Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 21⏐⏐23. Mai 2008 A1089
S E I T E E I N S
E
ndlich scheinen es einige Kollegen mal zu kapie- ren, dass wir nicht mehr länger Sklaven und Hi- wis von Politik und Krankenkassen sein wollen. Tatsa- che ist, dass uns die Selbstverwaltungs- oder besser Fremdverwaltungsorgane der Ärzteschaft in elementa- ren Fragen im Stich gelassen haben . . .“, schreibt Dr.med. Peter Pohle, Allgemeinarzt in Brackenheim, der Redaktion zum Thema Systemausstieg. Seiner Ansicht nach gehört das ganze System der KVen abgeschafft.
Bekanntlich ist das keine Einzelmeinung. Es ist Mode, gegen die ärztlichen Körperschaften, auch gegen die Kammern, vom Leder zu ziehen. Im berechtigten Un- mut über die schlechte Situation der Vertragsärzte wird oft so getan, als seien die Körperschaften von Anfang an Quell des Bösen oder zumindest Grund für den schlei- chenden Niedergang des ärztlichen Berufs gewesen.
Die Empörung darüber, dass immer wieder von der Politik in Aussicht gestellte Verbesserungen nicht ein- getreten sind, darf aber den Blick auf einfache Zusam- menhänge nicht verstellen. Wenn es um Verhandlungen über Gehälter, Honorare und Arbeitsbedingungen geht, gelten auch im Gesundheitswesen ökonomische Ge- setzmäßigkeiten: Wer große Mengen an Gütern oder Dienstleistungen einkauft, bekommt bessere Preise als andere. Wer sich mit seinem Gegenüber einigen muss, weil es einen anderen potenziellen Verhandlungspartner nicht gibt, wird die eigenen (Preis-)Vorstellungen nie ganz durchsetzen können.
Wenn sich anstelle der bisherigen Verbände der Krankenkassenarten gemäß gesetzlichem Auftrag ein einziger Spitzenverband formiert, kann das die ärztli- che Verhandlungsposition nicht stärken. Deshalb wäre eine Einheitskrankenkasse auch alles andere als eine verlockende Perspektive. Was könnte eine einzelne Praxis, eine Gruppe von Ärzten anderes tun, als die ge- botenen Preise einer solcher Kasse zu akzeptieren?
Letztlich geht es um Marktmacht. Das ist nicht neu.
Um nicht allein dazustehen, haben sich Anfang des 20. Jahrhunderts Ärzte zunächst im Hartmannbund zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen gegenüber den Krankenkassen zusammengeschlossen. Nun soll es wieder in die andere Richtung gehen. Die Versorgung wird zersplittert, durch eine unübersehbare Zahl von Verträgen und vertragsschließenden Verbänden. Zer- splitterung kann aber nicht im Interesse der Ärzteschaft sein. Wen wundert es, dass Bundesgesundheitsministe-
rin Ulla Schmidt den an der KV vorbei geschlossenen Hausarztvertrag in Baden-Württemberg auf dem 111.
Deutschen Ärztetag besonders gelobt hat? Die Ein- stiegskonditionen für den einzelnen Arzt mögen ver- lockend sein. Letztlich geht es auch hier um Macht, um die Chance für die Kassen, sich irgendwann die Ärzte und später auch die Krankenhäuser, die man unter Ver- trag nimmt, aussuchen zu können – und das dürfte der AOK etwas wert sein.
Wenn Ärzte knapp sind wie derzeit, steigert das ihre Marktmacht. Auch deshalb forciert das Bundesgesund- heitsministerium nach Kräften die Diskussion darüber, welche bisher ärztlichen Leistungen von anderen Ge- sundheitsberufen übernommen werden können. Dazu lag dem Deutschen Ärztetag eine eindeutige Positionie- rung gegen die Substituierung von Ärzten durch andere Gesundheitsberufe vor.
Gerade in der derzeitigen Umbruchphase sind die ärztlichen Körperschaften und ihre Mandatsträger ge- fordert. Sie können das Rad der Zeit nicht zurückdre- hen, sondern müssen die Entwicklung gestalten. Dabei sind sie auf die Unterstützung der Mitglieder angewie- sen. Dr. med. Andreas Köhler, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sieht die ärzt- liche Selbstverwaltung sogar in der Pflicht, das zu ent- wickeln, was die Politik bisher versäumt hat: eine in sich stimmige Wettbewerbsordnung für das Gesund- heitswesen, die Versorgungssicherheit, Patientenschutz und Wirtschaftlichkeit sicherstellt. Mit seinem Konzept für eine Neuordnung der Versorgungsebenen ist der KBV-Vorstand weiter vorgeprescht, als viele KV-Mit- glieder mitbekommen haben.
ÄRZTLICHE KÖRPERSCHAFTEN
Die Machtfrage ist gestellt
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur