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w
Lieber die Mischzustände
des
manisch
-depressiven Irreseins.
Von
Wilhelm Weygandt
des
manisch-depressiven Irreseins.
Ein Beitrag zur klinischen Psychiatrie
mit vier Abbildungen und einer lithograph. Tafel
von
AAfilhelm Weygandt
Dr. phil. etmed.
Assistenzarzt an der psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg.
MÜNCHEN
VERLAG VON
J. F.LEHMANN
1899.
ß
Es
ist eine geläufige Thatsache, dasssowohl
in dermanischen
wie in der depressiven
Phase
des manisch-depressiven oder zirkulären Irreseins sich nicht nur vorübergehend freiere Zwischenzeiten, sondern noch häufigerStunden
oderTage
miteinem Umschlag
eines derSymptome
finden, derart dass die Krankheit in dieserBeziehung
ein geradezu entgegengesetztes Verhalten ihrem bisherigen Verlauf gegen- über zeigt.Im manischen
Anfallkann
plötzlich diegehobene Stimm- ung
in eine tiefdeprimirte
übergehen,während
im übrigen die flottesteTobsucht
weiterbesteht mit ihremBewegungs- und
Thaten- drang, ihrer Ablenkbarkeitund
Erregbarkeit, ihremRededrang und
ihrer Ideenflucht; odernach
monatelangerDepression
spielt plötzlich ein Lächeln über dieZüge
desKranken und
aufStunden und Tage
hinaus gibt sich eine
geh oben
e,manische Stimmung
anstelle der gedrückten kund,ohne
dassim
psychomotorischen Verhalten, in derHemmung, manchmal im
intensivsten Stupor eineAenderung
eintritt.
Etwas
weniger häufig, aberdoch
beiaufmerksamer
Be- trachtung oftgenug,kommt
es vor, dass eine entsprechende vorüber-gehende Aenderung
aufpsychomotorischem
Gebiet zuTage
tritt,während
die affektive Seite der Psychose unverändert fortbesteht;die
Kranken können
euphorisch bleiben, nur schlägt diemanische
Erregung um
in psychomotorischeHemmung,
statt desnimmer
ermüdenden Thatendranges
zeigen diePatienten Bettsucht, sind lang-sam
in ihrenBewegungen und mehr
oder weniger mutazistisch.Ebenso
findet sich bei den Kranken, die das Bild der Depression mit Stupor darbieten,manchmal
tage- oder stundenweise derUm-
schlag in leichte Erregung,
Unruhe und
Redseligkeit beim Fort- bestehen ihrer gedrücktenStimmung.
1
ihrer kurzen
Dauer wegen
weniger beachteten Zuständenum
eineMischung
derSymptome
aus der manischenund
der depressiven Phase des zirkulären Irreseins.Gewissermassen
als Aequivalentkann
so ein Kardinalsympton der einen Phase an die Stelle des ent- sprechendenSymptoms
der anderen Phase treten. Die eigenartigeBeziehung
der gegensätzlichen, scheinbar in unversöhnlichemWiderspruch
einander gegenübertretendenSymptomgruppen
der heiterenVerstimmung
mitErregung und
der Depression mitHemmung
erfährt durch dieses Auftreten einerKreuzung
derSymp- tome
einenoch
intensivere Beleuchtung.Wir müssen, um
die wesentlichen Punkte in ihrerGesamt-
heit zu berühren,
noch
ein anderes gegensätzlichesSymptompaar
heranziehen.
Ebenso
wichtigund
charakteristisch für dieManie wie
der heitere Affektund
die psychomotorischeErregung
ist auchdie krankhafte
Veränderung
aufdem
Gebiet des Denkprozesses, dieIdeen flucht,
die Art der Vorstellungsverknüpfungohne
Rücksicht-nahme
auf begriffliche Verwandtschaftund
Zielvorstellungen, reinnach
äusserlichen Gesichtspunkten, besondersdem
der sprachlichen Geläufigkeitund
Klangähnlichkeit der Wörter. In der depressivenPhase
finden wiran
Stelle der Ideenflucht als das ihr entsprechendeSymptom
aufdem
Gebiet des assoziativenDenkens
dieDenk- hemmung,
eine Erscheinung, deren Ivenntniss in psychologischerund
klinischer Hinsicht freilichnoch am
wenigsten vorgeschritten ist.Es
handelt sich hierum
eine assoziative Störung, bei der der Vor- stellungsverlauf eine grosse Gebundenheit zeigt; dieAnknüpfung
anneu
aufgefasste äussere Eindrücke ist erschwert, die assoziative Aneinanderreihung der Vorstellungen erfährt häufig Stillstandund
Unterbrechung.Wenn
auch die Erforschung dieses Gebiets der assoziativen Störungnoch
in denAnfängen
steht, ist doch sovielschon mit Gewissheit zu betonen, dass der plötzliche Umschlag, welcher auf
dem
Gebiet des Affektsund
der Psychomotilität vor-kommt, auch
hier zurBeobachtung
gelangen kann.Welches
Verhältnisnun
bei diesen dreiSymptompaaren
auf affektivem,psychomotorischem und
assoziativem Gebiet des Seelen- lebens untereinander obwaltet, darüber lassen sich zur Zeitnoch
keinerlei bestimmte
Angaben
erbringen. Soviel ist sicher, dass die3
mehrfach behauptete
Unterordnung
der assoziativen \orgänge
untei die psychomotorischennoch
desNachweises
harrt,und
dass es mit der Lehrevon
einer einfachen Beschleunigung des Assoziations- verlaufs in derManie und
einerVerlangsamung
in der Depressionnicht gethan ist; qualitative
Veränderungen
spielen bei der Ideen-flucht
und
derDenkhemmung
zweifellos eine wichtigste Rolle.Eben- sowenig
ist die früher weithin herrschende Ansichtvon
der primärenGemüthskrankheit und dem Vorrang
der affektiven Störunggegen Widerspruch und Einwand
gefeit.Es
besteht keinerlei Berechtigung, die psychomotorische Seite des seelischenLebens
der affektiven unterzuordnen; hinweisenmöchte
ich bei dieser Gelegenheit nur aut die experimentell sicher gelegte1
hatsache, dass gerade durch eine psychomotorische Erregung, so schon durch einenmehrstündigen
Spaziergang, eine heitereVerstimmung
zugleich mitAndeutung von
Ideenflucht, insbesondere Klangassoziationen, hervorgerufen
werden
kann.Bekannt
sindauch
dieBemerkungen
Lessings über die Er-zeugung von
Affekten aufGrund von
psychomotorischer Erregung,womit
er in derHamburger
Dramaturgie (1. Band, 3. Stück) denungeübten
Schauspielern bei der Darstellungvon
Affekten empfiehlt, zunächst die Geberden, dieAusdrucksbewegungen,
dieeinem
Affekt entsprechen, getreulichnachzuahmen, um dadurch
den Affekt selbst in sich wachzurufen.Wie
das gegenseitige Verhalten der dreiSymptomgebiete nun
auch seinmag, nach
diesen 3 Richtungen hinhaben
wir jedenfalls die wesentlichen Gebiete zu suchen, aus deren gemeinschaftlicherStörung das eigenartige Bild des manisch-depressiven Irreseins resultirt.Die eingangs geschilderten plötzlichen
Umschläge und
kurz-währenden
Mischzustände finden sichnun
nicht nurim
Verlauf der einen oder der anderenPhase
des zirkulären Irreseins,um dann
wiederdem
üblichenSymptomkomplex
zu weichen, sondern sie treten besonders häufig zuTage
in der Zeit desUebergangs
aus der einenPhase
in die andere.Wohl
gibt es viele Fälle, indenen
die gestern
noch
flott tobsüchtigenKranken
heute deprimirtund
stuporös
erwachen und
einvollkommen
gegensätzliches Bild dar- bieten.Manchmal
aber trittauch
derUmschlag
zunächst aufpsychomotorischem
Gebiet ein, dieErregung
geht über inHemmung, während
die heitereVerstimmung noch
ein paarTage
andauert, ehe1*
affektivem,
dann
erst aufpsychomotorischem
Gebiet ein. In der Uebergangszeit,zwischen
den beiden Veränderungen, erhalten wirdann auch
wiedet ein Bild , das ausZü
genvon
jeder der beidenHauptphasen
gemischt ist.Von
diesen bekannten Thatsachen ausgehend, gelangen wir zurDeutung
einerAnzahl von
Krankheitsfällen, deren Klassifikation ge- wöhnlich besonderen Schwierigkeiten begegnet, lnmanchen
Fällen finden wir eineMischform
der zirkulären Psychose, die nicht Stundenund
Tage, sondernWochen,
Monate, ja sogar Jahre lang andauert, so zwar, dass dieser Zustandvon
einer regelrechtenManie
oder Depression eingeleitet oder beschlossen wird, oder aber auch derart,dass der
ganze
Anfallvon Anfang
biszum
Schluss das Bild des Mischzustandes darbietet. Beimanchen
Patienten tragen sämmtliche Anfälle, diewährend
desganzen Lebens
auftreten, denMischcharakter.In anderen Fällen jedoch erkrankt derselbe Patient einmal
an
einerManie
oder Depression, die durchaus einen Schulfall darstellt,während
ein anderes Mal, früher oder später, eine
Mischform
beiihm
auftritt.Besonders derartige Fälle, bei
denen
derselbeKranke
einmal den klassischenmanischen
oder depressiven Anfall, ein andermal aber einen Mischzustand erleidet, sind in erster Linie geeignet, die Zuge- nörigkeit solcherPsychosen zum
zirkulären Irreseinzu
beweisen.Wenn
wir ein grosses Materialvon
gut beobachteten Fällen ausdem
Gebiet des zirkulären Irreseins ordnen, so lässt sich geradezu eine kontinuirliche Folge
von
Fällen aneinanderreihen, die alle möglichenUebergänge
aufweistvon
der reinenManie
oder stuporösen Depression biszum
reinen Mischfall, der unvermittelt auftrittund
das Krankheits- bild beherrscht. Die Mittelglieder dieser Kettewerden
gebildet durch jene Fälle, indenen
der regelrechte Krankheitszustand durch dieoben
geschilderten kurzen Zwischen-und
Uebergangszeiten mit Misch- charakter unterbrochen wird, ferner durch jene, beidenen neben
dengewohnten manischen und
depressiven Zeiten dieSymptome
einesGebietes häufiger miteinander wechseln, so dass längere Zeit eine
Schwankung
in derStimmung
oder in der Motilität zu beobachten ist,und
weiterhin durch die Erkrankungen, deren Zwischen-und
Ueber- gangszeitenvom
Mischcharakter nicht Tage, sondernWochen und
Monate
anhalten.An
die Kranken, deren Anfälle in ihrer Voll-o
—
ständigkeit das eine
Mal
eine Schulform, das andereMal
ausschliesslich einen Mischzustand zeigen, reihen sich in zwangloserWeise
alsExtrem
jene
im ganzen
recht seltenen Personen, welche in ihremganzen Leben
nuran
Mischzuständen, nie aber an reinerManie
oder De- pression erkranken.Es wäre
Willkür, wollteman
vor diesen letztenFällen plötzlich Halt
machen und
sie ausdem
Gebiet des manisch- depressiven Irreseins verweisen,dem
sie unbedingt angehören,wenn man
als wesentlich nicht die 2Symptomreihen
dergehobenen Stimmung,
psychomotorischenErregung,
Ideenflucht einerseits, Depression,Hemmung, Denkerschwerung
andererseitsauffasst, sondern vielmehr eine Störung im Sinne der Labilität aufdem
Gebiet des Affekts, der Psychomotilitätund
des Denkprozesses als das Charakte-ristische des
gesammten
Krankheitsbildes der zirkulären oder manisch- depressiven Psychose ansieht.Zur Veranschaulichung
und zum
klinischen Beleg der bisherigenBehauptungen
betreffsderHäufigkeitund
Mannigfaltigkeit derSymptomen- mischung im
zirkulären Irreseinmöchte
ich versuchen, auf graphischemWeg
das Verhalten der zweiam
besten bekanntenSymptomreihen,
der affektivenund
der psychomotorischen, aufGrund
einer Reihevon
wirklich beobachtetenFällen darzustellen.Es
wirdsichmit Hilfe dieser schematischenZeichnungen am bequemsten
ein Ueberblick darübergewinnen
lassen, wie allmählich sich derUebergang von den
Sc'nul- fällen des zirkulären Irreseins zu den extremenMischzuständen
dar-stellt, so dass sich
nirgendwo
eineHandhabe
zur völligenAbgrenzung
der einen
von
den anderen Fällen bietet.Die
Schemata geben
mit der Grundlinie das psychomotorische Verhalten wieder,indem
rot die Zeit der Erregung,schwarz
die derHemmung
bedeutet.Nach dem Vorgang
derPsychologen
wird das Verhalten der affektiven Sphäre durchKurven
ausgedrückt, die sich über oder unter der Abszissenliniebewegen
; diegehobene Stimmung
ist durch die positive, obere Kurve, die Depression durch die negative, untere bezeichnet.
Von
irgend welcher Darstellung des Stärkegrades der psychomotorischenErregung
oder des Affekts sehen wir ab;
der Ordinatengrösse ist auf
unserem Schema
keinerleiBedeutung
beizumessen. Jeder Abschnitt der Grundlinie drückt eineWoche
im
Verlauf des betreffenden Anfalls aus; nur bei XIII sind 2Wochen
bei IX, X, XII jedesmal ein
Monat
durch denselben Abschnitt dargestellt.ln der
Zeichnung
1haben
wir zunächst das Bild dergewöhn-
lichen Manie: rote Grundlinie Erregung, positive
Kurve gehobene Stimmung;
daran schliesst sich unter gleichzeitigemUmschlag
inbeiden
Symptomgebieten
für die Zeitvon
14Tagen
das Bild dergewöhnlichen
zirkulären Depression :Hemmung
(schwarzeGrund-
linie)
und
traurigeStimmung
(negative Kurve),worauf
Heilung eintritt.IIa zeigt einen ebenso regelrechten Verlauf, nur dass hier die
Depression
im Vordergrund
des klinischen Bildes steht. 71/.,Wochen
besteht gedrückte
Stimmung
mitHemmung, dann
tritt vor der Heilungtüi kuize Zeit
noch
einmal heitereStimmung
mitErregung und Rededrang
auf.Ein
nach
8jähriger, gesunder Zwischenzeit aufgetretener Anfall derselbenKranken
ist durch IIb wiedergegeben.Auch
hier wird das klinische Bildvon
der Erscheinung derHemmung und
Depression beherrscht.Doch
schon in der zweitenWoche
weicht einmal auf kurze Zeit die Depression dergehobenen Stimmung, während
dieHemmung
andauert; für diese eins biszwei Tage haben
wir hier also einen Mischzustand.Nach
längerer stuporöser Depression stellen sichdann am Ende
der 9.Woche
einigeTage
mit heitererErregung und Rededrang
ein, darauf wiederV
2Woche
Stupor mit Depression,dann
heitereStimmung
bei fortdauernderHemmung,
also abermals ein Mischzustand, der mit kurzer depressiver Unterbrechung in der 12.Woche
allmählich in Heilung übergeht. Die Frau ist später wieder erkranktund
befand sich 9Monate
in der Heidelberger Klinik,wo
sie fastdurchweg
das Bild der Depression mitHemmung
darbot, nuran einem
einzigenTag
unterbrochen durch manischeStimmung
mit Rededrang.
Fall III
kam
als klassischeManie
in die Klinik.Am Ende
der2.
Woche wich
diegehobene Stimmung
für 2Tage
der Depression, aufpsychomotorischem
Gebiet hingegen bestand die flottesteTob-
sucht mit Rededrang, Ablenkbarkeit, Erregbarkeit, ferner auch Ideen- fluchtnoch
fort.Von
der 7.Woche
abwar
die Patientingehemmt, während
diegehobene Stimmung
erstam Ende
der 8.Woche
inDepression
umschlug, worauf dann nach
einer deprimirt-stuporösen Zeit die Heilung eintrat.Zwischen dem Wechsel
der Psychomotilitätund dem
des Affekts zeigte sich also einetwa
vierzehntägiger Misch-zustand
von
gehobenerStimmung
mit psychomotorischerHemmung.
Einen andersartigen, kurzen Mischzustand bot die
vorübergehende
Depression mit andauernderErregung
in der 2.Woche.
Fall
IV begann gehemmt und
deprimirt;nach
14Tagen
schlugdie gedrückte
Stimmung
in diegehobene um, während
derWechsel
des motorischen Verhaltens erstnach
der 5.Woche
erfolgte. Die Uebergangsperiode mitHemmung und
manischerStimmung nimmt
hier schon dengrössten Theil des Anstaltsaufenthalts dieser Patientin ein.
Den
V. Fall beherrscht das schulgerechte Bild der Manie.Doch
trat ungefähr in der Mitte des Anfalls eine Zeit der Depression
und
Hemmung
auf, so zwar, dass jeweils derWechsel
aufdem
psycho- motorischen Gebiet eher erfolgte als aufdem
affektiven.Nur
in der 7.Woche
treffen wir daher das Bild derHemmung und
Depressionrein,
während
gerade vorher sichEuphorie und Hemmung,
nachher Depressionund Erregung
begegneten.Im
FallVI
sehen wir zunächstHemmung
mit Depression, die freilich sehr oft durchgehobene Stimmung von mehrstündigem
bismehrtägigem
Verlauf unterbrochen wird. Seit der 8.Woche
bestehtErregung
mit einer meist heiterenStimmung
,doch
erleidet dies Schulbild derManie
häufig eine Störung durchden auch
hier zuTag
tretendenUmschlag
derStimmung
in Depression.Der
VII. Fall beginnt als typische Manie, erregtund
euphorisch;darauf erfolgt
Umschlag
in diegehemmte
Depression, jedoch tretenvon nun
ab auch öfter Mischzustände hervor, diedadurch
gebildet werden, dass aufpsychomotorischem
Gebiet dieHemmung mehr-
mals durch
Erregung
unterbrochen wird,
während
die deprimirteStimmung im Ganzen nunmehr
vorherrscht.Im
allgemeinen lässt sich behaupten, dass der häufigeWechsel
aufeinem Symptomgebiet,
die Labilität, die wirim
FallVI
in der Sphäre des Affektsund im
letztbesprochenen Fall in der Motilität getroffen haben,doch überwiegend im
Bereich derStimmung zu
finden ist.Schwankungen
aufpsychomotorischem
Gebietwie gegen Ende
des VII. Falls sindim Ganzen
seltener.Besonders
gern trittStimmungswechsel
aufinVerbindung
mitpsychomotorischer Erregung.In
manchen
Fällen lavirt dieStimmung nahezu von Stunde zu
Stunde; soim
Fall VIII. Diese Fälle imponirenim Ganzen, da
Be- schäftigungsdrang, Redseligkeitund
Ablenkbarkeit dabei meistim
sie in ihrem
Wesen
eist völlig verständlichvom
Gesichtspunkt der Mischfoim
aus.W
ennvon manchen
Seiten, so noch in der vorigen Auflage desLehrbuchs von Kräpelin*)
der„Stimmungswechsel
mit
vorwiegend
heitererVerstimmung“
unter die kardinalenSymptome
der
Manie
eingereiht wird,kann
sich das in den meisten Fällen nur auf die Unterschiede derStimmung
in gradueller Hinsicht be- ziehen. In Folge der Ablenkbarkeitund
Erregbarkeit ^geschieht es unendlich häufig, dass einManiacus
, der einige Zeitganz
ruhigwar und
gleichmüthig oder nur leicht euphorisch erschien, sehr rasch in lebhafte heitere oder zornigeErregung
versetzt wird.Das
ist ein alltäglichesund
bei fastjedem Kranken
jederzeit zu demonstrirendesSymptom, während
es sich bei den hier besprochenen Fällenum
einen
Wechsel
derStimmung auch
ihrer Qualitätnach
handelt, so dass die Heiterkeit rasch der Depression weicht oder umgekehrt.Derartige
Stimmungsumschläge
sind, wie ja unsere Darlegungen grade betonen wollen, recht charakteristisch, sindauch
keineswegs seltenzu
beobachten, finden sich aber als fortwährendes, denganzen
Anfall durch auftretendesSymptom, wie im
Fall VIII, derimmerzu
zwischengehobener und
gedrückterStimmung
schwankte, doch nicht allzu oft, jedenfalls entfernt nicht so häufig wie die Erregbar- keit derStimmung im
Bereich einesund
desselben Gefühlstons.Die bisher schematisch wiedergegebenen Mischzustände
waren im Ganzen
nur kurze Zwischenzeiten odermehr
weniger lange Ueber-gangsformen von
der einen zur anderen Phase des zirkulären Anfalls.Im Schema
IX, dessen einzelne Abschnitteganze Monate
darstellen, zeigt sichnun
nachdeprimirt-gehemmtem Anfangsstadium
eine 10-monatliche klassischeManie;
dieStimmung
istvon
da ab auch fernerhinnoch gehoben und
exquisit manisch, dieErregung
jedoch verschwindetund
ein ausgeprägter Stupor mitMutazismus
tritt an ihre Stelle, durchsetztvon
einzelnen,ganz
kurzen erregten Zwischen- zeiten. Hier erstreckt sich also der Mischzustand einerHemmung
mit gehobener
Stimmung
auf fast s/., Jahre.Noch mehr
in denVordergrund
desganzen
Krankheitsbildes rückt dieselbe Mischform dermanischen Stimmung
mit Stuporim
Fall X, beidem
der*) Psychiatrie, V. Aufl., Leipzig 1896, S. 597.
9
Anfallmit einerdrei
Monate dauernden Manie
einsetzt,worauf
derMisch- zustand aufmehr
als ein volles Jahr das Bild beherrscht. FallXI
beginnt sogleich mit der manisch-stuporösen Mischform, an die sich für dreiWochen
einWechsel zwischen
deprimirterund
manischerErregung
anschliesst. EinExtrem
begegnetuns im
Fall XII, dernach kurzem Anfangsstadium
mitErregung und
Depression eindurchweg
gleichmässig gefärbtes Krankheitsbildim
Sinne desmanisch-
stuporösen Mischzustandes für dieDauer von
2'/^ Jahren zeigt.Wir
sehenan
dieser Folgevon
Fällen mit hinreichenderAn-
schaulichkeit, wie die Mischzustände zunächst nur
Unterbrechungen und
Uebergangsstadien darstellen,dann
als längere Krankheitsab- schnitte auftreten, diegegenüber dem
reinen Bild derManie
oder Depressionimmer mehr
dasUebergewicht
erlangen können, bis sich schliesslichauch
Anfälle finden, bei denen dieMischform
dasganze
Krankheitsbildvon
der ersten Zeit biszum Ende,
zurGenesung
beherrscht.
Wo
sollte in dieser ununterbrochenen Reihenun
dieGrenze
gesetztwerden
beieinem
Klassifikationsversuch, der die einen Fällenoch
in das Gebiet dermehr
oderweniger
atypischenManie
oder Depression verweisenund
ausden extremen
Mischfällen, die inkeinem
Abschnitt ihres Verlaufsdem
Schulbild entsprechen,etwa
eine besondere Krankheitsform konstruiren wollte?In den nächsten Fällen der Tafel stossen wir auf eine andere
Symptomgruppirung.
XIII ähnelt inseinem Anfangs- und Endstadium dem
Fall VII. Hierwie
dort findet sichErregung
auf psycho-motorischem
Gebiet,während
der Affektschwankt
; jedoch neigt sich dieWaage
nicht nach der Seite dergehobenen Stimmung,
sondern ehernach
der einer traurigenVerstimmung
hin. In der mittleren Zeit des Anfalls herrscht die Depression vollständig,ohne
dass aber die Psychomotilität mit ihrerErregung
eineAenderung
zeigte. DieseVerknüpfung von
Depression mit Erregung, die hier einen Theil des Anfalls ausfüllt, findet sichim
FallXIV während
desganzen
Ver-laufs.
XVa
skizzirtuns
den Anfall einer Patientin mit schulgerechter Depressionund Hemmung,
der in fünfWochen
zurGenesung
führte,während XVb
einen zwei Jahre später aufgetretenen depressiven Anfall derselben Patientin wiedergibt, indem an
die Stelle der psycho- motorischenHemmung
zunächst dieErregung
getreten ist, die erst späterdem
Stupor weicht. Alsoauch
der extreme Fall einer dieganze
Verlaufszeit der psychischenErkrankung
durch andauerndenMischung von
psychomotorischerErregung
mit Depression (wie FallXIV)
zeigt durch die verschiedenartigsten Mittelglieder seine Ver- wandtschaft mit den Fällen reinerManie und
reiner stuporöser Depression.Unsere
schematisch erläuterten Fälle liefern schon eine recht bunte Musterkartevon
Vcrlaufsmöglichkeiten der zirkulären Psychose.Damit
ist die Fülle der Verschiedenheiten noch lange nicht erschöpft, selbstwenn
wir die gegensätzlichen Zustände aufdem
Gebiet des Denkprozessesnoch
mit in das Bild hereinziehen.Es
ist vielmehr weiterhinnoch
zu bedenken, dass zunächst die einzelnenSymptome nach
derIntensität
ihres Auftretens grossenAbweichungen
unter- worfen sind. Die psychomotorischeHemmung
trittmanchmal
in einer Stärke auf, dass sie das Krankheitsbild unbedingt beherrscht:die stuporösen
Kranken
liegenMonate und
Jahre lang fast regunglos da, reden keine Silbe,müssen womöglich
gefüttertwerden und
lassenmanchmal
Urinund
Stuhl unter sich. In anderen Fällendagegen
sind wir genöthigt, komplizirte psychophysischeMethoden und Mes- sungen anzuwenden, um
eineSpur von Hemmung
nachzuweisen.Ebenso
treffen wir natürlich auchnach
der Seite derErregung
hin beträchtliche Intensitätsschwankungen. Ferner istauch
die Ent- fernung derGemüthsstimmung von
ihrernormalen Lage
eine unge-mein
verschiedene.Auf
der einen Seite reicht diegehobene
Stim-mung manchmal
so weit, dass dieKranken
in ihrer Zerstörungslust sichschwere
Verletzungen beibringen,ohne
dadurch in ihrer heiterenErregung
irgendwie gestörtzu
werden, oder die Depression geht ausserordentlich tief, so dass nur mitMühe schwere
Suicidversuche vereitelt werden.Auf
der anderen Seite wiederkann
es für den Arztmanchmal
rechtschwer
sein, zu sagen,ob
der zirkuläre Patient in seinerGemüthsstimmung
irgendwievon
der Gleichgewichtslagenach
der depressiven odermanischen
Seite hin abweicht,während
das psychomotorische Verhaltenungemein
charakteristischim
Sinne derHemmung
oderErregung
ist. Allbekannt ist, dass bei demselbenKranken
dieSymptome
der einen Reihe ausserordentlich scharf aus- geprägt, die der anderen gleichzeitig nur flüchtig angedeutet sein können. Alle diese Intensitätsschwankungen aufpsychomotorischem
und gemüthlichem
Gebiet, vereint mit den Störungen des Denk-11
Prozesses, die schon dr.s einfache Bild der
Manie
oder Depression soungemein
mannichfaltiggestalten, sind natürlich erst recht geeignet, die manisch-depressiven Mischzustände in einer buntenund
auf den ersten Blick vielleicht verwirrenden Füllevon Erscheinungsweisen
auftreten
zu
lassen.Aber
damit nicht genug.Das
klinische Bildkann noch
viel-gestaltiger
werden
durch diequalitativen
Verschiedenheiten, indenen
sichsowohl
das psychomotorische Verhalten alsauch
dieGemüthsstimmung
kundgeben.Am
wenigsten ausgeprägt sind diese Unterschiedenoch
in der affektiven Sphäre.Immerhin
ist es ja eine alltäglicheBeobachtung,
dass sich diegehobene Stimmung ebensowohl
ineinem
heiteren, zudringlichen, oft erotisch gefärbtenBenehmen
des Patientenausdrücken
kann, alsauch
ineinem
ab- lehnenden, gereizten, zornigen Verhalten, das äusserlich nicht seltenvon jenem
anderenganz
verschieden erscheint.Die psychomotorische Sphäre,
Erregung
oderHemmung,
lässtnoch
mannichfaltigere Unterschiede erkennen. Vielfach treffen wir ja eineErschwerung
aller motorischenVorgänge
beidemselben Kranken: Er
ist bettsüchtig, das Aufstehenund Gehen
fälltihm
ebenso schwer, wie die feinerenBewegungen,
Schreibenunddergl.;
gerade so deutlich drückt sich die
Hemmung
aufdem
Gebiet derSprachbewegungen
aus, dasReden
wirdmühsam,
langsam,leise, ja in
manchen
Fällen tritt vollständigerMutazismus
auf.Daneben
gibt es aberauch
zahlreiche Fälle, beidenen
sich die psychomotorische Störung differenzirt; nur in einzelnen Gebietentritt
dann
dieHemmung
an den Tag,während
dieübrigen motorischenVorgänge normal
erscheinen.Manche
Patientengehen
bereitsum-
her,
während
sie bei feinerenBewegungen,
wiebeim
Schreiben,Hand-
arbeiten
und
dergl.noch
deutlichgehemmt
sind. In solchen Fällenkann man
gerade diese Art derHemmung bequem
untersuchen durch dieim
psychologischenLaboratorium
der Heidelberger Irren- klinik vielfachangewandte
Schriftwaage.*)Bei
hochgradigem
Stupor lässt jaebenso
wie bei starker psychomotorischerErregung schon
dasgewöhnliche
Schriftbild charakteristische Eigenthümlichkeiten in anschaulicherWeise
er-•) A. Gross, Untersuchungen über die Schrift Gesunder und Geisteskranker, in Kräpelins Psychologischen Arbeiten, II. 3. Seite 450.
mittels Fühlhebels aul die rollende
Kymographiontrommel
über- tragen; die sogewonnenen Kurven
lassen dieDruckhöhe,
die viel-fachen
Druckschwankungen,
die Steigerung desDrucks im
Laufe des Schreibens, die Schreibgeschwindigkeitund
diePausen genau
zahlengei echt eimittein. Zirkulär-stuporöseKranke
zeigen sehr gelingenDiuck, Erschwerung
derBewegung,
öfter verringerte Schreibgeschwindigkeit, grösserePausen und
gelegentlichErschwerung
desUebergangs
einerBewegung
in die andere;dem gegenüber
treffen wir in der
Manie
nebenhohem Druck
als wesentlichste Eigenthümlichkeit ein weiteresAnwachsen
des Druckes, der Schrift- grösseund
der Schreibgeschwindigkeit, also die Zeichen für eine gesteigeite psychomotorische Erregbarkeit.Bemerkenswerth
ist nun.dass in
manchen
sicheren Fällen zirkulärer Depression die Schrift-waage
keinerleiHemmungszeichen
festzustellen vermag,während
wirganz
deutlich an dengroben Bewegungen
des Patienten,dem Hand-
geben,dem Gehen und
dergl. dieHemmung noch
erkennen können.Vielleicht besitzen wir in
dem Ergographen
ein geeignetes Instrument, dasauch
für diese gröberenBewegungen,
bei denen wir makroskopisch dieHemmung
finden, zahlenmässige Befunde liefert. Soviel ist ge- wiss, dass die psychomotorischeVeränderung
inmanchen
Fällen aufeinem Bewegungsgebiet
getroffen, gleichzeitig aber auf einem anderen vermisstwerden
kann.Besonders die
Sprechbewegungen
zeichnen sich in dieser Hin- sicht durch ein relativunabhängiges
Verhaltengegenüber
den sonstigen motorischen Gebieten aus.Rededrang
bei starkerHemmung
im
übrigem
oderMutazismus
bei Beschäftigungsdrang gelangt nicht selten zurBeobachtung. Hierhaben
wirdann
aufpsychomotorischem
Gebiet gleichzeitigErregung und Plemmung
bei einerund
derselben Person, also eineMischung
innerhalb einerSymptomensphäre.
Wir
finden somit eineschwer
übersehbare Füllevon
Verbindungs- möglichkeiten der verschiedenartigsten Krankheitssymptome, so dass also die Zahl derüberhaupt denkbaren Mischzustände des zirkulären Irreseins eine ausserordentlich grosse ist. Bei einemgenügenden
Krankenmaterialkommen
schliesslich dieallerverschiedenstenFormen
zur Beobachtung, meist freilich nur alsrasch vorübergehende Phasen
während
des Ablaufs einesgewöhnlichen
manischen oder depressiven13
Anfalls.
Da
eine mehrtägige oder wenigstens mehrwöchentliche Be- trachtung des Fallsdann
das Urbild derManie
oder Depression doch wieder an die Oberfläche treten lässt, ist die Wichtigkeit der meisten dieserZustände
für den praktischen Beurtheilerminder
grossals für die theoretische
Auffassung
derganzen
Psychose.Ein paar Beispiele
mögen dazu
dienen, verschiedenartigeMisch- zuständezu
veranschaulichen.Frau W.
S.,von
beschränkter Mutterstammend, war
mit19 Jahren
nach Abort an
einer typischenManie
mit stuporös- depressivemAnfangsstadium und
nachfolgender furibunder Erregung, heitererVerstimmung,
Lascivität, Gewalttätigkeit, Zerstörungssuchtund
ausgeprägter Ideenflucht erkrankt. Mit25
Jahren,nach mehr-
jähriger gesunder Zwischenzeit,kam
sie wieder in die Anstalt. In der 3.Woche
desPuerperiums war
sie heftig über einenZimmer-
brand erschrocken.Von
da ab zeigte sie sich ängstlich, glaubte sich verfolgtund
drängte fort. Sie fasste gut auf,war
geordnetund
besonnen,doch
anfänglich nicht vollständig orientiert.Antworten gab
sie wenig, leiseund
zögernd. IhreBewegungen waren langsam und
gebunden. DieAeusserungen
trugen depressiven Charakter.Sie
waren im Ganzen
recht eintönig; Patientin meinte, siewürde
umgebracht, dasEssen wäre
vergiftet, sie wollte hinaus.Das Benehmen
entsprachganz
der depressivenStimmung; weder Nega-
tivismusnoch Manieren waren
zu entdecken.Nach
vierteljährigerDauer
gelang es gelegentlich, siezum Lachen zu
bringen. Die Depression gingimmer mehr
zurück,doch war noch
deutlich das Krankheitsgefühl bei der Patientin festzustellen. Allmählich liessauch
die Intensität des Stupors einwenig
nach. Patientin konnte einfache Arbeiten wie Kartoffelschälen in derKüche
verrichtenund
fing öfter an, vor sich hinzu
reden.Während
in ihremlangsamen Gang, den gebundenen Bewegungen beim Handgeben,
Essen, Arbeiten,sowie
in ihrer leisenAussprache
dieHemmung
noch
deutlich zu erkennen war, zeigte sichdoch
bald ein offen- kundigerRededrang; den ganzen Tag bewegte
sie die Lippenund
plauderte in
gedämpftem Ton
vor sich hinoderzu
ihrerUmgebung.
Zunächst
war
der Inhalt ihrerAeusserungen noch
recht dürftig, alles drehte sichum
die Entlassung. Allmählich aber produzierte sieimmer
mehr, redetevon diesem und
jenem,kam vom
Hundertsten14
ins 1 ausendste,
sang
ein Liedum
das andereund
wies an Stelle der bisherigenDenkhemmung
deutlich Ideenflucht auf. Bei ihrer Entlassungnach
fast halbjährigem Anstaltsaufenthalt bot sie einam
meisten anHypomanie
erinnerndes Bild mit leichter heitererVerstimmung, etwas
Ideenfluchtund
Rededrang,während
jedoch inden
grobenBewegungen und dazu
in der leisen Aussprache noch die Ueberbleibsel des Stuporszu
erkennen waren. Die Schriftwagen-prüfung
hatte in der ersten Zeit sehr geringen Druck, Schreib-verlangsamung und
grossePausen
ermittelt,während
späterhin derDruck und
die Geschwindigkeit grösserwurden und
schon ein ge- wisserGrad von
Erregbarkeiissteigerung zur Geltungkam. Es
handelte sichim
besprochenen Fall für die Zeitvon
einigenWochen
vorder Entlassung
um
ein vereinigtesAuftretenvon
psychomotorischerErregung und Hemmung,
jene aufdem
Gebiet des Redens, diese im Bereich der grobenBewegungen.
Eine
ganz
andereSymptomgruppirung
zeigt folgender FallW. W.
ist geboren 1865; ein Bruderund
eine Schwester sind katatonisch, ein Bruder litt anAlkoholwahnsinn.
Patientinwar
gut beanlagt, strengund
religiös erzogen. Mit 16und
mit 18 Jahrenwar
sie für einigeWochen
deprimirt, unterNahrungsverweigerung und
Sinnestäuschungen. Mit20
Jahren erkrankte sie unter den Zeichen der Depression, jedoch mitRededrang und
Sinnestäuschungen.Allmählich
wurde
dieStimmung
manisch, Patientin lachte, sang, sprach hochdeutsch, trieb allerhand Unfug,war
erotisch, entkleidete sich, bisnach mehreren Monaten
Heilung eintrat. 8 Jahre später trat wieder eine Depression mit Versündigungsideen,Nahrungs-
verweigerungund
Selbstmordneigung auf. Patientin verlangte, schlecht behandeltzu
werden,wünschte
ineinem
finsteren Keller- lochzu
liegenund
einmal täglich trockenesBrod
zubekommen.
Sie sprach
wenig und
zeigte deutlicheHemmung.
Zeitweisewar
Sondenfütterung notwendig. DieAeusserungen waren
recht ein- tönigund wurden
vielfach wiederholt.Während
die Depressionund Hemmung
andauerten,wurde
die anfänglicheDenkhemmung
allmählich abgelöst
von
einer ausgesprochenen Ideenflucht mit Klangassoziationen. „Ich bin schuld an den Bankertkindernund
andem
Weltbankerott.“Es
trat rascher Redefluss auf,dazu
starke Ablenkbarkeit. Patientin produzirte phantastische Ideen, sie habe15
ein Kind, sie sei durch die Fütterung
schwanger geworden,
siekönnte schon
30
Kinderhaben
; das seiim
Schlaf geschehen; siehabe alles
Essen
derWelt
aufgegessenund
diearmen
Kindleinmüssten nun
verhungern, Elternund
Geschwister seienum Hab und Gut gekommen
durch diese Gefrässigkeit. Als sieden Ausdruck
„bemerkenswert!!“ fallen hörte, reagirte sie sofort darauf: „Merk,
Merk (Name
eines Nähmaschinenreisenden),Nähmaschine, Kreuz und
Schwert,und
die Christinaauch
hier, einKind
hat getanzt aufdem
Teppich, ichkann
es nicht bezahlen.“ Sie schnappte be- deutungsloseWorte
aufund
kettete Assoziationen,Wortanklänge und
Erinnerungsbilder daran, trieb Wortspiele u. s.w.
„In Angst, Angst, alsfort Angst, wie eine Stakete bin ichda
gelegenund
derJohann
istzum
Militärgekommen.
Schönthal(Name),
schönesThal.“ Als sie
von
nächtlicher Isolirung reden hörte, sagte sie:„Nachts vermählt, Brautnacht, die Sterne
brennen auch
Nachts.“Die
Stimmung war
unterdessenimmer noch
leicht deprimirt; sie sei keinMädchen, möchte
nicht Fräulein angeredet werden. DieWahn-
ideen
von
der Schwangerschaftund
dergl. glichen sich aus.Nach
10monatlichem
Aufenthalt in der Klinikwurde
Patientin entlassen;seit
4
Jahren ist sie gesund.In diesem Fall handelt es sich
um
die ausgeprägteMischung von
Depressionund
psychomotorischerHemmung
mit der sonstzum manischen Symptomkomplex gehörenden
Ideenflucht an Stelle derDenkhemmung;
dieseGruppirung
gehörtzu den
selteneren.Zu
denminder
häufigenKombinationen zu
rechnen istauch
das gelegentliche Auftretenvon
Zeichen der depressivenund
dermanischen Stimmung zu
derselben Zeit. Bei dieser Gelegenheit darf ichwohl
an die in Kräpelins „Psychiatrie“, 6. Auflage,Band
II, auf Tafel VII, Figur 4, bei Seite 390, abgebildeteKranke
erinnern, bei der ein exquisit depressiver Gesichtsausdruck auf die traurige Ver-stimmung,
einKopfputz
aus Blätternund Zweigen
aber zugleich auf eine gewisse manische, heitereErregung
hinweist.Eine andere Patientin, E. J., die vor 8 Jahren die Heidelberger Klinik aufsuchte, zeigte zunächst eine deutliche Depression;
Angst
hatte sie
vom Hause
fortgetrieben. Schlafund Nahrungsaufnahme
waren
mangelhaft. Patientin hatte ein lebhaftes Krankheitsgefühlund machte
sichSorgen
über die vielenUnkosten
ihrer Krankheit.Sie lag ruhig
im
Betl, dieBewegungen und Antworten
erfolgten langsam. Deutlichwar
dieHemmung
in der Reproduktionund
Assoziation ihiei VoiStellungen.Nach etwa
3Monaten
beging sie einen Selbstmordversuch durch Verschluckenvon
2 Stecknadeln.Einen
Monat
später fühlte sie sich freierund
heiterer, bis sie in stärkeremanische Erregung
geriet. Sie sang, lärmteund
störte ihreUmgebung
derart, dass sie zeitweilig isolirt wurde. Bald fandman
sie jedoch in der Zelle miteinem
Gurt, den sie sich aus Fetzen des zerrissenen Kleides zurechtgemacht
hatte,um
den Hals. In8 bis 14
Tagen
klang die lebhafteErregung
ab, dieStimmung war immer noch gehoben und
ein gewisser räsonnirenderZug
trat hervor.Nach
3/4jährigem Anstaltsaufenthalt konnte sie entlassen werden. Injenem
Anfall ist offenbarwährend
der Zeit dermanischen Erregung
ein depressiver
Zug
aufgetreten, der die Patientin, die in ihrer depressiven Periode schon einen Selbstmordversuchgemacht
hatte,nunmehr zu dem
Strangulationsversuche veranlasste.Ende
1898kam
sie wieder in die Anstalt mit Depressionund Hemmung. Nach wenigen Wochen wurde
sieganz
leichthypomanisch.
Entlassen beging sie alsbald Suicid, offenbarim Umschlag
ihrerStimmung
zur Depiession.Zu
denim Ganzen
häufigeren Fällen gehört es,wenn im Lauf
dermanischen Erregung
vielmals für kurze Zeit die Depressionan
die Stelle der
gehobenen Stimmung
tritt, so dass also der Affekt ein labiles, oft wechselndes Verhalten zeigt,ohne
dass die psycho- motorischeErregung
inVerbindung
mit der Ideenflucht in ihrer Stärkeund
ihremTempo
nachliesse. Ein hierher gehöriger Fall sei in den folgenden Zeilen skizzirt.Frau M.
U., geboren 1857, erblich nicht belastet, gut beanlagtund normal
entwickelt,war
im Jahre 1881 anRheumatismus
er-krankt
und
musstedamals von
der medizinischen in die psychiatrische Klinik verlegtwerden
;von
hierwurde
sie nach4 Tagen
wieder entlassen;zu Haus wurde
sie 3Wochen
spätergesund
; näheresist nicht
mehr
zu erfahren.Nach
ihrer Verheirathung 1882war
sie einige
Wochen
schwermüthig.Dann
erkranktesie wieder 1888,im
5.
Monat
ihrer4. Schwangerschaft; sie assund
schliefwenig, redete ver- wirrtund
zeigte einen auffallendenWechsel
zufischenAngst und
heiterer Erregung. Baldwolltesie dieWelt
erlösen,dann
wiederfürchtete siesichvor
dem
bösen Geist, vor Eisbären u. s.w.
DieAuffassung war
etwas mangelhaft, die Orientirung hinreichend,doch kam
öfter Per-sonenverkennung
vor. Patientin halluzinirteund
zeigte lebhaftenStimmungswechsel
; meistwar
sie freilichgehobener Stimmung,-
heiter
und
schwatzhaft,doch
produzirte sieim Ganzen
wenig.Mehr-
mals trat ein plötzlicher,doch
nicht lang anhaltender Nachlass der Erscheinungen auf.Dann
wieder äusserte Pat. heftige Angst, hatte schreckhafte Gehörs-und
Gesichtshalluzinationenund
biachte expansiveWahnideen
vor. Ihre Niederkunft hatte keinen Einfluss auf den psychischen Zustand.Nach
halbjährigerDauet
liess die Krankheitnach und im
8.Monat
tratGenesung
ein. Inden
nächsten Jahren brachte dieFrau noch
2 Kinder zur Welt.1895 erkrankte sie wieder. Sie
war
redselig, heiterund
zeigtewachsende
Erregung. Siesang und
betete, schwatzte viel durch- einanderund
versuchte in fremdenSprachen zu
reden.Der
Schlafwar
sehr gering, dieNahrungsaufnahme
mangelhaft.Vorübergehend kamen
Angstzustände vor, sie sah Gespensterund den
Teufel, hörte Vogelgezwitscherund
dieStimme
Gottesund
des Teufels. Durch- einander schimpfteund
liebkoste sie ihreUmgebung.
Bei der Auf-nahme
in die Klinik zeigte sie gute Auffassung, sie beobachtete dieVorgänge
ihrerUmgebung, nahm
Antheilund war
ablenkbar, be- sonders auf optischemWeg.
Siewar
besonnen, geordnetund
orientirt. Ausserordentlich lebhaft
war
ihr Rededrang,dazu
bestand allgemeine psychomotorische Erregung, Beschäftigungsdrang,sowie
ein
ungemein
reges Mienenspiel. Die Affekte wechselten; meist herrschte allerdingsgehobene Stimmung,
die sich bald inFreund-
lichkeit und Erotie, bald in Gereiztheit
und Zornausbrüchen
kund- gab; oftgenug
trat einUmschlag
des Affekts in tiefe, traurige Ver-stimmung
auf, die sich in heftiger Weise, in lautemWeinen und und
pathetischemJammern
äusserte. Sehr häufigwaren
Gehörs- halluzinationen.Das
Gedächtniswar
gut erhalten, das Urtheilund
die Kenntnisse hinreichend.
Nach mehreren Wochen
trat eine leichteBeruhigung
ein,doch kamen zwischendurch
wieder plötzliche Er- regungszustände heftigster Art,verbunden
mitPersonenverkennung, dazu
Gewaltthätigkeit, vor.Besonders
äusserenEindrücken
gegen- überwar
Pat. sehr erregbarund
explosibel.Im
4.Monat
standdie Depression
im
Vordergrund, dabei aberwar
das Bild beherrschtvon einem
unstillbaten Rededrang,während
die einzelnen Aeusser- ungen, einerleiob
siegehobener
oder gedrückterStimmung
ent- sprachen,durchaus
die Zeichen der Ideenflucht trugen. Als ein Schlüssel gezeigt wurde, sagte Pat.: „Schliesst mir die
Himmels-
thür auf, denHimmel
schliesst mir auf!“Nach dem
vorgehaltenen Geld greifend fuhr sie fort: „Sind das die Kreuzer, diedu
mirgegeben
hast?Das
ist derWundarzt und
derWunderdoktor.
Das
ist der Himmelsschlüssel, schliesst mir bald auf, das ist der Himmelsschlüssel.“ Als ihr dieHand
gereicht wurde, sprach sie:„Nichts
wie
dieHand
will ich sehen, so,und
die mir dieHand
nicht geben, die sind Schuld anmeinem
Unglück. Ich habe deineHand
in meiner
Hand und
1 ist 1und
2 ist 2und
3 ist 3und 4
ist 4.“Kurz
darauf redete Pat. in lebhafter Depression : „Ich bin doch klar im Kopf. Ichhabe
Gespensterund
Schlangenund
Kröten ge- sehenund
durchsWasser
bin ich.Das
ist einschlimmes
Leiden,wie
das jüngste Gericht.An
Gespenster glaubt doch kein ver- nünftigerMensch.
Ich habe nichts essen können.Es
ist mir nicht die Gurgel hinuntergegangen.Das
ist herzzerreissend.Man möchte
grad die Fensterscheiben hinausschlagen. Soviel Falschheit ist in dieser Welt.“ Oft äusserte sich die Depression in heftigen Selbst-vorwürfen:
„Ichhabe
alleSünden
gethan!“ Dabeiwar immer Rededrang und
Ideenflucht deutlich: „Ichwerde ganz zu
nichte gemacht, ich bindoch
eineFrau
Nicht.“Dann
wiederwar
PatientinTags
drauf, oderauch
gleich ein paar Stunden, ja Minuten späterganz
heitererStimmung Einmal
sagte sie selbst: „Gesternwar
ich in Trübsal, heute bin ich aufgemuntert, weil ich so geträumt hab'.“Den
folgendenTag war
sie wieder tief deprimirt, batum
Giftund
wollte nichtmehr
leben. Dieser wechselnde Zustand dauerte über 3 Jahre, fortwährendschwankte
der Affekt zwischen heiterer Ver-stimmung,
zornigerErregung und
lebhafter Depression.Immerzu
fand sichRededrang
intensivster Art,dem
gegenüber derBewegungs- drang etwas im
Hintergrund stand. Ja, anmanchen Tagen war
sogar deutlich psychomotorischeHemmung
zu erkennen. Fastdurchweg
trugen dieAeusserungen
den Stempel der Ideenflucht mit ihrer Ziellosigkeit,dem
Abschweifenvon einem zum
andern, der Ablenkbarkeit durch äussere Eindrückeund
derNeigung
zu Klang- assoziationenund Reimen.
Hieund da
aber zeigten dieReden
19
auch
ein anDenkhemmung
erinnerndes Gepräge, häufigeWieder-
holungenkamen
vor, wie: „Bringen Sie mir eine gute Nachricht!“An
denTagen, wo
dieErregung und
die ideenfiüchtigen Aeusser-ungen
mit einer gehobenen, oft gereiztenStimmung
verknüpft waren, Hess sichan
derDiagnose
derManie
nicht zweifeln.Auch
die zahlreichen Halluzinationen konnten daran nichts ändern, ebenso-wenig wie
die sporadisch geäusserten, raschvorübergehenden Wahnideen.
Diesermanische Grundzug
derganzen
Krankheit wirdnun
ausserordentlich häufig auf kurze Zeit unterbrochen durch dieAeusserungen
eines depressiven Affekts, der bis zur Selbstmord-neigung
geht, dabei abervon
psychomotorischerErregung und
Ideenflucht begleitet ist. Vereinzelt lässt sich eine gewisse psycho- motorische
Hemmung und Denkerschwerung
beobachten,während
der
Rededrang
ununterbrochen imVordergrund
des Bildes steht.Wir haben
also hier diegewöhnliche Manie im
häufigenWechsel
mit Mischzuständen verschiedener Art, vor allem mitdem
derErregung
bei depressivem Affekt.
Ueber
die Zugehörigkeit der Krankheitzum
Gebiet des zirkulären oder manisch-depressiven Irreseins lässt dieAnamnese, welche
3 frühere Anfälle mit darauffolgenderHeilung
verzeichnet, deren letzterganz dem
jetzigen entspricht, nicht den geringsten Zweifel.Derartige Fälle, die
wegen
der meist nur kurzenDauer
ihrer zahlreichen Mischzustände den eindeutigenGrundcharakter doch immer
wiedererkennen
lassen, sindim Ganzen
recht häufig.Jedoch
weder
die sorgfältige Registrirung solchermannichfachen
Mischzustände, diewegen
ihrer innigenVerbindung
mit reinen Zeiten derManie
oder Depressiondoch
zu irrthümlicherAuffassung
schwerlich Anlass geben,noch
eine theoretische Aufstellung der verschiedenen Möglichkeiten derMischformen
überhauptund
ihre Konstruktionnach
Art eines Permutations- oder Variationsexempelsist für die klinische Thätigkeit mit ihrem
vorwiegend
praktischenUntergrund von
sohohem Werth, wie
dieBeantwortung
der Frage,ob
esMischformen
gibt, die häufigerVorkommen
und,ohne durch manische
oder depressiveZustände
vermitteltzu
sein, längere Zeit andauern, so dass sie das Krankbeitsbild beherrschenund
zu dia- gnostischenund
prognostischen Fehlern Anlassgeben
können. Diese Frage ist,wie schon
ein Blick auf die beigefügte Tafel mitschema-
2*
tischen
Zeichnungen vermuthen
lässt, unbedingt zubejahen.Es
besteht bei unseren 3Symptomgegensätzen
rein theoretisch betrachtet die Möglichkeit einesVorkommens von
8 verschiedenenSymptom-
gruppirungen ; wir dürften also,da
wirvon
den 2 klassischenZuständen
der zirkulären Depressionund
derManie
absehen,6
ver- schiedeneMischzustände
erwarten.Wenn nun auch im
Laufe derBeobachtung
eines grösseren Materials all diese Möglichkeiten inErscheinung treten
können
, ja in Anbetracht der cjualitati\en Differenzirungenund Kombinationen
wie indem
geschildeiten FallW.
S. (Seite 13) die Fülle der überhaupt gelegentlich auftretenden Bildernoch
mannichfaltiger ist,bestimmen
uns, da wir ja kein spekulativesVerfahrenbefürworten,Gründe
der praktischenPsychiatrie, drei verschiedeneGruppen von Mischzuständen
als die wichtigsten, weilam
häufigstenund
längsten auftretenden, besonders hervor-zuheben und
zu betrachten.Zunächst
gehören hierher die Fälle, welchevon K
räp
e1in*)alsmanischerStupor
bezeichnetwerden
und
sich ihremWesen nach
als eineMischung von
manischer, ge-hobener
Stimmung
mit psychomotorischer.Hemmung und Denk- erschwerung
charakterisiren lassen. In zweiter Linie ist hier dieGruppe
deragitirten Depression zu erwähnen,
in der sicheine
Mischung von
depressiverStimmung
mit psychomotorischeiErregung und
meistauch
Ideenflucht kundgibt. In dritter Linie lässt sich aus praktisch-prognostischen Rücksichten hier nochdie
Gruppe
derunproduktiven Manie
bilden, bei der sichwohl manische Stimmung und
psychomotorische Erregung, aufdem
Gebiet der assoziativen
Vorgänge dagegen
an Stelle der Ideenflucht deutlichDenkerschwerung und Denkhemmung
findet. Diese 3 ver-schiedenen
Gruppen von Mischzuständen kommen
nicht allzu seltenvor
und
treten gelegentlich auch als selbständige Anfälleim Leben
zirkulärer Patienten unvermittelt auf,
wenn
sieauch m
derMehr-
heit der in Betracht
kommenden
Fälle einen rein manischen oderdepressiven
Zustand
einleiten oder beschliessen, sei es, dass siedann
kurzeZwischen- und
Uebergangszeiten darstellen, sei es auch, dass sie aufWochen und Monate
das Krankheitsbild beherrschen.Vereinzelt finden sich Patienten, die in ihrem
ganzen Leben mehr-
*) Psychiatrie, VI. Aufl. Band II. S. 39 6- LeiPzi8 l8