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Archiv "Selbstmedikation: Problem oder Selbstverständlichkeit?" (17.06.1983)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Selbstmedikation:

Problem oder

Selbstverständlichkeit?

Als kaum gebräuchliches Wort (das sich wie eine Ein- deutschung aus dem Engli- schen anhört, aber auch dort nur selten vorkommt) ist die Selbstmedikation ins Gerede gekommen, ob- wohl sie schon Jahrhun-

derte vor dieser Wort- schöpfung eine Selbstver- ständlichkeit war. Besagt sie doch nicht mehr oder weniger, als daß man sich bei leichteren Beschwer- den zunächst selbst zu hel- fen versucht, bevor man zum Arzt geht oder ein sol- cher nicht zu erreichen ist.

Eine Stichprobenerhebung in 205 bundesdeutschen Haushalten ergab, daß nur etwa jeder dreißigste Bun- desbürger bei leichteren Beschwerden zum Arzt geht.

Die meisten (54,6 Prozent) warten erst einmal ab, ob ihre Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmer- zen, aber auch Ohrensau- sen, Herzstechen und Zahnschmerzen von selbst wieder verschwinden. 21,5

Prozent behandeln mit Hausmitteln, 19 Prozent greifen in die Hausapothe- ke und nur 1,5 Prozent kau- fen in der Apotheke ein freiverkäufliches Arznei- mittel. 1979 kauften noch 3 Prozent. Die Selbstversor- gung aus der Haus- apotheke mit 19 Prozent dagegen war etwa gleich.

In der durchschnittlichen bundesdeutschen Fami- lienhausapotheke fanden sich nach einer neuen Frei- burger Studie etwa 20 Me- dikamente, überwiegend ärztlich verordnet, wäh- rend es 1979 in der Haus- apotheke, die 92 Prozent der 4-Personen-Haushalte hatten, im Durchschnitt nur 5,4 Arzneimittel waren.

Auch aus der Perspektive der Apotheke tritt die dort gekaufte Selbstmedikation weit hinter die verordneten Arzneimittel zurück; ihr An- teil von 20 Prozent am Apo- thekenumsatz blieb wäh- rend der letzten 10 Jahre praktisch konstant. Alles in allem gaben die Bundes- bürger 1979 etwa 3,8 Mil- liarden DM für Selbstmedi- kation aus, wovon nur 16 Prozent nicht aus der Apo- theke, d. h. aus Drogerien und anderen Quellen, stammten; pro Bundesbür- ger sind das ganze 63 DM.

Das ist weit weniger als die Ausgaben für Tabakwaren und Alkoholika (— 1000 DM) pro Kopf in der Bun- desrepublik Deutschland.

Als Informationsquelle über Selbstmedikation ga- ben 79 Prozent der 205 be- fragten Familien den Arzt an, 39 Prozent bezogen ihr Wissen auch aus den Mas- senmedien und 28 Prozent aus Gesundheitsbüchern.

Überraschend wenig erfuhr man im Verwandten-, Be- kannten- oder Freundes- kreis (12 Prozent), und der Apotheker lag mit 7,3 Pro- zent noch hinter der Fachli- teratur (10,7 Prozent), die

ohnehin nur einem be- grenzten Bevölkerungs- kreis zugänglich sein dürf- te. 5,9 Prozent haben ir- gendwann einmal in Ge- sundheitsberufen gearbei- tet und brauchten keine zu- sätzlichen Informationen.

Die Erhebung unterbewer- tet sicher die Rolle des Apothekers, denn 60,5 Pro- zent der Befragten hatten schon einmal den Apothe- ker um Rat gefragt.

Auch hier zeigt sich wieder einmal, daß der Bundes- bürger weitaus vernünfti- ger ist, als es die Auguren befürchten. Selbst massive Medienwerbung verleitet ihn nicht, auf eigene Faust mehr für seine Gesundheit zu tun, wenn ihm der Rat seines Arztes zur Verfü- gung steht. Dabei spielen sicherlich auch wirtschaft- liche Erwägungen eine Rolle: Warum sollte man sich ein Mittel zur Selbst- medikation kaufen, wenn man noch einen genügen- den Vorrat davon von der letzten ärztlichen Verord- nung in der Hausapotheke hat? Ob die sogenannte Negativliste etwas daran ändern wird, ist fraglich.

Die kritischere Einstellung, insbesondere der jüngeren Leute, zu Arzneimitteln schlägt auch auf die Mittel zur Selbstmedikation durch. Verharmlosenden Werbeaussagen wird zu- nehmend nicht mehr ge- glaubt. Dazu hat zweifellos die Arzneipolitik der Bun- desoberbehörde beigetra- gen. Erschütternd ist die Unkenntnis über selbst all-

42 Heft 24 vom 17. Juni 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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EDITORIAL gemein gebräuchliche in

der Packungsbeilage ver- wendete Ausdrücke wie

„Dosis" und „Gravidität".

Soweit der Rückgriff auf den früher einmal verord- neten Inhalt der Hausapo- theke sich auf verschrei- bungsfreie Medikamente bezieht, kann die ärztliche Beratung optimal sein.

Beunruhigend ist jedoch die Vorstellung, daß rezept- pflichtige Arzneistoffe wie Antibiotika, Nebennieren- rindenhormone und noch differentere Substanzen bei Auftreten dem Laien ähnlich erscheinender Symptome im Rahmen der Selbstmedikation einge- nommen werden. Nach ei- ner Untersuchung trifft das besonders für junge Leute zu, die selten zum Arzt ge- hen und auf den elterlichen Arzneivorrat zurückgreifen, wobei die Selbstmedika- tion sich hier nicht nur auf Bagatellbeschwerden be- schränkt.

Im großen und ganzen ha- ben unsere Patienten dem- nach eine recht vernünftige Einstellung zur Selbstme- dikation. Nicht nur in der Diskussion um die Konse- quenzen der Negativliste, sondern ganz generell brauchen sie mehr und bessere Information von ih- rem Arzt und den Herstel- lern freiverkäuflicher Arz- neimittel. Auch auf die Risi- ken der Selbstmedikation muß der Arzt, wie schon Kreienberg 1971 sagte, sei- ne Patienten hinweisen.

Patienten, die zunächst zur Selbstmedikation greifen,

sind oft die vernünftigsten und wißbegierigsten. Die Herstellerinformation stellt sie meist nicht zufrieden.

Sie erwarten, daß sie ihr Arzt sachkundig berät. Lei- der ist jedoch unsere Infor- mation über Wirkung und Risiken der Selbstmedika- tion mangelhaft, weil sie nicht wie neu eingeführte Arzneimittel mit modernen Methoden untersucht wurden.

Bedarfsgerechte Ver- schreibung hilft Bestände in den Hausapotheken ab- zubauen beziehungsweise gar nicht erst entstehen zu lassen. Bei zeitlich be- grenzter Verordnung stär- ker wirkender Arzneimittel ist dem Patienten zu raten, den verbliebenen Rest zu vernichten. Besondere Auf- merksamkeit verlangen freiverkäufliche Arzneimit- tel, die häufiger miß- braucht werden. Viele ver- antwortungsbewußte Apo- theker weigern sich, solche Arzneistoffe wiederholt an Jugendliche abzugeben;

jedoch ist eine solche Selbstkontrolle in Bal- lungsräumen mit vielen Apotheken illusorisch.

Nicht nur aus diesem Grun- de sollte bei jeder ärztli- chen Beratung nach der Selbstmedikation gefragt werden, und zwar nach al- lem, was nebenher einge- nommen wird. Viele Patien- ten sehen z. B. Abmage- rungs- oder Schnupfenmit- tel nicht als Arzneimittel an. Gerade die darin ent- haltenen indirekten Sym- pathomimetika werden je-

doch häufig mißbräuchlich und trotz aufgedruckter Warnung über lange Zeit eingenommen.

Selbstmedikation ist kein Instrument zur Kosten- dämpfung im staatlichen Gesundheitswesen. Selbst- medikation ist vielmehr der Ausdruck freiwilliger Selbstverantwortung dafür, denjenigen Bürgern, die des Arztes dringender be- dürfen, diesen nicht vorzu- enthalten. Es ist ärztliche Aufgabe, diese Selbstver- antwortung durch Bera- tung, soweit es geht, abzu- sichern und den Patienten auf mögliche Risiken hin- zuweisen. Darüber hinaus müssen Ärzte darüber wa- chen, daß der derzeitige Rahmen einer vernünftigen Selbstmedikation weder durch Bedarfsweckungs- maßnahmen fachfremden Marketings noch durch sol- che Selbstbeteiligungs- maßnahmen gesprengt wird, die den Patienten von einem ihm notwendig er- scheinenden Arztbesuch abhalten könnten.

Literatur

Cranz, H.; Czech-Steinborn, S.; Frey, H.; Reese, K. H.: Kiel 1982— Faltlhau- ser, K.: Die Bedeutung der Selbstme- dikation aus gesundheitspolitischer Sicht, Thesenpapier, Bonn 1981

—Hahn, K.-J. (Hrsg.): Nutzen und Risiken der Selbstmedikation, Erlangen 1981 — Infratest Gesundheitsforschung „Arz- neimittelverhalten", München 1979 — Kreienberg, W.: Dtsch. Ärztebl. 68 (1971) 2895-2901 — Nedieck, L.: Phar- ma-Dialog 74, Frankfurt/Main 1982 — v.

Troschke, J.: Selbstbehandlung und Selbstmedikation, Schriftenr. BMA Nr.

67, Bonn 1981 —v. Troschke, J.: Dtsch.

Apoth. Z. 123 (1983) 337-341

Dr. med. Karl-Heinz Kimbel Eugen-Langen-Straße 12 5000 Köln 51

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 24 vom 17. Juni 1983 45

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