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Archiv "Diagnose Krebs: „Sie haben noch 92 Minuten zu leben“ - Die Aufklärung im (Spiel-)Film" (24.03.2000)

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er Arzt sitzt Zeitung le- send hinter seinem Schreibtisch. Als Miki Baum das Sprechzimmer be- tritt, schaut er kaum auf und verkündet ihm in barschem Ton: „Sie haben Krebs. Einen äußerst aggressiven Krebs.“

Auf Baums Frage nach der Le- benserwartung fängt der Arzt hektisch an, Berechnungen aufzustellen und stellt schließ- lich fest: „Sie haben noch ge- nau 92 Minuten zu leben.“

In diesem israelischen Spielfilm („Die 92 Minuten des Herrn Baum“, 1997) werde die Aufklärungsszene auf eine ganz besondere Art dargestellt, sagte Dr. med. Kurt Schmidt, Zentrum für Ethik in der Medi- zin am Markus Krankenhaus, beim „1. Frankfurter Medizin- ethik-Filmtag“, der sich Ende Februar mit dem Thema „Dia- gnose Krebs – Die Aufklärung im (Spiel-)Film“ beschäftigte.

Dem Patienten werde ohne Umschweife verkündet, wie lange er noch zu leben habe, und dass er an einem gefährli- chen Krebs leide, jedoch werde Baum keinerlei genauere Dia- gnose mitgeteilt, und dieser fragt auch nicht nach. „Die Pro- gnose ist ihm offenbar wichti- ger als die Diagnose“, folgert Schmidt. Der Arzt selbst be- zeichnet die mathematische Exaktheit, mit der er die Le- benserwartung ausrechnet, als

„humane Medizin“.

Ein zweites Beispiel: der US-amerikanische Film „Love Story“ aus dem Jahr 1969. In diesem Film lassen die jungver- heirateten Jennifer und Oliver untersuchen, warum ihr Kin- derwunsch unerfüllt geblieben ist. Nach einer Konsultation teilt der Arzt dem Ehemann (!) mit, dass Jennifer unheilbar krank sei. Eine Diagnose nennt er ebenfalls nicht.

Auffällig in dieser Szene ist nach Auffassung Schmidts, dass der Arzt nicht mit der Pa- tientin selbst, sondern mit dem Ehemann spricht. Eine Dia- gnose wird während des ge- samten Gespräches nicht ge- nannt und von Oliver auch nicht erfragt.

Jan Sellmer vom Institut für Neue Deutsche Literatur und Medien der Universität Kiel stellte fest, dass Spielfilme in der Regel vom normalen Le- ben ausgehen und die Wirk- lichkeit reflektieren. Die Er- zählperspektive ist meistens die des Patienten. Die Mittei- lung der Krankheit ist der

„dramatische Kri- senpunkt, der die Geschichte initi- iert und beschleu- nigt“. Der mittei- lende Arzt werde dem Patienten als Instanz gegen- übergestellt. Ge- nerell werde in

Spielfilmen, so Sellmer, für die Krankheit auf romantische, be- schönigende Klischees zurück- gegriffen. Leiden werde ledig- lich an der Therapie und nicht der Krankheit selbst festge- macht.

Auch im Fernsehen spielt das Thema Krebs eine nicht unerhebliche Rolle, wie ZDF- Redakteur Gunnar Petrich er- läuterte. Krebs bei Kindern sei sogar ein „Superthema“, habe ihm einmal eine Lokaljournali- stin gesagt. In den Jahren 1988 bis Februar 2000 habe dpa 3 808 Beiträge mit Stichwort

Krebs veröffentlicht. Noch größer sei allerdings das Inter- esse am Thema Aids. 5 281 dpa-Meldungen hätten sich im selben Zeitraum mit dieser Krankheit beschäftigt.

Beispiel für eine geglückte Beschäftigung mit Krebs im Fernsehen ist für den ZDF-Re- dakteur die so genannte Doku-

Soap „OP – Schicksale im Kli- nikum“ gewesen. Die Serie ha- be sich realistisch mit der Krankheit und ihren Auswir- kungen auf die Patienten be- fasst. Petrich befürchtet, dass es für ruhige, ernste Dokumen- tar-, aber auch Spielfilme zu dieser Thematik bald keinen Raum mehr in der Fernseh- landschaft geben werde. Heut- zutage zählten quotenträchti- ge, werbewirksame Sendun- gen. Ein typisches Beispiel für

die Jagd nach Quoten sei die zurzeit laufende RTL-2-Sende- reihe „Big Brother“.

Und wie sehen Aufklä- rungsgespräche in der Realität aus? Martina Lies, die vor fünf Jahren an Brustkrebs erkrank- te, hat bei Ärzten nach der Erst- diagnose „Zeitdruck und man- gelndes Einfühlungsvermögen“

erlebt. „Ich hatte das Gefühl, dass ich auf einer Zeitbombe sit- ze, die niemand ernst nimmt.“

Als man im November 1998 Metastasen in der Lunge dia- gnostiziert hat, hätten die Ärzte mit Verunsicherung, Entsetzen, Ratlosigkeit und Aktionismus reagiert. Gute Aufklärung und Hilfe habe sie unter anderem von der Deutschen Krebsgesell- schaft sowie durch eine Kran- kenschwester, eine Pfarrerin und Selbsthilfeorganisationen erfahren. Erst zum Schluss ihres Erfahrungsberichts teilte Lies mit, dass sie selbst In- ternistin ist, was ihre Situation allerdings keineswegs erleich- tert habe. Im Gegen- teil. Kollegen und Kolleginnen gegen- über reagierten Ärzte oft erst recht verunsi- chert.

Lies fordert, dass der Arzt bereits im Medizinstudium und während der Weiter- bildung in Gesprächs- führung ausgebildet werden muss. Alle mit dem Patienten betrauten Perso- nen sollten in das Auf- klärungsgespräch einbezogen werden. Das Gespräch sollte sich an der persönlichen Si- tuation des Patienten und sei- nem Informationsbedürfnis orientieren, ohne ihn zu ver- unsichern.

Die Heidelberger Onkolo- gin Dr. med. Monika Keller räumte ein, dass es kaum etwas Schlimmeres gebe, als einem Patienten eine todbringende Diagnose zu übermitteln. Nicht zuletzt könnten auch die Patien- ten zu einer Verbesserung bei- tragen, wenn sie den Ärzten ge- genüber ihre Unzufriedenheit äußerten. Gisela Klinkhammer A-787 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 12, 24. März 2000

V A R I A FEUILLETON

Die Serie „OPⴑSchicksale im Klinikum“ beschäftigte sich unter anderem mit dem Schicksal der elfjährigen Lina, die eine so genannte Umkehrplastik erhalten hatte.

Diagnose Krebs

„Sie haben noch 92 Minuten

zu leben“

Die Aufklärung im (Spiel-)Film

Fotos: ZDF

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