British Englischen Bevölkerung betrifft. Aber: Merkmal ist, bis auf eine
Ausnahme, nicht auf den Aufzeichnungen vorhanden
demographischer Hintergrund: nur wenig englische Gebiete, die hauptsächlich nach Neuseeland eingewandert sind, hatten dieses Vokalsystem. ONZE Sprecher waren diesem Feature nur selten ausgesetzt
-> erst mit der Zeit Ausbildung dieses Dialektes
Neue Dialektbildung
z.B. zentralisierter „kit“ Vokal. Kommt ursprünglich aus dem schottischen Flachland. Heute in Neuseeland weit verbreitet, aber auf keiner Aufzeichnung zu finden
-> Ausbildung eines neuen Dialektes in neuerer Zeit
Neue Dialektbildung
3. Fokussierung
Kontakt zwischen verschiedenen Dialekten (v.a. während der Kolonialzeit) führt zur Entwicklung neuer Dialekte:
a) Bei einer Dialektmischung sind viele Varianten der einzelnen Dialekte vorhanden
b) Mit der Zeit verläuft die Auskristallisierung -> die sprachlichen Varianten in der Mischung werden in der Anzahl reduziert, bis nur eine Variante pro Dialekt übrig bleibt
Neue Dialektbildung
-> Verlust der Minderheiten der Varianten (durch Nivellierung) und Vereinfachung
-> Koineisation, Entwicklung einer Gemeinsprache
-> Reduktion findet nicht zufällig statt, entscheidend sind demographische Faktoren und Anteil der verschiedenen Dialektsprecher
Neuseeland Englisch als gemischter Dialekt
Neuseelandenglisch ist das Resultat von Dialektmischungen und entspricht ziemlich genau dem Südostenglisch von GB, da
einzelne Formen des Südostenglischen (nach Nivellierung) Majoritäten im heutigen neuseeländischen Mischdialekt sind
Beispiele für südostenglische Formen, die in der Majorität waren, aber nicht überlebt haben:
a) /h/-dropping (Aussprache von hammer, hill etc. ohne initiales /h/) ; Durchsetzung der irischen und schottischen Variante b) Verschmelzung von /w/ und / / in which, where ;
Durchsetzung der Schottisch, Irischen und Nordenglischen Variante
Neuseeland Englisch als gemischter Dialekt
Überlieferung
1. Die Durchsetzung linguistisch unmarkierter Formen:
- auch wenn sie minder vertreten sind, z.B.
Neuseelandenglisch [ə] in unbetonten Silben, Südostenglisch [Ι] in unbetonten Silben -> [ə] war minder vertreten bei den ONZE Sprechern, hat aber überlebt
2. Die Durchsetzung von Majoritäten:
- Wegfall von /h/-dropping (Englisch ersetzt durch Irisch, Schottisch)
- Wegfall von Benutzung dentaler Plosive anstatt interdentaler Frikative (Irisch ersetzt durch Englisch)
- Durchsetzung des vorderen [a:] (aus Südostenglisch) - Durchsetzung der geschlossenen Vokale [i,e,ε] bei den Vokalen von „kit“, „dress“ und „trap“ (Schottland, Irland ersetzt durch Südengland)
Zufälligkeit
Inwiefern sind Dialektmischungen und die Bildung eines neuen Dialekts willkürlich?
Zufällig:
Besiedelung eines Landes, und Übernahme einer Sprache
Grad an Zufälligkeit, inwiefern Sprecher Dialektvarianten auswählen (linguistische Variabilität)
Überlebung von Nicht-Majoritäten
Zufälligkeit
Nicht zufällig:
Reduktion von sprachlichen Varianten bei der
Auskristallisierung, vorhersagbar durch demographische
Faktoren und Anteil der Dialektsprecher (siehe 3. Fokussierung)
Willentliche Auswahl an Dialekteigenschaften von Kindern
Durchsetzung linguistisch unmarkierter Formen
Neuseelandenglisch
Neuseelandenglisch: das Resultat einer komplexen
Aufeinanderfolgung von Prozessen, wie Dialektkontakt zwischen mehreren englischsprachigen Ländern -> Dialektmischung ->
neue Dialektbildung -> linguistische Veränderungen
Neuseelandenglisch
Zweit längster Ortsname der Welt:
Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahor- onukupokaiwhenuakitanatahu