Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
FEUILLETON
Charlotte Wilberg (Pseudonym Ma- ximin) wohnt in 1 Berlin 19, Stuhmer Allee 7. Sie ist Fachärztin für Chirur- gie und wurde 1907 in Oranienburg bei Berlin geboren. Von beiden El- ternteilen her ist sie eine echte Berli- nerin. Damals gab es in Oranienburg nur ein Gymnasium für Knaben.
Deshalb mußte sie in die Höhere Töchterschule gehen und studierte zunächst mit „kleiner Matrikel" und ohne Abitur Chemie. Sie arbeitete als Werkstudentin an Universitäts- Instituten, machte 1939 das Abitur nach und begann sofort das Medi- zinstudium, das sie 1944 abschloß.
Nach Kriegsverpflichtung und zwei- jähriger Pflichtassistentenzeit spe- zialisierte sie sich auf plastisch-kos- metische Chirurgie, eigentlich des- halb, weil die Niederlassung so er- schwert war. 1951 mußte sie, weil inzwischen Fachärztin, die Klinik verlassen, bekam aber erst 1959 die Kassenzulassung. Die sieben Warte- jahre waren jedoch zu lang gewe- sen: Sie hatte sich wissenschaftli- chen Aufgaben zugewandt und gab die Kassenpraxis nach drei Jahren wieder auf. „Mit 32,50 DM pro Wo- che Stempelgeld ließ man mich sie- ben Jahre auf meine Ausübung des mit viel — auch mit Staats- — Geld erlernten Berufes warten, und es ging!"
Charlotte Wilberg legt zwei schmale Bände mit Gedichten vor, eins da- von hat sie selbst illustriert. Beson- ders gelungen scheint mir das von Goethes Rhythmen beflügelte, halb bittere, halb ironische „Mignons Lied aus Amerika":
Mignons Lied aus Amerika
Kennst Du das Land, wo keine Bäu- me blühn, wo schattenlos die Sonnenstrahlen glühn?
Der Mensch geschäftig durch die Gegend geht
und alles sich ums Geldverdienen dreht?
Kennst Du es wohl?
Dahin, dahin kann ich mit Euch Ihr Freunde niemals ziehn.
Kennst Du das Haus, auf Säulen ruht sein Dach, es ist aus Holz, aus Plastik das Gemach, und diese Säulen stehn und sehn Dich an!
Was hat man Dir, Du armes Land getan!
Kennst Du es wohl?
Kennst Du des Landes wunderbare Straßen, darüberhin Millionen Autos rasen.
Und mit sich trailernd all ihr Hab und Gut.
So sind die Menschen, rastlos wie die Flut.
Kennst Du es wohl?
Dahin, dahin kann ich aus Deutsch- land niemals ziehn!
Und dann hab ich noch eins ausge- wählt, das zwar etwas ‚holpert', aber eine so humorige und möglicher- weise wirklich damals erlebte Ge- schichte erzählt, daß das darüber kaum ins Gewicht fällt:
Die Fahrradklingel
Wieder ist ein Krieg zu Ende.
Dorf und Städte sind besetzt.
Daß man hungernd Nahrung fände, wird durchs ganze Land gehetzt.
Glücklich, wer ein Fahrrad hat, putzt und ölt es aus und innen, zu gelangen aus der Stadt
kann man Raum und Zeit gewinnen.
Doch, oh Schreck, auf weiten Wegen kommt ein Besatzungsmann
entgegen
Der Mensch im Märchen
Der Präsident der Gesellschaft zur Pflege des Märchengutes der europäischen Völker e. V., Dr. med. Wolfdietrich Sieg- mund, lädt ein zum Jahres- kongreß 1978, der vorn 1. bis zum 5. November 1978 in Straßburg stattfindet.
Unter dem Leitspruch „Der Mensch im Märchen" werden deutsche und französische Märchenerzähler und -erzäh- lerinnen vor dem Plenum das Märchenerzählen zu Höhe- punkten des Kongresses wer- den lassen. Eine Buchausstel- lung wird einen Überblick über die deutsch-französische Märchenbuchproduktion der Gegenwart bieten.
Auskunft, Prospekte und An- meldung beim Sekretariat der Gesellschaft zur Pflege des Märchengutes der europäi- schen Völker e. V., Postfach 525, 4440 Rheine. S/Häu
auf einem schönen neuen Rad, das jedoch keine Klingel hat!
Und er sieht die Klingel blitzen, tät von seinem Rad absitzen, tauscht die Räder, klingelt gerne und verschwindet in der Ferne.
Eh' ich staunend recht besah was mir eben da geschah, nahm ein Paket vom Träger hin, waren zwanzig „Uhri" drin!
Man kann der Berichterstatterin nur nachträglich wünschen, daß wirk- lich sie selbst es war, der dieses Ver- mögen in den Schoß fiel. Das war ja beinahe für ein ganzes Jahr ausrei- chend zu essen! Aber damals konnte man wirklich allerlei Seltsames erleben!
Edith Engelke