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Archiv "Pauschale und Primärschein für den Hausarzt?: Professor Sewerings Denkanstoß" (16.10.1985)

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Pauschale und Primärschein für den Hausarzt?

Professor Sewerings Denkanstoß

Die kassenärztliche Honorarpolitik gerät in Bewe- gung. Ursächlich sind die anhaltende Kostendämp- fung einerseits und die steigende Arztzahl anderer- seits. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung denkt über eine neue Struktur der Gebührenordnung nach. Der bayerische Kammerpräsident und KV- Vorsitzende schlägt eine „Teilpauschalierung" vor.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

B

ayerns Kammer-Präsident Professor Dr. Hans J. Sewe- ring, Urheber eines unge- wohnten honorarpolitischen Denkmodells (dazu auch Seite eins von Heft 37: „Modifizie- rungsmodelle"), hat seine Über- legungen auf dem 38. Bayeri- schen Ärztetag, der am 5. und 6.

Oktober in Bad Füssing tagte, erstmals in aller Öffentlichkeit erläutert und verteidigt. In Füs- sing kam es zunächst zu einer heftigen Kontroverse. Sie war

„vorprogrammiert". Sewering hatte den Delegierten lange vor der Tagung in einem Brief seine Vorstellungen ausführlich be- schrieben, nachdem darüber in Teilen der Presse schon ausgie- big (und nach Sewerings Auffas- sung noch dazu irreführend) spekuliert worden war. Nach den Vorstellungen Professor Se- werings sollen die Honorierung nach Einzelleistungen teilweise aufgegeben, eine „Teilpauscha- lierung" bei Hausärzten einge- führt und der direkte Zugang des Patienten zum Spezialisten unterbunden werden.

Sewering hält zwar die Einzellei- stungsvergütung und die freie Arztwahl für „essentielle Be- standteile eines normal funktio- nierenden kassenärztlichen Ver- sorgungssystems". Er setzte sich in Füssing auch nachdrück- lich dafür ein, zur Zeit — vor al- lem bei den laufenden Honorar- verhandlungen — die Einzellei- stungsbezahlung energisch zu verteidigen, ja sogar den Deckel namens Grundlohnsummenzu- wachs womöglich zu entfernen!

Für die Zukunft freilich ist, laut Sewering, kein „normal funktio- nierendes kassenärztliches Ver- sorgungssystem" zu erwarten.

Und zwar aus zwei Gründen:

Einerseits stagnieren die Fi- nanzmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, wachsen nur mehr im Einklang mit der Grundlohnsumme; andererseits steigen die Arztzahlen. Man quäle sich geradezu in Gedan- ken über die Zukunft, sagte Se- wering vor dem Bayerischen Ärztetag. Man suche fast ver- zweifelt nach halbwegs erträg- lichen Lösungen, um über die

kommenden schwierigen Jahre hinwegzukommen. Professor Sewering sieht sein Modell, den Ausführungen in Bad Füssing zufolge, folglich auch nicht als die Patentlösung, wohl aber als einen Anstoß für die honorarpo- litische Diskussion.

Was bedeutet

„Gesamtpauschalierung"?

Sewerings Prämisse ist es, die

„totale Pauschalierung der Ge- samtvergütung" zu verhindern.

Die Gefahr der totalen Pauscha- lierung ist nach seiner Auffas- sung bereits da, nachdem Hono- rarverträge strikt an den Zu- wachs der Grundlohnsumme gebunden werden. Pauscha- lierung der Gesamtvergütung bedeute aber, daß die Ansprü- che aus Leistungen, die die Kas- senärzte ansetzten, nur noch in dem Umfang befriedigt werden könnten, wie Mittel aus der Pau- schale zur Verfügung stünden.

Wenn die Pauschale ausge- schöpft sei, komme es zu einer Quotierung der Auszahlung.

Wenn sich diese Erkenntnis un- ter den Kassenärzten einmal festgesetzt hat, dann setzt laut Sewering ein gefährlicher Pro- zeß ein: jeder Kassenarzt, vor al- lem, wenn er in der Primärver- sorgung arbeite, merke, daß er mit jeder Überweisung an einen Spezialisten den eigenen Anteil an der Gesamtvergütung min- dert. Die Folge werde sein, daß Überweisungen entweder unter- lassen oder die Patienten ins Krankenhaus eingewiesen wür- den. Daraus folge ein Ansteigen der Krankenhauskosten. Die Po- litik des „soviel ambulant wie möglich und soviel stationär wie nötig" sei dann praktisch ge- scheitert. Die Kassen würden das Steigen der Krankenhausko- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 42 vom 16. Oktober 1985 (21) 3053

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Kassenärztliche Honorarpolitik

sten nicht tatenlos hinnehmen, sondern mit den Krankenhäu- sern Verträge über die ambulan- te vorstationäre Behandlung schließen. Sie könnten das — nach bereits geltendem Recht — an den Kassenärztlichen Verei- nigungen vorbei tun.

Primärscheine zum Primärarzt

Der bayerische Kammerpräsi- dent (der dort auch KV-Vorsit- zender ist) schlägt nun vor — al- les, wohlgemerkt, als Denkmo- dell —, die primärärztliche Ver- sorgung zu pauschalieren, zum Beispiel nach Kopfpauschale.

Zugleich soll der Arzt in der Pri- märversorgung (der noch zu de- finierende „Hausarzt") das Recht auf den Erstzugang des Patienten bekommen. Die Inan- spruchnahme des Gebietsarztes wäre dann an die — gezielte — Überweisung durch den Haus- arzt gebunden. Darin liegt laut Sewering zugleich die Begren- zung des Leistungsumfanges und damit auch für die Kranken- kassen ein gewisser Reiz des Modells. Vor allem aber werde so der Kampf um den Primär- schein entschieden. Gerade praktische Ärzte und Allgemein- ärzte klagten heute noch dar- über, daß immer häufiger die Primärscheine bei Spezialisten abgegeben würden.

Im übrigen sieht sich Professor Sewering in wesentlichen Ge- dankengängen auch von den Gutachtern Wannagat und Gitter bestätigt (diese hatten im Auf- trag der Krankenkassen ein Gut- achten darüber abgegeben, ob es rechtlich zulässig sei, den Zu- gang von Ärzten zur Kassenpra- xis zu begrenzen, und sie hatten dabei auch die Auswirkungen verschiedener Honorierungssy- steme untersucht). Ja, Sewering sieht sogar aus dem Kreis der Allgemeinärzte, die gemeinhin als die heftigsten Gegner seiner Überlegungen gelten, Verständ- nis aufblitzen.

Beim Bayerischen Ärztetag frei- lich kam gerade aus dieser Ecke der Widerstand. Der Vizepräsi- dent der Bayerischen Landes- ärztekammer, der Allgemeinarzt Dr. Hermann Braun, kreidete seinem Präsidenten vor allem an, mit einer solchen Aufteilung der Vergütung die Ärzteschaft in einen primär- und einen sekun- därärztlichen Sektor zu trennen;

das erinnere an das holländi- sche und englische System. Den primärärztlich tätigen Ärzten würde zudem jeder Anreiz zu ei-

„Wir sind mitten in der Diskus- sion. Die verschiedenen Überle- gungen begegnen sich. Ich habe den Eindruck, daß sich die Fron- ten auflösen, daß wir miteinan- der reden und gemeinsam einen Weg suchen, der uns weiter- führt . . Ich meine, eines sollten wir fertigbringen: uns freizuma- chen von Emotionen; denn mit Emotionen sind Probleme nicht zu lösen, sondern nur mit sachli- chem Diskutieren und mit mög- lichst viel Nachdenken . . .”

Prof. Dr. Hans J. Sewering am 5. Oktober beim Bayerischen Ärztetag zur Kontro- verse über die Zukunft der primär- und sekundär-ärztlichen Versorgung.

ner qualifizierten Weiterbildung genommen. Tatsächlich weht Sewering vor allem aus diesem Grund der Widerstand jener All- gemeinärzte entgegen, die sich für eine spezielle allgemeinme- dizinische Weiterbildung ver- wenden; unter ihnen der Vorsit- zende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Vor- kämpfer der Weiterbildung zum Allgemeinarzt, Professor Dr.

Siegfried Häußler. In Bad Füs- sing wandte Dr. Braun ferner grundsätzlich ein, daß eine Pauschalierung dem Wesen des freien Berufes widerspreche;

die Einzelleistungsvergütung entspreche dagegen dem Lei- stungsprinzip, und sie habe da- zu geführt, daß auch die allge- meinärztlichen Praxen einen ho-

hen technischen Ausrüstungs- stand aufweisen.

Sewerings modellhafte Überle- gungen stehen jenen in der Kas- senärztlichen Bundesvereini- gung inzwischen schon recht weit gediehenen Überlegungen über eine Neustrukturierung der kassenärztlichen Gebührenord- nung, des Bewertungsmaßsta- bes, gegenüber. Sie wurden auf dem Bayerischen Ärztetag von Dr. Klaus Dehler vorgetragen.

Dehler gehört sowohl den Vor- ständen der Kammer wie der KV in Bayern als auch dem KBV- Vorstand an. Das KBV-Denkmo- dell ist in Heft 41/1985 näher be- schrieben worden („Die ,zuwen- dungsintensiven` Leistungen sollen belohnt werden"); darauf sei verwiesen.

Vorreiterrolle?

Sowohl Sewering wie seine Kri- tiker ernteten auf dem Bayeri- schen Ärztetag kräftigen Beifall.

Für den Beobachter war es da- her zunächst schwierig auszu- machen, wie die Mehrheitsver- hältnisse waren. Immerhin gab es zwei Anträge, hinter denen die Gegner des Seweringschen Denkmodells standen. In der Ab- stimmung einen Tag nach der

Redeschlacht wurden die be- wußten Anträge aber mit großer

Mehrheit abgelehnt. Einen An- trag, der sich positiv für das

Denkmodell aussprach, gab es freilich nicht. Das war wohl auch nicht im Sinne von Professor Se- wering, der ja einen Denkanstoß

hatte auslösen und nicht vollen- dete Tatsachen hatte schaffen wollen.

Der Denkanstoß allerdings hat Kreise gezogen. Bayerns Innen- minister, Dr. Karl Hillermeier, spekulierte gar vor dem Ärzte- tag darüber, ob Bayern wieder einmal eine Vorreiterrolle spie- len werde, nachdem sich die bayerische Idee des „soviel am- bulant wie möglich" bundesweit durchgesetzt habe. NJ

3054 (22) Heft 42 vom 16. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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