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Digitale Transformation im Kanton Graubünden | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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DIGITALISIERUNG

38 Die Volkswirtschaft  1–2 / 2019

Digitale Transformation in Graubünden

Unternehmen in Graubünden meistern die digitale Transformation grundsätzlich gut, wie eine Befragung zeigt. Eine Herausforderung ist jedoch der Fachkräftemangel. 

Patricia Deflorin, Kathrin Dinner, Peter Moser

D

ie Auswirkungen der digitalen Transfor- mation verändern die Wirtschaftsstruk- tur in der ganzen Schweiz. Vor allem periphe- re Regionen bekunden oft Mühe, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Denn Fachkräfte fin- den sich häufig in den Städten und Agglo- merationen – in der Nähe zu den Bildungs- und Forschungsinstitutionen. Gleichzeitig bieten die neuen Kommunikationsmittel die Möglichkeit, räumliche Barrieren einfacher zu überwinden – wovon ländliche Regionen profitieren.1

Was bedeutet dies für den weitläufigen Kanton Graubünden? Im Auftrag des Kantons Graubünden hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur anhand von zwei Stu- dien untersucht, wie gut dieser für die digi- tale Transformation gewappnet ist. Die ers-

1 Infras (2018).

Abstract  Die Auswirkungen der digitalen Transformation betreffen alle Branchen und Regionen der Schweiz. Eine Studie im Auftrag des Kantons Graubünden zeigt, dass sich die digitale Transformation bei den befragten Unternehmen in Graubünden nicht systematisch von jener im Rest des Landes unterscheidet. Erfolgsfaktoren sind das Engagement und die Kompetenz der Mitarbeitenden, die Unternehmenskultur und die Kooperationsbereitschaft. Das mit Abstand meistgenannte Hemmnis ist der Fachkräf- temangel. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Trans- formation günstig sind, damit ein produktives Zusammenspiel von Unternehmen, Arbeitskräften, Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen, Kunden und Zulieferern entstehen kann. Weitere Aktionsfelder sind das Bildungssystem, die Anpassung der Verwaltungsabläufe sowie die Gewährleistung einer adäquaten Netzinfrastruktur.

te Untersuchung beurteilt die Erschliessung mittels Festnetz und Mobilfunk.2 Wie sich zeigt, ist Graubünden im Vergleich zum be- nachbarten Ausland sehr gut abgedeckt. Im schweizweiten Vergleich hingegen liegt die Erschliessung ab 20 Megabit pro Sekunde leicht unter dem Durchschnitt. Beim ultra- schnellen Internet (über 100 Megabit pro Se- kunde) liegt der Kanton sogar deutlich zu- rück.

In einer zweiten Studie wurde untersucht, wie gut die bündnerischen Unternehmen in vier zentralen Branchen – Tourismus, Handel und Logistik, Bauwirtschaft und Industrie – die digitale Transformation bewältigen. Darü- ber hinaus wurde analysiert, welche Entwick- lungen zu erwarten sind sowie welche He- rausforderungen sich für die Unternehmen

2 Hauser, Toggenburger, Bigger und Capol (2018).

und den Staat ergeben.3 Die Studie basiert auf semistrukturierten Interviews mit 18 Unter- nehmensvertretern (meist aus der Geschäfts- leitung) und 5 weiteren Experten. Die Ergeb- nisse wurden zusätzlich in einem Workshop mit Branchenverbänden und Arbeitnehmer- organisationen und mittels systematischer Literaturauswertung verifiziert. Im Folgen- den wird genauer auf die Resultate der zwei- ten Studie eingegangen.

Der Wandel hat begonnen

Zunächst muss geklärt werden, was digita- le Transformation bedeutet: Grundsätzlich sind damit Veränderungen in Prozessen, Pro- dukten, Dienstleistungen und Geschäftsmo- dellen aufgrund des Einsatzes digitaler Tech- nologien gemeint. Der Entwicklungsprozess spielt sich in verschiedenen Branchen unter- schiedlich schnell ab.

Hilfreich, um den Stand der digitalen Transformation darzustellen, ist ein vierstu- figes Modell (siehe Abbildung).4 Auf der ers- ten Stufe erhöhen Komponenten wie Senso- ren und Mikroprozessoren die Intelligenz des Produktes, während die zweite Stufe die Ver- netzung ermöglicht. Auf der nächsten Stu- fe folgt die Integration in ein Produktsystem, und zuletzt wird das System mit anderen Sys-

3 Bertsch, Deflorin, Dinner und Moser (2018).

4 Porter und Heppelmann (2014).

Die vier Stufen der digitalen Transformation am Beispiel eines Traktors

Intelligentes Produkt Sensoren zeichnen z. B. Zustandsdaten

des Traktors auf

Remote Zugang zu Daten des Traktors (z. B. Standort und Leistung).

Aufbereitung in App oder Web- Applikationen

Intelligentes, vernetztes Produkt Produktsystem Ökosystem

Produkte/Plattformen unterschiedlicher Branchen vernetzen sich und liefern Daten,

um z. B. Aussaat und Bewässerung zu optimieren

Unterschiedliche Maschinen tauschen (z. B. über Plattformen) Daten aus und

kommunizieren

Produkt-/Technologiefokus Plattform/Vernetzung/Datenfokus

IN ANLEHNUNG AN PORTER UND HEPPELMANN (2014) / SHUTTERSTOCK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

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DIGITALISIERUNG

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2019 39 Welche Fachkräfte sind besonders gefragt?

Branchen Berufe

Tourismus Innovationsmanager (2), Projektleiter (2), Applikationsbetreuer, Onlinever- markter, Webshop-Spezialisten

Handel/Logistik Datenspezialisten (2), Generalisten mit Schnittstellenfunktionen, Mechatro- niker, Programmierer, Systemingenieure

Bauwirtschaft «Building-Information-Modelling»-Koordinatoren (3), Holzbautechniker, Polymechaniker, Softwarespezialisten, Unternehmensentwickler, Zeichner Industrie Softwarespezialisten (2), Automatisationsspezialisten, Produktionsinformati-

ker, Systemarchitekten

Total IT- und Datenspezialisten (12), Aufwertung bestehender Berufe (6), Projektlei- ter und Koordinatoren (5), Unternehmens- und Innovationsentwickler (3) In 23 Interviews wurde gefragt, welche Berufe in der eigenen Branche an Bedeutung gewonnen haben (Mehrfachnennungen in Klammern).

BERTSCH ET AL. (2018)

temen, zum Beispiel einem Wetterdaten- oder Bewässerungssystem, gekoppelt. In die- sem «Ökosystem» lösen sich die Branchen- grenzen auf.

Im Kanton Graubünden befindet sich die Mehrheit der befragten Unternehmen auf der zweiten Transformationsstufe. Das heisst:

Die Produkte oder die Dienstleistungen sind bereits weitgehend vernetzt, und der Zu- gang zu Daten ist sichergestellt. Gemäss der Befragung wollen die meisten Unternehmen die Vernetzung sowie die Datenanalyse und die Interpretation weiter vorantreiben. Eine Mehrzahl der Befragten kann bislang kei- nen Einfluss der digitalen Transformation auf

Umsatz und Beschäftigung feststellen oder kann diesen aufgrund der vielen anderen Ef- fekte nicht bestimmen. Positive Effekte auf Umsatz und Beschäftigung vermelden ledig- lich Unternehmen in der Industrie und teil- weise im Handel und in der Logistik. Insge- samt geben die Rückmeldungen und der lite- raturbasierte Vergleich keine Hinweise, dass sich die digitale Transformation in Unterneh- men Graubündens von jener in der übrigen Schweiz grundlegend unterscheidet.

Wie die Analyse zeigt, sind die entschei- denden Treiber der Transformation das En- gagement und die Kompetenz der Mitarbei- tenden, die Unternehmenskultur und die Ko-

operationsbereitschaft. Zentral ist, dass in allen befragten Branchen eine Verschiebung der Anforderungsprofile (Funktionen) und Berufskompetenzen stattfindet (siehe Ta- belle). So werden zunehmend IT- und Daten- spezialisten eingesetzt – und von bestehen- den Berufsleuten verlangen die Unterneh- men vermehrt gute IT-Kenntnisse. Ebenfalls steigt die Nachfrage nach Projektleiterinnen und Koordinatoren sowie nach Personen auf der Führungsebene, die systematisch zur Unternehmens- und Innovationsentwick- lung beitragen.

Das mit Abstand meistgenannte Hemm- nis aus Unternehmenssicht ist der Fachkräf- temangel. In der Industrie, im Handel und in der Logistik fehlt es in erster Linie an Soft- wareingenieuren. Dieser Mangel kann sogar so gravierend sein, dass die Rolle einer Firma als Technologieführerin beeinträchtigt wird.

Weitere häufig genannte Hemmnisse sind die fehlende Kooperation beim Datenaustausch zwischen Unternehmen, unausgereifte Tech- nologien, Regulierungen in verschiedenen Bereichen sowie die Datensicherheit und der Datenschutz. Vereinzelt genannt wird auch eine ungenügende Netzabdeckung, wobei die befragten Unternehmen allerdings ihren Standort meist in gut erschlossenen Gebie-

Graubünden hat im Vergleich zum benachbarten Ausland eine gute Mobilfunknetz-Abdeckung:

Antenne auf dem Chilchalphorn.

KEYSTONE

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DIGITALISIERUNG

40 Die Volkswirtschaft  1–2 / 2019

Kathrin Dinner

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung, Hoch- schule für Technik und Wirtschaft HTW Chur

ten haben. Einig sind sich die Befragten, dass ohne zureichende Netzabdeckung die digita- le Transformation nur schwer umzusetzen ist.

Rahmenbedingungen entscheidend

Wie kann der Staat die digitale Transforma- tion vorantreiben? Aus Sicht der Autoren gibt es vier Handlungsfelder, auf welche sich der Kanton Graubünden konzentrieren soll- te. Das erste und wichtigste Aktionsfeld be- trifft die Rahmenbedingungen für Unterneh- men: Nach Ansicht der Studienteilnehmer soll der Staat bei der digitalen Transformation in erster Linie unterstützend wirken – wobei die Hauptverantwortung bei den Unterneh- men liegt. Indem er den Unternehmen An- passungs- und Entwicklungsspielräume lässt, damit diese neue Geschäftsmodelle auspro- bieren und umsetzen können, trägt der Staat massgeblich zur erfolgreichen Transforma- tion bei. Wichtig ist auch eine einfache Inter- aktion zwischen Unternehmen und Behör- den.

Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die Rahmenbedingungen sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene grundsätzlich gut sind. Da die digitale Transformation den Strukturwandel zunehmend verstärken wird, ist es umso wichtiger, dass sich die Akteu- re auf allen Märkten (inklusive des Arbeits- marktes) möglichst flexibel anpassen kön- nen. Handlungsbedarf besteht in Graubün- den vor allem bei der Stärkung der Forschung und Entwicklung in der Region, etwa durch die Gewährung von Steuerabzügen für for- schungsintensive Unternehmen und durch den Ausbau der Forschungsinstitutionen.

Ein zweites Aktionsfeld ist die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte. Um die digi- tale Transformation voranzutreiben, braucht es gemeinsame Anstrengungen der Unter- nehmen, der Mitarbeitenden, der Aus- und Weiterbildungsinstitutionen und des Staa- tes. Die Studie regt konkret an, die soge- nannten Mint-Studiengänge zu stärken, einen Studiengang Datascience aufzubauen und ICT-Angebote und Datenanalyse in al- len Studiengängen auf Hochschulebene aus-

zubauen. Entscheidend ist, dass auf allen Bil- dungsstufen die Lehrinhalte laufend an neue Anforderungen angepasst werden. Hier sind sowohl die Kantone als auch die Unterneh- men (bei der Berufsbildung) gefordert, not- wendige Änderungen kontinuierlich und in angemessener Geschwindigkeit vorzuneh- men. Den Kantonen kommt die zentrale Rol- le zu, diesen Prozess über alle Bildungsstufen voranzutreiben und zu koordinieren.

Zentrale Koordinationsstelle

Das dritte Aktionsfeld betrifft die kantona- len Verwaltungen. Diese sind gefordert, die Möglichkeiten der digitalen Transformation bei sämtlichen internen Prozessen zu nutzen und zu fördern. Das gilt insbesondere für die Regulierungs- und Bewilligungsprozesse wie auch für die Förderprogramme. Wie bei der digitalen Transformation von Unternehmen braucht es auch bei den Behörden eine ent- sprechende Organisationskultur, die Innova- tionen und Kooperationsbereitschaft inner- halb der Organisation wie auch nach aussen fördert. Um diese Veränderungen anzustos- sen und erfolgreich umzusetzen, ist ein de- partementsübergreifender Digital Officer mit ausreichenden Kompetenzen innerhalb der Verwaltung eine prüfenswerte Option.

Schliesslich verbleibt als viertes Aktions- feld die Netzinfrastruktur, welche zuver- lässig, international konkurrenzfähig und preiswert ausgestaltet sein muss. Obwohl auch der Kanton Graubünden im interna- tionalen Vergleich gut mithalten kann, be- stehen aufgrund der Topografie in ein- zelnen Gebieten Defizite. Allerdings muss festgehalten werden: Ein leistungsfähiger Anschluss ans Internet führt nicht automa- tisch zu Arbeitsplätzen und Wohlstand. Ent- scheidend ist, ob in einer Region ein Öko- system von Unternehmen, engagierten und kompetenten Arbeitskräften, Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen und an- spruchsvollen Kunden oder Zulieferern be- steht, das Innovationen voranbringt. Sol- che Ökosysteme sind sowohl wesentlich für die Standortwahl von Unternehmen als auch für die Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Es ist davon auszugehen, dass sie sich auf einzelne Zentren konzentrieren und allen- falls via Homeoffice oder Co-Working-Spa- ces in Peripherien ausstrahlen. Deshalb sind auch weitläufige Kantone wie Graubünden gut beraten, dafür zu sorgen, dass in den Zentren solche Ökosysteme erfolgreich ge- deihen und diese im nationalen und interna- tionalen Standortwettbewerb konkurrenz- fähig sind.

Literatur

Bertsch, L., Deflorin, P., Dinner, K., und Moser, P. (2018).

Digitale Transformation in Graubünden: Stand, Hinder- nisse und Strategische Aktionsfelder – Studie im Auftrag des Departements für Volkswirtschaft und Soziales Graubünden, Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur.

Hauser, U., Toggenburger, L., Bigger, B., und Capol, C.

(2018). Breitband und Digitale Transformation: Breitban- derschliessung im Kanton Graubünden, Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur.

Infras (2018). Digitalisierung und Neue Regionalpolitik (NRP): Schlussbericht, Staatssekretariat für Wirtschaft.

Porter, M., und Heppelmann, J. (2014). Wie smarte Produkte den Wettbewerb verändern, Harvard Business Manager.

Patricia Deflorin

Professorin für Innovationsmanagement, Schweizerisches Institut für Entrepreneur- ship, Hochschule für Technik und Wirt- schaft HTW Chur

Peter Moser

Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung, Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur

Referenzen

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