• Keine Ergebnisse gefunden

Kantone regulieren unterschiedlich | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Kantone regulieren unterschiedlich | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

SCHWERPUNKT

Die Volkswirtschaft  10/2015 29 Normengefüges weniger kritisch. Bei beiden Per­

spektiven ist die Häufigkeit der Änderung der rechtlichen Normen zentral.

Die Änderungshäufigkeit ist messbar und wurde im Rahmen unseres Forschungsprojekts für alle Kantone über mehr als 100 Jahre erfasst.

Erst die Möglichkeit, die Entwicklungen der Rechtssetzung über Gebietseinheiten mit ähn­

lichen Rahmenbedingungen systematisch zu vergleichen, verspricht, die Determinanten und Auswirkungen der Regulierungsaktivität identi­

fizieren und beurteilen zu können.

Die Regulierungsaktivität wurde an der jähr­

lichen Anzahl geänderter Erlasse und Seiten ge­

messen, gegliedert nach Normenkategorie und erlassender Behörde.1 Die Gliederung und die Ab­

grenzung eines vergleichbaren Kerns allgemein verbindlicher Rechtsnormen wurden zusammen mit dem Direktor des Zentrums für Rechtsinfor­

I

m Jahr 2013 sind in einem Kanton durchschnitt­

lich auf fast 500 Seiten in über 110 rechtlichen Normen Änderungen vorgenommen worden.

Breite Kreise vermuten, dass die Regulierungsak­

tivität in jüngerer Zeit stark gestiegen ist. Einige beklagen den behördlichen Aktivismus und den daraus folgenden Rückgang der Rechtssetzungs­

qualität und der Rechtssicherheit. Andere se­

hen angesichts der gewaltigen technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüche die erhöhte Kadenz der Anpassung des rechtlichen

Kantone regulieren unterschiedlich

Ein Blick auf die letzten hundert Jahre zeigt: In den meisten Kantonen hat die Regulierungs­

aktivität zugenommen, auffällig ist dabei die Vielfalt der Entwicklungen.  Simon Lüchinger, Mark Schelker

Abstract  Die Entwicklung von staatlichen Regulierungen wird prominent disku- tiert. Aussagen über Ursache und Wirkung der Regulierungsaktivität erfordern Daten in vergleichbaren Gebietseinheiten über einen längeren Zeitraum. Solche Daten fehlten bisher jedoch. Ein Forschungsprojekt der Universitäten Luzern und Freiburg schliesst diese Lücke, indem es Daten zur Regulierungsaktivität der Kantone von 1908 bis 2013 liefert. Diese decken eine grosse Heterogenität der Entwicklung in den Kantonen auf, die es weiter zu erforschen gilt.

Abb. 1: Regulierungsaktivität im Kanton Freiburg (1908–2013)

CHINGER, SCHELKER / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Erlasse Seiten

250 Anzahl Erlasse Anzahl Seiten 1 250

200 1 000

150 750

100 500

50 250

0 0

1900 1950 2000

(2)

REGULIERUNGSDICHTE

30 Die Volkswirtschaft 10/2015

mation in Zürich, Marius Roth, vorgenommen.

Die Informationen stammen aus den kantona­

len chronologischen Gesetzessammlungen oder Amtsblättern und sind mit wenigen Ausnahmen für alle Kantone lückenlos zwischen 1908 und 2013 vorhanden.

Vielfalt der kantonalen Entwicklungen

Die Entwicklung der Regulierungsaktivität im Bei­

spielkanton Freiburg vermittelt einen Eindruck der Rohdaten (siehe Abbildung 1). Gut ersichtlich sind die hohe Volatilität, die nicht lineare Ent­

wicklung und die Zunahme der Aktivität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese drei Aspekte sind nicht untypisch.

Eine generelle Zunahme der Regulierungsak­

tivität in den Kantonen ist auch in Abbildung 2 ersichtlich, in der die durchschnittliche Regulie­

rungsaktivität in den Jahren 1910–1919 jener von

2004–2013 gegenübergestellt wird. Die Haupt­

botschaft ist hier jedoch die grosse Heterogenität sowohl im Niveau als auch in der Entwicklung der Regulierungsaktivität.

Die durchschnittliche jährliche Regulierungs­

aktivität in der Anfangsperiode reicht von fünf geänderten Erlassen im Kanton Appenzell Aus­

serrhoden bis zu 282 im Kanton Genf. Es sind wiederum diese beiden Kantone, die mit Werten von 35 beziehungsweise 312 geänderten Erlassen die Extremwerte in der Endperiode bilden. Zufäl­

ligerweise ist die Spannweite in beiden Perioden mit 277 geänderten Erlassen identisch.

Durch das hohe Anfangsniveau im Kanton Genf führt die Zunahme um durchschnittlich 30 geänderte Erlasse zu einer der niedrigsten pro­

zentualen Veränderungen (geringe Steigung der Verbindungsgeraden), während derselbe absolu­

te Anstieg im Kanton Appenzell Ausserrhoden eine der höchsten prozentualen Veränderung zur Folge hat.

1 Für ähnliche Ansätze zur Messung des Regulierungsbestandes vergleiche Mulligan und Shleifer (2005) und Buomberger (2014).

Auch aus juristischer Perspektive wurden Wünsche nach einer empirischen Erfassung der Rechtssetzungsak- tivität mit vergleichba- ren Ansätzen geäussert (Uhlmann 2014).

KEYSTONE

Die Genfer Kantons- regierung präsentiert im Sommer 2014 ihr Legislaturprogramm.

Der Westschwei- zer Kanton steht schweizweit an der Spitze, was die Zahl geänderter Erlasse betrifft.

(3)

SCHWERPUNKT

Die Volkswirtschaft  10/2015 31

Simon Lüchinger Professor für Ökonomie, Universität Luzern

Mark Schelker

Professor für Öffentliche Finanzen, Universität Freiburg

Literatur

Buomberger, Peter (2014). Auswege aus dem Regulierungsdickicht. Beunruhigende Fakten und erfolgversprechende Lösungsansätze für die Schweiz. Diskussionspapier, Avenir Suisse, Zürich.

Mulligan, Casey B. und Andrei Shleifer (2005).

The Extent of the Market and the Supply of Re- gulation. Quarterly Journal of Economics 120(4):

1445–1473.

Uhlmann, Felix (2014). Qualität der Gesetzge- bung – Wünsche an die Empirie. In: Griffel, Alain (Hrsg.). Vom Wert einer guten Gesetzgebung. 16 Essays. Bern: Stämpfli Verlag.

Logarithmische Skala; die Steigung der Verbindungsgeraden stellt die prozentuale Veränderung der durchschnittlichen Regulierungsaktivität zwischen den beiden Perioden dar.

Abb. 2: Durchschnittliche Zahl geänderter Erlasse (1910–1919 und 2004–2013)

  Durchschnitte Deutschschweiz          Durchschnitte Romandie und Tessin

LÜCHINGER, SCHELKER / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Der Median steigt von 23 (Kanton Schwyz) in der Anfangsperiode auf 112 (Kanton Luzern) in der Endperiode. Die Spannweite der Verände­

rung der Regulierungsaktivität reicht von einem Rückgang um 52 Prozent im Kanton Solothurn bis zu einer Zunahme um 1762 Prozent im Kan­

ton Aargau. Der Kanton Zürich liegt mit einer Zunahme um 413 Prozent im Mittel der Kantone.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entwick­

lung der Regulierungsaktivität in den Kanto­

nen zwischen der Anfangs­ und der Endperiode teilweise sehr unterschiedlich verläuft. Aus Abbil- dung 2 wird ebenfalls ersichtlich, dass sowohl

Gnderte Erlasse

300 300

200 200

100 100

20 20

10 10

8 8

6 6

4 4

GE GE

VD

BS BL AGZG SHNW OW UR SZ AR

SOGR TG VD NE ZH

TI

FR SG BE LU SO

VD TI FR BS VS BE

UR

SH

AG BL LU GR ZGTG OW

NWAR ZH SGNE SZ

1910–1919 2004–2013

die Romandie als auch das Tessin eine im All­

gemeinen höhere Aktivität verzeichnen als die Deutschschweiz.

Pauschalisierungen fehl am Platz

Insgesamt ist die Zunahme der Kadenz der regu­

latorischen Anpassungen beträchtlich. Die grosse Heterogenität im Niveau und der Entwicklung deutet allerdings darauf hin, dass bei der Inter­

pretation der Regulierungsdynamik Pauschali­

sierungen nicht weit führen. Einerseits ist denk­

bar, dass die Kantone in sehr unterschiedlichem Ausmass von Entwicklungen betroffen waren, die Anpassungen in den regulatorischen Rah­

menbedingungen erfordern. Andererseits mögen die Kantone aufgrund verschiedener politischer und institutioneller Gegebenheiten unterschied­

lich auf diese Entwicklungen reagiert haben.

Es ist aber auch genau diese Heterogenität, die es uns in zukünftiger Forschung erlauben sollte, Determinanten der Regulierungsaktivität zu identifizieren. So deuten beispielsweise be­

reits die Rohdaten darauf hin, dass die Abschaf­

fung des obligatorischen Gesetzesreferendums in einigen Kantonen die Regulierungsaktivität auf Gesetzesebene nachhaltig erhöht hat. Diese und weitere Determinanten gilt es nun in den kommenden Monaten in systematischer Weise empirisch zu identifizieren und auf ihre Auswir­

kungen zu untersuchen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die im Jahr 2009 publizierte Studie «Kan- tone als Konzerne» 1 von Avenir Suisse schuf erstmals eine umfassende Übersicht über das Ausmass, die Strukturen und das Manage- ment

Gelegentlich ist die Meinung zu hören, die Kantone könnten sich im Bereich der obliga- torischen Schule wegen rückläufiger Schüler- zahlen finanziell entlasten, so dass sie nicht auf

Dieses grosse Potenzial wollen die Kantone mit Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie nutzen.. Steuerabzüge für die familien- ergänzende Kinderbetreuung

Vieles deutet darauf hin, dass sich für das laufende Jahr die Perspektiven verschlech- tern: 18 Kantone budgetieren für 2016 ein Defizit; 8 Kantone einen Überschuss oder

Die Ergebnisse der Langfristpers- pektiven sind im Sinne von «wenn-dann»-Hypothesen zu interpretieren: Wenn sich die Demografie und die Wirtschaft wie in den Langfristperspektiven

Dazu kann etwa eine einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen beitragen – diese muss aber auch Pflegeheime und Spitex mit

In einer Studie schätzten wir zum einen, welchen Effekt das Schulden- niveau der Kantone auf den Zinssatz hat, und zum anderen, wie daraus die optimale Schul- denquote

Bei einer Aufteilung des Budgets entsprechend dem nationa- len Bevölkerungsanteil zeigt sich für die Schweiz, dass sie beim 2-Grad-Ziel im Rah- men des ihr zugeteilten Budgets