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Die Kapazitätsauslastung - Gradmesser der Konjunkturlage | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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43 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 4-2009

Das rechtzeitige Erkennen von Boom- und Rezessionsphasen ist eine Voraussetzung für eine erfolgversprechende Wirtschaftspo- litik. Die Konjunkturlage prägt das Produk- tions-, Investitions-, Beschäftigungs- und Ertragsniveau der Unternehmen. Gleichzei- tig gehen davon Wirkungen auf Löhne und Preise aus. Einer der wichtigsten Indikatoren hinsichtlich der konjunkturellen Lage einer Volkswirtschaft ist der Auslastungsgrad der technischen Kapazitäten.1 Ein hoher und al- lenfalls noch steigender Auslastungsgrad si- gnalisiert beispielsweise Angebotsengpässe und Lieferprobleme, welche preis- und lohn- treibend wirken können.

Der Auslastungsgrad der technischen Ka- pazitäten ist in der Industrie und im Bauge- werbe messbar. Diese beiden Sektoren zählen zugleich zu den volatilsten einer Volkswirt- schaft und geben somit ein gutes Bild auch der allgemeinen Konjunkturentwicklungen.

Konstruktion des Indikators Kapazitätsauslastung

Die KOF erhebt im Rahmen der Kon- junkturumfragen2 eine breite Palette von In- dikatoren. Einer der bekanntesten und be- deutendsten ist die Kapazitätsauslastung, die in der Industrie seit 1967 und im Baugewer- be seit 1994 quartalsweise erfragt wird. Die- ser Indikator wird nicht nur für die Schweiz insgesamt, sondern auch für Regionen und Kantone ermittelt. Dabei wird die effektive Produktion als Prozentsatz des Produktions- potenzials (100% Auslastung) ausgedrückt.

Seit dem Jahr 2000 können die Unterneh- men zwischen der postalischen und der On- line-Teilnahme wählen. Die quartalsweise gegebenen Antworten3 werden zu Branchen- ergebnissen und zum Resultat von Industrie resp. Baugewerbe insgesamt aggregiert. Der Aggregationsprozess erfolgt in drei Schrit- ten:

– Die Antworten werden mit der vollzei t- äquivalenten Zahl von Beschäftigten der antwortenden Unternehmung gewichtet.

– Für die Branchenergebnisse werden die gewichteten Antworten in drei Grössen- klassen (klein, mittel, gross) untergliedert und für jede Grössenklasse separat ermit- telt. Die Ergebnisse der Grössenklassen werden in einem zweiten Schritt mit ihrer

Bedeutung in der Grundgesamtheit (Be- triebszählung) gewichtet und die drei Grössenklassen zum Branchenergebnis zusammengefasst.

– Zuletzt werden die Branchenresultate mit ihrem Wertschöpfungsanteil gewichtet und zum Gesamtergebnis aggregiert.

Anwendungsmöglichkeiten der Kapazitätsauslastung

Der Indikator «Auslastung der tech- nischen Kapazitäten» findet vor allem in drei Bereichen eine grosse Beachtung: den teil- nehmenden Firmen, der öffentlichen Hand und der empirischen Wirtschaftsforschung.

Teilnehmende Firmen

Anhand des Umfrageberichts können die teilnehmenden Firmen ihre eigene Perfor- mance mit jener ihres Absatzmarktes ver- gleichen. Darin finden sich auch Hinweise über die Konjunkturlage in den vorgelager- ten Branchen, was Informationen über die Entwicklung der Lieferfristen und der Ein- kaufspreise ermöglicht. Zudem kann die Ka- pazitätsauslastung der Abnehmerbranchen Anhaltspunkte für die eigene Verkaufspreis- gestaltung liefern.

Öffentliche Hand

Die öffentliche Hand erkennt immer mehr den Nutzen der Konjunkturumfragen für ihre Zwecke. Im Vordergrund steht dabei die Ermittlung von Entscheidungsgrundla- gen für die Fiskal- und die Geldpolitik. Der Auslastungsgrad der technischen Kapazitäten ist mittlerweile sowohl für die Schweizerische Nationalbank (SNB) als auch für den Bund und die Kantone/Regionen ein wichtiges konjunkturelles Signal.

Empirische Wirtschaftsforschung

In der empirischen Wirtschaftsforschung spielt die Kapazitätsauslastung eine wichtige Rolle sowohl in Partial- als auch in Gesamt- modellen. Der Indikator kann als Bestim- mung des ökonomischen «Regimes» dienen und so signalisieren, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Nachfrage- oder ein Angebots- überschuss besteht. Zusammen mit anderen relevanten Indikatoren dient er zudem der Schätzung der Wertschöpfungsentwicklung.

Die Kapazitätsauslastung – Gradmesser der Konjunkturlage

Richard Etter Stellvertretender Bereichsleiter Konjunktur, Leiter Konjunktur- umfragen, KOF Konjunk- turforschungsstelle, ETH Zürich

Die Kapazitätsauslastung ist ein wichtiger Indikator für die Be- stimmung der Konjunkturlage einer Volkswirtschaft. Die Kon- junkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) führt seit den 1950er Jahren Konjunkturumfra- gen bei Unternehmen in der Schweiz durch. Schon ab 1967 gehörte die Frage nach dem Aus- lastungsgrad der technischen Ka- pazitäten zum vierteljährlichen Standard-Frageprogramm der In- dustrieumfrage. Dieser Indikator wird seit 1994 auch im Baugewer- be erhoben. Die Fragestellung hat sich über die Jahre praktisch nicht verändert. Dies ermöglicht konjunktur zyklusübergreifende Vergleiche und hilft damit bei der Interpretation der gegenwärtigen Konjunkturlage.

1 Die Kapazitätsauslastung ist definiert als das Verhältnis von effektiver Produktion und potenzieller Produktion.

2 KOF-Konjunkturumfragen: www.kof.ethz.ch/surveys/bts.

3 Durchschnittliche Anzahl von Antworten pro Quartal für die geografische Auswertungseinheit Schweiz im Jahr 2008: Industrie 882, Baugewerbe 550.

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44 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 4-2009

Baugewerbe bestehen merkliche Unter- schiede zwischen Bauhaupt- und Ausbauge- werbe.

Die regionalen Unterschiede in der Indus- trie sind weniger markant als jene zwischen den Branchen (siehe Tabelle 2). Zudem stam- men diese Differenzen teilweise vom unter- schiedlichen Branchenmix der Regionen. Et- was anders präsentiert sich die Lage im Baugewerbe. Weil dieser Wirtschaftszweig stark von der lokalen und regionalen Nach- frage abhängig ist, bestehen erhebliche regio- nale Differenzen bei der durchschnittlichen Kapazitätsauslastung.

Die konjunkturelle Einschätzung, ob ein Engpass vorliegt oder Überkapazitäten vor- handen sind, ist eng damit verbunden, was als Normalauslastung angesehen wird. Die Kapazitätsauslastung ist zwar konstruktions- bedingt ein trendbereinigter Indikator. Trotz- dem ist es möglich, dass sich der von den Fir- men als Normalauslastung empfundene Wert über die Zeit verändert. Gründe dafür kön- nen Just-in-Time-Produktion, flexibleres Produktionskapital, veränderte Kapitalaus- stattung und Branchenstrukturwandel sein.

Untersuchungen mit Schweizer Daten haben gezeigt, dass die Normalauslastung in den letzten 25 Jahren eher rückläufig ist.

Der Zusammenhang zwischen Industrie- produktion und Auslastungsgrad der tech- nischen Kapazitäten wird nicht nur vom Produktionsvolumen, sondern auch von In- vestitionen respektive Schliessungen von Produktionseinheiten beeinflusst. Während Investitionen bei unveränderter Produktion den Auslastungsgrad senken, erhöht sich die- ser bei Schliessungen von Produktionsein- heiten. Entsprechend reagiert die Kapazitäts- auslastung im Konjunkturverlauf nicht immer parallel zur Produktion.

Empirische Untersuchungen zeigen einen stärkeren Zusammenhang zwischen dem Auslastungsgrad und dem Vorjahresquartals- wachstum der Industrieproduktion (VJQ) als der Trendabweichung der Industriepro- duktion. Über einen Beobachtungszeitraum von 1991 bis 2007 ergibt sich eine maximale Korrelation von 0,75, wobei der Auslastungs- grad gegenüber der Industrieproduktion um ein Quartal verzögert reagiert (siehe Grafik 1). Dank dem Publikationsvorsprung von einem Quartal eignet sich der Auslastungs- grad somit sehr gut als mitlaufender Indika- tor.

Kapazitätsauslastung als Teil eines Indikatorenbündels

Zur Erleichterung der Interpretation des Indikators wird in den KOF-Konjunkturum- fragen auch nach der Beurteilung (zu gross, Interpretation

Bei der Theorie von Konjunkturzyklen werden drei Definitionen unterschieden:

klassischer Zyklus, Wachstumszyklus und Wachstumsratenzyklus. Um die Aussagekraft des Indikators richtig zu beurteilen, ist ent- scheidend, auf welcher Konjunkturzyklus- theorie der Indikator basiert. Der klassische Zyklus orientiert sich ausschliesslich am Vor- zeichen der Wachstumsraten; der Wachs- tumsratenzyklus betrachtet Beschleuni- gungs- und Verlangsamungsphasen. Der Wachstumszyklus hingegen geht von einer trendbereinigten Niveaubetrachtung aus, was dem Konzept der Kapazitätsauslastung ent- spricht.

Bei der Interpretation des Auslastungs- grades sind zudem die strukturellen Unter- schiede zwischen Branchen und Regionen zu beachten. In der Industrie weist die Nah- rungs- und Genussmittelindustrie eine we- sentlich niedrigere durchschnittliche Auslas- tung auf als z.B. die Maschinenindustrie (siehe Tabelle 1). Dasselbe gilt nicht nur auf Branchen-, sondern auch auf Produktgrup- pen- oder sogar auf Firmenebene. Auch im

in %

Industrie insgesamt 83.7

Nahrungsmittel, Genussmittel 75.7

Textil, Bekleidung; Leder, Schuhe 80.9

Holz; sonstige nichtmetallische Produkte 81.4

Papier-, Karton-, Verlags- und Druckgewerbe 84.0

Chemie; Mineralölverarb.; Gummi, Kunststoff 83.2

Bearbeitung von Metall und Metallerzeugnissen 84.1

Maschinenbau; Fahrzeugbau 86.6

Elektr. und elektron. Geräte; Feinmechanik, Optik 86.6

Baugewerbe insgesamt 73.3

Bauhauptgewerbe 71.9

Ausbaugewerbe 75.0

Industrie Baugewerbe

Genferseegebiet 81.3 68.1

Espace Mittelland 83.4 71.8

Nordwestschweiz 83.5 74.4

Zürich 84.2 72.7

Ostschweiz 83.9 68.2

Zentralschweiz 84.0 72.7

Tessin 80.3 69.7

Insgesamt 83.7 73.3

Tabelle 1

Durchschnittliche Kapazitätsauslastung nach Branchen, Konjunkturzyklus 2001–2007

Tabelle 2

Durchschnittliche Kapazitätsauslastung nach Regionen (in %), Konjunkturzyklus 2001–2007

Quelle: Etter / Die Volkswirtschaft

Quelle: Etter / Die Volkswirtschaft

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45 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 4-2009

ausreichend, zu klein) der technischen Kapa- zitäten gefragt. Damit wird die Erfassung der Konjunkturlage – Engpässe oder freie tech- nische Kapazitäten – verbessert. Zudem lie- fert eine Frage nach der Veränderung der technischen Kapazitäten (erhöht, nicht ver- ändert, reduziert) Hinweise auf das Investiti- onsverhalten als eine weitere Determinante der Kapazitätsauslastung.

Werden Auslastungsgrad, Veränderung und Beurteilung der technischen Kapazi- täten in einer Hauptkomponenten-Analyse zusammengefasst, so verbessert sich der Zu- sammenhang dieses Indikators mit der In- dustrieproduktion merklich. Die Korrelation beträgt dann beachtliche 0,80.

Darüber hinaus kann der Auslastungsgrad in verschiedene Partialmodelle integriert werden oder – wie im Gesamtmodell der KOF – eine wichtige Kontrollvariable bilden.

Internationale Harmonisierung

In Zeiten einer verstärkten Globalisie- rung wird ein Vergleich mit den für die Schweiz wichtigsten Volkswirtschaften im- mer wichtiger. Damit dies möglich ist, hat die Europäische Union hinsichtlich der Unter nehmensbefragungen ein Harmonisie- rungsprogramm beschlossen, dem sich die KOF angeschlossen hat. Dabei werden nicht nur die Fragen, sondern auch die Aggregati- onstechnik und die Branchengliederung ver- einheitlicht.

Vergleicht man die Kapazitätsauslastung der Schweiz mit jener der Nachbarländer, so stellt man fest, dass die Schweiz ab 2004 eine überdurchschnittliche Steigerung der Kapa- zitätsauslastung verzeichnen konnte (siehe Grafik 2). Bei allen Ländern zeichnet sich je- doch momentan eine massive Verschlechte- rung der Auslastung der technischen Kapazi-

täten ab.

Kasten 1

Literatur

– Etter R., Graff M. und J. Müller (2008): Is «Normal»

Capacity Utilisation Constant over Time? Analyses with Macro and Micro Data from Business Tendency Surveys, Paper presented at the Ciret-Conference, Santiago de Chile, 8.–10. Oktober.

– European Commission, Economic and Financial Affairs (2007): The Joint Har monised EU Programme of Business and Consumer Surveys, Brüssel.

– Harding D. und A. Pagan (2005): A Suggested Framework for Classifying the Modes of Cycle Research, in: Journal of Applies Econometrics, 20, S. 151–159.

Industrieproduktion VJQ (linke Skala) Kapazitätsauslastung Schweiz (rechte Skala)

1991

1992 1993 1994

1995 1996 1997

1998 1999 2007 2008

2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000

75 80 85 90

–15 –10 –5 0 5 10 15

Frankreich Schweiz

Italien

Österreich Deutschland

70 75 80 85 90

1999 2007 2008

2006 2005

2004 2003

2002 2001

2000

Quelle: Etter / Die Volkswirtschaft

Quelle: Etter / Die Volkswirtschaft Grafik 1

Industrieproduktion und Kapazitätsauslastung, 1991–2008

Grafik 2

Kapazitätsauslastung Industrie, 1999–2008

Referenzen

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