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erziehungs kunst

04 | 2016 April | 4,90 €

Waldorfpädagogik heute

Wozu Religion?

Traumapädagogik:

Der sichere Ort

Patchwork:

Das Recht auf Ablehnung

Hüttendorf:

Der Flucht ein Gesicht geben

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C. Willmann: Religion gehört in die Schule 5 M. Andries: Was ist und was soll Ethik heute? 11

»Religion ist so alt« – Zum freien Religionsunterricht

Im Gespräch mit Elisabeth von Kügelgen und Stefan Grosse 16 U. Hallaschka: Die Drei-Religionen-Grundschule in Osnabrück 21

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R. Hölzer-Hasselberg: Patchworkfamilien – Das Kind hat ein Recht auf Ablehnung 26

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A. Stohlmann: Der Flucht ein Gesicht geben.

Vom Hausbau zum Hüttendorf 30

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S. Jüngel: Starkes Gretchen.

Elena Conradt spielt das Gretchen im neuinszenierten »Faust« 33

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G. Dumas: Der Ernst der Kunst – Schülerarbeiten im Kunsthaus Berlin 36 G. Bartel: Wie in einer großen Familie. Die Waldorfschule in Jerewan 39

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M. Heß: Den Blick fürs Wesentliche geschärft. Mein Bundesfreiwilligendienst 46

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U. Kaiser: Traumapädagogik – Der sichere Ort 48

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M. Betti: Der Mathematismus – Weltharmonie und Erkenntnis 52

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(in der Heftmitte zum Herausnehmen)

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erziehungskunst April |2016

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INHALT

Titel-Foto: kallejipp / photocase

Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen

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Sonntage bieten besondere Gelegenheiten: Zeit für Gespräch. So auch kürzlich wieder in altersmäßig bunter Besetzung, dass einem schon beim Frühstück der Löffel im Ei stecken bleibt: »Warum kommen so viele Flüchtlinge zu uns? Werden sie wirklich verfolgt, weil sie einen anderen Glauben haben? Wie kann das sein, dass Religionen gegeneinander kämpfen? Macht das noch Sinn? So ist Religion doch Sch…! Glaubst du an Gott?« ...

Religiös zu sein ist ein spezifisch menschliches Lebensgefühl. Einem Menschen würde etwas fehlen, könnte er sie nicht leben. Konfessionen decken dieses Bedürfnis nur eingeschränkt ab – ein Blick in die Nach- richten zeigt es: Glaubenskriege brennen an allen Ecken der Erde, bedrohen mit zerstörerischer Macht menschliches Leben und Zivilisationen.

Die goldene Regel praktischer Ethik ist löblich: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu«. Doch Religion ist mehr als Ethik. Religion ragt in einen übermenschlichen Bereich, in eine Schicht, die höher liegt als das durch die Vernunft hergestellte gute Miteinander, das wir als sozial verhan- delbare Norm kennen. Religiosität bedeutet, im anderen Menschen ein Göttlich-Geistiges zu sehen und es anzuerkennen. Dieser höhere Teil des Menschen steht in Verbindung mit etwas, das über den einzelnen Menschen hinausreicht. Mit Engeln zum Beispiel. Engeln, die uns nicht ruhig schlafen lassen, solange unsere Mitmenschen unglücklich sind. Die uns den Gedanken nahebringen, dass des Menschen Würde unantastbar ist, auch wenn er in der Lage ist, Böses zu tun, die uns also auf den Unterschied zwischen dem guten Kern und den bösen, ja verabscheuungswürdigen Taten des Menschen aufmerksam machen.

Die weitverbreitete Auffassung, der Mensch sei im Grunde schlecht, er müsse mit Hilfe der Religion zivilisiert, erzogen, gebildet und unter Druck gesetzt werden, um sich zum Guten zu biegen, ist dagegen repressiv und verneint den freiheitlichen Kern des Menschen, seine Widersprüchlichkeit und seine permanente Wandlungsfähigkeit. Eine solche Haltung schließt Gedankenfreiheit und den interreligiösen Dialog aus.

In unserer Gegenwart steht und fällt das Bekenntnis zur freien Individualität mit dem Bekenntnis zur Gedanken- und Religionsfreiheit. Sie ist Angelegenheit des Individuums, nicht einer Gruppe. Das Gött- liche zu entdecken ist eine individuelle Erfahrung, darum kommen wir nicht herum. Und zu dieser Erfahrung kann uns das Göttlich-Geistige im anderen Menschen, für das wir aktives, liebendes Interesse aufbringen, hinführen.

Unser Gespräch beim Frühstück endete in der Übereinstimmung, dass das, was wir heute als gewalt- tätige Religion im weltpolitischen Geschehen erleben, das Gegenteil dessen ist, was wahre Religiosität sein kann.

‹›

Aus der Redaktion grüßt

Mathias Maurer

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EDITORIAL

2016 |April erziehungskunst

Glaubst du an Gott?

Liebe Leserin, lieber Leser!

Siehe auch Rudolf Steiners Vorträge »Wie kann die seelische Not der Gegenwart überwunden werden« und »Was tut der Engel in unserem Astralleib?« sowie in »Der Goetheanismus – ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke« (Vortrag vom 10. Januar 1919)

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Foto: CL. / photocase

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THEMA: ETHIK & RELIGION

April|2016 erziehungskunst Freiheit und Eingrenzung

Die Lebensform einer offenen, liberalen Gesellschaft hat ihren Ausgang in der europäischen Aufklärung genommen.

Die Philosophie der Aufklärung und die mit ihr verbunde- nen politischen wie pädagogischen Ideen eines Rousseau, Lessing oder Kant sind Ausdruck eines auf sich selbst ge- stellten und seiner selbst bewussten Denkens.

Der aufgeklärte Mensch setzt sich zum Ziel, die Prinzipien seines Denkens und Handelns nach seinen eigenen selbst- verantworteten Möglichkeiten und seinem Vermögen zu be- stimmen. Dieser Impetus hat auch vor der Religion, ihren Institutionen und Instanzen nicht Halt gemacht.

Das Verhältnis zu Gott und die Erkenntnis von dessen Da- sein und Wirken sollten nun mittels der »natürlichen« Ver- nunft begründet werden und nicht mehr auf die Interpretation und Verwaltung einer geoffenbarten Wahr- heit durch die Kirchen angewiesen sein. Trotz des Wider- stands der Kirchen haben sich die Ideen der Aufklärung sowohl in der religiösen Lebenspraxis und Erziehung als auch – mehr noch – im Verhältnis von Staat und Kirche aus- gewirkt.

Damit waren die Voraussetzungen für eine säkulare Gesell- schaft gegeben, deren Kennzeichen es ist, die Wahrheitsan- sprüche der Religion(en) politisch neutralisiert, Bürger- und

Menschenrechte unabhängig von religiösen Wahrheits prä-

Religion gehört in die Schule

Wer Fundamentalismus vermeiden will, darf ihn nicht ignorieren. Die Waldorf- schule könnte wegweisend für einen multireligiösen Unterricht werden

von Carlo Willmann

missen gesichert und Bedingungen zur Praxis religiöser To- leranz und religiösen Friedens geschaffen zu haben. Die damit einhergehende Freiheit der Religion, die die aktive Zu- stimmung des Einzelnen zulässt und die passive Duldung der anderen erwartet, ist ein unabdingbares (Menschen-) Recht jeder modernen und liberalen Gesellschaft. Aber die- ses unverzichtbare Grunddatum der religionspolitischen Emanzipation der europäischen Gesellschaften hat in ihrer extremen Handhabung nicht nur eine – gesellschaftlich und politisch notwendige – Abnahme der Bedeutung der insti- tutionalisierten Religion bewirkt, sondern auch zu einem re- ligiösen Verstummen innerhalb der gesellschaftlichen Alltagskultur geführt.

Als ein Beispiel kann die französische Form des Säkularis- mus genannt werden, die im Gesetz der »Laicité républi- caine« von 1905 geregelt ist, das eine strikte Neutralität des Staates im Hinblick auf Religion und Glaubenspraxis vor- sieht. Dieses untersagt in allen staatlich getragenen öffent- lichen Bereichen die Präsenz religiöser Artikulation: Ebenso wie einer muslimischen Lehrerin das Kopftuchtragen aus religiösen Gründen verboten ist, so einer christlichen das sichtbare Tragen eines Brustkreuzes.

Eingrenzung kann somit leicht auch zu Ausgrenzung wer- den und es stellt sich die Frage, ob verordnete Aussparung von Religion auch Vorenthaltung von gesellschaftlicher An- erkennung bedeutet.

Zur Signatur unserer Gegenwart zählt eine nie zuvor dagewesene gesellschaftliche Transformation. Alle großen gesellschaftlichen Teilsysteme sind von ihr ergriffen. Dies trifft auch für die Religion zu, in deren Bereich diese Prozesse mit Traditionsabbruch, Indivi- dualisierung, Entinstitutionalisierung und Pluralisierung verbunden sind. Es sind aber auch Gegenbewegungen wahrzunehmen, die Traditionen, Interpretationen und Lebenspraxen zementieren wollen.

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THEMA: ETHIK & RELIGION

April|2016 erziehungskunst Weltanschaulich neutraler Religionsunterricht

ist nötig

Die erschütternden terroristischen Ereignisse in Frankreich haben landesweit Debatten zu Bildungsprogrammen als Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus ausgelöst.

Die bedeutende französische Essayistin Cécile Wajsbrot hat dazu eine bemerkenswerte Position bezogen: »Ich finde, man müsste angesichts der Dringlichkeit der heutigen Pro- bleme darüber nachdenken, es (das Gesetz, C.W.) aufzu- weichen. Ein Desiderat etwa wäre ein weltanschaulich neutraler Religionsunterricht, in dem die Kinder lernen, dass es verschiedenartige Religionen gibt, die sich gegen- seitig Respekt schulden« (NZZ 15.1.2015).

Damit macht sie den religionsfernen Bildungsapparat der öffentlichen Schule mit verantwortlich für die wachsenden Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungs- und Religionsgruppen, denn mangelnde Kenntnisse ziehen auch Verlust an gegenseitigem Verständnis und gelebter Toleranz nach sich. Andererseits können Religionen und religiöse Le- bensformen, wenn sie Gegenstand im öffentlichen Bil- dungsraum sind, von dort aus durchaus Korrekturen erhalten und fundamentalistisch-reduktive Weltsichten mit totalitären Ansprüchen könnten eher aufklärerische Schran- ken gesetzt werden.

Vom Religionsunterricht zur religionssensiblen Schulkultur

Es ist die Frage, ob ein »neutraler« Religionsunterricht das geeignete Mittel für die Heranbildung eines von Vertrauen und Toleranz getragenen gesellschaftlichen und religiösen Miteinanders ist. Religion und Religiosität in ihren authen-

tischen Formen berühren tiefe existenzielle Dimensionen des Menschseins, die über das gewöhnliche Tagesbewusst- sein hinauszielen und kognitiv allein nicht zu erfassen sind.

Wie in den Künsten verlangt ein religiöses Leben Überzeu- gung und Hingabe, Konsequenz und Disziplin, Gemein- schaftswillen und soziale Kreativität.

Ein religionswissenschaftlich orientierter Religionsunter- richt mag sinnvollen und bereichernden Informations cha- rakter haben. Aber so wenig Musikwissenschaft Musik ist, sowenig ist Religionswissenschaft Religion. Musik ist eine Kunst, die erlernt und vor allem geübt sein will. Ist sie das, dann kann sie uns innerlich berühren und unser Leben immer neu bereichern. So verhält es sich auch mit der Reli- gion, deren Pflege das seelische, geistige und ethische Leben tragen kann.

Rudolf Steiner hat die religiöse Dimension des menschli- chen Lebens in seinen pädagogischen Überlegungen sehr ernst genommen. Er war davon überzeugt, dass Religion und Religiosität notwendig zum Menschen gehören, sie daher im Kind zu entfalten sind, um später in Freiheit ei- genverantwortlich gestaltet werden zu können. Wie Wis- senschaft und Kunst soll auch die Religion in der Waldorf- pädagogik gepflegt werden. Es ist aber zu beobachten, dass die religiöse Erziehung deutlich in den Hintergrund gera- ten ist – auch in Waldorfschulen. Die Ursachen hierfür mögen vielfältig sein und in der oben beschriebenen allge- meingesellschaftlichen Tendenz liegen, aber auch im Ver- sagen der Institutionen, die Religion und religiöses Leben offiziell repräsentieren.

Das macht die Aufgabe nicht einfacher und lässt die Erfül- lung dieses Anspruches zu einer der schwierigen pädago- gischen Aufgaben der Gegenwart werden, aber auch zu einer dringenden. Denn die Bruchlinie, die zwischen einer

Foto: drbrook/ photocase.de

Religion und Religiosität gehören zum Menschen, sie sind daher im Kind zu entfalten, um später in Freiheit eigenverantwortlich gestaltet werden zu können.

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THEMA: ETHIK & RELIGION

erziehungskunst April|2016

postaufgeklärten Gesellschaft mit ihren säkularistischen Tendenzen und immer fundamentalistischer sich gerieren- den religiösen Gruppierungen verläuft, muss identifiziert, die mit ihr aufgeworfenen Risse und Abgründe überbrückt und ihren negativen Auswirkungen pädagogisch entgegen- gewirkt werden.

Das bedeutet in erster Linie, Religion und Religiosität neu kommunizierbar zu machen, und zwar nicht nur unter Menschen, die religiös sind, sondern auch unter denen, die es nicht sind. Das sprachlose Aufeinandertreffen unter- schiedlicher Lebenskonzepte und Sinnorientierungen muss produktiv zur Sprache gebracht werden und im gegenseiti- gen Zuhören zu gegenseitiger Anerkennung führen.

Religiöse Erziehung an Schulen wird in der Regel über das Unterrichtsformat des konfessionellen Religionsunterrich- tes angeboten. In Deutschland sind unterschiedliche Bil- dungszugänge zu Religion rechtlich über Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes garantiert. Danach können anerkannte Religionsgemeinschaften im Raum der öffentlichen Schule ihre bekenntnisspezifische Bildung Schülerinnen und Schü- lern anbieten, sei sie rein konfessionell, inklusiv oder im Verbund mit Ethik konzipiert. Diese Regelung ist begrü- ßenswert. Religionsunterricht nimmt dann in seiner besten Form die Aufgabe wahr, Religion (und Religionen) Schülern zu erschließen und ihnen zu ermöglichen, sich selbst darin verstehen zu lernen und ihren Glauben bewusst und posi- tioniert leben zu können. Er dient damit der religiösen und ethischen Identitätsfindung und Identitätsbildung des Ein- zelnen in einer pluralistisch geprägten Gesellschaft.

Doch aus der Wahrnehmung der heutigen Situation heraus stellt sich auch hier die Frage, ob dieses Modell – zumindest in seiner traditionellen Form – zukunftsträchtig genug ist.

Denn in der Regel werden dort nur diejenigen Schüler er- reicht, die einer Religion oder einer Konfession angehören

und wenn es keine kooperative Gestaltung mit dem Unter- richt anderer Religionen und Konfessionen gibt, erwartet die Schüler eine Binnenkultur, die der Kommunikationserwar- tung einer offenen Gesellschaft nicht mehr entspricht. Und Schüler ohne Konfession erhalten letztlich gar keine reli- giöse Grundbildung.

Die Unzulänglichkeit dieses Konzeptes liegt in der Reduk- tion von religiöser Erziehung und Bildung auf das »Unter- richtsreservat Religion«. Diese Reduktion aufzusprengen und neue ergänzende Formen der religiösen Kommunika- tion und Kultur im Bereich von Schule und Unterricht zu entwickeln, ist ein Erfordernis und eine Voraussetzung für das Gelingen religiösen Lehrens und Lernens unter den Be- dingungen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Transfor- mationsprozesse, die stark von Migrationsbewegungen geprägt sind, die sowohl kulturelle wie religiöse Diversitä- ten mit sich bringen.

Allgemeine religiöse Erziehung wäre ein wegweisendes Modell

Als Steiner bei der Eröffnung der ersten Waldorfschule von der Aufgabe einer lebendig werdenden Religion in der Pä- dagogik sprach, scheint er die hier besprochenen Entwick- lungen vorausgeahnt zu haben. So hat er einen Begriff geprägt und eine erzieherische Idee initiiert, die heute mehr denn je verdient, zum Tragen zu kommen: die allgemein religiöse Erziehung. Sie bildet die Grundlage einer religi- onssensiblen Schulkultur, die den gefährlichen Antagonis- mus zwischen materialistischem Säkularismus und religiösem Extremismus vermeidet und interreligiöse und interkulturelle Begegnungen ermöglicht, die auf Verständi- gung und Anerkennung zielen. Denn in Steiners Entwurf einer allgemein-religiösen Erziehung geht es nicht primär

Die Kinder sollen erleben, was Religion im besten Sinne ausmacht: Vertrauen zu können und staunen zu dürfen; Ehrfurcht, Demut und universelle Dankbarkeit empfinden zu lernen …

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THEMA: ETHIK & RELIGION

April|2016 erziehungskunst um eine spezifische Religion und ihre Bekenntnisaussagen

– diese sind für ihn zweitrangig –, sondern darum, eine dif- ferenzierte Gefühlsfähigkeit zu entwickeln und religiöse Ge- fühle und Willensimpulse anzuregen und zu verstärken. Die Kinder sollen erleben, was Religion im besten Sinne aus- macht: Vertrauen zu können und staunen zu dürfen; Ehr- furcht, Demut und universelle Dankbarkeit empfinden zu lernen; liebevolles Hingegebensein an die Welt erfahren zu können, Verantwortung übernehmen zu lernen, den Men- schen als Ebenbild Gottes zu erleben. Dies sind Elemente, die jede Religion für sich in Anspruch nimmt. Dies ist ein wichtiger Gesichtspunkt, weil hiermit keiner Religion Do- minanz eingeräumt wird.

Es entscheidet der Kontext, welche religiösen Feste, Inhalte und Wissensbestände, ästhetischen Formen oder rituellen Handlungselemente in diese Erziehung einbezogen werden oder nicht. Auch wenn Waldorfpädagogik tief in der christ- lichen Ideenwelt verwurzelt ist, ist sie offen für alle Religio- nen und Kulturen, weil sie an das lebendig Religiöse in allen Menschen appelliert. Die entwicklungsdynamisch orien- tierten und ästhetisch-symboldidaktisch ausgerichteten Un- terrichtsmethoden der Waldorfpädagogik eignen sich zudem besonders dazu, die Welt in ihrer religiösen Dimen- sion zu erschließen und zu deuten. Sie sind damit für eine religiöse Sensibilisierung in allen Kontexten besonders ge- eignet.

Es gibt bemerkenswerte Schulmodelle und Schulen, die die Entwicklung einer religionssensiblen Schulkultur mutig und ideenreich vorantreiben. Allen voran ist die Drei-Reli- gionen-Grundschulein Osnabrück zu nennen, die sich als ein Lernort versteht, der religiöse Lebensweisen aller drei mo- notheistischen Religionen im Schulalltag berücksichtigt und trialogisches Lernen ermöglicht. Ein Schulmodell mit au- ßergewöhnlichem Anspruch vertritt auch die in Wien an-

sässige islamische Gesamtschule isma, die zwar keinen in- terreligiösen Kontext aufweist, aber von ihren grundsätzli- chen pädagogischen Zielen über ihr Methodenrepertoire bis zur Klassenraumästhetik sich an waldorfpädagogischen Ideen orientieren will und eine unerwartete Offenheit auch in religionspädagogischen Fragen zeigt.

Mit der Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim und anderen Initiativen sind innerhalb der waldorfpädago- gischen Bewegung ebenfalls neue mutige und vorbildliche Maßstäbe gesetzt worden. Hier ist der Fokus zwar zunächst auf die interkulturelle Orientierung gerichtet, aber da Kultur nicht ohne Religion und umgekehrt Religion nicht ohne Kultur gedacht und erfahren werden kann, wollen auch hier im Sinne einer Vertiefung der religiösen Dimension neue Wege einer religiösen Erziehung erschlossen werden.

Wenn so Religion als eine wertvolle, lebensbejahende, freud- volle und anspruchsvolle Lebenshaltung vermittelt werden kann, die Kooperation und nicht Konkurrenz verlangt, die Frieden und nicht Streit sucht und das Wohl aller Menschen in den Blick nimmt und nicht nur das der eigenen Gruppie- rung, dann wird dies auch der beste Weg sein, junge Men- schen gegen Nivellierung, Ausgrenzung und Sinnentleerung einerseits und Vereinnahmung, Radikalisierung und Fun- damentalisierung andererseits zu sensibilisieren.

‹›

Zum Autor:Prof. Dr. Carlo Willmann studierte Theologie und Kunstgeschichte und promovierte zu dem Thema: Waldorf- pädagogik – Die theologische und religionspädagogische Konzeption der Pädagogik Rudolf Steiners. Er unterrichtet als Oberstufenlehrer an der Rudolf Steiner Landschule Schönau, ist Dozent am Zentrum für Kultur und Pädagogik in Wien, leitet dessen Masterlehrgang Waldorfpädagogik an der Donau-Uni- versität Krems und hat eine Professur für Religionspädagogik und Ethik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn inne.

… liebevolles Hingegebensein an die Welt erfahren zu können, Verantwortung

übernehmen zu lernen, den Menschen als Ebenbild Gottes zu erleben.

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THEMA: ETHIK & RELIGION

April|2016 erziehungskunst Wertewandel

Die Postmoderne mit ihrem Pluralismus und die zuneh- mende Differenzierung und Individualisierung aller Berei- che des gesellschaftlichen Lebens – »anything goes!« – bietet der These vom sich beschleunigenden Verfall der Moral mannigfache Angriffspunkte. Als Konsequenz fragt sich mancher, ob Individualisierung grundsätzlich mit einem Verfall der Moral einhergeht. Vielleicht handelt es sich aber auch gar nicht um einen Verfall, sondern um einen not- wendigen Wandel der Moralvorstellungen im Zuge der ste- tigen Modernisierung der Gesellschaft.

Dass sich Werte und Sitten tatsächlich immer wandeln, lehrt die Historie. Manchmal geschieht das unter lautem Getöse, zum Beispiel bei Revolutionen, häufiger allerdings langsam, schrittweise und für die allermeisten Betroffenen eher un- merklich in einer Art Evolution. Für die nachkommende Ge- neration erscheint ein solcher Wandel dann häufig als Selbstverständlichkeit.

Begriff, Anspruch und Reichweite der Ethik

Ethik ist nicht gleich Moral. Vielmehr ist Ethik gegenüber der Moral als gelebter Sittlichkeit einer Gesellschaft oder eines Kulturkreises auf einer übergeordneten Ebene ange- siedelt: Sie ist das Nachdenken über Moral und wird als Teil- disziplin der Philosophie auch als Moralphilosophie bezeichnet. Ethik hat also Moral zum Gegenstand, wobei Moral den Komplex von Handlungsregeln und Wertmaß -

stäben bezeichnet, der von einem Menschen oder einer Ge- sellschaft als gut und richtig anerkannt wird. Ethik in die- sem Sinne bezeichnet eine Wissenschaft, in deren Zentrum das systematische Generieren, Überprüfen und Begründen von Moralprinzipien oder normativen Aussagen steht (wis- senschaftliche Tätigkeit der Reflexion).

Andererseits werden mit dem Begriff »Ethik« aber auch fer- tige Konzeptionen von Moralprinzipien bezeichnet (inhalt- lich in sich abgeschlossene Gedankengebäude). So spricht man beispielsweise von der »Kantischen Ethik« oder der

»Utilitaristischen Ethik«. Ethik als Wissenschaft und als Ge- dankengebäude ist theorieorientiert, Moral dagegen ist handlungsorientiert. Das Handeln gemäß den von einer be- stimmten Ethik aufgestellten Prinzipien führt dann zu einem moralisch richtigen Handeln nach der Auffassung dieser Ethik und in Abhängigkeit von deren Prämissen und Prioritäten hinsichtlich gewisser Werte.

Die philosophische Ethik versucht systematisch und ratio- nal argumentierend Antworten auf die Frage zu finden »Wie soll gehandelt werden?« (Sozialethik) oder »Wie soll ich han- deln?« (personale Ethik).

Ethik umfasst neben einer Theorie moralischer Normen eine Konzeption gelungenen, glücklichen Lebens. Soweit es sich nicht um die bloß beschreibende Ethik handelt, son- dern um die vorschreibende, normative Ethik, worunter die eigentliche Moralphilosophie verstanden wird, versucht sie ihrem Anspruch nach allgemeingültige Begründungen, im besten Falle sogar universell gültige Prinzipien für das sitt- lich richtige Handeln der Menschen zu entwickeln.

Was ist und was soll Ethik heute ?

von Marcus Andries

Ob im Straßenverkehr, in der Politik, im Journalismus, in der Wirtschaft oder sogar in der Justiz, überall wird ein zunehmender Moralverlust beklagt. Gleichzeitig wird der gesellschaftliche Ruf nach Ethik immer lauter: Man fordert ein Ethos für Unternehmen, für Manager, für Banker … Ethikkommissionen erleben in den verschiedensten Zusammenhängen einen ungeahnten Aufschwung.

Foto: Charlotte Fischer

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THEMA: ETHIK & RELIGION

erziehungskunst April|2016

Ihr normativer Charakter drückt sich im Status ihrer Aus- sagen aus: Dieser kann von Ratschlägen wie bei der Aristo- telischen Strebensethik bis hin zu unbedingten Imperativen wie bei der Kantischen Pflichtethik reichen.

Zwei zentrale Grundbegriffe der Ethik als Wissenschaft sind

»Wert« und »Norm«. Unter Werten versteht die Ethik ma- terielle oder ideelle Güter, also etwas, das es zu schützen gilt, wie das menschliche Leben oder die Wahrheit. Normen hin- gegen sind Handlungsvorschriften, die in imperativischer Form »Du sollst …!« angeben, wie mit dem jeweiligen Gut umzugehen ist. Im Beispiel »Du sollst nicht töten!« ist der zugrunde liegende Wert das menschliche Leben, von dem es heißt, dass es zu erhalten sei. Der Norm »Du sollst nicht lügen!« liegt die Wahrheit als Wert zugrunde, die, so die Vor- schrift, immer gesagt werden soll.

Jede ethische Norm bezieht sich auf einen oder mehrere Werte. Einem System von Normen liegt ein Wertesystem zu- grunde, das immer hierarchisch geordnet ist. Bewusst oder unbewusst werden Werte immer priorisiert – spätestens wenn gehandelt werden muss –, so dass es einen obersten Wert gibt, der an der Spitze des Wertesystems steht, wie im deutschen Grundgesetz die von Immanuel Kant her be- gründete Würde des Menschen, der alle anderen Werte (Freiheit, Selbstentfaltung usw.) nachgeordnet sind. Ein sol- cher oberster Wert könnte aber auch das menschliche Glück sein.

Im Unterschied zu Rechtsnormen, deren Erfüllung durch Androhung von Sanktionen erzwingbar ist, erwachsen Ver- bindlichkeiten in der Ethik immer nur aus Selbstverpflich- tung, welche die freie Einsicht in die jeweiligen vernünftigen Gründe für diese Verbindlichkeiten voraussetzt. Andernfalls handelte es sich um einen Zwang durch Konventionen oder Gepflogenheiten. Dabei gilt stets, dass ethische Normen nur innerhalb des herrschenden Rechts einer Gesellschaft Gel-

tung beanspruchen können. In Deutschland gibt vor allem das Grundgesetz diesen äußeren Rahmen vor, zu dem an erster Stelle das klare Bekenntnis zu den unveräußerlichen universalen Menschenrechten gehört. Innerhalb dieser Leit- planken können sich der ethische Diskurs und das aus die- sem entspringende moralische Handeln der Menschen entfalten. Gleichwohl ist es in offenen und demokratischen Gesellschaften in der Regel so, dass die mehrheitlich herr- schenden Moralvorstellungen durch die Legislative zeitver- zögert zum geltenden Recht umgeschmolzen werden und dieses damit ein Spiegel der gelebten Moral einer Gesell- schaft darstellt.

Selbst in unserem Grundgesetz verankerte Werte können mit wenigen Ausnahmen von einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates geändert werden und somit einen zum Teil tiefgreifenden Wertewandel doku- mentieren.

Die ethische Praxis

Immer dann, wenn es einen endlich großen »Kuchen« zu verteilen gilt, kommt es zu Interessenskonflikten. Verschie- dene Positionen konkurrieren miteinander aufgrund ver- schiedener Wertesysteme und -hierarchien sowie aufgrund verschiedener, geltend gemachter Normen. Hier tritt die Ethik auf den Plan, häufig in Form von Ethikkommissionen, welche für die verschiedensten Auftraggeber ethische Exper- tisen zu verfassen haben. Ihre Aufgabe besteht in solchen Si- tuationen darin, rationale und gerechte Kriterien zu entwickeln, nach denen die betroffenen materiellen Güter (Ressourcen) oder ideellen Güter (Rechte) zu verteilen sind.

Im Aufeinanderprallen insbesondere von Partikularinteres- sen (einzelner Bürger) und Gemeinwohlinteressen (der Ge- sellschaft) muss ein Ausgleich für erzwungene Nachteile

Ethik als Wissenschaft und als Gedankengebäude ist

theorieorientiert, Moral dagegen ist handlungsorientiert.

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THEMA: ETHIK & RELIGION

April|2016 erziehungskunst oder Schäden nach ethischen Kriterien definiert werden. Zu einer systematischen, ethischen Fallanalyse gehören folgende Schritte: 1. Situationsanalyse, 2. Interessen - analyse, 3. Werte- und Normenanalyse, 4. Güterabwägung und ethisches Urteil.

Zum Verhältnis von Ethik und Religion

Im Unterschied zur Religion sucht und begründet die Ethik Handlungsgrund- sätze nicht vor dem Hintergrund einer obersten Autorität oder Instanz (Gott, Ge- wissen), auf der Grundlage von Offenbarungen (Heilige Schriften) oder der Tradition (Auslegungen). Alleiniges Kriterium für die Überzeugungskraft ethi- scher Prinzipien und Argumentationen ist in der Moralphilosophie die Vernunft des Menschen. Diesen Anspruch vertritt schon Sokrates, mit dem die abendlän- dische Moralphilosophie anhebt, indem er stets die ausschließliche Orientierung am Logos geltend macht.

Immanuel Kant bezeichnet die Vernunft als den »letzten Probierstein der Wahr- heit« und versteht unter dem aufgeklärten Selbstdenken, diesen letzten Probier- stein in sich selbst zu suchen. In der Moderne hört sich die gleiche Stoßrichtung, formuliert von Jürgen Habermas, so an: Die Rationalität habe sich in einem herr- schaftsfreien Diskurs als »eigentümlich zwangloser Zwang des besseren Argu- ments« zu entfalten.

Ethik versteht sich als weitestgehend voraussetzungsfrei und weltanschauungs- neutral und insofern als ein allgemeinmenschliches Unternehmen. Nur wei- testgehend deshalb, weil Ethik nicht absolut voraussetzungsfrei ist. Die Verpflichtung zur Rationalität als methodische Forderung der Ethik nimmt tat- sächlich den Status eines Postulats ein, man kann es mit Kant das Postulat der Vernunft nennen oder auch das Aufklärungspostulat. Außer dem Vernunftpos- tulat gibt es in einer Art schmalem Seitenweg der Ethik noch gewisse Postulate der sogenannten Gefühlsethiken. Allerdings kommt dem Vernunftpostulat in- sofern eine herausgehobene Stellung zu, als eine Gesellschaft ohne verbindliche Normen, d.h. rationale Prinzipien bisher nicht funktioniert und weil das Auf- klärungspostulat dasjenige Postulat darstellt, welches die größte interpersonale und interkulturelle Geltung beanspruchen kann.

Wie in den Religionen darf auch in der Ethik »geglaubt« werden. In der Ethik werden die »Glaubenssätze« in Form von Thesen aufgestellt. Da Ethik aber den

Annie Székely-Kühlewind

Auf der Himmelsleiter

Von der spontanen Religiosität des Kindes

Annie Székely-Kühlewind Auf der Himmelsleiter

Von der spontanen Religiosität des Kindes.

Aus dem Ungarischen von Lajos Adamik.

415 Seiten, gebunden mit SU

29,90 (D) |ISBN 978-3-7725-1927-7 www.geistesleben.com

Jedes Kind bringt eine spontane Religio- sität, einen Sinn für seine höhere Quelle mit. Wie sich daran im freien Religions- unterricht anknüpfen lässt, sodass diese Verbindung gepflegt und im Jugendalter immer bewusster gemacht werden kann, das beschreibt Annie Kühlewind aus ihrer reichen Erfahrung grundlegend und mit vielen konkreten Anregungen für die einzelnen Klassenstufen.

Die Äußerungen der Kinder verraten uns viel über die spontane Religiosität der Kindheit. Wenn der Erwachsene diese Erscheinungen als Signale wahrnimmt und dann seine eigenen inneren Mittel erforscht und weiter- entwickelt, mit denen er unbefangen wahrnehmen kann, was das Kind durch sein Alter und sein individuelles Wesen erlebt, wird er die Äußerungen verstehen, und er kann sie weiter beobachten und pflegen.»

Annie Székely-Kühlewind

Freies Geistesleben

Anregungen für den freien Religionsunterricht

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erziehungskunst April|2016

Anspruch einer Wissenschaft erhebt, ergibt sich die Forde- rung, diesem Geglaubten das bloß Bekenntnishafte dadurch zu nehmen, dass man es mit guten Argumenten zu be- gründen versucht. Diese Form von »Glauben« in der Philo- sophie nennt Kant »Vernunftglauben«.

Ethik im Schulunterricht

Die Begründungsdimension macht das Spezifische des Phi- losophierens und damit auch der Ethik aus. Hieraus erklä- ren sich auch die zentralen Ziele und Kompetenzen für den

Ethikunterricht in der Schule: Neben dem ethischen Wahr- nehmungsvermögen sind das vor allem die Argumentati- onsfähigkeit und die Urteilskraft. Es geht darum, ethische Konflikte zu erkennen, festzustellen, worin sie genau beste- hen und welche Interessen und Werte berührt sind. In der situativ sachgerechten Gewichtung der betroffenen Werte und Normen ist dann ethische Urteilskraft gefordert.

Aus dem Selbstverständnis des Faches Ethik ergibt sich, dass es nicht darum gehen kann, instruktiv Werte zu vermitteln oder die Schüler moralisch zu ertüchtigen. Unmittelbar in eine bestimmte Richtung moralisch zu erziehen, verbietet

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April|2016 erziehungskunst sich schon aufgrund der Neutralitätsverpflichtung des Un-

terrichtenden sowie wegen des pädagogischen Überwälti- gungsverbotes. Moralische Erziehung von einem einzelnen Fach zu erwarten, wäre im Übrigen realitätsfern – dies ge- lingt bekanntlich nur durch die Wirkung des ganzen mora- lischen Umfelds von Schülern.

Mit dieser Auffassung vom dem, was Ethikunterricht leis- ten kann, ist allerdings ein Wagnis verbunden: Es gibt keine Garantie dafür, dass Schüler durch Ethikunterricht zwin- gend zu moralisch besseren Menschen werden – Ethikun- terricht macht Ernst damit, dass auch moralische Bildung immer nur Selbstbildung bedeuten kann. Sie kann nur aus freiem, innerem Antrieb heraus entwickelt werden. Dies setzt Vertrauen seitens des Lehrers voraus.

Ethik als säkularer Humanismus bedeutet insofern eine Freiheitserfahrung. Einen Sinn muss jeder Schüler sich und seinem Leben – wenngleich unter behutsamer Begleitung durch den Lehrer – allmählich durch eigene Suche selbst geben. Das ist der notwendige Preis der Freiheit.

Plädoyer für einen säkularen Ethikunterricht für alle

In öffentlichen Debatten wird heute zu Recht vermehrt ein besonderes Augenmerk auf die ethischen Aspekte der ge- sellschaftlichen Probleme gerichtet, wobei die Hauptpro- bleme der Gegenwart nicht wirtschaftlicher, sondern sozialer und moralischer Natur sind. Der neoliberale Traum ist geplatzt: Auf die sich angeblich zum Wohle Aller selbst- regulierenden Kräfte der unsichtbaren Hand des freien Marktes ist kein Verlass.

Aber auch eine vom Staat von oben verordnete Ethik hat bis- her immer zu Unterdrückung und oder in eine Katastrophe geführt. Man denke beispielsweise an die rassistische NS- Ethik des III. Reichs, die »ideale« sozialistische Ethik Mao

Zedongs, welche die Große Proletarische Kulturrevolution getragen hat, oder die wahhabitische, fundamentalistisch-is- lamische Ethik Saudi Arabiens und des IS. Ethiken dieser Art, welche antihumanistische, menschenrechtsfeindliche und radikal-dogmatische Züge tragen, werden zwar übli- cherweise als Ideologien bezeichnet, entsprechen aber der Definition von »Ethik« als einem abgeschlossenen Gedan- kengebäude von Moralprinzipien.

In Zukunft muss zivilgesellschaftlich von unten an einer neuen Ethik gearbeitet werden, welcher als Perspektive für jeden Einzelnen Rudolf Steiners Ethischer Individualismus (»Die Philosophie der Freiheit«, GA 4) dienen kann.

Voraussetzung dafür ist allerdings ein noch viel stärkeres ethisches Bewusstsein und eine stärker ausgeprägte ethi- sche Urteilskraft bei allen Mitgliedern unserer Gesellschaft, insbesondere aber in der nachfolgenden Generation, welche unsere Zukunft gestalten wird.

Außerdem mangelt es vielfach an fundierter, ethischer Bil- dung. Mir scheint deshalb die Forderung wohl begründet zu sein, dass alle Schüler, auch diejenigen, welche einen Reli- gionsunterricht besuchen, in einem weltanschaulich neu- tralen Fach »Ethik« an der Schule die Möglichkeit erhalten sollten, systematisch und intensiv über die Fragen des sittli- chen Handelns des Menschen nachzudenken.

Dazu bedarf es der Muße und eines interdisziplinären Den- kens in Zusammenhängen.

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Zum Autor:Dr. Marcus Andries unterrichtet Philosophie, Ethik, Mathematik und Klettern am Gymnasium Haigerloch (Baden- Württemberg). Außerdem ist er als Lehrbeauftragter für Philoso- phie/Ethik am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) in Rottweil tätig.

Jede ethische Norm bezieht sich auf einen oder mehrere Werte.

Einem System von Normen liegt ein Wertesystem zugrunde, das immer hierarchisch geordnet ist.

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erziehungskunst April|2016

Erziehungskunst |Warum hat Rudolf Steiner mit der Be- gründung der Waldorfschule nicht sofort den Religionsun- terricht eingerichtet?

Stefan Grosse|Das ist eine Legende. Im ersten Entwurf des Lehrplans im April 1919 war vieles noch nicht enthal- ten. Dann gab es schon im August 1919 auf einem Eltern- abend die Frage nach der Religion. In der ersten Konferenz am 25. September 1919 spricht Steiner ausführlich über den Lehrplan für den freien Religionsunterricht. In diesem Zu- sammenhang stellt er klar, »dass man die Kinder einfach aufwachsen lässt ohne Religionsunterricht, das wollen wir nicht einführen«. Das heißt, er wurde verbindliches Fach für die Klassen 1 bis 12.

Elisabeth von Kügelgen|Später begründete Steiner, warum man den freien Religionsunterricht nicht für alle einführen könne. Er hatte große Sorge, dass die Waldorfschule dadurch als eine Weltanschauungsschule eingestuft würde. Am 18.

April 1923 bemerkt er: »Ich betrachte das als eine Art von Er- folg, dass wir die Dissidentenkinder (Kinder, die konfessio- nell ungebunden waren; Anm. der Red.) auf diese Weise zum Religionsunterricht gebracht haben ... Das ist vom pädagogi- schen Standpunkt aus angestrebt worden bei uns« (GA 306).

Ihm war das Fach äußerst wichtig. Man kann das nicht nur an inhaltlichen Aussagen festmachen, sondern auch daran, dass er, als er in den Jahren 1923/24 den Lehrplan der Klassen 1 bis 12, auch für den freien Religionsunterricht, fertig entwickelt hatte, in allen Kursen, die er in der Schweiz, den Niederlanden und England gab, dem Religionsunterricht einen ganzen Vor- trag widmete. Die Begründung ist eine menschenkundliche:

Wenn das Kind durch allen Unterricht, der wissenschaftlich, künstlerisch, religiös sein soll, schon ein ganzer Mensch ge- worden sei, brauche dieser ganze Mensch noch die religiöse

Vertiefung (Ilkley, 15.8.1923). Bezüglich des von ihm gegebe- nen Kultus für die Sonntagshandlung für die Kinder führt Steiner aus, dass er in seiner Gesamtheit über Wort, Farbe, Musik, Form und Symbol wirke, damit die Konstitution des Menschen nachgebildet würde und den ganzen Menschen an das Göttlich-Übersinnliche anbinde.

Alles ins Gedanklich-Ideelle Gehende zersplittere den Men- schen; das Religiöse, das Gefühls- und Willenshafte, am stärksten der Kultus, führe das Zersplitterte wieder in einer Tiefe zusammen, die anders gar nicht zu erreichen sei.

EK |Was genau ist nach Rudolf Steiner unter Religion und dem Religiösen zu verstehen?

SG|Es gibt etwas Religiöses, das in der Methode liegt. Und es gibt Religiöses, das im Inhalt liegt. Beides ist nicht an ein Bekenntnis gebunden, also überkonfessionell. Man muss sich befreien vom Bekenntnishaften in der Religion. Das Re- ligiöse ist ein Lebensgefühl: Indem ich zum Beispiel eine Methode anlege, die damit rechnet, dass der Mensch sich in der Nacht verändert und mit gewandelten Impulsen auf- wacht, ist das im Grunde eine religiöse Art, die Welt zu be- trachten. Das ist die eine Schicht. Die andere Schicht ist, die Inhalte zu pflegen, die eine Vertiefung der Seele bewirken.

Aus welcher Konfession die Inhalte kommen, ist nicht das Entscheidende für das Religiöse. Schärfer formuliert: Das Religiöse muss sich völlig frei von konfessionellen Inhalten entfalten können, weil es seelenbildend ist.

EvK|Für die Waldorfschule sagt Steiner, es gebe nur einen Grund, Religion zu unterrichten, und das sei der men- schenkundlich-pädagogische. Alles andere sind fremdbe- stimmte Gründe. Für die gesamte Unterstufe fordert er:

Keine Theologie, keine Gebote, es komme darauf an, über

Religion ist so alt «

Im Gespräch mit Elisabeth von Kügelgen und Stefan Grosse über den Religionsunterricht an Waldorfschulen.

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April|2016 erziehungskunst das Bild, die Symbolik und die Stimmung auf das Gefühl

und den Willen zu wirken. Es ist nicht eine »moralische Ver- anstaltung«, sondern es geht um den Raum, in dem sich Ge- wissen und ein allgemein tolerantes, menschliches Lebens- gefühl ausbilden kann. Das Kind muss sich in seinem Leib und in der Welt beheimaten. Das ist schwer zu vermitteln, da wir Religion an den Waldorfschulen auch nach fast hun- dert Jahren immer noch als Konfession denken.

EK |Worin liegt der Unterschied, wenn in der dritten Klasse das Alte Testament im Hauptunterricht behandelt wird und dann nochmals im Religionsunterricht? Warum zweimal?

SG|Das ganze Setting im Hauptunterricht ist anders. Ich habe 35 Kinder vor mir und habe diese Gruppe, die ich mit einer kräftigen Erzählung greife. Es ist immer viel Stoff in einer überschaubaren Zeit. In der Religionsstunde habe ich eine kleine Gruppe, ich habe ein Drittel der großen Klasse.

Ich kann viel dialogischer arbeiten, ich kann den Inhalt an das eigene Erleben anbinden. Ich kann zum Beispiel bei Moses die Figur näher und menschlicher machen. Moses ist eine gewaltige Führergestalt. Er hat aber auch eine Kom- ponente, dass er scheitert. Er will ja nicht das Wasser aus dem Stein schlagen. Er hat große Zweifel, dass hinter dem Materiellen etwas Göttlich-Geistiges vorhanden ist. Dieser Zweifel ist sein Stolpern, aus dem entsteht, dass er das ver- heißene Land nicht erreicht. Er sieht es und stirbt dann. Das sind Dinge, die erzeugen menschliche Nähe. Da ist einer, der nicht alles hinkriegt. Solche Sachen kann man nur in einem Gespräch ausarbeiten, im feinen Zuhören. Ich kann genau auf die Fragen der Kinder eingehen und eine große innere Reichhaltigkeit und Gemüthaftigkeit angeregen.

EvK|Ich bin Oberstufenlehrerin. Aber ich durfte einmal von Klasse 1 bis 12 unterrichten. Das war ein großes Erleb- nis. Wir haben über Wochen die Welt noch einmal erschaf-

fen. Und die Kinder haben es so genossen, zu sprechen und zu verweilen bei den Dingen. Das geht in dieser Weise im Hauptunterricht nicht. Dies Phänomen haben wir auch in der Oberstufe einmal erlebt. Schüler vom freien Religions- unterricht hatten die Religionslehrer eingeladen. Sie woll- ten wissen, was uns am Religionsunterricht wichtig sei. Wir waren überrascht über diese Frage. Und es stellte sich he- raus, dass die Schüler Religionsunterricht wollten – aber bitte in kleineren Gruppen. Es sei der einzige Unterricht, in dem sie wirklich mit uns sprechen könnten. Sie haben das Bedürfnis nach Zeit, sie wollen keinen Stoffdruck, sie wol- len die Fragen besprechen, die sie beschäftigen. Wir haben da die Freiheit, zu hören, was kommt; was wollen die Schü- ler? Und dann schmeiße ich meine Vorbereitung eben weg.

EK |Wie sieht die Wechselwirkung zwischen den Religi- onsstunden und den anderen Fächern aus?

EvK|Als Oberstufenlehrerin hatte ich oft in den Klassen, in denen ich Geschichte und Deutsch unterrichtete, auch Religion. Die Wirkung war ungemein. Die Tiefe und Breite, die ich mit manchen Themen erreichen konnte, habe ich in anderen Klassen nie erreicht. Die Fächer haben sich gegen- seitig befruchtet und es wurde möglich, an tiefe Schichten zu rühren. Steiner schlug drei Stunden pro Woche Religi- onsunterricht vor. Es sei wichtig, »dass die Schüler erinnert würden« – zwölf Jahre lang, dreimal in der Woche: Es gibt ein Göttlich-Geistiges. Der Name bringt etwas mit in den Raum. Das ist nicht zu unterschätzen. So sei auch die ideale Religionsstunde wie ein Kultus. Es müsste für einen Mo- ment die Seele in dieser Richtung berührt werden.

EK |Wenn Religion und Kultus so zentral sind, warum dann nicht für alle?

EvK|Steiner bemerkte hierzu, dass mit dem Religiösen das

Es stellte sich heraus, dass die Schüler Religionsunterricht wollten – es sei der einzige

Unterricht, in dem sie wirklich mit uns Lehrern sprechen könnten. «

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Elternhaus am allerstärksten in die Schule hineinrage und man dem Rechnung tragen müsse. Der konfessionelle und freie Religionsunterricht war und ist ein Kompromiss, ein Kompromiss allerdings, hinter dem Steiner voll stand.

Wir haben an der Uhlandshöhe an der Oberstufe, als die Kir- chen niemand mehr schicken konnten, nach Rücksprache mit Eltern und Schülern den freien Unterricht für alle in hal- ben Klassen eingeführt. Der Handlungsbesuch muss frei- willig sein. Es gab in Bayern den Fall, dass eine Schule freien Religionsunterricht für alle anbieten wollte. Das kam vor Ge- richt. Die Eltern wollten das nicht. Es gibt ja auch Kollegen aus den Kirchen, die sehr positiv in der Schule mitarbeiten.

Das andere ist, dass man ehrlicherweise sagen muss: Wir haben einen Notstand mit wirklich guten Religionslehrern.

Wir haben in diesem Fach wenig vorgegebenen Unterrichts-

stoff, wir haben nicht die Abiturkeule, sondern man ist auf sich gestellt und muss oft zu äußerst schwierigen Zeiten – mittags um halb drei – die Schüler motivieren. Nicht nur der ganze Mensch soll vertieft werden, sondern ich muss als gan- zer Mensch ganz anwesend sein. Das muss ich wollen, sonst funktioniert das in der Oberstufe nicht. Die Kleinen lieben den Unterricht. Es ist auch klar, dass es in Israel jüdischen Religionsunterricht oder in arabischen Ländern muslimi- schen geben muss. Und trotzdem kann dieser Unterricht eingebettet sein in ein allgemein Religiöses.

SG|Auf die Frage, warum ist der freie Religionsunterricht nicht für alle eingerichtet worden, kann ich antworten: Das ist ein echter gesellschaftlicher Kompromiss an den Schulen mit völliger Anerkennung der Leistung der konfessionellen Religionsunterrichte.

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April|2016 erziehungskunst EK |Ragt die konfessionelle Bindung heute auch noch so in

die Schule hinein wie damals zu Steiners Zeiten?

SG|Heute ragt der Agnostizismus der Eltern hinein. Das religiöse Leben ist ziemlich zum Erliegen gekommen. Es ist im Grunde wenig, was heute hereinragt. Man kann sogar von einer bewussten Abwehr sprechen, wenn ein Vater nach dem Adventsgärtlein sagt: Komm, wir setzen da noch etwas drauf, wir gehen in Harry Potter.

EvK|Alle Unterrichte pflegen Wiederholung und Rituale.

Rituale wirken sehr tief. Religion ist Willenserziehung. Die Steigerung des Rituellen ist der Kultus. Da merkt man, dass heute die Kinder aus unbeschreiblich arhythmischen Le- bensverhältnissen kommen. Aber der Rhythmus ist das Ge- sundende. Heute hat man große Angst vor Religion. Auch ist es nicht mehr angesagt, sich zu öffnen, sich hinzugeben und zu staunen. Das gilt als Schwäche.

EK |Wie ist das Verhältnis zwischen Ethik und Religion?

SG|Die Ethik kommt an einer bestimmten Stelle in die Lehr- pläne, nämlich dort, wo der Religionsunterricht Pflicht ist. Es ist eine Art Ersatzstunde. Positiv. Man will eine Erziehung zum Moralischen und Guten, außerhalb von dogmatisch ge- fassten Inhalten. Wenn man den freien Religionsunterricht in dieser Art auffasst, dass er sich mit dem Religiösen, mit dem Wahren und Guten befasst, dann könnte man eigentlich sagen: Indem er ein überkonfessioneller Unterricht ist, erfüllt er den Grundgedanken der Ethik.

Wie er aber dann letztlich daherkommt, ist er ein deskriptives Nebeneinanderstellen von verschiedenen Ansichten. Und vom sublimen Egoismus, der in dem Kantschen Diktum

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem an- dern zu« lebt, hat sich die Ethik noch nicht ganz befreit. Das muss man klar sehen. Doch gegen das redliche Bemühen, etwas Freieres zu schaffen, kann man nicht viel sagen.

EvK|Die Ethik ist abgelöst vom Göttlichen. Sie entspringt nicht dem Göttlichen, sondern ist eine Verabredung unter Menschen. Als Waldorfpädagoge gehe ich davon aus: Wenn ich meinen Schülern begegne, begegne ich einem Göttlichen.

Wenn ich allen Unterricht in diesem überreligiösen Sinn gebe, aus einer spirituellen Gesinnung heraus – nur den Re- ligionsunterricht nicht, denn da machen wir Ethik –, dann finde ich es seltsam, dass manche Waldorfschulen diesen Un- terschied nicht sehen. Ich habe mit meinen Zehntklässlern besprochen, was der Unterschied zwischen Religion und Ethik ist. Auf die Frage, ob sie wissen, was Ethik sei, kam von einer Schülerin die Antwort: »Nein. Aber Religion ist so alt.«

Ich habe Ethik immer in der 10. Klasse behandelt – dann war auch klarer, was Religion als Umfassenderes ist.

EK |Was charakterisiert den Religionsunterricht in der Un- terstufe, Mittelstufe und Oberstufe?

S G | In den unteren drei Jahren ist Religion die Seins- grundlage, die Schöpfung, das gewordene Göttliche, in dem der Mensch aufgehoben ist und sich beheimatet. Immer mit starker Gemütsbindung: Die Natur ist gottgewollt, der Mensch findet in der Natur Halt und das Gute. In der Mit- telstufe ist es das Schicksal zwischen den Menschen. Gibt es im Schicksal eine Führung oder ist alles rein zufällig? An Biographien kann man sehr gut herausarbeiten, dass das Leben kein Zufall sein kann. In der Oberstufe gilt die Frage dem Denken: Was ist das Denken und das Vorstellen? Ist es reiner Nachvollzug der äußeren Welt oder ist der Gedanke schöpferisch, greift er etwas Geistiges? Es gilt, den Schülern deutlich zu machen, dass ich mit dem Gedanken etwas We- senhaftes begreifen kann.

EvK|Für die Oberstufe gibt Steiner 1919 einen sehr moder- nen Lehrplan. Für die neunte Klasse nennt er zum Beispiel das Damaskus-Erlebnis des Paulus. Was bedeutet der ge-

Heute sind nicht

religiöse Bekenntnisse das Problem, sondern der Atheismus.

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genwärtige Christus hier und jetzt? Was ist das Christliche heute? In der 10. Klasse ist dann mehr Kirchengeschichtli- ches dran, die Konfessionen oder die persönliche Suche des Augustinus, aber auch die Auseinandersetzung mit Sekten, Gruppen und Gruppenzwängen sowie ethische Fragen. In der 11. und 12. Klasse sind dann die Weltreligionen Thema, aber so, dass man ihrem echten religiösen Kern gerecht wird.

Methodisch soll man nach Steiner jetzt auf gedankliche Klar- heit und selbstständiges Urteilen hinarbeiten. Es geht um Verständnis, nicht Wertung. Sie sollen in der Lage sein, wenn sie die Schule verlassen, aus Kenntnis und Übersicht ihre ei- gene Lebensorientierung zu finden. Das ist Ziel des Religi- onsunterrichts.

So finde ich es geradezu barbarisch, dass ausgerechnet heute, wo andere Kulturen und Weltreligionen ein derart zentrales Thema sind, an vielen Waldorfschulen Religion in der Ober- stufe nicht mehr stattfindet.

EK |Warum besuchen heute so wenige Kinder die Sonn- tagshandlung?*Sollte sie in den Unterricht integriert wer- den?

Ev K|Die Sonntagshandlungen waren lange sehr gut be- sucht. Ein Einbruch war die Einführung des schulfreien Samstags. Ab da gab es das lange Wochenende. Viele Schu- len haben dann die Handlungen in die Schulzeit gelegt.

Zumal Steiner selbst schon 1922 in Hamburg aufgrund der weiten Wege der Schulkinder einen Kompromiss gemacht und empfohlen hat, die Handlungen während der Schulzeit abzuhalten.

Es sei wichtiger, dass die Kinder das haben könnten, als dass es am Sonntag stattfinde, aber niemand komme. Steiner dachte ganz pragmatisch. Daraufhin wurde er gefragt, ob man den Text nicht ändern müsste, wenn es heißt, »all- sonntäglich«. Nein, sagte er: Da, wo die Sonntagshandlung

gehalten werde, sei immer Sonntag; das sei die Qualität des Kultus. So findet heute an der Mehrzahl der Waldorfschu- len die Sonntagshandlung während der Unterrichtszeit statt – oft im rhythmischen Teil des Hauptunterrichts oder auch davor. Seitdem sind die Handlungen wieder gut besucht.

Wenn die Eltern sich nicht kümmern müssen, ist es ihnen recht und die Kinder gehen gerne hin. Aber man muss die Eltern natürlich fragen.

EK |Wenn das Religiöse so seelenbildend ist, warum wird es nicht verbindlich für alle als wesentliches Element der Men- schenbildung eingeführt?

EvK|Das geht nicht so einfach, weil nicht nur der Unter- schied zwischen Religion als Konfession und dem Religiö- sen erkannt werden muss, sondern auch die menschen- bildende Bedeutung des Religiösen überhaupt.

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Die Fragen stellten Ariane Eichenberg und Mathias Maurer.

Zu den Interviewpartnern:Elisabeth von Kügelgen war 38 Jahre Lehrerin an der Freien Waldorfschule Stuttgart-Uhlandshöhe für Deutsch, Geschichte und freien Religionsunterricht. Mitarbeit im deutschen und internationalen Religionslehrergremium, der Anthroposophischen Gesellschaft und Lehrerbildung.

Stefan Grosse ist Klassenlehrer und Lehrer für freien Religions- unterricht seit 1984 in Esslingen. Mitglied im internationalen und im deutschen Religionslehrergremium. Seit 2014 Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen.

* Auf einem Religionselternabend November 1919 wurden die Lehrer nach einer Sonntagsfeier für die Schüler gefragt. Daraufhin gab Rudolf Steiner nach Alterstufen die Sonntagshandlung für die Kinder, die Jugendfeier (entspricht der Konfirmation) und die Opferfeier für die Erwachsenen.

Die Schüler sollen in der Lage sein, wenn sie die Schule verlassen, aus Kenntnis und Übersicht ihre eigene Lebensorientierung zu finden.

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Leben und Lernen eine Haltung der Anerkennung gegen- über den religiös fremden Mitschülerinnen und Mitschü- lern, Vätern, Müttern und Lehrpersonen annehmen. »Das geschieht«, so Claudia Sturm, »aufgrund der festen Über- zeugung, dass die Gesellschaft auch in Zukunft nicht re- li gionslos sein wird und die jungen Menschen eine religionsplurale Gesellschaft später selbst gestalten müssen.

Darauf muss Schule vorbereiten. Das bedeutet, dass die jun- gen Menschen auskunftsfähig sein müssen über den eige- nen religiösen Standpunkt. Das impliziert aber auch den

» Vertiefen wir, was uns verbindet, überwinden wir, was uns trennt, bewahren wir, was uns unterscheidet « (Bernhard von Clairvaux)

Das Besondere an der Drei-Religionen-Grundschule in der Stadt des Westfälischen Friedens ist der Stellenwert der Re- ligion im Schulalltag. Sie wird nicht als Problem, sondern als Ressource gesehen, indem die Kinder ihre eigene reli- giöse Identität weiterentwickeln können und im täglichen

April|2016 erziehungskunst

Claudia Sturm ist seit zwölf Jahren Schulrätin. Vorher war sie selbst 24 Jahre im Schuldienst, davon elf Jahre als Schulleiterin.

Sie verantwortet die 2012 gegründete Drei-Religionen-Grundschule, eine von 17 Schulen in Trägerschaft der Schulstiftung im Bistum Osnabrück. Außergewöhnlich an dieser Grundschule ist, dass sie nicht nur inklusiv arbeitet, sondern dass Juden, Christen und Muslime per Kooperationsvertrag gemeinsam Schule machen.

Foto: Charlotte Fischer

Ringparabel in Osnabrück

von Ute Hallaschka

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interreligiösen Dialog, der mit Respekt vor anderen weltan- schaulichen Positionen geführt werden muss.« Dies ge- schieht in altersgemäßer Form und beginnt erst in der eigenen Religion mit Lehrpersonen, die dieser Religion an- gehören. Ist dieser eigene Standpunkt entwickelt, treten die Kinder im Begegnungslernen in Dialog mit Kindern ande- rer Religionen.

Jeder Mensch ist ein Bild Gottes

Die Gründung der Schule bezeugt die Fähigkeit, aus der Not eine Tugend zu machen. Die ehemalige Johannisschule, eine katholische Bekenntnisgrundschule in öffentlicher Trä- gerschaft, war eine konfessionsgebundene Einrichtung, der am Standort schlicht die getauften Kinder ausgingen. Statt sie zu schließen, wurde die Drei-Religionen-Grundschule aus der Idee begründet, dass »jeder Mensch ein Bild Gottes ist«. Diese Grundüberzeugung setzt den Menschen in seiner religiösen Identität in Freiheit.

Der Geist der Freiheit sorgt dafür, dass inzwischen Anmel- dungen aus dem gesamten Stadtgebiet, auch aus konfessi- onslosen Elternhäusern erfolgen. Die Handlungsmaxime des respektvollen Umgangs miteinander, die Toleranz, wird nicht gepredigt, sondern als Fähigkeit erworben. Das inter- religiöse Lernen findet nicht nur im Religionsunterricht statt, sondern ganz konkret in alltäglichen Situationen. Bis zum gemeinsamen Mittagessen in der Ganztagsschule.

Dann muss es für die jüdischen Kinder koscher und für die muslimischen halal sein.

Oder die Süßigkeitenfrage. Hat ein Kind Geburtstag und möchte den anderen etwas mitbringen, dann gilt es religi- onssensibel zu sein und niemanden auszuschließen. So ist eine Liste entstanden, was für alle teilbar ist. Die Art Rück- sicht, die früher in der Großfamilie lernbar war – Wie teile

ich gerecht? – wird so wieder neu gelernt. Kinder, die in to- leranter religiöser Praxis miteinander aufwachsen, erfahren und erwerben Verständnis füreinander als Bildung einer Seelenkraft, nicht als intellektuelle Vorschrift. Das hat durch- aus heitere Züge, etwa, wenn ein Kind erwägt, zum Juden- tum überzutreten – denn die haben mehr Feiertage!

Das eigene Bekenntnis lässt andere hochachten

Zu Schuljahresbeginn wird ein sogenannter interreligiöser Kalender erstellt, denn an den wirklich hohen Feiertagen der jeweiligen Religion haben nicht nur die Kinder schulfrei, sondern auch Mitarbeiter und Lehrpersonen. Hier hört man förmlich die Verwaltungsbürokratie innerlich aufschreien, als wäre die Apokalypse in Sicht. Aber was ist so schlimm daran, wenn einige Kinder ein paar Tage nicht in der Schule sind? Dabei sind es tatsächlich gar nicht so viele Tage, wie ein Blick in den Kalender zeigt. Dieser wird erstellt von den Vertretern der Religionsgemeinden im Schulbeirat. Ihm ge- hören, neben Eltern und Lehrern, Mitglieder der christlichen Kirche, der islamischen und jüdischen Gemeinden an. Da- rüber hinaus stellen die Kinder ihre Religion und deren Ge- bräuche gegenseitig in Projekttagen dar. Das hat dazu geführt, dass die Eltern sich inzwischen schlechter infor- miert fühlen als ihre Kinder und sich ebenfalls verstärkten religiösen Dialog wünschen.

Hier zeigt sich, wie eine gute und richtige Idee sich selbst weiter entwirft. Nach wie vor ist es ja ein katholischer Schul- träger, aber die ausdrückliche Grundlage des Christentums belastet niemanden. Im Gegenteil, es ist das ausdrückliche Bekenntnis der eigenen Haltung, das auch den anderen garantiert, dass ihre Religion frei gelebt werden kann. Das Ganze erinnert an Nathans Ringparabel. Religion aus Liebe gespeist – so einfach ist das plötzlich – kann gar nicht zu

Religion aus Liebe gespeist kann gar nicht zu Hass und Missachtung führen. Wer das einmal grundlegend erfahren hat, ist immunisiert gegen Terror.

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April|2016 erziehungskunst Hass und Missachtung führen. Wer das einmal grundlegend

erfahren hat, ist immunisiert gegen Terror. Die Kinder tra- gen diese Lebenserfahrung mit sich, wenn sie die vierte Klasse der Drei-Religionen-Grundschule beendet haben und die Schulform wechseln. Man kann sich vorstellen, wie sich aus diesem gewachsenen Interesse geradezu eine Sehnsucht bildet. Vielleicht fehlt es einem katholischen Kind dann regelrecht, wenn keiner mehr von Jom Kippur oder vom Opferfest zu Hause erzählt, den anderen natürlich ebenso.

Man darf gespannt sein, wie die – derzeit rund 200 – Schüler die Idee ins Leben tragen und weiter entwickeln.

Religion eint alle Schichten

Der Mix ist erstaunlich: Die Eltern kommen sowohl aus bil- dungsnahen als auch stark bildungsferneren Schichten. Be- sonders für Letztere ist das Ganztagsangebot konzipiert, um Benachteiligungen zu minimieren. Doch allen Eltern ist so- wohl das schulpädagogische als auch das religionspädagogi- sche Profil der Schule wichtig. Einiges im pädagogischen Konzept der Schule erinnert an Waldorf: Es gibt einen Mor- genkreis und Wochenabschluss, rhythmische Unterrichts- einheiten und spezielle Bewegungszeiten. Doch die religiöse Ausrichtung ist eine ganz eigene kulturerneuernde Kraft.

Schade nur, dass die Drei-Religionen-Schule für Außenste- hende nicht vor Ort erfahrbar ist. Man kann die Schule nicht besuchen. Doch das ist der Weltlage geschuldet – übermä- ßiges Medieninteresse hat es nötig gemacht – und vor allem den Kindern selbst. Der Schutz der Kinder ist der Schule heilig, sie sollen in Ruhe lernen und leben. »Wir wollen keine ›Zooschule‹ sein«, so Claudia Sturm.

Auch das ist am Ende wieder eine interessante, um nicht zu sagen, heilsame Erfahrung. Der radikale Schutz des Schul- lebens, des Individuellen, vor der medialen Sensationsgier nach O-Tönen. Da steht man nun leicht verdutzt und fragt sich: Ja, was denn nun, einfach den Worten trauen, einfach glauben, ohne es mit eigenen Augen gesehen zu haben?

Kann ich etwas beurteilen, ohne dass ich es sinnlich vor mir habe, etwas, das sich meiner Anschauung entzieht? Wahr- haftig, genau dafür brauchen wir eigene Urteilskraft – geübt in kultureller und religiöser Form des Glaubens. Wohin muss ich in mir schauen, wohin zielen, wenn ich urteilen will? Auf mein moralisches Empfinden. Liebevolles Ver- ständnis – darin besteht die Herausforderung.

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Zur Autorin:Ute Hallaschka arbeitet als freie Autorin.

Alle Kinder lernen alle Religionen kennen:

Im Kreuzgang In der Moschee In der Synagoge 16_17_18_19_20_21_22_23_EK04_2016_EZK 10.03.16 11:51 Seite 23

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Astrid Frank:Unsichtbare Wunden| 288 Seiten, gebunden|15,90 (D)| (ab 13 Jahren)| ISBN 978-3-8251-7966-3| auch als eBook erhältlich| Jetzt neu im Buchhandel! | www.urachhaus.com Anna ist hübsch, klug und fröhlich. Sie ist eine exzellente

Reiterin und in ihrer Klasse sehr beliebt. Zu ihrem 13. Geburtstag bekommt sie ein Tagebuch geschenkt:

»Für deine Geheimnisse«, sagt ihr Vater. Doch Anna hat gar keine – bis ihre beste Freundin sie wiederholt hängen lässt und in der Schule eine skrupellose Mobbingspirale

einsetzt. 19 Monate später ist Anna tot …

… und RAUS bist DU!

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Realistisch, psychologisch klug und bewegend stellt Astrid Frank Mobbing als gruppendynamischen

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Foto: johny schorle | photocase.de

»Astrid Frank stellt uns die Frage, wo man hätte eingreifen können, um die bittere Konsequenz der Mobbingspirale aufzuhalten. Sehr empfehlenswert!«

Christian Boettger, Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschule

»Packend bis zur letzten Seite.

Höchst empfehlenswert!«

MobbingHelpDesk

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2016|April erziehungskunst Vor wenigen Jahren erschütterte eine »Bankenrettungskrise« die Welt, deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die globalen Machtkoordinaten uns noch lange in Atem halten werden.

Da ihre Ursachen fortbestehen, bahnt sich auch die nächste globale Finanzkrise an. Es sind un- glaubliche politische und finanzielle Anstrengungen unternommen worden, um die »systemre- levanten« Banken zu retten. Mit der Wiedervereinigung von Ost und West und dem anschließenden zweiten Wirtschaftswunder hat Deutschland mit einem vergleichbar großen Kraftaufwand eine Gestaltungsaufgabe vollbracht, auf die wir nicht nur stolz sein, sondern von der wir etwas für die Bewältigung der Flüchtlingskrise lernen können. Die Flüchtlingsströme werden uns erhalten bleiben, dafür sorgen die globalen Finanzhasardeure ebenso wie die Des- poten und ihre islamistischen Widersacher im Nahen und Mittleren Osten, ob das die Rechtsex- tremisten Europas nun wahrhaben wollen oder nicht.

Die Bundesregierung rechnet bis 2020 mit 3,6 Millionen Flüchtlingen. Wir brauchen daher eine Bildungsoffensive, die der Bankenrettung und Wiedervereinigung ebenbürtig ist. Dabei geht es keineswegs nur um die Integration der Flüchtlingskinder, sondern um eben jene Werte, die die

»besorgten« Hüter eines deutschnationalen Reinheitsgebotes so vehement ins Feld führen, wenn sie mal wieder die Grenzen dichtmachen wollen. Kulturtragend werden diese Werte nur, wenn sie gelebt werden. Die Verantwortung dafür liegt mitten in der Zivilgesellschaft, und das ändert alles.

Wir werden die Bildungsoffensive nur hinbekommen, wenn wir uns von der bequemen Vor- stellung befreien, der Staat werde es schon richten. Der muss allerdings dafür sorgen, dass die gewaltigen Steuereinnahmen, über die Deutschland verfügt, wieder in die Zivilgesellschaft ein- gespeist werden, um vor Ort neue Bildungsangebote entstehen zu lassen und nachhaltig abzu- sichern. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung sind schon heute 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut betroffen, besonders in Bremen, Sachsen-Anhalt und Leipzig, Ten- denz steigend. Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, schätzt, dass die Flüchtlingskinder diese Zahl um weitere 500.000 erhöhen werden. Deshalb schlug er bereits 2014 vor, jedem Kind eine Grundsicherung von 500 Euro im Monat zu garantieren.

So richtig dieser Vorschlag ist: Er braucht die Erweiterung zu einem Bildungspakt zwischen ge- meinnützigen freien und staatlichen Trägern, Stiftungen, der Industrie und anderen gesell- schaftlich relevanten Gruppen, die Bildungsinitiativen fördern und armen Familien den kostenlosen Zugang auch zu nichtstaatlichen Schulen, Kindergärten oder Freizeitangeboten er- möglichen. Systemrelevante Banken konnte der Staat mit unseren Steuergeldern retten; unsere

»systemrelevanten Werte« bedürfen der handelnden Menschen vor Ort. Die staatlichen Finanz- hilfen müssen sich im Bildungswesen an der Nachfrage durch die Eltern und nicht an »staatlich«

oder »nichtstaatlich« orientieren. Auf der Skala unserer Werte steht »mündig« sehr weit oben!

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Systemrelevante Werte

von Henning Kullak-Ublick

Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassen- lehrer an der FWS Flensburg;

Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen, den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steinersund der Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogi- schen Bewegung – Haager Kreis

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