2iVs
Sekunden
diese Reihe aufzählt.Im Lauf
der klinischen Beob-achtung trat dieDenkhemmung
stärker hervor; Patientin hattemanch-mal Mühe,
sich zu orientiren odersichaufetwas
zu besinnen.Ganz
deut-lichwar
die Ablenkbarkeit festzustellen. In den allererstenTagen
des Anstaltsaufenthaltes bestand
wohl noch etwas
Depression, bald aber beherrschte eine durchausgehobene Stimmung,
meist mit eroti-scher Färbung, das Bild.Ganz
vorübergehendwar
Patientinwohl noch
einmal ängstlich, fragte plötzlich: „Istmein Sohn
gestorben?Ist
mein
Bruder tot?Was
istdenn
passirt? Ja,mein Kind
ist ge-storben, weil Siemich
so anschauen.“Gewöhnlich
herrschte jedochheitere,
unternehmende Stimmung;
sie wolle baldgesund werden
oder halte sich gar nicht für krank; siemöchte nach
Hause, wolleEinkäufe
machen.
Sie erhob grosse Ansprüche, verlangtevon
derJ. in die 1. Klasse versetzt zu werden,
wünschte
Kostzulagen.Ein-mal
griff sie in dieTaschen
des Arztes, kramte darinherum und
entwandte ein Taschentuch, das ihr nur mitMühe
wiederab-genommen weiden
konnte. Vielfach klagte sie die Wärterinnen an, spielte ihnen kleine Streiche, vor allem suchte sie ihnen die Schlüssel zu entwenden. Hartnäckigund
heftigdrängtesieausder Abtheilungund
gingumuhig
hinter derThüre
hinund
her. Sie verweigerte oft dieNahrungsaufnahme,
sodass zur Sondenfütterung geschrittenwerden
musste,wobei
sie derartig widerstrebte, dass für ihrLeben
gefürchtetwurde
; das Körpergewichtsank
dabei raschum 35
Pfund.Dann
wieder verzehrtesie recht viel,4 Tassen
Kaffeeund
3 Brötchen auf ein-mal,und nahm
mit Vorliebe anderen dasEssen
weg, doch nur die bessere Kost derKranken
1.und
2. Klasse. Sie fahndete eifrig nach Geschenken, besondersEsswaaren,
die anderenKranken
mitgebrachtworden
waren. Bei all ihrem Treiben trug sie einen selbstbewussten, stolzen, oftetwas
schelmischen Gesichtsausdruck zur Schau,manch-mal
auch einmoquantes
Lächeln, das oft in lautes Gelächter über-trieben wurde, nie aber den Eindruck des Manirirten, Grimassen-haften machte. Sie duzte dabeijedermann, bezeichnete den Professor als „Brotfresser“und
versuchte öfter, den Arzt zu küssen. Unterdem
Hinweis auf das
Telephon
der Abtheilungen renommirte sie damit, dass ihreVerwandten
alle Telephon hättenund man
damit überallhin telegraphiren könnte.Einmal gab
sie an,Stimmen
zu hören, die ihr befahlen, ausdem
Bett zugehen
;dann
sagten die Wärterinnen,sie solle drin bleiben;
nun
wisse sie gar nicht,was
sie thun solle.Bei allem,
was
mit ihrvorgenommen
wurde, zeigte sie sich eigen-sinnigund
verlangteimmer was
besonderesund
besseresalsalleanderen.Einmal
gelang es ihr, derWärterin die Schlüsselzu entwenden,womit
sie auf die Männerabtheilung entwischte ; ein ander
Mal
holte sieNachts die Schlüssel
unterm
Kopfkissen der Wärterin hervorund
brach in dasZimmer
eines Arztes ein.Im Lauf von
2 Jahren milderten sich die Erscheinungenganz
allmählich. DieHemmung
zeigte sich vorzugsweise
noch
in der Unthätigkeitund
Entschluss-unfähigkeit; gravitätischbewegte
sich Patientin in der Abtheilung umher, dasKinn
auf eineHand
gestützt, dieRöcke
etwas hoch-gehoben.Ab und
zu liess sie sich durch Bittenund
Versprechungen39
dazu bringen, einen kurzen Brief
an
ihreVerwandten
zu schreiben.Sie äusserte vielerlei
Wünsche,
wollte spazieren gehen, besonders aber entlassen werden. Gelegentlichmachte
sieim
Garten einen Flucht-versuch durch Klettern an derUmzäunung. Auf
der Abtheilung drang siemanchmal
in fremdeZimmer und nahm
Kleinigkeiten, besondersEsswaaren
mit. Ihre Erotie tratnoch
häufiggenug an
denTag;
vor Allem einen der Aerzte verfolgte sie mit ihren Zu-dringlichkeiten ; in einem Brief an ihreVerwandten
lud sie dieganze
Familie zu ihrer baldiger.Verlobung
miteinem Doktor
ein; stunden-lang lauerte sieam
Fenster oder hinterden Thüren,
bis der Be-treffende zur Visitekam.
BeiBesuchen von
Seiten ihrerVerwandten wurde
sie schliesslich zugänglicher, verlangte freilichimmer
dringend nach Haus, versprach, sich musterhaft zu halten,und
beklagte sich bitter über ihre „Gefangenschaft“.Noch im Sommer 1898
weigerte sich Patientin, als die Tochter sie durch mehrere Spaziergängean
dasLeben
ausserhalb der Anstalt zugewöhnen
versuchte,nach
einigen gut abgelaufenen
Ausgängen
schliesslich auf das energischste,Abends
wieder in die Klinik zurückzukehren.Immerhin war von Monat
zuMonat
eine Besserungwahrzunehmen. Wohl
zeigte der Gesichtsausdrucknoch etwas
euphorische, leichtmoquante Züge
inVerbindung
mit einer gewissen Zurückhaltung. DieStimmung war
öfter labil, Patientin drängte nicht
mehr
stürmisch fort, sondern bat mit einemAusdruck
desBedauerns um
ihre Entlassungnach
Hause, siemöchte
wiederim
Kreis ihrer Kinder leben, eswäre doch
traurig, so lang fort zu sein; sie fragte dabei:„Würden
Sie Sich nichtauch
nach Ihren Kindern sehnen?“Das Benehmen war
allmählich freiergeworden,
dieAntworten
erfolgten prompter, es liess sich eine gewisse Krankheitseinsicht feststellen. Auffassung, Orientirung, Gedächtnisund
Urtheilwaren
leistungsfähig. Die Unschlüssigkeitnahm
ab, Patientin schrieb vierseitige Briefeund
fing an, sich mit Handarbeit zu beschäftigen.Das
Körpergewicht hatte sich wieder auf seinen früheren Stand erhobenund
blieb dabei, so dassFrau
Y.Ende 1898
nach 21 4 jähriger Anstaltsbehandlung in voller Rekonvalescenz ent-lassenwerden
durfte.Obwohl
Patientin nicht einmal sogleich in ihre früheren häuslichen Verhältnisse zurückkehren konnte, sondern mit ihrer Tochter in einer fremden StadtHotelwohnung nehmen
musste,ist die Heilung nicht aufgehalten
worden.
Dieser Fall ist
von
ausserordentlicher Wichtigkeit einmal, weil er eineWiedererkrankung
nach 22jähriger freierZwischenzeit
dar-stellt,
und
dann, weil, abgesehenvon
der flüchtigen Depressionim
18. Jahr, die beidenschweren
Anfälle im Verlauf des Lebensganz
gleichmässig den Mischcharakter des manischen Stupors darboten.Unter
dem
Gesichtspunkt dieser Diagnose konnte dienunmehr
that-sächlich eingetretene Wiederherstellung bereits zu Beginn des letzten Anfalls vorausgesagt werden, selbst zu einer Zeit, als die Patientinnoch
einen sehrschweren und
in Anbetracht derNahrungsverweige-rung auch
körperlich recht bedenklichen Zustand zeigte.Auch
bei dieserKranken
hat der spätere Anfall einen langwierigeren Verlauf gehabt als der frühere,während
ihrer Erscheinungsweise nach beide Krankheitsperioden sichZug
fürZug
ähnlich sahen.Es
bedarf keines eingehenden Hinweisesdarauf, welchgrosse prak-tische Wichtigkeit dieser Auffassung des manisch-stuporösen Zustands-bildes beizumessen ist,indem
siedem
Anfall als solchem durch seine Eingliederung in dieGruppe
des zirkulären oder manisch-depressiven Irreseins eine absolut günstigePrognose
verleiht, im Gegensatz zu den wesentlich ungünstigen Aussichten, welche die bei derDifferential-diagnose in Frage
kommenden
Krankheiten eröffnen.Als ein Seitenstück
zum
manischen Stuporkönnen
wir eine andereGruppe von
Mischzuständen auffassen, welche theoretisch ebensobemerkenswerth
wie die bisher dargestellteForm
sind,wenn
ihre praktische
Bedeutung
vielleicht auch minderschwer
insGewicht
fällt. Gleichsam eine Art Negativbild der soeben geschilderten Fälle mit heiterem Affekt, psychomotorischer
Hemmung und Denk-erschwerung
liefern die Zustände, indenen
sich depressiver Affekt mit psychomotorischerErregung und
Ideenflucht vereinigt. Gegen-über dergewöhnlichen stupor Ösen Depression
des zirkulärem Irreseinskönnen
wir hier,wo
die Depression mitErregung
verknüpftist, vielleicht
zweckmässig
die Bezeichnung der agitirtenDe-pression anwenden. Dass
solche Zustände auf kurze Zeit nicht selten sind,haben
wir oben angeführt; oftkommen
sie auch in Be-tracht bei jenerGruppe von
Fällen mit häufigem Stimmungswechsel,wo
bei fortdauernderErregung
mit Ideenflucht bald die gehobeneStimmung
das Bild der gewöhnlichenManie
zeichnet, bald unterUm-schlag des Affekts zur Depression ein Mischzustand zu
Tage
tritt,41
wie wir ihn jetzt näher besprechen wollen.
Der
eingehender ge-schilderte, wechselreiche FallM. U.
bot ausserordentlich häufig das Bild einer agitirten Depression.Aber
ebenso wie dermanische
Stupor dauertauch
dieseMischform
in nicht allzu seltenen Fällen so lange an, dass sie das Bild des Anfalls beherrschtund
zu diagnosti-schen Irrthümern Veranlassunggeben
kann.Auffassung, Besonnenheit, Orientirung
und
Gedächtnis sind in der, Regel intakt. Sinnestäuschungenund Wahnideen kommen
ver-einzeltVor, verschwinden aberschliesslich wieder
wie
bei allenzirkulärenErkrankungen. Der
depressive Affektkann
in allen möglichen Ab-stufungen auftreten,von
intensiver Suicidalneigung mit Selbstbeschädi-gung, Nahrungsverweigerung, lebhaften Selbstvorwürfen u. s.w.
biszu einer leicht gedrückten
und
gereiztenStimmung
odereinem
ge-linden Queruliren.Auch
derGrad
derErregung schwankt
ausser-ordentlich. Bald eilen dieKranken
durch die Abtheilung,drängen
fort, stellen sich
im
Bett auf, entkleiden sich u. s. w., bald spiegelt sich dieErregung
nur in einem leichtenRededrang
wieder.Charak-teristisch ist die Erregbarkeit, das
Anwachsen
der Erregung, sobald sichjemand
mitden Kranken
beschäftigt. Sie sind mittheilsam, suchennach
Leuten,denen
sie ihre Klagen Vorbringenund
ihre ver-meintlichenSünden
beichten können.Wie
die echtmanischen Kranken
lassenauch
sie sich leicht ablenken. Meist findet sich Ideenflucht,wenn auch
nicht so lebhaftwie
in der Manie, derenge-hobene Stimmung
ein vielmannichf
affigeresAbschweifen
derAuf-merksamkeit
ermöglicht als die eintönige depressiveFärbung im
Ge-fühlsleben unserer Patienten. Nichtganz
selten zeigt sich aberauch Denkhemmung
; dieKranken
sinddann
schwerbesinnlich,müssen
lange
nachdenken,
ehe ihnen eineAntwort
einfällt, wiederholen sich öfter in ihren Aeusserungen,haben Mühe,
sich zu orientirenund machen
häufig, vor allem bei heftiger Erregung, einen recht ver-wirrten Eindruck.Am
meisten erinnern diese Kranken, vor allemwenn
der Anfall inetwas
vorgerückten Jahren auftritt,an
die erregtenFormen
der Involutionsmelancholie.Es
ist schon vor langer Zeit darauf hin-gewiesen w'orden, dass bei Melancholischen Erscheinungen beobachtetwerden
können, die der Ideenflucht der Exaltirten sehr ähnlich sehen;